NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Leserbriefe zur Wachstumsdiskussion

Datum: 9. Oktober 2019 um 9:35 Uhr
Rubrik: Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Leserbriefe, Postwachstumskritik, Ressourcen
Verantwortlich:

Der Beitrag „Es ist kontraproduktiv, Wachstum zu verteufeln – auch und gerade im Rahmen der Klimadebatte“ rief eine außerordentlich große Reaktion der Leserschaft hervor, die nachfolgend größtenteils veröffentlicht wird. Es wird dabei auch deutlich, dass die Debatte sich zunehmend verhärtet hat und es kaum mehr eine gemeinsame Gesprächsbasis gibt. Das zeigte sich bereits in der zugrundeliegenden Debatte zwischen Heiner Flassbeck und Ulrike Herrmann. Um die Debatte in eine konstruktivere Bahn zu lenken, werden die NachDenkSeiten künftig auch sprachlich nachbessern und versuchen, die Thematik auf eine sachlichere Ebene zu bringen. Zusammengestellt von Jens Berger und Moritz Müller. Bitte beachten Sie auch die weiterführende(n) Anmerkung(en) von Jens Berger.

1. Leserbrief

Hallo NDS und Herr Berger,

Ihrem Artikel kann ich etwas abgewinnen, oder besser gesagt: könnte ich viel mehr abgewinnen, lebten wir in einem System, das “logisch” aufgebaut ist, international homogen ist und linear funktioniert. In einem Elfenbeinturmsystem also, wie Sie so schön schreiben.

Denn was z.B. in der Realität geschieht, wenn große Unternehmen ihren dementsprechend großen Anteil an Müll und Schmutz teurer bezahlen müssen und über Steuern/Preise in eine ökologisch und sozial sinnvollere Richtung gedrängt werden sollen, wissen wir doch auch: Verlagerung der unnachhaltigen, unsozialen Produktion, vorzugsweise in Länder mit weniger Reglementierungen und geringeren Steuern und Lohnkosten. Warum gibt es denn in Dtl. so vergleichsweise viele Dienstleistungsbetriebe gegenüber Produktionsbetrieben? Weil wir im Herzland leben, im “Gehirn der Bestie”, wie Jean Ziegler es genannt hat, und dort soll freilich der Ruß nicht an den Hauswänden, der gebeugte Arbeiter nicht im Stadtpark und der Elektroschrott nicht am Nordseestrand kleben – dafür gibt es bessere, fernere Deponien, und dankbarere (weil ärmere) Abnehmer. Die Verdrängung allen “Gesindels” und aller “Subkultur” aus den Zentren ist im Kleinen wie im Großen in vollem Gange. Man schafft sich die gated communities auf höheren und mittleren Einkommensebenen ganz von selber, im Nationenmaßstab. Im Zentrum (auch geographisch) stehen die Banken mit der adretten Rasenfläche, in der Peripherie (Polen, Ungarn etc.) lebt – überspitzt gesagt – die Spargelstech- und Gurkenfliegerbesatzung.

Rohstoffförderung – und verbrauch (inklusive erschreckender Umweltzerstörung und menschenverachtender Arbeitsweise; Beispiel Uranabbau) finden aber trotzdem statt – nur nicht mehr vor unserer Haustür. Unsichtbar. Zu nicht mehr nachvollziehbaren Konditionen.

Deutschlands BIP-Zusammensetzung als Maßstab für nachhaltiges Wachstum zu veranschlagen halte ich deshalb ebenfalls für zu kurz gedacht. Wir leben nicht mehr in einem Kreislauf, der sich innerhalb von überschaubaren Grenzen abspielt, und das was hierzulande begrünt wird, fällt woanders heimlich, aber kontinuierlich der Brandrodung zum Opfer.

Das sogenannte Wachstum wird überdies auch von Finanzdienstleistern generiert (bitte korrigieren Sie mich, sollte ich mich irren) – der nächste Punkt, an dem Sie sich m.M.n. zu sehr auf eine “optimistische” Marktlogik verlassen. Diese Strukturen sind über eben jene Wachstumsgenerierung (und zwar im Sinne “immer mehr vom Gleichen” zu produzieren, zu verkaufen, zu recyceln und wiederzuverkaufen, und mit dem Rest auf Halde zu spekulieren und sogar aus dem zwangsläufig anfallenden Müll- und Schrottberg Geschäfte zu generieren) so absurd reich und mächtig geworden, daß sie zu viel Einfluß auf a) die Absatzmärkte und b) die Politik nehmen können.

Heute habe ich einen Altkleidercontainer befüllt, der wöchentlich von einer Spedition (aus Polen übrigens) abgeholt, in einem Sortierwerk (in Polen) sortiert, und das Sortierte von dort nach Hamburg transportiert wird, um schließlich mit einem Schiff (wohl eines derjenigen Schiffe, die zwar einen viel größeren Anteil an der Atmosphärenverschmutzung haben, von denen aber nie im Zuge der Klimadebatte gesprochen wird) vorzugsweise nach Afrika verbracht zu werden, wo ein weiterer Zwischenhändler die Ware aufkauft, um sie – ebenfalls natürlich mit Gewinn – an die dortige Bevölkerung weiterzuverkaufen. Und Sie können sich gar nicht vorstellen, welche Mengen da zusammenkommen.

Unter der Prämisse, daß Billiglohn, Billigproduktion, Billighaltung,

Billigtransport, Billigsprit der Vergangenheit angehören, und Wachstum in erster Linie aus regenerativen Energieformen, cleveren Produktionsverfahren und sinnvollen Dienstleistungen entsteht, kann ich Ihnen folgen. Allein, davon auszugehen, daß all dies bald Realität wird, steht, dank der politischen Blockaden durch die Nutznießer wahnwitziger Billigkreisläufe, der Weltfremdheit Wachstum in seiner derzeitigen Form zunächst einmal schlicht blockieren zu müssen, um die verkrusteten Verhältnisse aufzusprengen, in nichts nach.

Eine Veränderung ist m.E. durch einen grundsätzlichen Stop der Wachstumsideologie besser zu bewerkstelligen als mit dem Vertrauen darauf, daß die Marktführer es schon richten werden, solange ihre Melkmaschine nur weiterlaufen darf.

Mit freundlichen Grüßen

Johannes Bichler

Replik Jens Berger: Sehr geehrter Herr Bichler,

schönen Dank für Ihre Zuschrift. Sie zeichnen da zahlreiche negative Entwicklungen im Wirtschaftssystem auf, die wir von den NachDenkSeiten doch ebenfalls regelmäßig kritisieren. Dass diese Auswüchse eines globalen, im weitesten Sinne unregulierten Welthandels abgestellt werden müssen, steht für mich auch gar nicht zur Debatte. Aber bevor ich nun in die konkreten Themen einsteige, möchte ich Ihnen eine Frage stellen: Wie stellen Sie sich denn konkret die Transformation zu einer “Postwachstumsökonomie” vor, die diese Auswüchse abschafft? Nicht vergessen: Wir reden hier über nationale, supranationale und globale Handlungsrahmen. In meinem Artikel habe ich ja erst einmal nur die wirtschaftswissenschaftlichen Aspekte angesprochen und Fragen zur politischen Umsetzbarkeit herausgelassen.

beste Grüße
Jens Berger


2. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger,

als langjähriger Leser und Förderer der Nachdenkseiten und Abonnent von Makroskop der ersten Stunde habe ich natürlich mit Spannung die Diskussion vom 20. September 2019, veranstaltet vom Westend-Verlag, erwartet und mir bei erster Gelegenheit die Aufzeichnung angesehen. Erfreut war ich, auch Sie unter den Gästen zu erblicken. Gut, dass Sie Frau Herrmann, die ich überaus schätze und die mir mit Ihren Büchern maßgeblich dabei geholfen hat das System Kapitalismus zu verstehen, die Frage nach dem Wachstum gestellt haben. Ich kann immer noch nicht recht glauben, dass Frau Herrmann es nicht sehen kann, dass Herr Flassbeck im Grunde genau das leistet, was sie von den “Makronomen” immer fordert – den “Übergang” zu modellieren. Meines Erachtens ist es richtig, was Herr Flassbeck sagt: Wir haben nicht die Zeit und die Ressourcen uns auf Experimente mit bisher unbekannten Systemen einzulassen. Der skizzierte Weg birgt die Möglichkeit innerhalb des Bekannten umzusteuern. Man könnte einwenden, dass wir ohnehin keine Zeit mehr haben oder dass es zu lange dauert, aber dann können wir auch gleich aufgeben – ‘not an option’. Wie Sie schon in Ihrem Artikel umreißen, könnte das Vorgehen ja gerade dazu führen, dass wir zur “Kreislaufwirtschaft” finden – wobei wir wohl immer bestenfalls doch 1,1 Erden verbrauchen werden. Ein paar Dinge werden sich möglicherweise nicht ohne nicht nachwachsende Rohstoffe realisieren lassen. Aber gut, das ist Wissensstand heute und Spekulation meinerseits und möchte es an dieser Stelle nicht weiter führen. Mir scheint, dass Frau Herrmann irgendwie den Glauben an die Menschheit verloren hat und im Grunde nicht ausschließt, dass Herr Flassbeck da schon richtig liegt – nur glaubt sie womöglich – ich spekuliere wieder – , dass der Plan von Flassbeck aufgrund von Widerständen der Eliten (um den Komplex der Kürze willen einmal platt zusammenzufassen) und aufgrund von Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht umzusetzen ist. Nur, wie Sie schon schreiben, damit steuern wir in eine Sackgasse: Frau Herrmann kann weiterhin die Forderungen nach der Modellierung der Übergänge stellen, für die sie aber nie befriedigende Ergebnisse erhalten wird, wenn sie “Entkopplung” und Wachstum ohne Ressourcenverbrauch nicht anerkennen mag.

