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Titel: »Studiengebühren sind sozial gerecht«?

Datum: 17. Mai 2010 um 6:20 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft, Soziale Gerechtigkeit, Steuern und Abgaben
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Schwarz-Gelb in NRW ist abgewählt, und es gibt eine Mehrheit für die Abschaffung der Studiengebühren. Sowohl SPD und Grüne als auch die Linkspartei hatten erklärt, diese abschaffen zu wollen. Pünktlich nach der Wahl beginnen sich nun die GebührenbefürworterInnen mit alten Argumenten zu positionieren. Gerade dieser Tage haben neun ProfessorInnen der Ruhr Universität Bochum wieder einmal die These vertreten dass der „Verzicht auf Studiengebühren sozial ungerecht“ sei. Wer die Gerechtigkeit von Studiengebühren behauptet löst die Betrachtung jedoch aus dem gesellschaftlichen Kontext. Wir veröffentlichen dazu einen Beitrag von Sonja Staack aus dem Jahr 2009 aus dem Sammelband herausgegeben von Klemens Himpele und Torsten Bultmann: Studiengebühren in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung.

Die Debatte um Putzfrauen und Zahnarztsöhne oder wie Finanzierungsmodelle aus dem gesellschaftlichen Kontext gelöst werden

Seien wir doch mal ehrlich: Wir wissen doch, wer an der Hochschule landet. Zum Beispiel der Sohn des Zahnarztes, der selbstverständlich auf dem Gymnasium war, und nun Medizin studiert. Wie der Papa. Und sauteuer: Vor allem für den Staat, denn der finanziert ja die Hochschulen. Die Tochter einer Putzfrau wird sich dagegen kaum hierhin verirren. Sie hat sich schon das Abi nicht zugetraut – und es hätte ihr ja auch niemand bei den Hausaufgaben geholfen. Nach dem Realschulabschluss will sie so schnell wie möglich Geld verdienen, denn ihre Mutter kann sie in ihrem Lebensunterhalt kaum unterstützen. Der Lohn fürs Putzen ist schon klein, und dann werden ja auch noch die Steuern abgezogen. Aus denen werden dann die Hochschule und die Vorlesungen für unseren Zahnarztsohn bezahlt. Das kann doch nicht gerecht sein! Unser Luxus-Student muss endlich zur Kasse gebeten werden. Studiengebühren müssen her.

Gebühren als soziales Reformprogramm

So argumentiert doch niemand? Von wegen! Diese Sichtweise hat die Diskussion um Studiengebühren in den letzten zehn Jahren nicht unerheblich beeinflusst. Im Herbst 1999 meldete sich der damalige niedersächsische Wissenschaftsminister Thomas Oppermann (SPD) entsprechend zu Wort. Ein Jahr vorher hatten SPD und Grüne im Koalitionsvertrag vereinbart, Studiengebühren bundesweit zu verbieten. Eine schreiende Ungerechtigkeit, wie uns die kleine Erzählung zu lehren versucht. Noch nicht überzeugt? Zur Sicherheit erklären wir es noch mal in den Worten Oppermanns: »Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Kinder aus unteren Einkommensgruppen seltener studieren als Kinder begüterter Eltern. Der Facharbeiter finanziert also mit seinen Steuern das Medizinstudium des Chefarztsohnes. Das ist ungerecht. Deswegen brauchen wir sozial gestaffelte Studiengebühren, die Einkommen unter 83.000 Mark im Jahr je Familie freistell[en]. Das ist sozial gerechte Umverteilung von oben nach unten.« [1]

Ein bisschen verwirrend ist das schon – wurden die Studiengebühren nicht in den 70er Jahren gerade im Namen der sozialen Gerechtigkeit abgeschafft? Und nun soll es plötzlich genau umgekehrt sein? Thomas Oppermann meint: »Ja. Ich glaube sogar, dass mein Konzept für Studiengebühren eine Gerechtigkeitslücke schließt.« Damit hat der SPD-Minister nicht nur die Juso-Hochschulgruppen sowie auch außerhalb seiner Partei nahezu sämtliche Studierendenvertretungen gegen sich aufgebracht. Er hat auch kräftig dabei geholfen, die Debatte um Studiengebühren wieder salonfähig zu machen. Nicht als konservativen Kahlschlag und elitäre Abschottung, sondern als sozialdemokratisches Reformprogramm. Wer weiß, ob Studiengebühren ohne diesen Schwenk bis heute irgendwo mehrheitsfähig hätten werden können. Dabei lässt seine kleine Geschichte allzu viele Fragen offen: Wie kann es eigentlich sein, dass das Steueraufkommen vor allem aus den Portemonnaies von FacharbeiterInnen kommt? Warum hat rot-grün den Spitzensteuersatz gesenkt und damit den Chefarzt entlastet, wenn der nun plötzlich zu viel Geld für seinen studierenden Sohn übrig hat? Und ist es eigentlich sozial gerecht, dass nur studiert, wer begüterte Eltern hat? Die Erzählungen von Zahnarztsöhnen und Putzfrauen sind vor allem emotional mitreißend – für die inhaltliche Auseinandersetzung sind sie eher hinderlich, weil sie Fragen der Studienfinanzierung aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang reißen.

