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Titel: Eine ziemlich belanglose Debatte um Leistungsbilanzüberschüsse, Trump und die Deutschen mit ihren Exportweltmeister-Allüren

Datum: 19. Juni 2018 um 11:35 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Globalisierung
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Zurzeit läuft eine heiße Debatte um die Bewertung der Vorstöße von Trump und der USA zu den Handelsbilanz-Ungleichgewichten. Daran haben sich u.a. das Ifo-Institut und das Kieler Institut, die Süddeutsche Zeitung und Werner Rügemer auf den NachDenkSeiten, Paul Steinhardt von Makroskop und heute Heiner Flassbeck beteiligt. Ich kann mit dieser Debatte nur begrenzt etwas anfangen. Vieles, was im Zusammenhang mit dem Welthandel wichtig wäre, kommt nicht zur Sprache. Das liegt unter anderem an einem alten Fehler vieler Ökonomen: Sie denken in sogenannten monetären Größen und bewerten Vorgänge diesem Denken entsprechend. Schon ihre Sprache – „Außenhandels-Überschüsse“ und „Außenhandelsdefizite“ impliziert eine sachlich nicht berechtigte Wertung. Mit diesem Phänomen will ich bei meiner kurzen Analyse der einschlägigen Debatte beginnen. Zuvor aber eine Anmerkung zu einer Bemerkung von Heiner Flassbeck über Werner Rügemers Beitrag auf den NachDenkSeiten. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das war ein Beitrag des Autors Werner Rügemer und nicht der NachDenkSeiten, wie Flassbeck meint. Zumindest die Haltung des Herausgebers der NDS zur Politik der Exportüberschüsse hat sich unter dem Eindruck der Veröffentlichungen von Ifo und auch von Werner Rügemer auf den NachDenkSeiten nicht verändert. Aber unser Medium, die NachDenkSeiten, dürfen doch mal eine andere Sicht der Dinge veröffentlichen, ohne dass damit gleich die Abkehr der NachDenkSeiten vom Pfad der Tugend festgestellt wird. Trotz berechtigter Kritik am Text von Werner Rügemer bleibt anzumerken, dass er auf einige Aspekte hinweist, die bei der Beurteilung des Gesamtkomplexes durchaus zu beachten wären.

Der Beitrag von Rügemer mit der Grundthese, es gäbe kein Handelsdefizit der USA gegenüber der EU, wird von Flassbeck als ein Angriff auf die von ihm schon oft formulierte Kritik an Deutschlands Politik dauernder Exportüberschüsse gewertet. Diese Kritik und die damit zum Ausdruck kommende Sorge teile ich – übrigens schon seit über 20 Jahren und in meiner früheren Funktion als Redenschreiber des deutschen Bundeswirtschaftsministers Professor Dr. Karl Schiller auch schon im Jahre 1969, als der deutsche Bundeskanzler Kiesinger auf Drängen des Bundesfinanzministers Strauß eine solche Politik durchsetzen wollte und Schiller die Aufwertung der D-Mark betrieb – also das, was wir auf andere Weise heute von der deutschen Bundesregierung verlangen.

Die nun seit längerem von Merkel, Scholz und Schäuble, und von Merkel und Steinbrück betriebene Außenhandelsüberschuss-Politik und der damit verbundene Export von Arbeitslosigkeit hat verheerende Folgen für Europa. Ich habe mich in den letzten Monaten in einigen Ländern Süd- und Südosteuropas umgesehen und umgehört. Die dort grassierende Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit führt vor allem bei jungen Leuten zugleich zu Aggression wie auch zu einer frühen Abrechnung mit und Abwendung von Politik und Demokratie. Unsere Bundeskanzlerin hat offensichtlich keine Ahnung davon, was sie mit ihrer Exportüberschuss-Politik anrichtet. Oder es interessiert sie nicht.

Diese Einschätzung und diese Sorge teilt auch Heiner Flassbeck. Im Text von Werner Rügemer geht das unter. Wenn man es kritisch formulieren will: indem Werner Rügemer das „US-Handelsdefizit“ relativiert, ja sogar als Fake bezeichnet, rechtfertigt er implizit zugleich die deutsche Politik permanenter Exportüberschüsse. Das ist der Stein des Anstoßes. Zu Recht.

Anders als die südeuropäischen und südosteuropäischen Partner können die USA um vieles gelassener auf den deutschen Wahn der Exportüberschüsse schauen. Das hat mit der eingangs erwähnten Betrachtung zu tun. Wenn die USA die Vorgänge nicht durch die Brille der monetären Betrachtung analysieren und bewerten und stattdessen fragen, was die andauernden Exportüberschüsse bei einer güterwirtschaftlichen Betrachtung für die USA bedeuten, dann fällt die Bewertung ganz anders aus. Um dies zu erläutern, begebe ich mich in die Rolle des US-amerikanischen Präsidenten.