Herr Flassbeck hat m. E. in den Diskussionen immer das Problem, dass er zu emotional wird. Das schadet seiner Botschaft. Wie an den Zwischenrufen zu erkennen war, verschiebt sich bei einigen (vielen?) Leuten die Aufmerksamkeit vom Inhalt der Botschaft zu deren Präsentation. Ich kann das nachvollziehen. Ich selbst habe ein Problem damit geduldig zu bleiben, wenn ich Sachverhalte vermitteln soll, die für mich auf der Hand liegen und die ich schon zigmal wortreich erklärt habe und anscheinend noch immer nicht verstanden werden, obwohl die Logik, aus meiner Sicht, zwingend ist. Herr Flassbeck als Profi – finde ich – sollte an der Stelle ein bisschen an sich arbeiten und selbst bei offensichtlicher Borniertheit (ich meine hier ausdrücklich nicht Frau Herrmann oder die übrigen Diskutanten) ruhig bleiben. Inhaltlich kann man ihn eigentlich nur kritisieren, wenn man nicht alle Fakten kennt und/oder dem sog. Mainstream der Makroökonomie auf den Leim gegangen und dabei lernresistent geworden ist. Vielleicht hat auch einfach Frau Spiecker gefehlt, die ohnehin bei den Ökonomen mehr gehört werden sollte. Leute wie sie gehören eigentlich in den Rat der sog. “Wirtschaftsweisen”. Dann würde die Bezeichnung wieder Sinn ergeben – sorry, das musste raus. Bei Leuten wie Feld und Schnabel oder auch, um den Kreis zu erweitern, Fuest, Weidmann und Altmeier bekomme ich “Blutdruck”.

Danke also Herr Berger für diesen Beitrag und ich hoffe, dass die Beteiligten der Diskussion diese hinterher ein wenig analysiert haben und bemerkten, an welchen Stellen sie schiefgelaufen ist. Ich hoffe außerdem, dass alle Beteiligten Ihren heutigen Beitrag lesen/gelesen haben.

Ich verbleibe mit unverbrüchlicher Hoffnung darauf, dass es die Menschheit doch noch schafft ihren Lebensraum zu erhalten ohne sich dabei größtenteils umzubringen.

Viele Grüße.
Christian Sander


3. Leserbrief

Ich lese gerade, daß die Nachdenkseiten jetzt der New Flat Earth Society beigetreten sind :-(

Nachfolgend ein Link zur Vorlesung “Arithmetic, Population and Energy” von Albert Bartlett. Von diesem stammt das Zitat: “The greatest shortcoming of the human race is our inability to understand the exponential function

Für die Vorlesung ist kein Vorwissen erforderlich und es wird mit einfachen Rechnungen gezeigt, was wir eigentlich alle seit der Schule wissen: ewiges Wachstum kann nicht funktionieren.

Volker Pispers würde noch hinzufügen: “Fragen Sie Reiner Callmund”.

invidious.snopyta.org/watch?v=sI1C9DyIi_8&hl=en-US&local=true&autoplay=1&subtitles=%2C%2C

Hier noch der Artikel mit der Begründung zur New Flat Earth Society:

albartlett.org/articles/art1998jan.html

viele Grüße
Dominik Rester

Replik Jens Berger: Lieber Herr Rester,

dann machen wir doch mal ein Gedankenspiel. Was würde mit der exponentiellen Funktion passieren, wenn die Eurozone morgen eine Währungsreform umsetzt, bei der 1.000 alte Euro in einen neuen Euro umgetauscht werden? Sie dürfen nicht vergessen: Wirtschaftswachstum ist eine rein monetäre Größe! 

beste Grüße
Jens Berger

Replik Dominik Rester: Hallo Herr Berger,

vielen Dank für Ihre Antwort auf meine ketzerische email.

Eine Währungsreform, egal mit welchem Faktor, würde nichts am Wachstum ändern, ebensowenig an der Endlichkeit des Planeten und seiner Ressourcen.

In denen, von Ihnen im Artikel genannten Berufe aus dem Bildungs-, bzw. Pflegesektor, wird zwar direkt keine Kohle gefördert oder verbrannt, allerdings ist es ja nicht so, daß nur Mitarbeiter von Autokonzernen sich eigene Autos kaufen und damit fahren. Somit wird also doch indirekt der Absatz der Automobilbranche steigen und der Trend geht hier unsinnigerweise zum SUV.

Ebenso wird mehr Energie benötigt werden und selbst Nahrungsmittel stammen heute zum Großteil aus hoch automatisierten landwirtschaftlichen Betrieben. Für jede Kalorie, welche verspeist wird, wird vorher ein Mehrfaches an fossiler Energie aufgewandt. Im Grunde trinken wir also das Öl.

Vermutlich ist Ihnen das alles klar und wir befinden uns gerade in der verschrobenen Theoriedebatte, die ihr Artikel ja eigentlich kritisiert… :)

Man könnte auch sagen: das Wachstum gibt es nicht.

Es erinnert mich selbst jetzt daran, daß mal scheinbar vernünftige Leute (fefe) kritisiert wurden, weil sie pro bedingungsloses Grundeinkommen waren, weil ihnen vermutlich die Hintergründe nicht komplett klar waren, bzw. von wem diese Forderung lanciert wurde.

Einigen wir uns darauf, was Flassbeck gesagt hat: in unserer Wirtschaftsform wird alles über den Preis geregelt und Öl/Energie ist einfach zu billig.

Dann muß nur noch jemand rausfinden, wie wir von den fossilen Brennstoffen wegkommen, bevor sich das Problem von selbst löst (Flasche leer).

viele Grüße
Dominik Rester


4. Leserbrief

Lieber Jens Berger und Redaktion der Nachdenkseiten,

ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, der ernsthaft etwas gegen Wachstum von Kreativität hat. Ich kann mir allerdings sehr wohl vorstellen, dass es für das Überleben des Planeten unumgänglich ist, weiteres Wachstum der industriellen Produktion zu verhindern, und zwar weltweit. Insbesondere der militärisch- industrielle Komplex ist der Klimakiller Nummer eins weltweit. Vor ein paar Monaten hat Airbus bekanntgegeben, dass man die Produktion des A380 beendet. So ganz nebenbei hat man in der Tagesschau erfahren, dass 40 Prozent dieses Flugzeugtyps ans Militär weltweit verkauft wurden.

Alleine das US-Militär gilt als weltgrößter Endverbraucher fossiler Brennstoffe. Sein täglicher CO² Ausstoß beträgt 25 Millionen Tonnen. Hinzu kommen die entsprechenden Mengen bei der Produktion der militärischen Flugzeuge, Schiffe, Fahrzeuge etc., welche vor allem in den hochindustrialisierten Ländern wie auch der BRD stattfindet. Die von diesem Komplex provozierten Kriege und deren desaströse Folgen nenne ich erst recht. Und hier müssen wir die gedankliche Brücke schlagen zu dem am 28.9. auf den Nachdenkseiten erschienenen Artikel, welcher die Notwendigkeit ausführte, die herrschenden Eliten zu stürzen, um den Planeten zu retten. Eine völlig richtige Analyse, welche allerdings eine Reihe von Fragen aufwirft.

  1. Ist es uns klar, dass diejenigen, welche mit ihren auf fossilen Brennstoffen basierenden Geschäftsmodellen Politik und Wirtschaft beherrschen, sich ihre Macht nicht einfach mit gutem Zureden aus der Hand nehmen lassen wollen?
  2. Ist es uns klar, dass die klimapolitisch und humanitär unumgängliche Abschafffung des genannten militärisch- industriellen Komplexes zugleich das Ende von zig Millionen Arbeitsplätzen in den genannten hochindustrialisierten Staaten einschließlich der BRD bedeutet?
  3. Ist es uns klar, dass diese Schritte zu gehen gleichbedeutend sein muss mit einer kompletten Umgestaltung des Verteilungsprozesses der Wirtschaft? Wenn das nicht gelingt, entsteht ein Millionenheer an arbeitslosen Armen in den hochindustrialisierten Staaten.

Wir sind an dem Punkt angekommen, wo das kapitalistische System an seine Grenzen stößt und bei Strafe des Untergangs der Menschheit einem neuen System Platz machen muss, welches nach anderen Maximen als denen der Profitmaximierung organisiert sein muss.

Mit besten Grüßen und Dank für die Arbeit der Nachdenkseiten
Fred Schumacher


5. Leserbrief

Lieber Jens Berger,

ich lese die NDS regelmäßig mit großem Interesse und kann Ihren Aussagen häufig zustimmen.

Zu Ihrem Text zum Wirtschaftswachstum habe ich allerdings einige Kritikpunkte anzubringen.

Sie schreiben „Je fortschrittlicher eine Volkswirtschaft ist, desto geringer ist in der Regel auch der Rohstoff- oder Ressourceneinsatz, der indirekt mit dem Wirtschaftswachstum einhergeht“. Das ist sicher richtig, wenn man ein Land isoliert betrachtet. So hat sich etwa in Deutschland in den letzten Jahrzehnten das Wirtschaftswachstum (in Euro) abgekoppelt vom Ressourcenverbrauch. Aus einem globalen Blickwinkel sieht es jedoch schon etwas anders aus. Ein sehr großer Teil der in Deutschland konsumierten Produkte stammt aus dem Ausland, und auch die hier produzierten Waren haben einen eher zunehmenden Anteil an importierten Zwischenprodukten. Eine vollständige Analyse des Rohstoff- oder Ressourceneinsatzes muss auch dies berücksichtigen und wird zu anderen Ergebnissen kommen. Das gleiche kann man auf der Entsorgungsseite beobachten (Stichpunkt: Müllexporte).

Weiterhin darf man nicht den „Rebound-Effekt“ vergessen, der besagt, dass oft Effizienzsteigerungen zu zusätzlichem Konsum führen. Und das sowohl im Fertigungsprozess als auch beim Endprodukt. Wenn etwa ein Hausgerät effizienter produziert wird, wird es billiger, sodass dann mehr davon gekauft werden können. Und wenn beispielweise das Fertigprodukt wenig Strom verbraucht, bleibt es eben ständig im Standby-Mode. Im Endeffekt werden dadurch häufig Einsparpotenziale verschenkt.