Hochschulöffnung – kein Thema mehr?

Von 100 Akademikerkindern landen 83 an der Hochschule, von den Nichtakademikerkindern sind es gerade mal 23. [2] Für Jugendliche aus einkommensschwachen Elternhäusern wird es im Bildungssystem von Jahr zu Jahr enger, die soziale Zusammensetzung der Studierenden wird bereits seit den 80er Jahren kontinuierlich immer einseitiger. Lässt sich auch diese Gerechtigkeitslücke mit Studiengebühren schließen? Wohl kaum. Studiengebühren schrecken vom Studium ab. Das erklärt sich eigentlich von selbst, wurde nun aber auch durch eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Studie bestätigt. [3] Demnach wurden im Jahr 2006 bis zu 18.000 Menschen durch Studiengebühren vom Studium abgehalten. Zu diesem Zeitpunkt hatten erst zwei Bundesländer (NRW und Niedersachsen) Studiengebühren eingeführt. Die Abschreckungswirkung der Gebühren ist bei Frauen größer als bei Männern, und junge Menschen aus den sogenannten ›bildungsfernen Schichten‹ sind besonders betroffen.

Thomas Oppermann möchte, dass die FacharbeiterInnen nicht das Studium der Chefarztsöhne bezahlen. Aber haben wir denn die Forderung schon aufgegeben, dass auch die FacharbeiterInnen bzw. deren Kinder selbst an die Hochschulen kommen? Universitäten wie Fachhochschulen sind öffentliche Einrichtungen und sollten als solche allen jungen Menschen offen stehen. Wenn wir von Gerechtigkeitslücken reden, dürfen wir die soziale Selektion beim Hochschulzugang nicht ausblenden. Alles andere ist eine bildungspolitische Bankrotterklärung. Man darf sich auch den Spaß erlauben, die Chefarztsohnlogik konsequent zu Ende zu denken: Wenn Studierende Privilegierte sind, die dem Steuersäckel nicht zur Last fallen sollen, dann sollten sie ihr Studium doch auch kostendeckend finanzieren. Das würde für jedes Fach unterschiedlich hohe Studiengebühren bedeuten – ein Medizinstudium ist nun mal teurer als Jura. Im Schnitt dürfte man locker bei fünfstelligen Semesterbeiträgen landen. Das wäre konsequent. Aber wer würde dann noch studieren können? Der Zugang zu den Chefetagen wäre dauerhaft für die Kinder ihrer jetzigen BesitzerInnen reserviert.

Umverteilen – aber wie?

Man könnte doch einfach alle von den Gebühren befreien, die sie nicht zahlen können – so würde nicht nur Thomas Oppermann einwenden. Klar, könnte man. Aber wo genau ist die Grenze? Oppermann selbst spricht in dem oben genannten Interview von einer Befreiung von 45 Prozent aller Studierenden. Wenn man hiervon mal ausginge, müssten bei steigenden Studiengebühren recht fix fast alle Studierenden von der Zahlung befreit sein. Macht das Sinn? Jedenfalls ist es offenbar unrealistisch, denn die bisherige Erfahrung mit den eingeführten Gebühren sieht anders aus. Wer sie nicht zahlen kann, wird eben nicht von der Zahlung befreit. Stattdessen bieten die Bundesländer Darlehen an, die erst nach dem Abschluss zurückbezahlt werden müssen. Soll heißen: Wer nicht zahlen kann, kann später zahlen. Erlassen wird dabei kein einziger Cent – und natürlich fallen auch noch Zinsen an. Die Mär von der Umverteilung zerplatzt mit fadem Beigeschmack. Weit beliebter als Sozialklauseln ist es, ›besonders begabte‹ Studierende von den Gebühren zu befreien. So kommen StipendiatInnen an vielen Hochschulen noch in den Genuss eines gebührenfreien Studiums. Offenbar klappt es doch besser, sich von Gebühren befreien zu lassen, weil man Geld hat, als weil man kein Geld hat.

