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Titel: Fünf Autobosse – 110 Jahre Autogeschichte

Datum: 30. Juli 2018 um 13:05 Uhr
Rubrik: Ökonomie, Verkehrspolitik
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Mit Sergio Marchionne starb eine markante Figur der internationalen Autoindustrie, derjenigen Branche, die in den großen führenden Industrieländern USA, China, Japan, Deutschland, Frankreich, Südkorea und Italien Leitbranche ist, die den Weltkapitalismus formt und die zugleich seit 1974 auch den Zyklus der Weltkonjunktur maßgeblich bestimmt. Die Medien brachten anlässlich des Tods von Marchionne freundliche und teilweise geradezu liebevolle Porträts des „Mannes mit Pullover“. Das soll meine Sache nicht sein, auch wenn ich zu der Auffassung neige, dass Marchionne im Vergleich zu dem in Schrauben verliebten Martin Winterkorn (Ex-VW-Boss) und den Brutalo-Sanierern Carlos Tavares (Peugeot-Citroen-Opel) und Carlos Ghosn (Renault-Nissan-Mitsubishi) wie eine nonkonformistische, sympathische Lichtgestalt erschien. Von Winfried Wolf.

Soll man Autobosse charakterisieren? Man soll dies tun. Gerade auch als Demokrat, als Ökonom und als leidenschaftlicher Verkehrswissenschaftler. Auch wenn es dabei nicht so sehr um Porträts der Individuen geht, sondern um solche, in denen die Bedeutung der jeweiligen Autobosse für die Leitbranche Autoindustrie und für das wichtigste Kultprodukt des modernen Kapitalismus, das Auto, herausgearbeitet wird.

Greifen wir uns fünf Autobosse heraus, die für exakt 110 Jahre Weltbranche Auto stehen.

Henry Ford (1863-1947)

Henry Ford ist ohne Zweifel der Begründer der Massenproduktion von Autos. Der erste in großer Stückzahl gefertigte Pkw war das „Model T“. Es wurde erstmals vor 110 Jahren, 1908, präsentiert. Die Fließbandproduktion, die es bei Ford ab 1913 gab, war allerdings bereits wesentlich früher und in einem anderen Sektor des Weltkapitalismus eingeführt worden: in den Schlachthöfen von Chicago. Als Ford mit der Massenproduktion von Autos startete, hatten dort, wie von Upton Sinclair in dem bereits 1905 erschienenen, ausgezeichneten Werk „The Jungle“ („Der Dschungel“) beschrieben, bereits „eine Viertelmilliarde Tiere“ das „Schlachten per Fließband“ durchlaufen. Henry Ford übernahm die Technik. In Chicago wurden seit Anfang des 20. Jahrhunderts die Tiere zur Fabrik herangekarrt anstatt das Töten zu den Tieren zu befördern. Just Vergleichbares beschreibt Ford: „Der erste Fortschritt [der Fließband-Einführung; W.W.] bestand darin, dass wir die Arbeit zu den Arbeitern heranschafften statt umgekehrt. Heute befolgen wir zwei […] Prinzipien […] einen Arbeiter […] niemals mehr als nur einen Schritt tun zu lassen und nirgends zu dulden, dass er sich bei der Arbeit nach den Seiten oder vornüber zu bücken braucht […] Das Nettoresultat […] ist eine Verminderung der Ansprüche an die Denktätigkeit der Arbeitenden…“ (H. Ford, Erfolg im Leben – Mein Leben und Werk , München 1952, S.55ff – USA: My Life and Work, 1922). Was für die Tiere den Tod bedeutete, erwies sich als abtötend für das Menschsein, als Steigerung der Entfremdung im Prozess der Lohnarbeit.