Mir Recht weisen Sie darauf hin, dass es Bereiche gibt, bei denen eine Steigerung durchaus wünschenswert sind, etwa im Care-Bereich, bei den Pflegeberufen. Aber wieso muss es ständig andauerndes Wachstum geben? Bei einer gleichbleibenden Wachstumsrate heißt das exponentielles Wachstum! Sollte nicht eigentlich irgendwann ein Sättigungszustand – wie in der Natur generell – erreicht sein (in der Pflege ist er freilich weit entfernt)?

Man darf nicht den Fehler machen, den jetzigen Zustand und die heutigen Denkrichtungen absolut zu sehen. Die heute vorherrschenden Denkschulen sind vielleicht 150 oder 250 Jahre alt. Über viele Jahrtausende gab es kein oder nur minimales Wachstum.

Der Wachstumsgedanke kam erst mit dem Aufstieg des Wirtschaftsliberalismus und unseres ökonomischen Systems. Der Kapitalismus ist zum Wachstum verdammt, wegen des ihm innewohnenden Konkurrenzprinzips sind Unternehmen, die im Wettbewerb stehen – wollen sie nicht verdrängt werden – gezwungen, ihre Produktivität zu steigern, letztlich den Gewinn pro Kapitaleinsatz zu erhöhen. Das geht durch Lohnsenkung (auch Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer), Entlassungen oder eben Expansion. All dies sehen wir heute.

Naturgegeben ist das nicht.

Viele Grüße
Wolfgang Woznik


6. Leserbrief

Lieber Herr Berger,

wie Sie wissen, schätze ich ihre Arbeit und Analysen außerordentlich. Diesmal muss ich ihnen aber vehement widersprechen: Bzgl. der Unvereinbarkeit von Wachstum und Nachhaltigkeit machen Sie den Denkfehler, nicht die Postwachstumsökonomen!
Dabei möchte ich auf die prinzipielle Problematik der bei uns nach wie vor üblichen rein quantitativen Erfassung des Wachstums anhand des BIP gar nicht näher eingehen. Diese führt ja bekanntlich dazu, dass z.B. Umweltkatastrophen oder mehr und schwerere Kranke zu einem „Wachstum“ führen, weil eben die negativen Effekte nicht gegengerechnet werden: der zerstörte Wald nach einem Jahrhundertsturm taucht in der VGR nirgends auf, die Aufräumarbeiten im Wald, das Lagern des Holzes und der unter Preis nötige Notverkauf erhöhen dagegen das BIP.

Richtig falsch ist aber ihre Annahme, ein Wachstum im tertiären Sektor könnte jemals ressourcenneutral ausfallen: was für „Bildungsträger“ sollen das sein, die zusätzlich entstehen, aber ohne zusätzliche Computer, Bücher, Unterrichtsmaterialien, Gebäude, Schulbänke auskommen? Welcher Gastronom kann mehr Gäste bewirten ohne zusätzliche Töpfe, Kochuniformen, Gläser, Zutaten? Und welcher Medienkonzern kann zusätzliche Produkte (egal ob analog oder digital) ohne zusätzliche augerüstete Arbeitsplätze, Stromverbrauch etc. anbieten?

Ja, der Ressourcenverbrauch mag im Dienstleistungssektor nicht linear mit dem Wachstum steigen. Ein Wachstum gänzlich ohne zusätzliche Ressourcen ist aber nicht vorstellbar. Und damit gelangen sie letztlich immer wieder an die physikalischen Grenzen der beschränkten Erde – wenn auch vielleicht etwas langsamer.

Geradezu gefährlich ist in diesem Zusammenhang die immer wieder implizit gemachte Unterstellung, ein Wachstum im sog. „Digitalbereich“ könnte ressourcenneutral ausfallen: selbst wenn es eines fernen Tages gelingen sollte, die benötigte Hardware in einem Cradle-to-cradle-Verfahren immer wieder zu verwenden (wie daraus dann unbegrenzt mehr Computer werden sollen ist allerdings selbst dann noch fraglich!),
werden wir den zusätzlich benötigten Strom irgendwoher holen müssen. Und ganz egal, auf welche „klimaneutrale“ Art wir das dann anstellen werden, ressourcenneutral wird das nie gelingen. Schließlich müssen auch Wind-, Wasser- und Solaranlagen aus irgendetwas hergestellt werden, genauso die unvermeidlichen Speicherinfrastrukturen. Glauben Sie wirklich, die dann vielleicht neun Milliarden Menschen könnten alle über recycelte Smartphones, die mit Ökostrom gespeist werden, auf klimaneutralen Servern die ganzen neuen Medienprodukte konsumieren? Und das alles nachhaltig, obwohl jetzt bereits die Materialien dafür knapp werden?

Auch ihr Beispiel Altpapier kann leider nicht überzeugen: auch hier vergessen sie, dass Recycling nicht im luftleeren Raum stattfinden kann. Wieviel an (wohl gemerkt endlichen!) Ressourcen wären nötig, um den weltweiten Papierverbrauch vollständig auf Altpapier umzustellen? Wieviele industrielle Anlagen müssten neu errichtet werden, um diese ungeheure Leistung zu erbringen? Und wenn hier weiter Wachstum stattfinden soll, müssten dann ja irgendwann aus einer Tonne Altpapier, zwei Tonnen neue Papierprodukte entstehen. Irgendwie schwer vorstellbar, oder?

Eine Lösung über die Preise widerspricht dann aber sogar ihrer eigenen marktwirtschaftlichen Logik: in welcher Wirtschaftstheorie führen höhere Rohstoff- und damit höhere Produktpreise zu Wachstum? Selbst wenn man ganz klassisch argumentiert, müssen höhere Rohstoffpreise zu höheren Endproduktpreisen und damit ceteris paribus zu sinkender Nachfrage führen. Hier könnten Sie also höchstens qualitativ argumentieren, in dem Sinn, dass 1 € Umsatz mit recycelten Rohstoffen besser ist, als 1 € Umsatz aus neuen. Wie das allerdings bei den Leuten ankommt, wenn selbst einfache Handys, Radios oder Fernseher künftig nur noch vom obersten Einkommendrittel erworben werden können, stelle ich mal in Frage.

Recht gebe ich ihnen, bzgl. der Auswirkungen des globalisierten Handels. Allerdings ist genau dieser ja die einzige Triebfeder des sog. Wachstums. Ein Zurück zu regionalen Kreisläufen und wertigeren Produkten, würde aber genau nicht zu Wachstum führen. Die Menschen würden dann nämlich ihr 100€-T-Shirt vom Schneider am Ende der Straße aus heimischem Leinen eben nicht nach einmaligem Tragen entsorgen, sondern sie würden es vermutlich sogar 50 Mal tragen. Ab dem 51. Mal wären sie dann in der Degrowth-Wirtschaft angekommen. (Immer gemessen am 2€ Fast-Fashion-Shirt).

Schließlich zum Schluss: was genau glauben Sie werden “die Unternehmen und Bürger, die damit Geld verdienen“ mit diesem zusätzlichen (weil ja wachsenden) Geld machen? Zu Hause in die Schublade legen? Oder etwa doch zumindest einen Teil davon konsumieren? Ist das nicht letztlich der Zweck allen Wachstums? Mehr Konsum zu ermöglichen? Wem auch immer? Warum sollte sonst jemand Interesse an Wachtum haben?
Und wenn Wachstum also zwangsläufig zu mehr Konsum führt, schließt sich der Kreis und wir stoßen erneut an die Decke der physikalisch nun mal leider begrenzten Erde.

Ich verstehe ihre Motivlage sehr gut: genau wie ich finden sie den heutigen Zustand des Mangels für Viele und des Luxus’ für Wenige unerträglich. Nachhaltig können sie das aber nur mit konsequenter Umverteilung ändern. Der Gesamtverbrauch muss nachhaltig werden, was für einige zwangsläufig Verzicht bedeuten wird. Insbesondere wenn man den Blick global öffnet, den Eurozentrismus hinter sich lässt und erkennt, dass es schlicht egal ist, ob der Planet in Europa, Afrika oder Asien ruiniert wird. Letztlich sitzen wir alle im selben kleinen Boot.

Mit freundlichen Grüßen aus Taufkirchen

Martin Sutor


7. Leserbrief

Leserbrief zum Artikel von J. Berger: Es ist kontraproduktiv, Wachstum zu verteufeln – auch und gerade im Rahmen der Klimadebatte

Ich möchte Herrn Berger in fast allen Punkten widersprechen. Hier drei Argumente:

J. B.: „Aktuell trägt der Dienstleistungsbereich hierzulande mit 68,2% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Das Produzierende Gewerbe macht nur noch rund ein Viertel (25,8%) der Bruttowertschöpfung aus. Das heißt im Umkehrschluss, dass in der deutschen Volkswirtschaft drei Viertel der für das Wirtschaftswachstum relevanten Aktivitäten ohnehin nicht direkt mit einem Ressourcenverbrauch oder -gebrauch in Verbindung stehen.“

Nun, das sind ja wunderbare Aussichten. Man stelle sich eine Gesellschaft vor, die nur aus dienstleistenden Frisören besteht, die keine Schere, keinen Spiegel, keinen Stuhl, kein Waschbecken und kein Dach über dem Kopf brauchen, um ihre Dienstleitung anzubieten. Wenn wir soweit sind, dann allerdings könnte man mit Herrn Berger sagen, dass „Kreativität und Innovation“ die „wichtigsten Ressourcen für ein Wirtschaftswachstum“ sind. Vorläufig sind wir aber noch nicht soweit. Dass Herr Berger mit den stofflichen und wertmässigen Wachstumsbegriffen dermassen beliebig umgeht ist ärgerlich. Vor der Hand leben wir noch in einer kapitalistischen Gesellschaft, mag sich das auch dem Ende zuneigen. In einer solchen Gesellschaft ist die Devise aus Geld mehr Geld zu machen Trumpf. Und diese Devise der Wertvermehrung beruht auf einer zunehmenden Produktion von stofflichen Gebrauchswerten also einer steigenden Warenproduktion. Dazu braucht man Rohstoffe. Da beisst die Maus keinen Faden ab. D. h. die zwei Seiten der kapitalistischen Produktion sind unmittelbar und vorläufig untrennbar miteinander verbunden.