Im Ergebnis starten AbsolventInnen aus finanzschwachen Elternhäusern mit einem erheblichen Schuldenberg ins Berufsleben – neben den BAföG-Schulden wird dieser nun auch noch durch die Gebührendarlehen aufgehäuft. Auch wenn diese Modelle gebetsmühlenartig als ›sozial abgefederte‹ Gebühren gepriesen werden: Gerade Jugendliche aus finanzschwächeren Familien lassen sich aus Angst vor der Verschuldung leicht vom Studium abschrecken. Studiengebühren verteilen außerdem nicht nur finanziell um. Sie verteilen auch die Studierenden neu an die verschiedenen Hochschulen. Bisher unterscheiden sich die Gebührensätze vor allem nach Bundesland und Hochschulart. Indem das Studium gebührenpflichtig wird, wird es allerdings auch nach dem Angebot-Nachfrage-Prinzip neu geordnet. In Anbetracht der allgegenwärtigen Forderung nach einer stärkeren Hochschulautonomie werden diese absehbar zunehmend selbst über die Höhe der Gebühren entscheiden können. Hierbei werden neben Elite-Einrichtungen auch ›Aldi-Hochschulen‹ entstehen, an denen geringere Studienkosten mit geringeren Berufschancen einhergehen. So könnten gute berufliche Perspektiven doch noch käuflich werden. Muss das wirklich so kommen? Natürlich nicht. Aber derzeit deutet alles darauf hin.

Theoretisch könnte man natürlich auch eine einheitliche Gebührenhöhe per Gesetz festlegen. So wären jedenfalls der Hierarchisierung der Hochschullandschaft Schranken gesetzt. Dazu könnte man noch die Idee aufgreifen, dass die Gebühren erst nach dem Studium fällig werden: Dann verdienen die AbsolventInnen Geld und könnten doch ruhig etwas davon abgeben. Und wenn man schon dabei ist, ein sozial gerechteres Studiengebührenmodell zu entwickeln, könnte man auch gleich eine soziale Staffelung einführen: Nicht nur zahlen oder nicht zahlen wäre dann die Frage, sondern wer mehr verdient, müsste auch mehr abgeben. De facto wäre man dann bei einer AkademikerInnen-Steuer gelandet, die der Einfachheit halber auch gleich das Finanzamt anstelle der Hochschulen einziehen könnte. Ach ja, eines wäre da noch: Wer ohne Studium genauso viel Geld verdient, weil er zum Beispiel einen Betrieb geerbt hat, sollte natürlich dieselben Steuern zahlen. Immerhin ist er ja offenbar genauso privilegiert. Und ausgerechnet Bildungsabschlüsse steuerrechtlich zu benachteiligen klingt ja auch eher befremdlich, wo doch das lebenslange Lernen gerade in aller Munde ist. Heißt also: Steuersätze für Vielverdiener rauf und davon die Hochschulen besser finanzieren. Man kann es drehen und wenden wie man will: Wer wirklich die Wohlhabenden stärker zur Hochschulfinanzierung heranziehen will, sollte nicht nach Studiengebühren, sondern nach einer Steuerreform rufen.

Was heißt hier eigentlich (ge)recht?

Bildung ist ein Menschenrecht. Und jeder hat das Recht auf eine freie Berufswahl. [4] Was genau heißt das? Sicherlich, man darf niemandem grundsätzlich verbieten, eine Hochschule zu besuchen. Aber reicht schon die formale Möglichkeit, ein Studium aufzunehmen, um das Recht auf Bildung zu verwirklichen? Wenn jeder das gleiche Eintrittsgeld für die Hochschulen bezahlt, unabhängig vom familiären Hintergrund, Staatsangehörigkeit und Geschlecht, ist das dann schon gerecht? Oder gehört es auch dazu, diejenigen aktiv zu unterstützen, die ihr Recht auf Bildung sonst nicht verwirklichen könnten? Die Freiheit von Studiengebühren ist hierbei nur die Spitze des Eisbergs. Damit wirklich alle studieren können, müssen auch ihre Lebenshaltungskosten abgesichert sein. 17 Prozent der StudienabbrecherInnen bezeichnen finanzielle Problemlagen als ausschlaggebenden Grund für ihre Studienaufgabe. Sie kommen überdurchschnittlich aus Elternhäusern der unteren und mittleren sozialen Schicht. Für 52 Prozent der AbbrecherInnen haben finanzielle Problemlagen immerhin ein ›wesentliches Motiv‹ gebildet. [5] ›Sozial gerecht‹ wäre demnach vor allem eine umfassende BAföG-Reform, die dafür sorgt, dass man von der Förderung tatsächlich leben kann. 2006 finanzierte gerade mal 1 Prozent der Studierenden den Lebensunterhalt vollständig aus dem BAföG, 15 Prozent lebten überwiegend von der Förderung. [6] Die wesentlichen Säulen der Studienfinanzierung bilden dagegen Eltern und Erwerbstätigkeit.