Ford war nicht nur überzeugter Judenhasser, ein Jahrzehnt lang Herausgeber der antisemitischen Tageszeitung „Dearborn Independent“ und ein Überzeugungstäter, der massenhaft die antisemitische Hetzschrift „Protokolle der Weisen von Zion“, eine Fälschung der zaristischen Geheimpolizei zwecks Schüren von Pogromen, verbreiten ließ. Die oft (z.B. bei Wikipedia) zitierten Distanzierungen Fords vom Antisemitismus waren offenkundig taktischer Natur. Als Ford am 30. Juli 1938 seinen 75. Geburtstag feierte, bestand der Höhepunkt darin, dass ihm von den deutschen Konsuln Fritz Heiler und Karl Kapp der höchste deutsche Orden, den das Deutsche Reich, der NS-Staat unter Adolf Hitler, einem Ausländer gewähren konnte, das „Großkreuz des Adlerordens“, verliehen wurde. Klaus Wiegrefe schrieb im „Spiegel“ vom 7. Dezember 1998 auf Basis von damals neu aufgetauchten Dokumenten: „Zwei Jahre später – Hitler hatte seinen Krieg bereits begonnen – weigerte sich der so Ausgezeichnete, einer Bitte des amerikanischen Präsidenten nachzukommen und Großbritannien mit Flugzeugmotoren auszuhelfen. Das verbiete ihm, erklärte Ford, sein Pazifismus. Das chronisch devisenschwache Dritte Reich, immer auf der Suche nach teuren Rohstoffen aus dem Ausland, wurde von Ford jedoch durch Tauschgeschäfte unterstützt. Ford exportierte in Deutschland gefertigte Autos und versorgte dafür das Reich mit Gummi, wie aus einem geheimen Untersuchungsbericht der amerikanischen Armee von 1945 hervorgeht, den die US-Regierung im März [1998; W.W.] freigab. […] Für Ford war das Rüstungsgeschäft lukrativ. Wie aus einer […] Untersuchung der amerikanischen Militärbehörden hervorgeht, konnte Ford seine Erträge zwischen 1938 und 1942 verdoppeln.“

Die Autofabriken der Ford Motor Company in Deutschland produzierten bis Ende des Weltkriegs für die NS-Kriegswirtschaft. Sie setzten dabei Tausende Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ein. Die Ford-Fabriken in Köln und Berlin wurden bis Ende 1944 von den alliierten Bomberflotten verschont. Die Ford-Fabriken waren Vorbild für das VW-Werk in Fallersleben (heute Wolfsburg), wobei Ford für das VW-Werk Entwicklungshilfe leistete. Ferdinand Porsche und der Fiat-Gründer und Mussolini-Freund Giovanni Agnelli weilten mehrmals mit Teams in den USA, um die Ford-Autofabriken zu inspizieren, die dortigen Produktionstechniken zu übernehmen und Fords Idee vom „Auto für jedermann“ mit der deutschen bzw. mit der italienischen faschistischen Ideologie des „Autos für den kleinen Mann“ zu verschmelzen.

Auch während des Zweiten Weltkriegs gab es geheimgehaltene Treffen des Ford-Managements aus den USA mit Top-Leuten der deutschen Ford-Werke; der bereits zitierte Bericht des „Spiegel“: „Im Juni 1943 traf sich der Verwalter der Kölner Ford-Werke heimlich mit US-Managern im neutralen Portugal. Und ein portugiesischer Kurier schmuggelte Berichte der Pariser Ford-Zentrale im besetzten Frankreich, die der deutschen Ford-Tochter unterstellt war, nach Lissabon. Von dort gelangten sie in die USA.“

Heinrich Nordhoff (1899-1968)

Nordhoff steht für die enge Verbindung der US-Autoproduktion mit der NS-Rüstungsproduktion und für die nahtlose Konversion von Rüstungswirtschaft zu ziviler Fertigung.

Nordhoff arbeitete seit dem Jahr 1929 für General Motors und hier für den Autobauer Opel, der im selben Jahr von GM übernommen worden war. Die GM/Opel-Werke produzierten, wie die Ford-Fabriken in Deutschland, umgehend nach Hitlers Machtübernahme uneingeschränkt für die NS-Rüstungsproduktion. Es bedurfte keiner Enteignung und keines von außen eingesetzten Verwalters, um die Treue des GM-Opel-Managements zur NSDAP zu gewährleisten. Allerdings zogen sich die GM-Manager mit US-Pass ab Beginn des Zweiten Weltkriegs aus der Opel-Spitze zurück – womit wiederum Heinrich Nordhoff in der Karriereleiter nach oben rücken konnte. Er wurde 1939 stellvertretendes Vorstandsmitglied der Adam Opel AG und drei Jahre später Leiter des wichtigsten Opel-Produktionswerks.