J. B.: „Ein wenig komplexer stellt sich der Zusammenhang im Produktionssektor dar. Aber auch hier gibt es natürlich keinen direkten Zusammenhang zwischen der Wertschöpfung und dem Verbrauch von Ressourcen. Ob man beispielsweise eine Tonne Papier nun aus Holz oder im Recyclingverfahren aus Altpapier herstellt, spielt für die Bemessung der Wertschöpfung erst einmal keine Rolle.“

Für die „Wertschöpfung“ (was auch immer das jetzt bedeuten mag) des Papierherstellers spielt es wahrlich keine Rolle, ob sein Rohstoff aus dem Wald oder der Mülltonne kommt. Aber es werden natürlich Rohstoffe verbraucht. So oder so. Die Auswahl des Herstellungsverfahrens spielt für den Papierhersteller dann eine Rolle, wenn er merkt, dass der Stamm aus dem Wald für seine Produktion die geringeren Kosten verursacht. Dann wird er sich in der „freien Marktwirtschaft“ entsprechend entscheiden. Und dass Ressourcenverbrauch nötig ist bei der Papierherstellung ist evident. Auch das Recyclingverfahren oder die sog. Kreislaufwirtschaft entkommt dieser Realität nicht. Zwar ist das zu verarbeitende Material kein neuer Rohstoff. Aber das veränderte Produktionsverfahren braucht zusätzliche Transportkapazität, neue Technologie, neue Maschinen,  Geräte und Aggregate. Ich kann hier nicht beurteilen ob die eine oder andere Methode für den Hersteller kostengünstiger ist. Er entscheidet sich aber mit Sicherheit nicht für das unprofitablere Verfahren oder das Verfahren, welches den geringeren Ressourcenverbrauch hat. Das sind nicht seine Maßstäbe.

J. B.: „Man muss „nur“ an den richtigen Stellschrauben drehen, dass diese Alternativen für die Bürger und die Unternehmen, die damit Geld verdienen wollen, ökonomisch attraktiv werden.“

Eines muss man Herrn Berger lassen: Er hat Sinn für den großen Pinselstrich. Mit einem Satz erledigt er die zentralen Widersprüche kapitalistischer Produktion. Betrieblich und volkswirtschaftlich.
 
Mit freundlichen Grüßen Peter Rapke


8. Leserbrief

Liebes NDS-Team,

wenn das in Geldwert gemessene „Wachstum“ und das entsprechende Mehrprodukt der Menschheit allgemein nützen würde (Krankenpfleger, Lehrer, Forschung zum Gemeinwohl… ((wie weltfremd)) )…. o.k.

Systembedingt vergrößert es es aber reel die Unterschiede einer kleinen, inzwischen geistig und moralisch sehr kranken Inzuchtelite zur großen „restlichen“ Menschheit. Dies betrifft nicht nur das Thema Ökologie.

Also so wird das nichts. Schade um diese pseudointellektuelle Diskussion, wo man der Systemfrage die dringend notwendige Priorität verweigert !

Ihr Leser I.Drechsel


9. Leserbrief

Liebe NDS-Redaktion,

wenn man den Sturzbächen von Ressourcen, die z. Zt. in die Güterproduktion fließen in Kreisläufe zwingt, die zusätzliche Transporte, neue Ressourcen und noch mehr Energieeinsatz erfordern, verbessern wir keineswegs Umwelt und Klima. (Glaubt man wirklich, Pfandautomaten, die Einwegflaschen zurücknehmen wären eine großartige Innovation?) Bei jeder Kreislaufführung geht mehr oder weniger Masse verloren. Kein technischer Recyclingprozess gewinnt 100% zurück. Die Kreislaufwirtschaft mag eine gewisse Entlastung für die Umwelt darstellen, nach Aufbruch in die Zukunft sieht das jedenfalls nicht aus. Wenn wir “zukunftsfähig” wirtschaften wollen, muss der Durchfluss der Ressourcen langsamer verlaufen, die Wirtschaft muss am Beginn des Wirtschaftskreislaufes dematerialisiert werden, also weniger Rohstoffe, weniger Wasser, weniger Energie verbrauchen und die Produkte müssen langlebiger werden. (Aus weniger mehr machen, ist ja auch schon eine Form von Wachstum). Erst die Produktion von Gütern bringt den Wohlstand, Dienstleistungen nehmen erst in einer “Überflussgesellschaft” zu. Dienstleistungen fördern das Wachstum, nicht aber unbedingt den Wohlstand. Bis auf Ausnahmen, werden die Menschen in den Dienstleistungsbranchen zumeist mager bezahlt. Allerdings funktioniert eine kapitalistische Marktwirtschaft ohne Wachstum nicht – und eine andere Wirtschaftsform können wir uns eigentlich gar nicht mehr vorstellen.

VG Michael Wrazidlo


10. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger,
 
mit Interesse habe ich Ihren Artikel zum Thema „Wachstum und Ressourcenverbrauch“ gelesen. Vor einiger Zeit habe ich mich etwas intensiver mit dieser Thematik befasst und bin zu der Überzeugung gelangt, dass der Versuch, ökonomisches Wachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln, zum Scheitern verurteilt sein muss.

Daher finden sich meiner Meinung nach in Ihrem Text einige Denkfehler, die Sie ja gerade denjenigen nachsagen, welche meine oben genannte Position vertreten.

Problem 1: Sie nennen die Zunahme von Lehrern und Dozenten und eine Verbesserung des Personalschlüssels in der Pflege als mögliche Quellen für Wachstum. Diese können allerdings nur dann aus sich selbst heraus ökonomisch wirksam sein, wenn sie privatisiert sind, was aber wiederum große soziale Probleme aufwerfen dürfte und in meinen Augen keinesfalls wünschenswert wäre. Werden sie als staatliche Leistung zur Verfügung gestellt, muss das Wachstum gewissermaßen erst mal an anderer Stelle generiert werden, um die notwendigen finanziellen Mittel zu erzeugen. Nun könnte man zwar einwenden, dass die ganzen Lehrer und Pfleger ja über den Konsum von Dienstleistungen, von denen dann ein Teil als Steuern an den Staat fließt, die finanziellen Mittel zu ihrer Beschäftigung selbst erzeugen, gemäß dem Sayschen Theorem, dass jedes Angebot sich seine eigene Nachfrage schafft. Damit kommt man aber zu

Problem 2: Viele der Dienstleistungen verbrauchen zwar im Vergleich zur Herstellung von Produkten deutlich weniger Energie und Ressourcen, sind aber mitnichten davon entkoppelt. Wenn man sich einmal damit beschäftigt, wieviel Energie mittlerweile allein der Datenverkehr verbraucht, kann man das gut sehen. Auch die von Ihnen angesprochenen technischen Innovationen lösen dieses Problem in meinen Augen nicht, so lange der Zwang zu wirtschaftlichem Wachstum da ist. Vergleichen Sie doch mal ein beliebiges technisches Gerät von vor 25 Jahren mit einem heutigen Exemplar. Der Srtromverbrauch des einzelnen Geräts hat sich zwar deutlich verringert, der Gesamtstromverbrauch der privaten Haushalte hat sich jedoch in den letzten 25 Jahren sogar erhöht. Zu glauben, dies habe mit dem Aspekt des Wachstums nichts zu tun, halte ich für falsch.

Problem 3: Das größte Problem bzw. der größte Denkfehler besteht jedoch meiner Meinung nach darin, dass Sie die von Ihnen genannten Chancen einer Verlagerung in den Dienstleistungssektor oder der Stärkung grüner Technologien sowie Kreislaufwirtschaften nur für Transformationsphasen betrachten. Solange diese Bereiche sich zusätzlich zur „herkömmlichen“ Wirtschaft entwickeln, erzeugen sie natürlich Wachstum.

Ist dieser Transformationsprozess aber sehr weit vorangeschritten, wird es mit dem Wachstum schon schwieriger. Nehmen wir einmal an, es würde tatsächlich gelingen, wirtschaftliche Prozesse in bestimmten Bereichen irgendwann komplett auf eine Kreislaufwirtschaft umzustellen. Natürlich wäre dies in meinen Augen wünschenswert. Dann erzeuge ich Wachstum aber nur noch entweder dadurch, dass ich die Preise erhöhe oder neue Dinge hinzufüge, womit ich wieder beim Grundproblem bin. Ähnliches gilt für den Dienstleistungsbereich oder grüne Technologie. Mit anderen Worten: Wenn irgendwann die komplette Energiegewinnung auf erneuerbare Energien umgestellt ist, dann ist Wachstum in dem Segment nur erzeugen, indem alte Anlagen (und zwar in zunehmendem Maße) erneuert werden, was wiederum Ressourcen verbraucht oder indem man die Preise für Energie erhöht.

Natürlich befindet sich Wirtschaft in einem ständigen Transformationsprozess, sodass wahrscheinlich andere Neuerungen und Innovationen an die Stelle der alten treten oder diese ergänzen und damit Wachstum generieren, aber auch dies wird wieder nicht ohne Ressourcenverbrauch zu haben sein (das gilt selbst für den Dienstleistungsbereich).

Was mich an ihrem Artikel jedoch vor allem stört, ist der abfällige und in meinen Augen völlig unangemessene Tonfall, mit dem diejenigen, welche die Wachstumsorientierung kritisch sehen, angegangen werden, was der von ihnen geforderten gesellschaftlich nötigen Debatte über die Thematik meiner Ansicht nach überhaupt nicht zuträglich ist.

Zudem sehe ich Ihre Argumentation als kontraproduktiv und wenig zielführend (um Sie mal zu zitieren), da sie in meinen Augen suggeriert, wir müssten in unserer Art und Weise zu wirtschaften im Grunde genommen nur A durch B ersetzen, um die Probleme in den Griff zu bekommen, was ich, vorsichtig ausgedrückt, für naiv halte. Sie bezeichnen die Wachstumskritiker als weltfremd und theoretisch abgehoben? Dann schauen wir doch einfach mal auf die tatsächlichen Entwicklungen.

