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Titel: Ein “Führererlass” von 1940 begünstigt auch heute noch belgische Kollaborateure. Ehemalige Zwangsarbeiter haben es da schwerer.

Datum: 27. Februar 2019 um 8:20 Uhr
Rubrik: Rente, Wertedebatte
Verantwortlich:

In der vergangenen Woche erhielten wir den folgenden Leserbrief, der sich mit der Tatsache befasst, dass es in Ländern Europas immer noch zahlreiche Menschen gibt, die von der Bundesrepublik eine Zusatzrente erhalten, als Dank für die Mitwirkung in der Waffen-SS und ähnlichen Organisationen. Verglichen mit der Behandlung von ehemaligen Zwangsarbeitern in Deutschland sind diese Zahlungen umso peinlicher und bedürften einer Überprüfung durch die in Deutschland zuständigen Behörden. Von Moritz Müller.

“Sehr geehrte Redaktion,
Heute las ich im “Algemeen Dagblad” NL einen Artikel, den ich Ihnen in meiner Übersetzung zukommen lassen möchte, weil wir über diese Sache ziemlich erstaunt bis entrüstet sind, wenn man bedenkt, wieviel deutsche Rentner und Rentnerinnen in Armut leben. Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung bis heute die Versprechen eines Massenmörders erfüllt.

27 Nazis bekommen immer noch eine sogenannte Hitlerrente

75 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg bekommen 27 hochbetagte Belgier immer noch Zuschussrente aus Berlin, wegen “Treue, Loyalität und Gehorsam”. Diese Rente wurde ihnen im Jahr 1941 durch Hitler persönlich garantiert.

Heute beugt sich die Belgische Kammerkommision für Ausländische Angelegenheiten über eine Resolution, die eingereicht wurde durch Olivier Maingain der DéFI, (Democrate Fédéraliste Independant) und zwei Abgeordneten der PS (Parti Socialiste). Darin rufen sie die Regierung auf, dieses Problem dringend auf diplomatischen Wege anzugehen.

Fast 70 Jahre lang werden von Deutschland Rentenzuschüsse ausbezahlt, sagte Alvin de Koninck von der Gruppe ‘Erinnerung’, einer Vereinigung von Überlebenden der Konzentrationslager und deren Nachkommen.

Die Nutzniesser waren Einwohner der Ostkantone und des Elsass, die während der Besatzung die Deutsche Nationalität erhielten, aber auch Belgier die in die Waffen-SS eintraten.

Nach Aussage des Ermittlers wurden durch die Jahre die Treue an Nazi-Deutschland konsequent belohnt. Ermittelt wurden monatliche Zuschussrenten von € 425,00 bis € 1275,00. Die Jahre in belgischen Zellen wegen Kollaboration wurden als Arbeitszeit berechnet. Je höher die Haftstrafe desto höher die Rente. Während Belgier, die während des Krieges in Deutschland Zwangsarbeit verichten mussten, Schadensersatz von monatlich € 50,00 erhielten.

Quelle: Algemeen Dagblad

Sie können meine Übersetzung dieses Artikels auch, wenn Sie möchten, als Leserzuschrift zum Thema Rente verwenden.

Mit freundlichen Grüssen von Ihrer Stammleserin aus Holland,
Eliza Wolfs“

Angefügt war die folgende Übersetzung einer Denkschrift der belgischen Gruppe Mémoire/Erinnerung:

Das Geld des Verbrechens

Der mühsame Weg der Versöhnung in Europe, 71 Jahre nach der Beendigung des Konflikts

Die Gruppe Mémoire/Erinnerung, bestehend aus politischen Gefangenen, alle Vorsitzenden der Freundenkreise der Opfer von Konzentrationslagern und Vernichtungszentren, wünschen die Aufmerksamkeit auf die Sorge der Belgischen Gemeinschaft und seine regierenden Behörden zu richten, der noch immer aktuelle Finanzierung der Renten durch die Deutsche Bundesregierung, an die altbelgischen militaire Kollaborateure, Mitglieder der Waffen-SS und nach dem Krieg durch die belgische Justiz verurteilten.