Bei Opel (überwiegend in Rüsselsheim) wurden, wie der Buchautor und begnadete Verfasser der Studie des US-Senats über die Verschwörung der US-Autoindustrie gegen die Eisenbahnen, Bradford C. Snell („Snell-Study“) 1974 belegte, „50 Prozent aller propellergetriebenen Aggregate, die für den Mittelstreckenbomber Ju-88 zum Einsatz gelangten“, gefertigt. Dort wurden auch wichtige Bestandteile der Düsenantriebsaggregate für die Me-262 hergestellt – des weltweit ersten, einsatzfähigen Kampfflugzeugs mit Düsenantrieb. Dieses hätte Hitlers „Wunderwaffe“ werden können – wenn am Ende nicht der Sprit gefehlt hätte. (Die Snell-Study siehe hier)

Nordhoff war ab Juli 1942 Leiter des Opel-Lkw-Werks in Brandenburg („Opel-Blitz“). Der Mann war ab diesem Zeitpunkt NS-„Wehrwirtschaftsführer“. Das Opel-Werk wurde als „Kriegsmusterbetrieb“ ausgezeichnet. Es – das heißt: seine Belegschaft, die zu einem wachsenden Teil aus Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern bestand – lieferte bis Kriegsende an die faschistische Wehrmacht 130.000 Fahrzeuge, überwiegend Lkw. Nordhoff forderte von der Belegschaft, die „Kräfte auf das eine Ziel zu konzentrieren, den deutschen Sieg.“ Stephan Krull zieht in seinem Buch über VW und Porsche verstörende Parallelen zu Nordhoff-Ansprachen als VW-Chef in den 1950er Jahren, als dieser die Beschäftigten weiter als „meine Arbeitskameraden“ titulierte und tönte: „Solange wir eine geschlossene Mannschaft bleiben, alle bereit, unser Bestes zu geben für die gemeinsame Sache“). (Stephan Krull, Volksburg – Wolfswagen, Hannover 2013, S.71).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Nordhoff zunächst als „Hauptschuldiger“ für NS-Verbrechen, doch dann bereits 1947 als „entlastet“ eingestuft. Die britische Besatzungsmacht berief ihn am 7. November 1947 zum VW-Chef – offizieller Titel ab 1948: Generaldirektor der Volkswagenwerk GmbH. Nordhoff blieb bis zu seinem Tod 1968 Chef des bald wieder größten europäischen Autokonzerns.

Unter Nordhoff gelang dem VW-Konzern bereits in den 1950er Jahren eine erste globale Ausrichtung des Unternehmens u.a. mit Werken in Brasilien, Mexiko und Südafrika. Es gab dabei eine enge Zusammenarbeit mit dem Apartheid-Regime in Pretoria und ab 1964 eine solche mit der Militärdiktatur in Brasilien. (Siehe Gaby Webers Recherchen).

Nordhoff wird im Rückblick oft dafür kritisiert, dass er „zu lange“ – bis zu seinem Tod – „am luftgekühlten Boxermotor im Heck“ (Wikipedia) und damit am Kraft-durch-Freude-Wagen, wie er von Ferdinand Porsche für die NS-Wehrmacht entwickelt worden war, festgehalten hatte. Diese Kritik ist natürlich berechtigt; schließlich geriet VW 1974/75 in der ersten weltweiten Autokrise nach dem Zweiten Weltkrieg in eine tiefe Krise. Andererseits war es eben dieses einfache Pkw-Modell, das die Massenmotorisierung in einem nach dem Zweiten Weltkrieg relativ armen Land ermöglichte. Und es waren in vergleichbaren Ländern zu vergleichbaren Zeiten vergleichbare Pkw-Modelle, die diese Massenmotorisierung ermöglicht hatten: Vor dem Ersten Weltkrieg und zwischen den beiden Weltkriegen Fords Tin Lizzy, nach dem Zweiten Weltkrieg Fiats „Topolino“ und „Cinquecento“ in Italien und die Modelle 2CV, R4 und Simca1000 in Frankreich. Nordhoff: „Wir sind arm und Amerika ist reich. Deutschland sollte deshalb dorthin folgen, wohin VW es führt – und nicht umgekehrt.“

Der KdF-Wagen steht – wie der Fiat-Topolino in Italien – für den fast nahtlosen Übergang von der Rüstungsproduktion auf zivile Fertigung. Ach! Wie mühsam ist doch oft das Geschäft für uns Rüstungs- und Kriegsgegner, wenn wir – wie dies Anne Rieger bewundernswert im Fall der Rüstungsindustrie tut – für Konversion eintreten: weg vom Auto, hin zu den „Produkten“, die eine Verkehrswende ermöglichen. Siehe meine 2018 veröffentlichte Arbeit zur Kritik der „Elektromobilität“ (isw-Report 112/113) und meine neuen Studien zur städtischen Mobilität in Hannover und in Dortmund.