Wenn ich amerikanischer Präsident wäre, dann würde ich die Geschichte der Leistungsbilanzsituation der USA im Verhältnis zu China, zu Europa und speziell zu Deutschland meinen Wählerinnen und Wählern in den USA ganz anders erzählen. Etwa so:

„Die Chinesen und die Europäer, insbesondere die Deutschen, sind ganz schön doof. Sie rühmen sich des Handelsbilanzüberschusses, sie nennen sich Exportweltmeister und klopfen sich dabei so laut auf die Schultern, dass man es im letzten Winkel Europas und der Welt hört und vernimmt, was für großartige Experten da auf der Regierungsbank sitzen. Sie exportieren mehr Güter an uns, als sie von uns importieren. Wir haben also mehr Güter zur Verfügung, als wir mit eigenen Ressourcen produzieren. Der Rest wird von den Deutschen produziert, dafür setzen sie Arbeitskräfte und Maschinen ein, und wir fahren dann mit den von ihnen produzierten Autos durch die Gegend.

Wir leben über unsere Verhältnisse – so könnte man sagen –, und die Deutschen leben unter ihren Verhältnissen. Und darauf sind sie auch noch stolz. Und genau das muss man als Zeichen höchster Dummheit werten. Übrigens haben die Deutschen das auch dadurch geschafft, dass sie eine sogenannte Agenda 2010 verabschiedet haben. Der Regierungschef, der diese Daumenschraube bei den Arbeitern und Angestellten Deutschlands angesetzt hat, er hieß Schröder, war auch noch stolz auf sein vollbrachtes Werk. Er rühmte sich dessen, den besten Niedriglohnsektor der Welt geschaffen zu haben.

Mit den niedrigen Löhnen haben sie ihre Nachbarn und auch den USA kräftig Konkurrenz gemacht. Sie haben, so sagen auch deutsche Ökonomen mit Recht, Arbeitslosigkeit exportiert. Aber das gelingt eben nur dann, wenn die betroffenen Nationen nichts gegen diese Arbeitslosigkeit tun. Manche der Partner der Deutschen in Europa können dagegen nichts tun, weil ihre Volkswirtschaften klein und ihre finanziellen Möglichkeiten als Staat gering sind. Das gilt aber nicht für uns, die Vereinigten Staaten von Amerika. Hierzulande können und werden wir auf dem Binnenmarkt vermehrt staatliche Nachfrage schaffen, um den deutschen Export von Arbeitslosigkeit auszugleichen und damit zu kontern. Diese staatlichen Investitionen sind im Übrigen in der Sache nötig, weil wir damit unsere teilweise marode Infrastruktur verbessern. Die Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes müssen so angelegt sein, dass davon auch die Industriearbeiter profitieren, die unter der Exportstärke der Deutschen und anderer Europäer leiden.

Die Statistiken zeigen übrigens, dass die Deutschen trotz des systematisch betriebenen Exports von Arbeitslosigkeit nicht besonders erfolgreich sind. Sie haben viele Arbeitslosen versteckt. Alles können Sie nicht verstecken. So ist zum Beispiel der Anteil der älteren Menschen über 50 unter den Langzeitarbeitslosen in Deutschland besonders hoch.

Die Löhne in Deutschland sind nicht sonderlich stark gestiegen. Die Gewinne aber schon. Da Bürger, Finanzgruppen und Firmen der USA in Deutschland Eigentümer oder Anteilseigner wichtiger Unternehmen sind, profitieren die USA auf diese Weise von dieser besonderen deutschen Politik zulasten ihrer Arbeitnehmerschaft. Bei niedrigen Löhnen bleibt viel für Gewinne, für Dividenden und andere Formen der Gewinnbeteiligung. Es bleibt damit auch mehr für uns.

Die Gewinne US-amerikanischer Firmen in Deutschland wie auch in anderen Teilen Europas und in der Welt sind auch deshalb besonders hoch, weil viele der dort tätigen Unternehmen – denken Sie an Microsoft, Amazon und Facebook – monopolartige Bastionen erobert haben und deshalb einen besonders hohen Gewinnanteil abgreifen. Davon reden wir natürlich bei unseren Attacken auf die europäischen Regierungen und ihre Handelspolitik nicht. Monopolgewinne sind die stille Beteiligung unseres Landes an den Leistungen der niedrig bezahlten europäischen Arbeitnehmerschaft. Ich habe übrigens die Debatte über den unfairen Handel der Europäer mit uns auch deshalb so laut geführt, um von diesen Nachteilen der Europäer und vor allem ihrer Arbeitnehmerschaft abzulenken.