Die politischen Gefangenen, gestärkt durch ihren totalen Einsatz, für die Verteidigung der Interessen von Belgien im zweiten Weltkrieg , protestieren, dass nach 71 Jahre durch die Deutsche Regierung noch immer Renten gewährt werden an die Angehörigen der Waffen-SS, wovon weder Namen noch die Höhe der Renten bekannt sind. Die Dossiers sind noch weit entfernt von der Fertigstellung.
Es wird Zeit, dass wir uns von dieser schädlichen Vergangenheit befreien und das geht nur indem die Rechte der letzten Überlebenden erfüllt werden.

Die Deutsche Finanzierung der ehemaligen militaire Kollaborateuren wirft weiterhin Fragen auf. Unbegreiflich ist, dass die Deutsche Regierung sich weiter hinter formalen Argumenten versteckt und sich weigert, um Informationen an die Nachbarländer zu übermitteln.

1941 bekamen die westlichen Kollaborateure vom Führer die Chance, die Deutsche Nationalität zu erhalten. Ein decreet hinter der die heutige Deutsche Regierung sich versteckt, um keine Informationen über seine “Bürger” an eine ausländische Macht, in diesem Fall Belgien, zu erteilen.

Als im Januar 2015, die nierländische Regierung darauf hinwies, dass Europäische Vorschriften bestehen, worin die Europäischen Staten verpflichtet sind einander Auskunft zu erteilen, über Renten, die sie an ihre jeweiligen Bürger ausbezahlen, war die lakonische Antwort, ”das diese Verpflichtung nur für bürgerliche Renten gilt, jedoch nicht für Militairrenten”.

In einer Panorama Sendung der ARD aus den neunziger Jahre stellte sich heraus, dass das Rote Kreuz eingeschaltet wurde um in “delikaten Fällen” sprich: verurteilte Kriegsverbrecher, Vergütungen auszuzahlen. In dieser Sendung wurde das Beispiel Dänemark angeführt.
Aber welche Garantie haben wir, dass diese Arbeitsweise nicht auch für Belgische Kriegsverbrecher gilt?

In Deutschland wurden die Gefängnisstrafen der Kriegsverbrecher die in Nürnberg verurteilt wurden als Dienstjahre betrachtet. Dies gab Anlass zu einer erhöhten Rente. Nach mündlichen Zeugnissen soll die gleiche Vorgehensweise auch für die Renten der Belgischen, verurteilten Kollaborateure gelten.

Wird es nicht endlich Zeit, das die Deutsche Regierung hierzu die entscheidende Antwort gibt?
Ist es nicht an der Zeit, dass eine Deutsch-Belgische gemischte Kommission gebildet wird, die auf wissenschaftliche Art Antworten gibt auf die aufgeworfenen Fragen?

Wir können es uns einfach nicht vorstellen, dass die heutige demokratische Regierung Deutschlands sich weiterhin weigern wird, mitzuhelfen den letzten Schutt aus dem zweiten Weltkrieg zu beseitigen.
Dies wäre ein wichtiger Schritt hin zu einer Versöhnung der Herzen und des Geistes im neuen demokratischen Europa.

Pieter Paul Baeten
Vorsitzender der Gruppe Mémoire/Herinnerung
Ehrenvorsitzender des Freundeskreis Buchenwald
Stellvertretender Vorsitzender des internationalen Kommittees Buchenwald – Dora CIBD

Dokter Yves Louis
Stellvertretender Vorsitzender der Gruppe Mémoire/Herinnering”

Ähnliche Zahlungen gibt es auch für Niederländer, wie man diesem Artikel entnehmen kann. Hier einige Auszüge aus der Übersetzung von Frau Wolfs:

Noch immer bekommen Alt/SSler eine Rente aus Deutschland. Eine Nachfrage bei der deutschen Regierung bestätigt diesen Umstand. Es handelt sich um etwa 34 hochbetagte Niederländer. bzw. ihre Nachkommen, die eine Zuschussrente erhalten. Unter den ehemaligen SS-Angehörigen sind möglicherweise auch Kriegsverbrecher, sagt Historiker Cees Kleijn.

….

Historiker Kleijn schliesst nicht aus, das unter den Empfängern auch Kriegsverbrecher sind. So ist bekannt, dass Niederländer an der Ostfront in grossem Masstab an Kriegsverbrechen beteiligt waren.

Deutschland sagt, dass die Zahlungen gestoppt werden, wenn bewiesen ist, das die Empfänger solche Verbrechen begangen haben. Die Zahlen aus 2016 sagen, dass dies in der Praxis so gut wie nie passiert.