Für die Autobosse war diese Konversion nie ein echtes Problem. Da wurde wiederholt – in den USA, in Japan, in Italien und in Deutschland – munter in beide Richtungen konvertiert: von zivil auf kriegerisch und von Rüstung für den Krieg zur Hochrüstung für die Massenmotorisierung. Wie sagte es doch die NS-Größe, zu diesem Zeitpunkt Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, Hermann Göring, am 8. Juli 1938 vor Automanagern: „Was, meine Herren, bedeutet Ihr Werk gegenüber der Nation? […] Was bedeutet das alles, wenn Sie eines Tages statt Flugzeugen Nachttöpfe machen! Das ist ja einerlei…“ (OMGUS-Report, Ermittlungen gegen die Deutsche Bank, Neuauflage 1985, S. 150).

So ist es. Es ist einerlei, ob Kampfflugzeuge oder Kampf-SUVs, ob Bomber-Propeller oder Porzellan-Nachttöpfe, ob Kübel-Wagen oder VW-Käfer produziert werden – solange der Profit stimmt.

Lee Iacocca (geboren 1924)

Lee Iacocca repräsentiert zunächst den Höhepunkt der US-Autoindustrie. Er steht dann aber auch für den Niedergang der US-Autoindustrie und für die staatlichen Eingriffe einer US-Regierung, die bis dahin den „freien Kapitalismus“ predigte. Obgleich der Gipfel seiner Tätigkeit als Automanager in den 1970er und 1980er Jahre liegt, steht er für ein frühes staatlich-dirigiertes „America-first!“-Programm, wie es 35 Jahre später von Donald Trump gepredigt und praktiziert wird.

Als Iacocca 1946 seine erste Tätigkeit bei Ford aufnahm, stammten mehr als 80 Prozent aller Autos, die irgendwo auf der Welt hergestellt wurden, aus den USA – und mehr als 90 Prozent aller Autos, die irgendwo auf der Welt registriert wurden, rollten zuvor über die Fließbänder der den Weltmarkt monopolisierenden vier US-Autokonzerne GM, Ford, Chrysler und American Motors (der letztgenannte Konzern ging 1979 eine Kooperation mit Renault ein und wurde 1987 von Chrysler übernommen). 1980, auf dem Höhepunkt von Iacoccas Karriere, als dieser Chrysler-Boss war, war der erstgenannte Anteil auf 25 Prozent und der zweite auf 35 Prozent zusammengeschrumpft. Dies war das entscheidende Indiz für den Niedergang der US-Industrie.

1970 bis 1978 war Iacocca Präsident der Ford Motor Company, dem zweitgrößten Pkw-Hersteller der Welt. Der Eigentümer und Erbe des Firmengründers, Henry Ford II, feuerte Iacocca 1978 aus ungeklärten – offensichtlich persönlichen –Gründen. Iacocca stieg beim damals bereits maroden Chrysler-Konzern, in Detroit die Nr. 3, ein. Er startete dort – einem Hollywood-Drehbuch gleich – einen persönlichen Rachefeldzug gegen Ford und – so die eigenen und die vorherrschenden, verklärenden Darstellungen – gegen den Rest der Autowelt. Tatsächlich gelang die Chrysler-Sanierung zunächst. Das deutsche Großbürgerblatt, hinter dem ein kluger Kopf vermutet wird, bilanzierte 1983: „Iacocca verdient alle Bewunderung, die ihm zuteil wird. Dass der Name Chrysler in Amerika wieder einen guten Klang hat […] ist fast ausschließlich sein Verdienst.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Juli 1983).

