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Titel: Liebesgrüße aus Murmansk – ein Beluga bringt als angeblicher „Russen-Spion“ die Phantasie der schreibenden Zunft zum Überkochen

Datum: 30. April 2019 um 14:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Glaubt man dem Focus, der WELT oder T-Online, hat der böse Russe nun endgültig eine blaue Linie überschritten – ein „Kampfwal“ (Focus), der von „Russland als Waffe benutzt“ wird (T-Online), habe vor Norwegen „gezielt Fischerboote angerempelt“ und „attackiert“ (WELT). „Experten haben [auch schon einen] schlimmen Verdacht“ (MOPO) – der Wal soll ein trainierter russischer Spion (n-tv) sein. Ist da KGB-Agent Belugow auf Killermission im NATO-Gebiet? Wie kommen die Autoren der genannten Medien eigentlich auf diese schillernden Ideen? In den norwegischen Originalmeldungen, auf die man sich indirekt bezieht, liest sich die Geschichte nämlich komplett anders. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Woher der Beluga stammt, auf den norwegische Fischer letzte Woche im Meer nördlich der Finnmark stießen, ist unbekannt. Laut lokalen Berichten wunderten sich die Fischer über den zahmen Wal, der Kontakt zu ihnen suchte, ein seltsames Geschirr trug und verständigten daraufhin die Fischereiverwaltung, die sich den Weißwal näher anschaute. Was dann geschah, war eigentlich eher eine Vorlage für eine bunte Panorama-Story als für einen Spionage- oder gar Militärthriller. Man befreite den Wal von seinem engen Geschirr und fütterte ihn erst einmal mit Dorschen. So weit – so gut. Für die internationalen Medien wurde der Beluga aber erst so richtig interessant, als einer der norwegischen Experten auf die Frage nach der Herkunft des Wals auf ein öffentlich nicht bekanntes russisches Forschungsprogramm verwies, das in Murmansk im Auftrag der Nordmeerflotte offenbar Robben und vielleicht ja auch andere Tiere für militärische Zwecke ausbildet.

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Bis hierhin lässt sich die Geschichte auch nachvollziehen. Amerikaner und Sowjets haben zu Zeiten der Kalten Kriegs den militärischen Einsatz von Meeressäugern erprobt und zeitweise waren Robben und Delfine auch für das Militär im Einsatz – beispielsweise um Minen oder feindliche Taucher aufzuspüren, die als Saboteure unter Wasser in einen Militärstützpunkt eindringen wollen. Zu diesem Zweck wurden wohl auch die Belugas in Murmansk trainiert, wie ein TV-Bericht des russischen Verteidigungsministeriums aus dem Jahre 2017 es darlegt. Dort wird jedoch auch gesagt, dass die Belugas sich für den Einsatz als nicht sonderlich geeignet erwiesen hätten, da sie sich im kalten Polarwasser schnell erkältet hätten. Als tauglicher haben sich demnach Bartrobben erwiesen, die zudem gelehriger sind und heute nach russischen Angaben tatsächlich in Murmansk ausgebildet werden. Ein weiteres Indiz für eine russische Provenienz des Beluga ist das Geschirr, dessen Schnallen mit dem Schriftzug „Equipment St. Petersburg“ versehen sind, die mit hoher Wahrscheinlichkeit vom russischen Anbieter Снаряжение (russisch für „Ausrüstung“ also „Equipment“) stammen, der ähnliche Schnallen im Angebot hat. Man kann und muss selbstverständlich diese Form der Tierausbildung kritisieren, die eine Quälerei für die Tiere darstellt und durch nichts zu rechtfertigen ist. Und dass Russland massive Tierschutzprobleme bei der Haltung und dem Handel mit Orcas und Belugas hat, ist durchaus bekannt und wird auch von russischen Medien massiv kritisiert.

Aus der ganzen Story eine Spionage- oder gar Militärklamotte zu machen, ist jedoch lächerlich und zeigt auf traurige Weise, in welchem Zustand sich unsere Medien befinden. Solange es „gegen Russland“ geht, wirft man sämtliche journalistischen Grundsätze über Bord. Das fängt bei kleinen Detailfehlern an und hört bei der „großen Einordnung“ auf. An der aktuellen Berichterstattung über den Beluga kann man das recht plastisch erkennen, wie wir im Versuch einer Rekonstruktion der Falschmeldungen zeigen wollen …

Nehmen wir den T-Online-Artikel als Beispiel, der als Quellen den Guardian, die dpa und „eigene Recherchen“ angibt. Dort heißt es schon in der Überschrift „Russland soll Wale als Waffe benutzen“. Diese Aussage stützt sich auf den Guardian-Artikel, der diesen Ausspruch als angebliches Zitat der norwegischen Forscher bereits in der Überschrift plakativ aufgreift. Dumm nur, dass die Norweger so etwas mit keinem Wort gesagt haben. Von einer Nutzung als „Waffe“ ist weder im Guardian noch im Bericht der NRK, auf den der Guardian sich bezieht, die Rede. Die Briten haben also ihre Überschrift „aufgesext“ und die deutschen Medien haben dies ungeprüft abgeschrieben. Ob man dem Guardian oder der dpa aufgesessen ist, ist jedoch offen – das gehört ja auch zum Prinzip des „Stille-Post-Spielens“.