Wir haben in Deutschland in den letzten Jahrzehnten eine enorme Zunahme des Dienstleistungssektors sowie eine deutliche Entwicklung grüner Technologien (die Energieeffizienz technischer Geräte habe ich ja oben bereits erwähnt). Alles Entwicklungen, die nach Ihrer Argumentation den Aspekt der Nachhaltigkeit gestärkt haben müssten. Ich finde zwar leider keine Angabe darüber, auf welchem Tag beispielsweise der deutsche Erdüberlastungstag vor 30 oder 40 Jahren lag, bin aber sehr skeptisch, dass wir heute wirklich nachhaltiger leben und wirtschaften. Und dies ist meiner Meinung nach nicht vom Streben nach ökonomischem Wachstum zu trennen.

Um es klarzustellen: Ich halte die von Ihnen angesprochenen Entwicklungen (beispielsweise hin zu Regionalisierung und Kreislaufprozessen) für absolut richtig und notwendig und zumindest die Wachstumskritiker, die ich kenne, vertreten diesbezüglich eine ähnliche Position. Ich glaube nur, dass bei einem Festhalten am Streben nach ökonomischem Wachstum, dies alleine nicht ausreichen wird, um die ökologischen Probleme wirklich in den Griff zu bekommen.

Mit freundlichen Grüßen,
J G

Replik Jens Berger: Lieber Herr G,

schönen Dank für Ihre Zuschrift. Es wird Sie sicherlich nicht wundern, wenn ich Ihnen da inhaltlich doch widersprechen muss:

-> Problem 1: Sie nennen die Zunahme von Lehrern und Dozenten und eine Verbesserung des Personalschlüssels in der Pflege als mögliche Quellen für Wachstum. Diese können allerdings nur dann aus sich selbst heraus ökonomisch wirksam sein, wenn sie privatisiert sind, was aber wiederum große soziale Probleme aufwerfen dürfte und in meinen Augen keinesfalls wünschenswert wäre. 

Warum sollte das so sein? Selbstverständlich erzeugen auch öffentliche Einrichtungen Wachstum. Der öffentliche Sektor ist doch Teil des BIP. 

-> 2: Viele der Dienstleistungen verbrauchen zwar im Vergleich zur Herstellung von Produkten deutlich weniger Energie und Ressourcen, sind aber mitnichten davon entkoppelt. Wenn man sich einmal damit beschäftigt, wieviel Energie mittlerweile allein der Datenverkehr verbraucht, kann man das gut sehen. 

Das ist richtig, aber es gibt eben keinen direkten, linearen Zusammenhang. Das schreibe ich ja auch im Text. Wenn die Energie ausschließlich regenerativ gewonnen wird, sehe ich hier auch ehrlich gesagt nicht das Problem. Hier geht es ja nicht um eine physikalische Debatte. Ich bin kein Physiker, weiß aber auch, dass ein lückenloser Energie- oder Stoffkreislauf nicht möglich ist. Aber wenn Postwachstumsökonomen hier spitzfindig argumentieren, dass z.B. die Windräder, die regenerative Energie liefern, ja auch hergestellt werden müssen, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Das ist dogmatisch. Es geht doch nicht darum, kein Unze Rohstoffe mehr zu fördern, sondern darum die absurde Größe der Förderung und vor allem die damit verbundenen negativen Nebenwirkungen auf den Menschen, die Umwelt und das Klima zu verringern.
 
-> Problem 3: Das größte Problem bzw. der größte Denkfehler besteht jedoch meiner Meinung nach darin, dass Sie die von Ihnen genannten Chancen einer Verlagerung in den Dienstleistungssektor oder der Stärkung grüner Technologien sowie Kreislaufwirtschaften nur für Transformationsphasen betrachten. Solange diese Bereiche sich zusätzlich zur „herkömmlichen“ Wirtschaft entwickeln, erzeugen sie natürlich Wachstum.

Sie dürfen “die Wirtschaft” nicht als starres System betrachten. Wirtschaft ist immer dynamisch und seit der Mensch wirtschaftet gibt es einen fortwährenden Strukturwandel. Die Frage ist: Wie steuern/beeinflussen wir den ohnehin stattfindenden Strukturwandel? Und dazu liefert mir die “Postwachstumsökonomie” keine Antworten. 

-> Zudem sehe ich Ihre Argumentation als kontraproduktiv und wenig zielführend (um Sie mal zu zitieren), da sie in meinen Augen suggeriert, wir müssten in unserer Art und Weise zu wirtschaften im Grunde genommen nur A durch B ersetzen, um die Probleme in den Griff zu bekommen, was ich, vorsichtig ausgedrückt, für naiv halte. Sie bezeichnen die Wachstumskritiker als weltfremd und theoretisch abgehoben? Dann schauen wir doch einfach mal auf die tatsächlichen Entwicklungen.

Aber was ist denn bitte an der “Postwachstumsökonomie” produktiv? Ökonomen wird ja immer wieder vorgeworfen, ihre Modelle “ceteris paribus” – also isoliert und unter Ausschluss dynamischer Entwicklungen abseits des konkreten Modells – zu gestalten. Die “Postwachstumsökonomie” treibt dieses Prinzip auf die Spitze. Vielleicht bin ich ja auch zu “phantasielos”, aber mir fehlt hier jeder konkrete Ansatz, wie man eine solche Vision – unabhängig davon, dass ich sie ökonomisch für widersinnig halte – umsetzen könnte. Ich spitze mal ein wenig zu: Wären Postwachstumsökonomen Friedensaktivisten, würden sie die Proteste gegen Aufrüstung oder die Airbase Ramstein ablehnen und postulieren, der Mensch müsse erst einmal friedfertig und die Welt müsse komplett gewaltfrei werden. Aber wie das geschehen soll, verraten sie lieber nicht.

beste Grüße
Jens Berger


11. Leserbrief

Hallo Herr Berger,

grundsätzlicher Natur haben Sie natürlich recht. Gerne stimme ich Ihnen zu, wenn Wachstum momentan pauschal als Klimakiller und Totschlagargument der Anti-Kapitalismus-Bewegung angeführt wird.

Doch im folgend zitierten Abschnitt sehe ich das anders:

“[…]Aktuell trägt der Dienstleistungsbereich hierzulande mit 68,2% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Das Produzierende Gewerbe macht nur noch rund ein Viertel (25,8%) der Bruttowertschöpfung aus. Das heißt im Umkehrschluss, dass in der deutschen Volkswirtschaft drei Viertel der für das Wirtschaftswachstum relevanten Aktivitäten ohnehin nicht direkt mit einem Ressourcenverbrauch oder -gebrauch in Verbindung stehen. Natürlich agiert auch der Dienstleistungsbereich nicht im luftleeren Raum. Aber selbst überzeugten Postwachstumsideologen dürfte es nicht gelingen, einen kausalen Zusammenhang zwischen den wirtschaftlichen Entwicklungen von Bildungsträgern, Altenheimen, Gastronomiebetrieben, Werbeagenturen oder Medienkonzernen mit einem – vielleicht sogar linearen – Mehrverbrauch an endlichen Ressourcen herzustellen.[…]”

Der Dienstleistungssektor trägt sehr wohl zu einem Anstieg des Ressourcenverbrauchs bei. Dienstleistung – da stecken viele Branchenzweige dahinter, und seien es Zulieferer, Abnehmer des produzierenden Gewerbes (vor allem im Baugewerbe, siehe Erwin Thoma), Gewerbe mit wechseltätigem Einsatzgebiet wie der Elektrobranche oder die explosionsartige Expansion der Speditionslogistik. Alle sind dienstleistende Gewerbe, die durch die freimarktwirtschaftliche Spielplatzmentalität die Straßen verstopfen, dadurch panikartiges Agieren im Ausbau der Straßeninfrastruktur zur Folge hatten und haben, durch Großprojekte das Hantieren mit schädlichen Baustoffen in mannigfaltiger Auswahl begünstigt. Der Wachstumswahn hat auch zur Folge, dass Pendeln zur Normalität geworden ist, so weit expandiert, dass ostdeutsche/-europäische Wanderarbeit ebenfalls zur großen Belastung unserer hiesigen Infrastruktur beiträgt.

Der Rattenschwanz lässt sich gerade für den Dienstleistungssektor anwenden, mit einer “Vogelfrei-Politik” bzw. Deregulierung müsste der Staat eigentlich intervenieren, um die Wirtschaft zu bremsen, angefangen beim produzierenden Gewerbe, und dann noch den Freihandel eindämmen, damit Containerschiffe und unnötige Flüge nicht im großen Stil das Klima belasten. Der Bogen wurde weltwirtschaftlich schon so weit überspannt, dass man die sekundärwirtschaftlichen Folgen gar nicht mehr richtig wahrnimmt.

Mit besten Grüßen aus MA,
SW

Replik Jens Berger: Hallo Herr W,

schönen Dank für die Zuschrift. Mit Ihren Anmerkungen haben Sie natürlich Recht. Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass die ökonomische Definition von Wachstum nicht linear mit einem Mehrverbrauch von Ressourcen zu sehen ist. Der tertiäre Sektor eignet sich da m.E. besonders gut für eine Erklärung. Dass man auch da differenzieren muss, ist richtig und dass gerade im tertiären Sektor ordnungspolitische Maßnahmen und eine Steuerung über den Preis ansetzen müssen, natürlich auch. Da gibt es keinen Dissens.

beste Grüße
Jens Berger


12. Leserbrief

Sehr geehrte Nachdenkenseiten-Macher,

zu Ihrem Artikel …

muss ich sagen, dass ich selten so eine unausgegorene und offensichtlich illusionsgeprägte Haltung wie die von Herrn Flassbeck gesehen habe.

Gut er hat ein Argument: die Menschen, Wähler müssen mitmachen. Ja!