Wirklich – das persönliche Verdienst von Lee A. Iacocca? In Wirklichkeit war der Mann die Charaktermaske für einen beispiellos brutalen Sanierungsprozess, der dennoch am Ende wirkungslos bleiben sollte: Die Chrysler-Auslandsengagements wurden alle abgestoßen (und damit u.a. die Pkw-Fabriken von Chrysler-Europe, Ex-Simca, später Talbot, in den Ruin getrieben; siehe W. Wolf auf NachdenkenSeiten). Die verbliebene Chrysler-Belegschaft wurde nochmals halbiert – von 133.000 auf 65.000 Beschäftigte. Die Automobilarbeitergewerkschaft UAW und die Restbelegschaft wurden zu massiven Lohn-Konzessionen erpresst. Vor allem erhielt Chrysler einen Staatskredit in einer damals kaum vorstellbaren Höhe von 1,2 Milliarden US-Dollar (damals 4 Milliarden DM). Der Kredit wurde noch in den letzten Tagen der US-Regierung unter Jimmy Carter gewährt. Auf diese Weise konnte der nachfolgende US-Präsident Ronald Reagan – zusammen mit seinen radikalen Chicago-Boys, die nach außen die reine Lehre vom freien Markt predigten – Lee A. Iacocca als Lichtgestalt und „Führer der freien Wirtschaft“ lobpreisen. Was diesem wiederum dazu verhalf, dass sein Buch „Iacocca – eine amerikanische Karriere“ ein Welterfolg wurde.

Aus Chrysler aber wurde über drei Jahrzehnte hinweg ein Sanierungs- und Pleitefall. Siehe unten unter „Sergio Marchionne“.

Sehr lehrreich sind die Sätze, die Iacocca über die Chrysler-Sanierung schrieb – allerdings zu einem Zeitpunkt, als alle Welt noch glaubte, die Sanierung sei gelungen: „Wir mussten viele Leute feuern […] Es ist wie im Krieg. Wir haben gesiegt, doch mein Sohn ist nicht zurückgekehrt. Es gab Not und Elend. Existenzen wurden zerstört, Eltern mussten ihre Kinder vom College nehmen, begannen zu trinken, ließen sich scheiden. Den Konzern als Ganzes haben wir gerettet, aber nur um einen enormen persönlichen Preis, der vielen Menschen abverlangt wurde.“ (Eine Amerikanische Karriere, Düsseldorf und Wien 1985, S.290f).

Iacocca persönlich wurde eher wenig abverlangt. Der Mann wurde und ist Multimillionär.

Osamu Suzuki (geboren 1930)

Dieser Autotycoon (den Namen Suzuki erhielt er durch Einheirat in den Suzuki-Clan) steht für dreierlei: Erstens für den Aufstieg eines japanischen Rüstungskonzerns, der nach dem Zweiten Weltkrieg zivile Produkte herstellt. Zweitens für den Aufstieg des japanischen Kapitalismus in den 1970er Jahren zu einem der vier großen imperialistischen Player. Und schließlich drittens für den Aufstieg eines japanischen Autokonzerns zu einem Global Player, der zur Gruppe der zehn größten Autokonzerne zählt.

Das Unternehmen Suzuki hatte sich im Zweiten Weltkrieg als Teil des japanisch-industriellen Komplexes (u.a. mit der Herstellung von Munition) zu einem maßgeblichen Unternehmen des japanischen Kapitalismus gemausert. Nach dem Weltkrieg startete der Konzern mit der Fertigung von Landmaschinen, Heizungslüftern und Webstühlen. Ab den 1950er Jahren dominierten Motorräder das Geschäft. 1955 wurde der erste Suzuki-Kleinwagen vorgestellt. Bis heute ist Suzuki auf Kleinwagen spezialisiert; anders als VW oder Ford oder Fiat blieb der Konzern bei dieser Spezialisierung und konzentriert sich damit auf die kaufkräftige Massennachfrage in den kapitalistischen Zentren – und nicht zuletzt in „emerging markets“ wie Indonesien, Thailand und Indien.

