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Titel: Familienministerin Schmidt: Armut hängt nicht nur vom Geld ab. Haushaltskurse gegen Armut. Eintopf statt Fast Food.

Datum: 28. Februar 2005 um 16:29 Uhr
Rubrik: Familienpolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Am Mittwoch den 2. März wird der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung im Kabinett behandelt. Die wichtigsten Ergebnisse sind: Die Kluft zwischen Arm und Reich wird tiefer; nahezu jeder siebte Haushalt lebt in Armut. Der Anteil der von Armut betroffenen Haushalten ist seit 1998 von 12,1 auf 13,5% gestiegen. Dagegen verfügt ein Zehntel der reichen Haushalte über 47% (1998 waren es noch 45%) des Nettovermögens von 5 Billionen Euro.
Die Bundesfamilienministerin Renate Schmidt kommentiert die zunehmende Armut in „Bild am Sonntag“ vom 27.2.05 vorab so: „Armut hängt nicht nur vom Geld ab“. Sie fordert von den „klugen Müttern“ Eintopf mit Saisongemüse statt Fast Food und plädiert für „Haushaltskurse“ damit Eltern und auch Kinder „mit ihrem Geld wirtschaften lernen“.

Der 2. Armuts- Reichtumsbericht [1.5 MB] der Bundesregierung ist eine äußerst informative Studie über „Lebenslagen in Deutschland“. Sie enthält eine Vielzahl von Analysen und Daten über Einkommen und Vermögen, über Überschuldung, über die Lage von Familien mit Kindern oder über die Zusammenhänge von Bildung, Armut und Erwerbstätigkeit. Der Bericht könnte eine gute „Grundlage einer Politik für die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ (so die Begründung aus der Koalitionsvereinbarung vom Oktober 2002) sein. Der weit über dreihundert Seiten umfassende Bericht, zusammengestellt von Experten und Verbänden, enthält auch viele bemerkenswerte und vernünftige Maßnahmen der Bundesregierung zur Armutsbekämpfung und für einen sozialen Ausgleich.

Dennoch ist es natürlich gerade für eine rot-grüne Bundesregierung keine Erfolgsmeldung, wenn ihr in dem Bericht bescheinigt wird, dass sich in ihrer Regierungszeit, die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vertieft hat. Dass es mehr Arme und mehr Kinder gibt, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, und dass insgesamt das Armutsrisiko zugenommen hat, während sich die Zahl der Millionäre erhöht und das Vermögen sich immer mehr beim oberen Zehntel der Einkommensbezieher ansammelt. Kurz: In der Regierungszeit von Sozialdemokraten und Grünen hat sich Armut weiter ausgebreitet und gleichzeitig sind die wirklich Reichen mehr und reicher geworden.

Nun hätte man in einer vorbereitenden Kommentierung der Bundesfamilienministerin erwartet, dass sie etwa aus dem Kapitel „Familien fördern – Deutschland kinderfreundlicher machen“ einige der Vorschläge vorstellt, wie einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft entgegengewirkt werden könnte. Und was in dem Bericht in punkto Kinderbetreuung, verbesserte Bildungschancen, Vereinbarung von Beruf und Familie u.v.a. gesagt wird, lohnte sogar der Erwähnung.
Aber nein, Renate Schmidt begibt sich auf das Niveau von „Bild am Sonntag“ und spendet einen wahrhaft billigen Trost: „Armut hängt nicht nur vom Geld ab“ sagt sie. Entscheidend sei, „ob es eine Familie versteht, mit Geld gut umzugehen“. So sei ein Mittagessen in einem Fast-Food-Restaurant für Kinder und Jugendliche „nicht nur weniger gesund, sondern auch erheblich teurer als ein Eintopf mit Saisongemüse“.
So richtig dieser Rat im Hinblick auf eine gesündere Ernährung ist, so sehr zeigt er, dass sich unsere Familienministerin die Lebenslagen vieler armen Familien offenbar nicht (mehr) vorstellen kann.

Als arm gilt bei uns, wer von weniger als 60% des durchschnittlichen Nettoeinkommens lebt. Das nominale Nettodurchschnittseinkommen (das reale liegt noch niedriger) liegt im Westen Deutschlands bei 1217 Euro, im Osten bei 1008 Euro. Die 60-%-Armutsgrenze bedeutet ein Einkommen von 730 Euro im Westen bzw. 604 Euro im Osten. (Gabriele Gillen, Hartz IV, Hamburg 2004, S. 173).
Meint Renate Schmidt wirklich, dass man sich mit diesem Einkommen noch täglich Hamburger mit Pommes leisten könnte? War Frau Schmidt in letzter Zeit einmal auf einem Markt und hat sich nach den Preisen für „Saisongemüse“ erkundigt? Weiß sie noch, wie viel Arbeit eine Gemüsesuppe macht und wie viel Zeit das Kochen beansprucht? Kann sie sich vorstellen, dass eine Mutter, die mehreren Mini-Jobs nachjagen muss, um sich und ihr Kind über Wasser zu halten, weder die Zeit für eine Gemüsesuppe, noch das Geld für das Gemüse, geschweige denn für eine dazugehörige Fleischbrühe hat?

Vielleicht sollte Renate Schmidt als ergänzende Lektüre zum Armuts-Reichtumsbericht das rororo-Bändchen von Gabriele Gillen unter dem Titel „Hartz IV. Eine Abrechnung“ (s.o.) lesen, dort könnte sie wirklichkeitsnahe Beschreibungen von „Lebenslagen“ armer Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen nachlesen. Vielleicht würde sie dann wieder ein Gefühl dafür bekommen, wie abgehoben ihre Rat-„Schläge“ über die Boulevardpresse auf die Armen in unserer reichen Gesellschaft wirken müssen.
Eigentlich müsste es die Mutter von drei Kindern, die lange Zeit allein erziehend war, besser wissen – oder hat sie ihre frühere Lebenslage völlig verdrängt?
Mein Eindruck ist, dass unsere Führungsschicht, die Lebenswirklichkeit der am unteren Rand der Gesellschaft lebenden Menschen verdrängt, nicht nachvollziehen oder nicht wahrnehmen will. Vielleicht brauchten nicht die Armen sondern diese Schicht der Saturierten die von Renate Schmidt vorgeschlagenen „Haushaltskurse“. Sie könnten und müssten dabei – und sei es nur einen Monat lang – einmal konkret erfahren, wie man etwa mit dem Regelsatz des Arbeitslosengeldes II in Höhe von 345 Euro monatlich „wirtschaften“ und „den Umgang mit Geld“ lernt.
Vorsorglicher Hinweis: Sollte das Geld nicht für den täglichen „Eintopf mit Saisongemüse“ reichen, bleibt immer noch der Weg in die Suppenküche einer der Wohlfahrtsorganisationen. Vielleicht hätte Renate Schmidt bei einem Besuch einer solchen Armenküche oder eines Wohnprojekts im Rahmen der „Hilfe zur Erziehung“ mehr über Armut in Deutschland erfahren, als durch die Lektüre des amtlichen Armuts- Reichtumsberichtes. Sicherlich hätte sie dann weniger herablassende Ratschläge gegeben als in ihrem Gastkommentar in Bild am Sonntag.


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