Aber woran liegt es denn, dass die Wähler nicht mitmachen? Herr Zuckermann hat ein paar Antworten (und überhaupt als einziger auf der Bühne einen stringenten Standpunkt). Die Naivität des Herr Flassbeck bezüglich der real existierenden Meinungsmanipulation scheint grenzenlos. Und wieso sollen die Kräfte, die heute die Meinungen zB in dem Sinne beeinflussen, dass alles kein Problem sei – AUßER DER GROßEN BUHMANN CO2 – und zum Glück haben wir ja gegen den ein Trumpf im Ärmel, Terrapower von Bill Gates und Co., – in hundert Jahren nicht ebenso für die Interessen der wenigen Reichen trommeln wie heute?

Es ist alles so durchsichtig. Aber ein Herr Flassbeck scheint sich lieber mit solchen Wortspielen zu beglücken, es gäbe DEN Kapitalismus nicht. Natürlich gibt es DEN Kapitalismus. Was aussieht wie Kapitalismus, riecht wie Kapitalismus, schmeckt wie Kapitalismus und läuft wie Kapitalismus IST Kapitalismus. Und Kapitalismus braucht Wachstum. Ob man das dann mit einem Täschungsbegriff wie “Entwicklung” verharmlost ändert Null und Nichts. Ein Wesenselement des Kapitalismus ist die Anhäufung, die Akkumulation. Warum weiß das ein Wirtschaftswissenschaftler nicht?

Warum werden solche Leuteverdummende Veranstaltungen ausgerichtet?

Ja, Zuckermann war der Lichtblick im Dunkeln. Vielleicht haben das auch die meisten gemerkt. Dann wäre das Ganze zu etwas gut gewesen.

Mit freundlichen Grüßen
Albrecht Storz


13. Leserbrief

Lieber Jens Berger,
liebes Team der NachDenkSeiten,

mit Freude las ich Ihren Beitrag „Es ist kontraproduktiv, Wachstum zu verteufeln – auch und gerade im Rahmen der Klimadebatte“. Ich stimme Ihnen, genauso wie Herrn Flassbeck, zu: Wachstum ist im Sinne eines gesunden Wirtschaftssystems und für die klimafreundliche Veränderung der momentanen Agenda keineswegs schädlich – ganz im Gegenteil.

In diesem Zusammenhang erscheint die Frankfurter Diskussionsrunde gleich aus drei Gründen interessant:

  1. Die angesprochene Bedeutung des Wachstums wird um die Frage nach den Ursachen für die zu beobachtende Handlungsunfähigkeit – trotz offensichtlicher Lösungen – ergänzt. Oder: Wieso unterstützen wir ein System, das die Interessen der deutlichen Mehrheit übersieht? Der in der Runde leider viel zu wenig beachtete Moshe Zuckermann bringt diesen Aspekt ein und liefert den Zuhörern Antworten (Angst vor Verlust, Befriedigung persönlicher Bedürfnisse, Abhängigkeit von anderen).
  2. Trotz der vielseitigen Problemstellung geht es für Herrn Flassbeck immer wieder um die Erhöhung der Preise in Verbindung mit einer gezielten Steuerung des Angebotes. Das ist in Ordnung, weil von Frau Herrmann auf verwirrende Weise bestritten. ABER: Die Art, in der sich Herr Flassbeck präsentiert – ganz im Gegenteil zur harmonischen, kooperativen Ulrike Herrmann – erweist sich als untauglich. Laut. Aggressiv. Besserwisserisch. Unfreundlich. Herablassend. Und ärgerlicherweise schafft er es auf Nachfrage nicht, seine Ansichten klar zu benennen. Stattdessen simple Ausreden (nicht in einer Minute zu erklären, bereits mehrfach darüber geschrieben). Möglicherweise muss auch er noch tiefer graben.
  3. Sind Ansichten und Erkenntnisse mehrheitsfähig, wenn deren Vertreter unsympathisch herüberkommen (wie sieht’s diesbezüglich eigentlich bei der Partei DIE LINKE aus?)? Und weiter, wie Moshe Zuckermann sagt: Müssen wir die offensichtlich richtigen Lösungen nicht auch nach den Spielregeln des gegebenen Systems anbieten und umsetzen; alternativ die Regeln ändern? Denn wie man – aus meiner Sicht: bedauerlicherweise – sehen kann, bewegt sich Herr Flassbeck sehr wohl auf ganzer Linie innerhalb des Systems, auch wenn er dies bestreitet. Er passte mit seinem Auftritt wunderbar in die im Video angesprochenen Fernsehformate.

Wie beim Klimawandel, so auch bei grundlegenden Fragen unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems: meist Stückwerk. Viel Aktionismus. Obwohl die Ressourcen vorhanden sind, scheitern wir an der Koordination.

Liebes Team der NachDenkSeiten, macht immer weiter so.

Mit besten Grüßen
Martin


14. Leserbrief

„Der Dienstleistungssektor kann immer nur zusätzlich zur Rohstoffwirtschaft existieren, nicht jedoch an ihrer statt. Daher haben Dienstleistungen einen nicht unwesentlichen Ressourcenverbrauch, der häufig zusätzlich zu dem von Waren –nicht an Stelle von diesem –gerechnet werden muss (aus Entkopplungsreport „Decoupling debunked–Evidence and arguments against green growth as a sole strategy for sustainability“ 2019 – EEB European Environmental Bureau)“

„Darüber hinaus ist die sogenannte Entmaterialisierung in den kapitalistischen Kernländern die Kehrseite der Produktionsverlagerung in die Peripherie beziehungsweise Semiperipherie, das heißt ein Indiz für die Umverteilung des Mehrwerts von der Peripherie und Semiperipherie ins kapitalistische Zentrum“ (aus „Das Märchen vom grünen Wachstum“, Seite 50, Bruno Kern, Rotpunktverlag)

„Dass dies einige wenige Soziologen und Wirtschaftsjournalisten aus dem Umfeld von taz und Co. anders sehen, ist erstaunlich, passt aber wohl zum linksliberalen Zeitgeist, der ökonomische und soziale Fragen hintanstellt und stattdessen lieber auf abstrakter Ebene verschrobene Theoriedebatten in Parallelwelten führt, in denen ökonomische Gesetzmäßigkeiten nicht mehr gelten. Das mag für die Beteiligten ja als sinnstiftend und intellektuell befruchtend wahrgenommen werden – der gesellschaftlich nötigen Debatte erfüllen derart weltfremde Gedankenspiele aus dem Elfenbeinturm jedoch einen Bärendienst und stellen vor allem für progressive Anstöße einen Stolperstein dar.“ (Jens Berger in NachDenkseiten, „Es ist kontraproduktiv, Wachstum zu verteufeln – auch und gerade im Rahmen der Klimadebatte“, 02.10.2019)

Mein Text:

Dieser letzte Textauszug aus den Nachdenkseiten ist der ideologischte, manipulativste, propagandistischte, populistischste, sektiererischte, verschrobenste und weltfremdeste Text, den ich seit langem gelesen habe. Und er erscheint ausgerechnet in den NachDenkseiten, deren Herausgeber gerade ein Buch mit dem Titel „Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst“ veröffentlicht hat. Er steht am Ende eines Textes, der falsch ist, weil er nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.

Ich kenne keinen Text aus dem Umfeld der Postwachstumsbewegung, der sich gegen Innovation und Kreativität wendet. Diese beiden Merkmale sind ja geradezu notwendig, wenn man gegen das Wachstumsdogma der gegenwärtigen kapitalistischen Produktionsweise ankämpft. Klar ist auch, daß eine postkapitalistische Wirtschaft und Gesellschaft dynamisch sein muß; denn sie muß einerseits Altes, Überflüssiges und Schädliches beseitigen, andererseits aber auch Neues schaffen, z. B. viele, viele kleine Dorfläden statt gigantischer Einkaufspaläste in den urbanen Zentren. 

Klar ist aber auch, daß die Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch noch nie funktioniert hat, nicht funktioniert und auch nie funktionieren wird. Diese Erkenntnis findet sich nicht nur bei der Postwachstumsbewegung, sondern auch in inzwischen zahlreichen Studien, von denen ich oben nur die des “European Environment Bureau“ anführe. Und für Dienstleistungen gilt, was ich in beiden Zitaten anführe: auch sie sind in der Regel mit der Zunahme von Ressourcenverbrauch verbunden. Wenn man nun noch bedenkt, daß es heute schon vier Erden bräuchte, wenn alle lebenden Menschen so viele Ressourcen verbrauchen würden wie die etwa 40 % wohlhabendsten Bewohner*innen der 20 reichsten Industrieländer, läßt sich leicht ausrechnen, daß der Ressourcenverbrauch in diesen Industrieländern und dieser Verschwendungseliten und damit die gesamte industrielle Herstellung von Produkten und Dienstleistungen um etwa 70 bis 80 Prozent verringert werden muß. Dies wird entweder freiwillig durch die Menschen selbst geschehen oder der Planet wird es erzwingen. Begonnen hat dieser Prozeß des Erzwingens ja schon, mit der Klimaerhitzung und allen anderen bekannten Krisenerscheinungen.