Osamu Matsuda – später Osamu Suzuki – begann seine Karriere bei der Suzuki Motor Corporation 1958. Er ist die Personifizierung der genannten Firmenphilosophie. Er steht seit 1978 und nunmehr seit vier Jahrzehnten an der Spitze des Autoherstellers und gilt als der „am längsten amtierende Führer der weltweiten Autoindustrie“ (Wikipedia; englisch). Er baute Suzuki zum Weltkonzern aus, indem er bewusst die Konfrontation mit den real oder scheinbar „ganz Großen“ mied und zugleich dem Verdrängungswettbewerb auf den großen, gesättigten Automärkten in Nordamerika und Westeuropa weitgehend aus dem Weg ging. Stattdessen eroberte Suzuki die Automärkte in Thailand, Indonesien, auf den Philippinen, in Pakistan, Bangladesch, Vietnam, Südkorea, Ägypten – und nicht zuletzt in Indien, wo Suzuki mit seiner – aus eigenen Kräften aufgebauten – Tochter Maruti der unangefochtene Marktführer ist.

Anders als die Konkurrenz ging Suzuki nicht das Risiko großer Übernahmen ein (wie dies VW mit Seat und Skoda; Daimler mit Fokker, Chrysler und Mitsubishi, Renault mit Nissan und Mitsubishi, Peugeot mit Citroen, Talbot und Opel, BMW mit Rover oder Ford mit Saab und Volvo getan hatten). Aktuell produziert Suzuki in 31 Ländern und dort in 60 Fabriken.

Diese Zurückhaltung wurde zwei Mal aufgegeben. 2010 ging Osamu Suzuki ein enges Bündnis mit VW ein. VW übernahm in diesem Zusammenhang sogar 19,9 Prozent des Suzuki-Aktienkapitals. Als der VW-Mehrheitsaktionär Ferdinand Piech dann jedoch überheblich davon quasselte, Suzuki werde „die nächste Marke“ im VW-Imperium, zog Osama Suzuki die Notbremse. Die Verbindung wurde getrennt; ein veritabler Rosenkrieg zwischen den Auto-Patriarchen Piech und Suzuki wurde in aller Öffentlichkeit und vor Gerichten ausgetragen.

2016 gab es den nächsten Paukenschlag. Die Bosse von Toyota – Akio Toyoda – und von Suzuki – Osamu Suzuki – verkündeten, zukünftig eine enge Allianz bilden und insbesondere auf dem Kleinwagen-Sektor zusammenarbeiten zu wollen. Dabei will Toyota insbesondere die Tochter Daihatsu mit Suzuki zusammenbringen. Im Mai 2018 verkündeten beide Unternehmen, dass die Zusammenarbeit vertieft und konkretisiert wird.

Das aber würde heißen, dass die Nummer 1 und die Nr. 10 der weltgrößten Autohersteller den Weltautomarkt revolutionieren und zumindest rein rechnerisch mit großem Abstand zur Konkurrenz an die Weltspitze vorrücken würden.

Sergio Marchionne (1962-2018)

Sergio Marchionne fällt im Kreis der hier vorgestellten Autobosse aus dem Rahmen. Nicht nur hinsichtlich seiner vogelwilden Persönlichkeit. Marchionne war – im Gegensatz zu allen anderen hier vorgestellten Autobossen – nie ein Mann mit „Benzin im Blut“: Der Sohn eines Carabinieri war branchenfremd, als er 2004 an die Spitze von Fiat berufen wurde. Dennoch lässt sich der Nonkonformist hinsichtlich seiner Rolle in der Weltautobranche charakterisieren: Marchionne steht – so sehr er als Sanierer gelobt wird – in dreifacher Weise für Niedergang. Erstens für den Niedergang der US-Autoindustrie. Zweitens für den Niedergang der italienischen Autoindustrie. Und drittens für den Niedergang des italienischen Kapitalismus als Resultat des teutonischen Euro-Regimes.

Nach außen hatte der Mann Erfolg. Als er Fiat übernahm, schien die Fabbrica Italiana Automobili Torino, deren Kurzform „Fiat“ lateinisch auch heißt „Es werde!“ [welch ein branding!], vor der Pleite zu stehen. „Wir verlieren Tag für Tag zwei Millionen Euro“ – so Marchionnes Analyse beim Amtsantritt. Und wie das im Kapitalismus so ist: In solchen Zeiten am Abgrund dürfen Frauen beziehungsweise Branchenfremde ans Ruder. Unter Marchionnes Führung hat sich die Zahl der im Fiat-Konzern weltweit gefertigten Autos mehr als verdoppelt (von 2 Millionen auf 4,7 Millionen Einheiten). Der Konzern ist aktuell profitabel. Auch konnte der Autohersteller von einem weitgehend auf Europa konzentrierten Unternehmen zu einem Konzern umgebaut werden, der zumindest in drei der fünf großen Kernmärkte für Autos passabel vertreten ist: in Westeuropa, in Nordamerika und in Lateinamerika.