Vielfach ist in der öffentlichen Debatte zu hören, Studiengebühren könne man ruhig einführen – wenn denn im Gegenzuge das Stipendienwesen ausgebaut werde. Mal abgesehen davon, dass ein entsprechender Ausbau bisher beim besten Willen nicht zu erkennen ist: Der Rechtsanspruch auf ein gebührenfreies Studium und Förderung nach BAföG würde durch eine unsichere Chance auf ein Stipendium abgelöst. Man könnte durchaus Glück haben und ein Stipendium erwischen, das einem mehr Geld einbringt als das BAföG. Man könnte aber auch Pech haben, und die Stipendien sind gerade alle. Das Recht auf ein finanziell abgesichertes Studium wäre zusammengeschrumpft auf das Recht, sich auf ein Stipendium zu bewerben. Mit der reinen Hochschulzugangsberechtigung käme man nicht mehr weit, denn wer der Auswahlkommission nicht gefällt, fällt halt durch. Das abgesicherte Studium gäbe es nur noch für die Elite – und ›solange der Vorrat reicht‹. Mit einem einklagbaren Recht auf Hochschulbildung hat das wenig zu tun.

Perspektiven der Studienfinanzierung

Der Beweis, dass Studiengebühren die Hochschulen gerechter machen, ist gründlich misslungen. Was bleibt ist die Frage, wie sich die tatsächlich vorhandenen Gerechtigkeitslücken wirksam bekämpfen lassen. Dabei ist klar: Um gerade Jugendlichen aus finanzschwachen Elternhäusern den Hochschulzugang zu ermöglichen und die Zahl der Studienabbrüche zu reduzieren, kommt man um eine bessere soziale Absicherung der Studierenden nicht herum. Das BAföG muss also höher werden, und es muss mehr Studierenden zur Verfügung stehen. Bereits von der 1968er-Generation formuliert wurde außerdem die Forderung, die Studienförderung elternunabhängig auszuzahlen. Der hiermit erhobene Anspruch an eine finanzielle Unabhängigkeit und damit auch kulturelle Emanzipation der Studierenden von ihrer Elterngeneration wurde bis heute nicht eingelöst. Für den Großteil der Studierenden ist das Studium weiter an Bedingungen und Erwartungen der Eltern geknüpft. Über die Forderung eines elternunabhängigen BAföG noch hinaus geht das Konzept des Studienhonorars, welches eine Anerkennung des Studiums als gesellschaftlich relevante Arbeit und damit einen angemessenen Lohn fordert. Damit würde die Bedarfsabhängigkeit des BAföG vollständig aufgelöst und auch das eigene Vermögen für die öffentliche Studienfinanzierung irrelevant.

Man sollte dabei nicht aus den Augen verlieren: Der formulierte Anspruch, Modelle der Studienfinanzierung nicht aus ihrem gesellschaftlichen Kontext zu lösen, muss natürlich auch hier gelten. Wer die Bedarfsorientierung aufhebt, verteilt das Geld zu gleichen Maßen an alle Studierenden, statt gezielt diejenigen zu fördern, die die Unterstützung am dringendsten brauchen. Das macht nur dann Sinn, wenn Wohlhabende gleichzeitig steuerlich entsprechend mehr belastet werden. Eine elternunabhängige Studienfinanzierung muss mit der Verankerung neuer Familienkonzepte einhergehen. Wie die Studienfinanzierung sollte hierbei auch die Kinderbetreuung als öffentlich zu finanzierende Aufgabe angesehen werden. Das Unterhaltsrecht müsste neu geordnet werden. Wer seine studierenden Kinder nicht mehr finanziert, sollte für das damit gesparte Vermögen später eine deutlich höhere Erbschaftssteuer zahlen. Nur als Paket kann eine solche Reform eine Umverteilung von unten nach oben verhindern und tatsächlich diejenigen besser stellen, die aus finanzschwächeren Familien kommen. Einen Schritt in diese Richtung könnte das Mitte der 1990er Jahre vom Deutschen Studentenwerk vorgeschlagene ›Drei-Körbe-Modell‹ bilden, in dem eine elternunabhängige Sockelförderung für alle Studierenden durch eine Zusammenführung von Kindergeld und Kinderfreibetrag finanziert werden sollte – zusätzlich war eine bedarfsorientierte Aufbauförderung vorgesehen. [7] Da von den steuerlichen Freibeträgen heute vor allem Eltern mit hohem Einkommen profitieren, wäre hiermit eine Umverteilung von oben nach unten verbunden gewesen. Für ein solches Modell hätte es fast schon einmal eine Mehrheit im deutschen Bundestag gegeben. Durch ein Machtwort des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder wurde die Debatte Anfang 2000 allerdings abgewürgt und eine entsprechende Gesetzesinitiative zurück gezogen.

