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Titel: Korrumpierte Rockmusik und Aufrüstungsmatriarchat – oder: The times they are a-changing!

Datum: 26. August 2019 um 8:45 Uhr
Rubrik: Kultur und Kulturpolitik, Militäreinsätze/Kriege
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Brave new world: Soldaten werden heute nicht mehr von strammen Kommissköppen, sondern von naiv-unbedarft aussehenden Damen mittleren Alters in die Kampfeinsätze geschickt. Und korrumpierte Altrocker liefern dazu weichgespülte Songs. Von Leo Ensel.

Zwei Ereignisse, die auf den ersten Blick scheinbar nichts miteinander verbindet, haben unlängst, wie die Spitze eines Eisbergs, einen bemerkenswerten kulturellen Wandel sichtbar gemacht, der sich unterschwellig bereits über einen sehr langen Zeitraum angebahnt hatte: Die Korrumpierung der Rockmusik und der Sieg dessen, was man das Aufrüstungsmatriarchat nennen könnte.

„Make love not war!“

Wie es der Zufall so will, war vor etwas mehr als einer Woche der 50. Jahrestag des zu einem identitätsstiftenden Mythos einer ganzen Generation hochstilisierten Woodstock-Festivals. Protest und Habitus der Love-and-Peace-Generation mögen aus heutiger Sicht in vielem naiv erscheinen – ihr Fokus, die antimilitaristische Stoßrichtung, jedoch war klar und unmissverständlich! Was natürlich kein Zufall war: Der Vietnamkrieg war allgegenwärtig. Und der vorwiegend jugendliche Protest gegen ihn ebenfalls.

„Make love not war!“ lautete der Slogan, bei dem man sich die Formel „make love“ durchaus etwas drastisch vorstellen darf, schließlich sollte ja – ganz im Sinne der Freud‘schen Polarisierung von Libido und Todestrieb – dem gigantischen Abschlachten auf ganz archaischer Ebene ein ebenbürtiger Antipode entgegengesetzt werden.

Und wenn es eine Stimme gab, die alles bündelte und die emotionale Wucht des Protestes in die Welt hinausschrie, dann war es die damalige Rockmusik.

So auch in Woodstock. Country Joe Mac Donald sang gegen die Einberufungspraxis der USA seinen sarkastischen „I-Feel-Like-I‘m-Fixin‘-To-Die Rag“[1]. Jefferson Airplane peitschten ihre „Volunteers“[2] – „Got a revolution! Got to revolution!“ – über das Gelände. Und in Jimi Hendrix‘ zerfetzter, von Kaskaden elektronischer Rückkoppelungen überlagerter amerikanischer Nationalhymne[3] schließlich heulten die US-Bomber, ratterten Maschinengewehrsalven, detonierten Sprengkörper, wimmerten und schrien die mit Napalm in Brand gesteckten Kinder von Vietnam.

Jahre zuvor hatten Folksänger, allen voran Bob Dylan, mit Liedern wie „Masters of War“, „The Times they are a-chainging“ oder „With God on our Side“ dieser Bewegung den Weg bereitet. Und Lieder bildeten so etwas wie den Geheimcode einer ganzen Generation: Zeilen wie „Don‘t follow leaders / Watch the parkin‘ meters!“, „You don‘t need a weatherman / To know wich way the wind blows“ oder „I ain‘t gonna work on Maggie‘s farm no more“ reichten, um sich ohne große Worte zu verständigen gegen das verhasste Establishment der Alten, die ferne Länder mit Kriegen überzogen und ihre Söhne zum Schlachten und als Schlachtvieh dorthin zwangen. Die aber – und das war der Triumph – weder zur Sprache und erst recht nicht zur Musik ihrer Kinder irgendeinen Zugang hatten! Das blieb eine auf ewig verriegelte Welt für sie.

Wenn es also irgendeine Konstante, irgendeinen Orientierungspunkt in dem turbulenten Tohuwabohu dieser bewegten Jahre gab, dann im rebellischen, revolutionären Sound der Musik. Eric Burdon[4] brachte es in einem Song auf den Begriff:

No, they can‘t
No, they can’t
No, they can‘t
Take away our music!

They can.
Yes, they can!

Es war ja einvernehmlich!