Womit wir bei Niedergang Nummer 1 wären. Fiat stieg 2009 bei dem US-Konzern Chrysler, der – ebenso wie GM – in der großen Krise 2007-2009 – Konkurs anmelden und vom US-Staat mit gewaltigen Steuermilliarden gerettet werden musste, zunächst mit einem 20-Prozent-Anteil ein. GM steht heute wieder auf eigenen Beinen, ist aber seither strukturell deutlich geschwächt – auch weil das Unternehmen wichtige internationale Allianzen (so eine solche mit Suzuki) und eine wichtige Tochter (Opel bzw. Vauxhall) aufgeben musste. Der Chrysler-Konzern, der von dem Italo-Amerikaner Iacocca angeblich „gerettet“ wurde (und der 1998 bis 2004 Teil des Daimler-Imperiums war), wurde jetzt ausgerechnet von dem Italo-Kanadier Marchionne in den Fiat-Konzern integriert. (Die vollständige Integration erfolgte erst 2014). Damit ist die US-Autoindustrie substanziell geschwächt. Sie hat siebzig Jahre lang die Weltbranche Auto dominiert. Sie befindet sich seit den 1970er Jahren auf dem Rückzug. Sie wurde in der Krise 2007/2009 endgültig aus dem Rennen um den Spitzenplatz geworfen. Das Statement des Barack-Obama-Teams im Jahr 2012 „Osama bin Laden ist tot – General Motors lebt“ erwies sich als doppelt falsch. GM zählt heute eher zu den walking deads. Und aus dem US-Krieg gegen den Terrorismus erwachsen immer mächtigere sogenannte terroristische Gruppen.

Den Niedergang Nummer zwei orchestrierte Marchionne höchstpersönlich (wobei John Elkann, der Erbe der Eignerfamilie Agnelli, ihn dabei offensiv unterstützte). Fiat ist faktisch seit einigen Jahren zerschlagen. 2014 wurde die letzte Fiat-Hauptversammlung in Turin abgehalten. Seither liegt der Firmensitz in Amsterdam und der steuerliche Sitz in London. Die Lkw-Sparte wurde abgespalten. Wichtige Industriebeteiligungen sind verkauft. Die aktuellen Gewinne des Konzerns sind in starkem Maß abhängig vom – derzeit noch prosperierenden – Markt für SUVs; es handelt sich vor allem um Profite aus dem Verkauf von Pkw der Marken Jeep, Dodge, Renegade und RAM und von Luxus-Pkw (Alfa Romeo, Ferrari, Maserati, Lancia). Der Kleinwagenbereich – ursprünglich die Stärke von Fiat – wurde massiv zurückgefahren. In China ist Fiat nur marginal vertreten.

Damit aber kann vorhergesagt werden: In der nächsten Wirtschaftskrise wird der Autohersteller Fiat existenziell gebeutelt werden. Und es war Marchionne selbst gewesen, der eine Zukunft von Fiat nur in einem Zusammengehen mit einem der ganz Großen sah. Für ein solches Projekt aber erhielt er kein grünes Licht – oder es fehlte ihm dafür das eine und andere Jahr. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ bilanzierte bereits 2014: „Längst ist eingetreten, was sich vor wenigen Jahren weder italienische Ökonomen noch Gewerkschafter vorstellen konnten: Italien ist keine bedeutende Autonation mehr.“ (2. August 2014)