Mit freundlichen Grüssen
Werner Kolb


15. Leserbrief

Sehr geehrter Jens Berger,

was ich in Ihrer Darlegung völlig vermisse, ist eine antikapitalistische Sichtweise. Denn für viele Linke ist nicht der Preis, sondern der Profit (Mehrwert) die Triebfeder für Wachstum im Kapitalismus. Der kommt bei ihnen jedoch gar nicht vor. Eher erinnert mich Ihre Position zu Kreativität und Innovation an die FDP oder jüngst an Frau Merkel, die mit dem Verweis auf Innovationen fehlende konkrete Ziele zur geforderten Schadstoffreduzierung entschuldigen wollte. Auch sparen sie die für den Kapitalismus typische Konkurrenz aus. Und die läuft nun mal stark über den Preis in einer Marktwirtschaft. Ihre Idee einer Kreislaufwirtschaft muss man sich leisten können (siehe Autoindustrie mit ihren E-Mobilien) Die Hoffnung auf einen grünen Kapitalismus ist nur leider trügerisch. Die Vorstellung, Eliten werden es schon richten, hat sich als Trugschluss entpuppt – auch und gerade bei der Nachhaltigkeit. Das beweisen Sie mit Ihren Hinweis, dass der Dienstleistungsbereich hierzulande mit 68,2% zum BIP beiträgt, sogar selbst. Denn warum ist trotzdem die Schadstoffbelastung nicht nur so hoch, sondern sogar gestiegen? Ganz einfach: Es geht auch im Dienstleistungsbereich nicht nur um eine immaterielle Werterzeugung (was gestandenen Marxisten übrigens klar ist). Ein Krankenhaus z.B. muss gebaut, gewartet, beheizt, beleuchtet, die Kranken transportiert, operiert und versorgt werden. Es geht also nirgends ohne Produktion und die wächst natürlich mit der Zunahme von Dienstleistungen (allein die Digitalisierung soll einer der größte Energiefresser sein). Auch der Rückgang an Beschäftigung in der deutschen Landwirtschaft hat die Energie von Menschen nur durch fossile Energiefresser ersetzt. Zumindest unter kapitalistischen Verhältnissen, geht es auch gar nicht anders. Gerade “ökonomisch betrachtet”, ist Wachstum nicht nur “mehr Wirtschaftsleistung in einem bestimmten Zeitraum”, sondern auch mehr Energieverbrauch. Die Frage ist nur: von welcher Art Energieerzeugung? Und dem Bedarf anbetracht des Wirtschaftswachstums, wobei weniger Energiebedarf durch Massenentlassungen wohl auch nicht als Lösung zu begrüßen sind. Der Kapitalismus erfand nicht das Wachstum, sondern war dessen Produkt, wie sich im Wachstum heute – inkl. der Krisen – der Kapitalismus darstellt.

Natürlich wäre auch der “schlimmste” Kapitalist nicht gegen mehr Klimaschutz. Aber nur wenn es ihm nichts kostet und er daran verdient. Das Problem ist nur: Heute geht es eben auch um Kosten für Klimaschutz. Und wer soll sie tragen? Anbetracht des kapitalistischen Grundprinzips Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren, wundere ich mich schon, wie jemand auf eine Lösung über den Preis kommt. Der hohe Anteil an Dienstleistungen ist übrigens auch Ausdruck von hoher Monopolisierung mit entsprechendem Monopolpreisen (Stichwort “Plattform-Kapitalismus”) und damit verschärfter Konkurrenz (Leidtragende sind die “Kleinen” und nicht genug ausbeutbaren Dienstleistungen bei “unproduktiven” Kranken und Alten). Aber auch die Zunahme von Armut und prekärer Beschäftigung sind Resultat kapitalistischen Wachstums (besonders dank Schröders Agenda). Zugegeben – es war bisher stets kapitalistisches Wachstum, was nun zu einer Klimakatastrophe führen kann. Aber wenn etwas an einer Wachstumsdebatte kontraproduktiv ist, dann die Isolierung des realen Wachstums vom Kapitalismus, seiner Basis. Was wir heute als so bedrohlich erleben, ist eben Wachstum als adäquater Ausdruck des Kapitalismus – auch wenn das nicht nur Ihnen überhaupt nicht behagt. Verständlich: Denn Kapitalismus war auch ein Fortschritt, wenn auch begrenzt, wie man nun sieht bzw. zumindest erahnt (außer man ist AfD-Sympathisant).

MfG
Armin Kammrad


16. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger,

es geht doch in der Diskussion nicht um den Gegensatz von Wachstum und Nachhaltigkeit. Es geht darum, ob wir, die Menschen in der westlichen Welt, mit unserer Lebensweise den Planeten zerstören oder ob wir dazu fähig sind, diesen Planeten für unsere Nachkommen, als lebenswerten Ort zu erhalten.

Das Wachstum, welches gemeint ist, ist nicht ausschließlich das Wachstum von “Immer mehr vom Gleichen”. Wobei wir ja eben genau dies seit 200 Jahren machen. Wir produzieren immer und immer wieder die gleichen Dinge. Sicherlich in verschiedenen technischen Ausprägungen, jedoch bleibt ein Telefon ein Telefon oder ein Computer ein Computer oder ein Auto ein Auto.

“Den Kapitalismus” gibt es nicht – wie nennen wir dann unser Gesellschaftssystem? Den Zinseszinsismus? Und weil der Erwerb der Banane in der DDR so schwierig war, nennen wir das Gesellschaftssystem den Bananenismus?

Worum geht es denn in dieser Gesellschaft bzw. in diesem Wirtschaftssystem?

Doch vornehmlich um Geld. Genauer: Es geht darum, dass aus Kapital mehr Kapital wird. Und weil das so ist, wird dieses Gesellschafts- und Wirtschaftssystem Kapitalismus genannt.

Unsere Art zu leben verschlingt Unmengen an Energien. Egal was wir tun, es braucht Energie. Das vielleicht als Fundament der Diskussion.

“Einen wie auch immer gearteten direkten Zusammenhang mit einem Mehrverbrauch nicht regenerativer Rohstoffe gibt es nicht.” – Doch den gibt es. Konkret können Sie sich den Zusammenhang anschauen, wenn Sie sich mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland beschäftigen. Hier sehen Sie, dass es für Deutschland von absoluter Notwendigkeit war die Kohle aus der Erde zu holen. Auch in China können Sie sich diesen Zusammenhang ansehen. Der

Wohlstand der Menschen in China geht Hand in Hand mit einem Mehrverbrauch an Rohstoffen. Auch Russland lebt von unserem Verbrauch an nicht regenerativer Rohstoffe. Die USA möchte auch gerne ihre nicht regenerativen Rohstoffe in Europa verkaufen.

Weitere Informationen dazu finden Sie dort:

deutsche-rohstoffagentur.de/DE/Gemeinsames/Produkte/Downloads/Commodity_Top_News/Rohstoffwirtschaft/58_BRIC-Rohstoffverbrauch.pdf?__blob=publicationFile&v=5

(Zwischen “?” und blob ist ein doppelter Unterstrich.)

Und nicht zu vergessen Brasilien. Hier können Sie sich den Zusammenhang am lebenden Objekt ansehen. Der Regenwald wird abgefackelt um mehr Fläche für den Anbau von Sojabohnen und mehr Weidefläche für die Rinder zu erhalten. Gemacht wird dies – um zu wachsen.

Nur weil irgendwo irgendwer eingestellt wird, ändert sich noch nicht das BIP. Das BIP ändert sich erst, wenn aus den Einstellungen eine Nachfrage erzeugt wird. Der frisch eingestellte Lehrer sich jetzt den neuen Computer kauft oder für den Arbeitsweg ein Auto bestellt wird. Erst jetzt würde ein Produktionsprozess einsetzen und damit Wachstum generiert.

Des Weiteren benötigen die Lehrer natürlich einen Raum in dem sie unterrichten. Diesen Raum nennen wir einfach Schulgebäude. Dieses Schulgebäude muss natürlich mit entsprechendem Mobiliar und allerlei technischen Dingen ausgestattet sein. All diese Anforderungen erzeugen Nachfrage und damit Wachstum. Nicht zu vergessen ist, dass all die Dinge natürlich auch vom Ort der Herstellung zum Schulgebäude transportiert und dort auch an der richtigen Stelle fachmännisch eingebaut werden müssen. DieseFachmänner benötigen Werkzeug, welches sie auch in einem Unternehmen bestellen. In diesem Unternehmen werden auch verschiedentliche Bestell- und Produktionsprozesse ausgelöst. All diese bestellten und produzierten Dinge müssen dann auch noch zum jeweiligen Besteller transportiert werden.

Die Fachmänner transportieren diese Werkzeuge dann noch zum Schulgebäude um dort ihre jeweiligen Aufträge abzuarbeiten.

Bei Spotify sind die Dinge ähnlich. Auch hier muss Spotify auf eine erhöhte Nachfrage reagieren. Spotify wird dann sicherlich mehr Server in seine Rechenzentren stellen. Auch diese Server müssen produziert und transportiert werden. (Hierbei ist es egal ob diese Server nun von Spotify selbst oder von einem Cloudbetreiber betrieben werden.) Steigt die Nachfrage weiter, werden, um den Traffic zu reduzieren, auf dem Kontinent der die hohe Nachfrage erzeugt, neue Rechenzentren gebaut. (Auch hier gilt: Egal ob Spotify oder ein Cloudbetreiber die Server zur Verfügung stellt, es werden mehr Server benötigt.) Dies kann sich bspw. für Google, hier angesehen werden:

google.com/about/datacenters/location/

Ein Beispiel für einen Dienst ohne eigenes Rechenzentrum:

heise.de/ix/meldung/Verzicht-auf-eigene-Rechenzentren-Netflix-setzt-auf-die-AWS-Cloud-3101392.html

Hier muss dann der Cloudbetreiber für die benötigten Festplatten (in Servern) sorgen.

Des Weiteren benötigt Spotify natürlich auch eine Infrastruktur zum Kunden hin. Wir nennen diese Struktur “Internet”. Dieses Internet ist eine Ansammlung von, vereinfacht gesagt, Kabeln und Rechenzentren. So ein richtig dicker Brummer davon befindet sich in Frankfurt am Main. Der DE-CIX.

Der Betreiber stellt auch eine nette Statistik für die Öffentlichkeit bereit. Angesehen werden kann diese dort:

de-cix.net/de/locations/germany/frankfurt/statistics

Weitere Informationen zu den so genannten Internet-Knoten gibt es dort:

de.wikipedia.org/wiki/Internet-Knoten

Es ist unschwer zu erkennen, dass all diese Dinge eben doch einen Mehrverbrauch an Energie bewirken. Und mit diesem Mehrverbrauch geht zur Zeit auch eine erhöhte CO2-Produktion einher. (Um die es unter anderem auch geht.) Das kann man nun unsinnig finden oder eben auch nicht. Es ändert jedoch nichts am Fakt.

Kommen wir nun zur Nachhaltigkeit oder dem Recycling von Rohstoffen. Bevor wir irgendetwas recyceln können, müssen wir etwas haben zum Recyceln. Dies kann ein Mobiltelefon sein oder die angesprochene Tonne Papier.