Der Ausverkauf der Rockmusik hat natürlich schon vor Jahrzehnten begonnen. Spätestens seit ganze Familien generationsübergreifend zur bekannten Stones-Hymne des sexuellen Dauernotstands hopsen. Und was mal oppositionell war, kommt heute bestenfalls noch als Pose daher. Oder eben gleich devot! So leider auch – dem Autor dieses Essays zerreißt es das Herz! – Scorpions-Sänger Klaus Meine, der gegen die öffentliche Vergewaltigung seines Perestroika-Songs vor dem Bendlerblock nicht etwa protestierte, sondern sich eigenen Angaben zufolge auch noch „geehrt“ fühlte. (Sicher nicht das erste Mal, dass Vergewaltigungsopfer mit dieser Umwertung der Unterwerfung – „Es war ja einvernehmlich!“ – versuchen, die ihnen angetane Schmach, freilich auf fatale Weise, zu verarbeiten!)

„Es ist eine große Ehre“, so Meine laut dpa zum Musikwunsch der Ministerin. „Und ich bin überzeugt, dass die Jungs von der Bundeswehr einen guten Job machen und die Nummer cool rüberbringen werden.“[5]

Und um die peinliche Situation noch peinlicher zu machen, blies Meine seinen deutsch-russischen Versöhnungssong „Wind of Change“ ins Allgemein-Unverbindliche auf: Der Song, so Meine, stehe für „Hoffnung auf Frieden in der Welt“ und „für den Zusammenhalt in Europa. Der Traum vom Frieden lebt immer weiter, von Generation zu Generation.“ So gesehen, hätte das Bundeswehrorchester, von den Scorpions assistiert, für von der Leyen auch „Ein bisschen Frieden“ blasen können – es wäre inhaltlich auf dasselbe hinausgelaufen!

Nun müssen manchmal Kinder vor ihren Eltern in Schutz genommen werden. Man verliert seine Ehre nicht, wenn man vergewaltigt wird, und es spricht durchaus nicht gegen den Song „Wind of Change“, wenn dessen Vater sich 30 Jahre später der Zeugungsstunde – es war eine Sommernacht 1989 an der Moskwa, in der Nähe des Gorki-Parks – gar nicht mehr erinnert! (Oder erinnern will.) Das beweist eben nur, dass halt auch sich stramm antibürgerlich gerierende Rocker längst – Stichwort: „Hannover-Connection“ – korrumpiert sind.

Das Aufrüstungsmatriarchat

Geben sich die Rocker mittlerweile handzahm, so gilt das erst recht für die Oberbefehlshaber des Militärs. Man schaue sich die Fotos von den drei Damen an, wie sie, aufgereiht wie Tanzstundenbackfische auf der Stange, der Vereidigung ihres jüngsten Kükens zur Verteidigungsministerin entgegenfieberten! Der postmoderne Militarismus kommt smart und – wirft man einen Blick auf die neue Verteidigungsministerin aus dem größten Saarland der Welt – scheinbar unbedarft daher! Harmloser und naiver könnten (atomare) Aufrüstung und Kriegsvorbereitung sich nun wirklich nicht präsentieren.

Und wirkungsvoller auch nicht!

Es wurde an anderer Stelle[6] bereits scharfsinnig darauf hingewiesen, dass man, pardon: frau!, sich im Aufrüstungsmatriarchat nun Sätze herausnehmen kann, die jedem Mann prompt als „toxisch männlich“, „machohaft“ oder „spätpubertär“ um die Ohren gehauen würden! So durfte die frischgebackene Verteidigungsministerin als erste Amtstat mit leuchtenden Augen – und ohne vom Mainstream dafür in die Mangel genommen zu werden – in der FAZ[7] vom Glamour und kaum verhüllten Kitzel öffentlicher Bundeswehraufmärsche schwärmen:

„Aber auch für mich selbst war das ein besonders emotionaler Moment. Die Fahne, die Nationalhymne, die aufmarschierten Soldaten, da bekomme ich eine Gänsehaut.“

Noch dem nüchternen Thomas de Maizière wären solche Sätze vermutlich nie über die Lippen gekommen! Vom strammen, aber unterkühlten Helmut Schmidt ganz zu schweigen. Aber wie heißt es in einem alten Sprichwort? „Die Götter der Pest sind friedliche Menschen und selbst nicht pestkrank!“

Durchaus denkbar, dass irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft es ein weiblicher Finger sein wird, der – vielleicht noch mit Ring und Nagellack verziert, vom keck durch die Zähne gepfiffenen Gitarrenriff aus „Smoke on the Water“ begleitet – auf den berühmten Knopf drücken wird. (Falls es nicht ein von einem Computer gesteuerter Computer sein wird, der das erledigt.) Und dass in den letzten Tagen der Menschheit zuvor dies in den politisch-korrekten Medien auch noch als finaler Triumpf weiblicher Emanzipation gefeiert wurde!

„The times they are a-changing“? – Indeed!
Oder noch präziser, es gibt halt für alles einen Dylansong: „Things have changed“!

Titelbild: vovaklak/shutterstock.com



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