Also, mein Fazit: beklagen wir weiter lautstark, die Deutschen lebten mit Hilfe ihrer Handelsbilanzüberschüsse auf unsere Kosten; dass wir bei Betrachtung in real terms recht zufrieden sein können, behalten wir bei uns. In der jetzigen Situation werden Wohlstand und Ressourcen über den Atlantik transferiert.“

So viel zu des US-amerikanischen Präsidenten (fiktiver) welfareökonomischen, d. h. real ökonomischen Betrachtung des Geschehens.

Zu einer der vom fiktiven Trump geäußerten Möglichkeiten zur Binnenmarktreaktion des Exportdefizitlandes findet sich eine zustimmende Einlassung im Text von Heiner Flassbeck, gefettet von mir:

„Man kann das, was bei einem Leistungsbilanzüberschuss geschieht, auch in Form unserer gesamtwirtschaftlichen Finanzierungssalden interpretieren: Das Überschussland entzieht dem Defizitland Nachfrage, was wie ein zusätzliches Sparen eines Sektors (hier des Sektors Ausland) wirkt. Das muss, um einen gesamtwirtschaftlichen Rückschlag und steigende Arbeitslosigkeit auszugleichen, von anderen Sektoren (im Zweifel vom Staat) durch eine höhere kreditfinanzierte Nachfrage ausgeglichen werden, um eine Rezession zu verhindern.“

Ein anderer, von Heiner Flassbeck sehr affirmativ vorgetragener Gedanke wird aus meiner Sicht deutlich relativiert, wenn man in real terms zu denken gelernt hat. Ich zitiere, wieder gefettet von mir:

„Überschüsse im Außenhandel, wir haben das schon oft erklärt, bringen einen Nettogewinn an Arbeitsplätzen und Einkommen für das Überschussland. Das ist vollkommen unbestreitbar, wenn man den Boden der menschlichen Logik nicht verlässt. Ich habe das unter anderem hier erklärt und will den Kern der Überlegung nur kurz wiederholen. Wer mehr Güter verkauft als er selbst kauft, hat, wie jedes Unternehmen in dieser Situation, einen Gewinn gemacht, der seine wirtschaftliche Situation unmittelbar verbessert. Derjenige, der weniger verkauft, als er selbst kauft, muss, um dieses Defizit überhaupt darstellen zu können, einen Kredit aufnehmen.“

Wer mehr Güter verkauft, als er selbst kauft, hat aus meiner Sicht volkswirtschaftlich betrachtet keinen Nettogewinn. Eine solche Volkswirtschaft lebt unter ihren Verhältnissen.

Heiner Flassbeck hat in seiner Bemerkung die Frage nach der Verteilung des von ihm festgestellten Nettogewinns nicht gestellt, anders als der fiktive US-Präsident. Dieser sieht einen Vorteil auch für sein Land, weil in Deutschland die Entwicklung des Anteils der Lohnabhängigen um vieles geringer ausgefallen sein dürfte als der Anteil der Kapitaleigner.

Andere wichtige Fragen im Zusammenhang mit dem Welthandel und der wirtschaftlichen internationalen Zusammenarbeit, die in der aktuellen Debatte nicht behandelt oder ausgesprochen ungenügend behandelt werden:

  • Decken die Preise der exportierten Güter in der Regel alle Kosten ab, die dem exportierenden Land und den dort arbeitenden Menschen entstanden sind? Der Export wird schon im Falle Deutschlands durch den Wegfall der Mehrwertsteuer subventioniert. Das widerspricht den üblichen Vorstellungen von der optimalen allokativen Wirkung des Marktes, interessiert aber in der öffentlichen Debatte nicht
  • Sind in den Preisen der international gehandelten Waren die externen Kosten enthalten, die der Transport dieser Waren im Luftverkehr, im Straßenverkehr oder auf den Weltmeeren verursachen? Vermutlich nicht annähernd.
  • Sollten wir nicht sehr viel mehr über die Regionalisierung der Produktion von Waren und Dienstleistungen nachdenken als über eine Erleichterung des Welthandels?
  • Zusammenfassend: Was wären die national und international zu setzenden Rahmenbedingungen, würde man eine optimale Allokation der Ressourcen anstreben?
  • Wie gehen wir mit den Monopolen und Oligopolen um?

Ohne Zweifel gäbe es noch sehr viel mehr Fragen, die im Zusammenhang mit Welthandel und Freihandel besprochen werden müssten. Die Debatte um Defizite und Überschüsse von Leistungsbilanzen ist nur ein Teil davon.


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