Herr Kleijn spürte in den vergangenen Jahren 300 Alt-SSler auf und sprach mit ungefähr der Hälfte von ihnen. Ein Teil von Ihnen bekam eine monatliche Zuschussrente.

Die behinderten Alt-SSler, die diese Zuschussrente erhalten oder erhielten, haben davon in unserem Land (Die Niederlande Anm. MNM) nie Einkommenssteuern bezahlt. Weil Deutschland die Namen nicht preisgibt, können die Niederlande keine Steuern erheben, sagt CDA-Abgeordneter Pieter Omtzigt.

Auch wenn es sich nicht bei allen Zahlungsempfängern um (Kriegs-)Verbrecher handelt, ist die Diskrepanz zwischen der Behandlung von ehemaligen SS-Angehörigen und Zwangsarbeitern doch sehr beschämend. Die deutschen Stellen täten hier gut daran, die belgischen und holländischen Behörden zu unterstützen auf der Suche nach Verbrechern und diesen EU-Partnerländern wenigstens die Erhebung von Steuern auf diese erstaunlichen Renten zu ermöglichen.

Bei einem Telefonat, das ich heute mit Yves Louis führte, sagte dieser, dass es sich bei den 27 hochbetagten Belgiern um die letzten Überreste einer Gruppe von Tausenden von Zahlungsempfängern in ganz Europa handelt. Sozusagen, die letzte Spitze eines begrabenen Eisbergs.

Bevor diese Spitze auch noch sang- und klanglos dahinschmilzt, sollte die deutsche Seite versuchen, reinen Tisch zu machen, und dieses Thema angehen, weil ansonsten immer der fade Beigeschmack der Vertuschung und des Aussitzens an Deutschland hängenbleibt. Das würde auch die Opfer von damals, und deren Angehörige, einen Hauch von Gerechtigkeit verspüren lassen. Ein Verwandter von Frau Wolfs wurde von Serbien nach Norddeutschland verschleppt und musste dort von 1941-1945 Zwangsarbeit leisten. Dafür hat er nie eine Entschädigung erhalten.

Auf seinem Blog “Aktuelle Sozialpolitik” beschreibt Professor Dr. Stefan Sell in diesem Artikel die Schwierigkeiten, mit denen ehemalige Zwangsarbeiter zu kämpfen haben, um eine Entschädigung bzw. Rente für ihre Arbeit in den von Deutschland verwalteten Ghettos zu erhalten. Der Sozialrichter Jan-Robert von Renesse, der sich für diese Opfer eingesetzt hat, bekam als “Belohnung” vom Deutschen Justizministerium ein Disziplinarverfahren an den Hals, welches mit einem Vergleich endete.

„Ein Ruhmesblatt für die deutsche Justiz wird aus dem Fall durch diese Wendung jedoch längst nicht“, so Richard Herzinger in seinem Kommentar in der WELT unter der Überschrift „Hier zeigt die Justiz eine eiskalte Unlogik“. „Der Eifer, ihn zu maßregeln, war größer als die Scham darüber, den noch lebenden Opfern beim späten Versuch, zu ihrem Recht zu kommen, schwer überwindliche Hürden in den Weg zu legen … Jenseits aller juristischen Fragen beunruhigt der Gedanke, dass sich deutsche Justizvertreter und ein Justizminister nach jahrzehntelanger „Aufarbeitung“ des Holocaust bei einem solch sensiblen Thema derart hartherzig auf Paragrafen versteifen konnten. Unterschwellig schwang da womöglich gar ein tiefer Unwille mit, sich weiter mit der lästigen Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen.“

Auch bei diesem Thema zeigt sich einmal mehr, dass aus der Geschichte wenig bis nichts gelernt wird und unangenehme Erkenntnisse verdrängt werden. Auch die Grauen des Zweiten Weltkriegs scheinen für deutsche Politiker so weit zurückzuliegen, dass unverhohlen die Kriegstrommel gerührt wird und Kampfeinsätze in aller Welt von diesen Politikern begrüßt werden. Auch auf die Gefahr hin, dass dann der Krieg plötzlich wieder vor der Haustür stattfindet und nicht nur weit entfernt, sondern auch Zuhause neue Opfer und Täter erzeugt.

Hier noch weitere Informationen zum Thema: Deutsche Renten an belgische SS-Freiwillige.


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