Spring auf, spring auf
Auf den Zug der Opportunisten
Und leg dich zu den im Zug eingebetteten Journalisten
Und wir schreiben alle voneinander ab
Denn die Zeit, die drängt und das Geld ist knapp
Und es ist auch schon oft passiert
Dass alle abgeschrieben haben und keiner hat recherchiert
– Aus Marc-Uwe Kling: Zug der Opportunisten

Im weiteren Text behauptet T-Online, der Wal habe die „Boote bei ihrer Arbeit behindert“. Auch das ist falsch und widerspricht den norwegischen Primärquellen. Noch unsinniger ist die T-Online-Behauptung, der Wal habe „aktiv Schiffe ausfindig gemacht“, was zwar schön in die Spionagegeschichte passt, aber eine sehr seltsame Verdrehung der norwegischen Aussagen ist, die schildern, dass der Wal zutraulich und handzahm sei und den Kontakt zu Menschen gesucht habe. Aber dies passt freilich nicht zur Geschichte vom russischen Profispion. Weiter geht es mit der falschen Aussage, die Schnalle am Geschirr des Wales sei mit „Equipment of St. Petersburg“ beschriftet … von einem „of“ ist auf den sehr gut erkennbaren Bildern nichts zu sehen und es stellt sich hier ohnehin die Frage, warum die Russen so dumm sein sollten, einen Spionagewal mit einer korrekt auf englisch beschrifteten Schnalle auszurüsten. Dennoch haben fast alle Medien dies falsch voneinander abgeschrieben. Laut dpa war am Geschirr des Spionagewals übrigens auch „eine Kamera befestigt“. Das ist ebenfalls faktisch falsch. In den norwegischen Quellen heißt es nur, man hätte am Gurt eine Kamera befestigen können. So wird aus einem Konjunktiv eine Tatsache. Fake News? Alternative Wahrheiten? Und das direkt von der ach so seriösen Nachrichtenagentur dpa? Wenn es gegen Russland geht, verschwimmt da so einiges.

T-Online ist übrigens kein Einzelfall. Fast alle Plattformen, die vor allem Agenturtexte verwenden, haben ähnliche oder gar die gleichen Falschmeldungen in ihren Berichten. Teils zeigt man sich auch kreativ und verschlimmbessert die Fake News durch eigene Ergänzungen. So sprechen n-tv und die ZEIT (beide übrigens als 1:1-Meldung der dpa) davon, die Schnalle sei mit „Ausrüstung St. Petersburgs“ beschrieben, was nicht nur faktisch falsch ist, sondern absichtlich oder fahrlässig darauf hindeuten soll, dass es sich hier um „Staatsbesitz“ handelt.

Vollends grotesk wird es dann, wenn die deutschen Medien selbst versuchen, die bereits „aufgesexten“ Meldungen ihrerseits noch einmal „aufzusexen“. So soll der nette Beluga laut WELT sogar die Fischerboote „gezielt angerempelt“ bzw. sogar „attackiert“ haben. Wer will, kann sich diese „Attacken“ ja mal im Video der Norweger anschauen. Absurderweise ist der WELT-Artikel einer der wenigen, der offenbar sogar von einer Redakteurin überarbeitet – oder besser gesagt gezielt verdreht – wurde.

Diese kleine „Entstehungsgeschichte“ einer kontrafaktischen Medienstory zeigt, wie fahrlässig die Medien arbeiten und im Zweifel lieber gar nicht recherchieren, da dies ja die schöne Story kaputtmachen könnte. Stattdessen setzt man seinerseits noch einen drauf – so lange es gegen die Russen geht, ist es ja ok.

Dabei hätte diese Story ja durchaus das Zeug für einen großen Artikel. Man hätte das Schicksal des gefundenen Wals beispielsweise in den Kontext der geglückten Befreiung von 97 gequälten Orcas und Belugas in Ostsibirien setzen können, die erst vor wenigen Wochen erfolgte. Doch dann hätte man auch erwähnen müssen, dass Putin, also der Leibhaftige höchst selbst, es war, der auf Druck internationaler Tierschutzorganisationen eine forcierte Befreiung der Meeressäuger durchgesetzt hat.

Man hätte an dieser Stelle auch auf das auslaufende US-Militärprogramm für Meeressäuger hinweisen können. Den US-Militärs sind die Delfine nämlich mittlerweile zu teuer. Sie werden nun durch Unterwasserdrohnen ersetzt. Das wäre doch mal eine spannende Hintergrundgeschichte, die den Blick auf eine US-Militärtechnik lenkt, die den meisten von uns vollkommen neu sein dürfte.

Und last but not least – die Norweger sind bei der ganzen Geschichte ja angeblich die Guten. Das ist doch ziemlich merkwürdig. Norwegen ist nämlich in puncto Walfang das schlimmste Land der Welt und hat erst letztes Jahr seine Fangquote abermals erhöht. Zwischen 1993 und 2015 haben norwegische Fischer offiziell mehr als 12.000 Wale getötet. Noch heute werden übrigens pro Jahr rund 1.000 Belugas getötet – und zwar fast ausschließlich von den Eskimos in Kanada und Alaska. Aber wen interessieren schon solche verstörenden Hintergründe? Norwegen, Kanada und die USA sind ja in der NATO und zählen zu den Guten.

Titelbild: FISKERIDIREKTORATET, JØRGEN REE WIIG


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