Für eine soziale Öffnung der Hochschulen wird auch eine umfassende Strukturreform der Ausbildungsförderung nicht ausreichen. Um mehr Studienplätze zu schaffen, ist eine bessere Ausfinanzierung der öffentlichen Hochschulen notwendig. In der Theorie sind sich inzwischen fast alle einig, dass dies auf der Tagesordnung steht: Schon alleine für den Arbeitsmarkt von morgen werden wir mehr AkademikerInnen brauchen. Doch mit dem Hochschulpakt 2020 werden Bund und Länder allenfalls die jetzige Studienquote halten können – von quantitativem und qualitativem Ausbau fehlt jede Spur. Zu einem Hochschulausbau gehört auch ihre Öffnung für nichttraditionelle Studierende, die kein Abitur, dafür aber eine entsprechende berufliche Vorbildung vorweisen können – in kaum einem Land sind die Hochschulen für sie so verschlossen wie bei uns. Um die Sonntagsreden vom lebenslangen Lernen Realität werden zu lassen, müssten außerdem alle Beschäftigten die Möglichkeit haben, ihre Berufstätigkeit zu Weiterbildungszwecken zu unterbrechen, sich an den Hochschulen und anderswo fortzubilden und beruflich neu zu orientieren. Heute nehmen dies fast ausschließlich Besserverdienende wahr. Gerechtigkeitslücken gibt es in unserem Bildungssystem mehr als genug. Keine davon lässt sich mit Studiengebühren lösen, viele jedoch verschärfen.

Sonja Staack ist Mitglied des erweiterten Bundesvorstands des BdWi sowie im Vorstand von ver.di Berlin.
Dieser Beitrag ist im Original erschienen in: Klemens Himpele und Torsten Bultmann (Hrsg.): Studiengebühren in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. 10 Jahre Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS): Rückblick und Ausblick, Marburg 2009. Weitere Informationen zum Buch sind hier zu finden: www.bdwi.de


[«1] »›Studiengebühren schließen Gerechtigkeitslücke‹. Niedersachsens Wissenschaftsminister Oppermann (SPD) will Studenten zur Kasse bitten – Kritik an ›Denkverboten‹. Interview mit Thomas Oppermann«, in: DIE WELT, 18. Oktober 1999, 4.

[«2] Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hg.), 2007: Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2006. 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, durchgeführt durch HIS Hochschul-Informations-System – Ausgewählte Ergebnisse, Bonn/Berlin, 3.

[«3] Heine, Christoph / Quast, Heiko / Spangenberg, Heike, 2008: Studiengebühren aus der Sicht von Studienberechtigten. Finanzierung und Auswirkungen auf Studienpläne und –strategien, HIS Forum Hochschulen 15, Hannover.

[«4] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Beschluss der UN-Generalversammlung vom 10.12.1948, Artikel 26 (1) Satz 3 bzw. Artikel 23 (1) Satz 1.

[«5] Heublein, Ulrich / Spangenberg, Heike / Sommer, Dieter, 2002: Ursachen des Studienabbruchs, Analyse 2002, HIS Hochschul-Informations-System, Hochschulplanung Band 163, Hannover.

[«6] 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, a. a. O.

[«7] Deutsches Studentenwerk (Hg.), 1995: Das Drei-Stufen-Modell des Deutschen Studentenwerks. Für eine Ausbildungsförderung im Rahmen eines einheitlichen Familienlastenausgleichs, Bonn.


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