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Titel: Die ARD sollte ihren Wirtschaftsredakteuren eine Fortbildung gönnen. Was sie zum Beispiel in der Sendung „Börse vor 8“ verbreiten, ist bodenlos schlecht und schadet.

Datum: 11. Juli 2019 um 16:56 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Medienkritik
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Das ist eine Grafik aus der Sendung „Börse vor 8“ vom 10.7.2019. (Der Hinweis darauf kommt vom NachDenkSeiten-Leser Dr. Manfred Hentz.) Mit Grafik und Text wird auf primitive Weise den Bürgern eingebläut, dass „Export = Wohlstand“ sei.
Der vor allem vom Export angetriebene Leistungsbilanzüberschuss von 260 Milliarden im Jahr 2018 ist real betrachtet ein Zeichen dafür, dass die deutsche Volkswirtschaft um vieles mehr an Gütern und Dienstleistungen nach außen liefert, als sie importiert und hierzulande in Anspruch nimmt. Dafür erwerben Wirtschaftssubjekte in Deutschland Forderungen gegenüber dem Ausland. Das ist real betrachtet kein Vorteil. Es gibt überhaupt keinen Grund zum Feiern. Albrecht Müller.

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Den Grund zum Feiern gibt es auch deshalb nicht, weil die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse nach den Gesetzen der Saldenmechanik bei unseren Partnern als Defizite verbucht werden müssen. Das kann man an den Leistungsbilanzen vieler anderer Volkswirtschaften studieren. Es wäre vernünftig, wenn die Leistungsbilanzen über eine mittlere Frist ausgeglichen wären. Das sind sie nicht und deshalb ist Deutschland mit seinem Export-Fanatismus ein Störfaktor, insbesondere in Europa. Man kann die Situation auch so kennzeichnen: Deutschland exportiert Arbeitslosigkeit in andere Völker. Ein Freundschaftsdienst ist das nicht. Die Formel der ARD-Börsensendung „Export = Wohlstand“ ist Zeichen eines fanatischen, engstirnigen Egoismus und auch ein Zeichen der Europafeindlichkeit der verantwortlichen Redaktionen.

Hinzu kommt noch die Wirkung dieser schlagseitigen Politik auf die Einkommensverteilung hier bei uns. Darauf macht gerade der Internationale Währungsfonds, der IWF, aufmerksam. Davon berichtete gestern die Süddeutsche Zeitung: „Bericht des IWF. Export-Boom verschärft soziale Unterschiede“. So ist dieser Artikel überschrieben. Der IWF kommt zum Fazit, „dass in Deutschland nur wenige vom Export profitieren und die sozialen Unterschiede verstärkt werden“.

Statt dem Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nachzukommen, fördert die ARD die Verbreitung von Denkfehlern. Man könnte das einem wenig kundigen Menschen nachsehen – schließlich klingt „Überschuss“, das in den Worten Exportüberschuss und Leistungsbilanzüberschuss enthalten ist, positiv. Auf diese Wirkung der benutzten Sprache habe ich in einem kleinen Vortrag schon im Jahre 1966 hingewiesen. Auf den NachDenkSeiten haben wir auf diesen Text am 22. Februar 2019 aufmerksam gemacht. Siehe hier “Über die vorurteilsbeladene Sprache in der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Diskussion. Ein Text von 1966. Und noch aktuell.“.

Es wäre an der Zeit, dass das Erste Deutsche Fernsehen seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den hier erkennbaren manipulativen Charakter der Sprache aufmerksam macht und sie dazu anhält, nicht weiter Denkfehler zu verbreiten.

Wie anders eine Bundesregierung mit dem Phänomen von Exportüberschüssen umgehen kann, haben wir 1969 erlebt. Damals war die Lage ähnlich: Deutschland hatte einen großen Exportüberschuss, die D-Mark war unterbewertet. Der sozialdemokratische Bundeswirtschaftsminister Professor Dr. Karl Schiller hat deshalb dem Kabinett Kiesinger (CDU) am 9. Mai 1969 die Aufwertung der D-Mark vorgeschlagen. Kiesinger und sein Bundesfinanzminister Strauß haben diese vernünftige Entscheidung verweigert. Die SPD hat daraufhin den Bundestagswahlkampf 1969 auch mit der Forderung nach der Aufwertung der D-Mark geführt. Ich war damals als Schillers Redenschreiber zusätzlich damit beauftragt, die Forderung nach Aufwertung im Wahlkampf einzubringen und umzusetzen.

Angesichts der unwissenden Agitation der ARD kann man erkennen, welcher Akt der Aufklärung hinter der Forderung nach Aufwertung steckte. Die Aufklärung war erfolgreich, auch deshalb weil ein beachtlicher Teil der Wirtschaftspresse und der sonstigen Presse die Forderung nach Aufwertung, also die Minderung der Exportüberschüsse, unterstützte. Die Wahl endete mit dem Regierungswechsel. Vier Tage vor der ersten Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt vom 28. Oktober 1969 wurde die D-Mark am 24. Oktober um 8,5 % aufgewertet.

Heute gibt es diese Möglichkeit nicht mehr in gleicher Weise. Heute geht die Angleichung nur über eine innere Aufwertung und d. h. konkret über die Erhöhung der Löhne und über eine Stimulierung der Binnennachfrage. Das empfiehlt übrigens auch der oben erwähnte IWF. Erstaunlicherweise. Auf der Insel der seligen Exportüberschussbewunderer befinden sich nur noch die deutschen Wirtschaftsjournalisten, vermutlich die Mehrheit von ihnen.


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