Das Drama, das Marchionne verkörpert, wird durch den Niedergang Nummer drei vollkommen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde die Autofertigung in Italien radikal gekappt. Die Pkw-Produktion im Land – die fast ausschließlich von Fiat (zusammen mit den Fiat-Töchtern Alfa Romeo, Lancia und Ferrari) bestimmt wird – lag 1990 noch bei 1,9 Millionen Fahrzeugen. 2017 waren es nur noch etwas mehr 700.000 Einheiten. In Krisenzeiten – so im Jahr 2013 – lag diese Zahl sogar bei weniger als 400.000. Zu diesem Niedergang kam es seit der Einführung des Euro. Und dies aus gutem Grund – konkretisiert für ein typisches Fiat-Produkt. In früheren Zeiten konnte das Fiat-Mittelklasse-Modell Ritmo (später der Fiat Uno) gegen das Modell Golf von VW relativ erfolgreich konkurrieren, weil die nationale Währung Lire immer weder stark abgewertet wurde. Allein im Zeitraum März 1979 bis August 1993 verlor diese gegenüber der Deutschen Mark 52 Prozent ihres Werts. Rein rechnerisch verbilligte sich damit der Preis des Ritmo bzw. des Uno auf dem deutschen Markt (und auf Märkten, die eng mit der DM verbunden waren) im selben Maß. Diese Möglichkeit gibt es seit 1999 nicht mehr. Auch aus diesem Grund hat Fiat große Teile seiner Autoproduktion in Nicht-Euro-Länder wie Polen und USA ausgelagert.

Wobei Fiat hier stellvertretend für die Krise des italienischen Kapitalismus steht. Der Weltmarktanteil Italiens hat sich seit 1980 auf 2,3 Prozent halbiert. 1995 war Italien der sechstgrößte Exporteur der Welt; 2017 lag das Land auf Rang 10.

Vor allem befindet sich Italien seit einem Jahrzehnt in einer Stagnationsphase. Das Land werkelt im Vorkrisenmodus. Oder auch: Es torkelt am Rande des Abgrunds. Die öffentlichen Schulden Italiens lagen 1980 bei 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, bei der Euroeinführung betrug diese Quote 100 Prozent; 2017 wurden 130 Prozent erreicht. Damit aber liegt die italienische Schuldenquote nur wenig unter dem Niveau, das Griechenland am Beginn der großen Krise dieses Landes, 2010, erreicht hatte. Wobei die absolute Summe der öffentlichen Schulden Italiens in Höhe von 2,5 Billionen Euro das Achtfache der griechischen Schulden ausmacht. Es gibt gute Gründe davon auszugehen, dass – wie es in einer Analyse des britischen “Independent“ vom 4. Juli 2018 heißt, „Italy could face the perfect storm“, dass Italien im Fall der nächsten weltweiten Krise vor einem perfekten Orkan stehen könnte.

Italien als Industriestaat in der Euro-Zwangsjacke befindet sich auf der Verliererstraße. Just dies war auch der Befund von Sergio Marchionne. Dessen Kernaussage lautete, dass man im Heimatland des Turiner Autobauers nicht profitabel produzieren könne. Als Beispiel führte er an, dass von dem jeweiligen operativen Ertrag von Fiat so gut wie kein Euro in Italien selbst verdient werde. Falls sich die Situation im „bel paese“ nicht grundlegend ändern werde, sähe sich – so Marchionne – der Autokonzern gezwungen, seine Produktion schrittweise ins Ausland zu verlagern. Was er tat. Und was weiter – nunmehr ohne Marchionne – erfolgen wird.

Wobei der Mann mit dem Pullover nicht nur auf Pressekonferenzen hemdsärmelig Wahrheiten sagte. Er trat auch gegenüber den Beschäftigten in Detroit oder Turin hemdsärmelig auf und verlangte Lohnverzicht auf Lohnverzicht.

Da waren Lee A. Iacocca und Sergio Marchionne derselben Auffassung. Beide argumentierten: „Wir befinden uns im Krieg“. Es handelt sich um einen Krieg gegen Umwelt, Städte, Klima und Beschäftigte.


Winfried Wolf ist Chefredakteur von Lunapark21. Zum Thema Autoindustrie und Verkehr erschienen vom Autor in jüngerer Zeit u.a Verkehr. Umwelt. Klima. Die Globalisierung des Tempowahns (2. Aufl. Wien 2009; Promedia),[zusammen mit Bernhard Knierim] Bitte umsteigen, 20 Jahre Bahnreform (Stuttgart 2014; Schmetterling), abgrundtief + bodenlos. Stuttgart 21, sein absehbares Scheitern und die Kultur des Widerstands (PapyRossa, Köln Januar 2018 und Elektro-Pkw als Teil der Krise der aktuellen Mobilität (isw-Report 112/113; Mai 2018).


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