Will ich bspw. eine Zeitung drucken, muss jemand Papier verbraucht haben. Dieses Papier fällt nicht vom Himmel, sondern Bäume müssen zuvor gefällt werden. Dann wird das Papier in irgendeiner Form vernutzt und danach dem Recycling zur Verfügung gebracht. Nun wird dieses Papier durch verschiedene Prozesse, für die Herstellung von bspw. Zeitungen, nutzbar gemacht. Diese Prozesse erfordern natürlich auch Energie.

wertstoffblog.de/2016/01/20/wie-steht-es-um-die-energieeffizienz-in-der-recyclingwirtschaft/

Es muss ein Gebäude erstellt werden. Dieses muss mit Maschinen ausgestattet werden. Das Papier muss von A nach B transportiert werden usw. usf. All diese Prozesse erfordern Energie. Hinzu kommt, dass eben nicht alle Produkte beliebig oft recycelt werden können. Diese müssen also irgendwann wieder aus der Erde gebuddelt werden. Wer glaubt nun, dass diese Einrichtungen von einem Buddelvorgang bis zum nächsten Buddelvorgang ungenutzt irgendwo in der Landschaft rumstehen und darauf warten wieder eingeschaltet zu werden?

Es ist ein nie abreißender Strom an Energie nötig. Daraus resultierend ist es ein nie abreißender Strom an CO2.

Müssen nun Wachstum und Umweltschutz ein Zielkonflikt sein? Die Frage ist, meiner Meinung nach, schon völlig falsch. Die Frage muss lauten: Wozu brauchen die Menschen überhaupt dieses Wachstum? Und: Worum geht es bei diesem Wachstum?

Zur Erinnerung: In den Freihandelsabkommen wird eine Verbesserung des Umweltschutzes als Verstoß gegen den Investitionsschutz angesehen.

Warum wehren sich Unternehmen gegen Umweltauflagen? Weil sie einen Verlust an Gewinn (Profit) befürchten. Die Empfänger der Dividende befürchten Verluste an Dividende.

Wer sind die Empfänger der Dividenden?

Früher waren es nur die Banken, heute sind es auch die Renten- und Lebensversicherungen und die Vermögensverwalter. Auch die Sparer wollen eine Dividende – die Zinsen. (Es gibt noch weitere Empfänger von Dividenden.) Damit sind wir auch schon beim eigentlichen Problem. Zinsen und Dividenden.

Jetzt könnte ich hier eine Abhandlung über den Zusammenhang von Wachstum und Schulden und Energieverbrauch und daraus resultierend dem Ausstoß von CO2 niederschreiben. Möchte ich nicht, weil dies schon alles hunderte Bücher füllt. Für den, der an diesen Zusammenhängen interessiert ist, ist diese kurze Liste:

  • Naomi Klein – Kapitalismus vs. Klima
  • Jason Hickel – Die Tyrannei des Wachstums
  • Michael Hudson – Finanzkapitalismus
  • Fabian Scheidler – Das Ende der Mega Maschine

In diesem Zusammenhang auch interessant, ist das Buch “Schulden” von David Graeber und von John Perkins “Bekenntnisse eines Economic Hit Man” (Erweiterte Neuausgabe).

Wer keine Lust oder Zeit zum Lesen hat, der schaut sich die Arte-Dokumentation “System Error” an. Diese ist zu finden auf youtube.com

Nun, ich denke, dass ich als (denunzierter) Postwachstumsideologe den kausalen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung von Bildungsträgern … und einem Mehrverbrauch von endlichen Ressourcen herstellen konnte. Jedes menschliche Handeln erfordert Energie. Egal ob Panzer oder Häuser gebaut werden, ob Pakete oder die Krankenschwester befördert werden muss, alles funktioniert nur mit Energie. Und so wie alles Energie erfordert, produziert eben auch alles Handeln CO2. Doch es ist eben nicht nur das CO2. Es sind auch die Gifte die wir auf die Äcker sprühen oder die Flächen an Wald die vernichtet werden, um auf den freiwerdenden Fläche Rinder weiden zu lassen oder Gemüse für den Export anzubauen.

Wiederaufbereitung zählt im Übrigen zu den energieintensiven Industriezweigen dieses Wirtschaftssystems.

Schon allein wenn Sie daran denken, dass der, für die Herstellung von Beton erforderliche, Sand knapp wird, bekommen Sie eine Ahnung davon wie sich unser Handeln auf die Umwelt auswirkt.

reset.org/blog/sand-%E2%80%93-das-gelbe-gold-und-seine-schattenseiten-08232017

Auch die Digitalisierung wird nicht die Rettung bringen. Mehr dazu in der Wochenzeitung “Kontext” Ausgabe 411 (Digital first, Planet second). Oder dort:

youtube.com/watch?v=h-JEpI57Fy0

In diesem Zusammenhang ist auch das Buch von Jared Diamond “Kollaps”, hier im Besonderen das Kapitel 15 “Großkonzerne und Umwelt”, interessant.

Die westliche Welt stünde heute nicht dort wo sie steht, weil sie die Umwelt geschützt hat oder sich ganz dolle um Sozialstandards bemühte. Die westliche Welt steht deswegen ganz oben auf der Leiter, weil sie den Raubbau an der Umwelt und das Abschlachten von Menschen, nicht nur perfektioniert hat, sondern schon vor langer langer Zeit hier in Europa und in den Kolonialländern betrieben hat und auch noch heute betreibt.

Dass was heute in Brasilien mit dem Regenwald geschieht, geschah bei uns mit der Etablierung des Kapitalismus vor 200 Jahren und der Kolonialisierung der Welt, beginnend vor 600 Jahren. Sämtliche Abfälle wurden in die Flüsse gekippt, egal wie giftig diese waren.

Denken Sie in diesem Zusammenhang an die Verklappung des Atommülls in die Meere. Mehr Informationen gibt es dort:
de.nucleopedia.org/wiki/Liste_von_Verklappungen

All diese Verbrechen flossen und fließen übrigens ins BIP ein. So wie andere Verbrechen eben auch. Denken Sie an Terrorismus oder einfach nur an Verkehrsunfälle. Ganz nebenbei vielleicht noch: Krieg treibt das BIP so richtig nach oben. Ist schon ein toller Gradmesser, dieses BIP.

welt.de/wirtschaft/article172017778/Konjunktur-Das-BIP-hat-den-Bezug-zur-Wirklichkeit-verloren.html

Neben dem oben genannten kommt auch noch das Problem mit dem schier grenzenlosem Wachtum der Weltbevölkerung hinzu. Das immer mehr Menschen auf einem begrenzten Platz, irgendwann zu unlösbaren Problemen führt, sollte auch ersichtlich sein. Dieses Wachstum der einen Spezies führt zwangsläufig zur Einschränkung des Lebensraumes der anderen Spezies.

Isaac Asimov “Die gute Erde stirbt” (Anfang der siebziger Jahre):

— In der Tat, zum erstenmal hat die Menschheit ihre Grenze erreicht: begrenzt werden muß die Bevölkerungszahl, die Beanspruchung der Naturvorkommen, die Abfallerzeugung und der Energieverbrauch. Die Aufgabe lautet ganz allgemein: zu erhalten. Wir müssen die Umwelt erhalten, die Verhaltensformen, die zur Konsistenz und Lebenfähigkeit der Biospäre beitragen, die Schönheit und die Harmonie.

—Kam in den 1970’er Jahren ein Gefühl für das Erreichen von Grenzen auf, so können wir heute feststellen, dass alle Grenzen überschritten sind.

Noch einmal Asimov:

— Wer weiterdenkt, muß auch in Rechnung stellen, daß der Mensch in seiner wachsenden Beunruhigung maßlose Anstrengungen macht, alle technologischen Mittel zu mobilisieren, und zwangsläufig damit die Umwelt noch weiter verschmutzt, mithin auch ihre Fähigkeiten reduziert, die Menschen im Ganzenzu erhalten. —

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass jegliches vom Menschen gemachtes Wachstum und der Verbrauch von Rohstoffen nicht zu trennen ist.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld.

Mit freundlichen Grüßen
Jan Skalla

P.S.
Herr Trenkle hat zu diesem Thema einen sehr guten Artikel verfasst. Hier werden noch verschiedene Rebound-Effekte dargestellt.
krisis.org/2019/lizenz-zum-klima-killen/


17. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger

Mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel zum Thema Wirtschaftswachstum vs. Nachhaltigkeit gelesen.
Leider hat der Artikel für mich keine Argumente enthalten, die die von Ihnen aufgestellte These, dass nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum möglich sei, nachvollziehbar machten.

Dies mag vielleicht an meinen laienhaften Vorstellungen zur Definition bzw. Bedeutung der von Ihnen verwendeten Begrifflichkeiten liegen. Daher meine aufrichtig gemeinten Fragen:

  1. Wachstum im Dienstleistungssektor: ich denke bei Dienstleistungen an Friseure, Lehrerinnen, Angestellte der Verwaltung. Wie sieht hier konkret Wachstum aus – ständige Lohnerhöhungen können ja wohl kein Indikator für Wachstum sein (das BIP steigt zwar nominal, aber wohl eben nicht real). Somit könnte hier doch nur eine Steigerung der Produktivität (Arbeit pro Zeit) gemeint sein – oder verstehe ich das falsch? Eine Produktivitätssteigerung ist bei den oben genannten Berufen allerdings prinzipiell nicht möglich (immer mehr Haarschnitte pro Zeit / immer mehr Schüler pro Klasse).
  2. Wachstum im produzierenden Gewerbe: Nehmen wir einmal an, es wäre gelungen, unsere Wirtschaft (in Deutschland) komplett nachhaltig zu gestalten: Die Energieversorgung ist 100% regenerativ, die Rohstoffwirtschaft ist bei einer nahezu vollständigen Kreislaufwirtschaft angekommen (100%iges Recycling der nicht nachwachsenden Rohstoffe sowie ein Verbrauch der nachwachsenden, der nicht über die Geschwindigkeit des Nachwachsens hinausgeht) und die Bevölkerungszahl ist stabil. Wie würde in diesem System das Wachstum aussehen?

Quantitativ ginge ja nicht – die Gesamtmenge an Rohstoffen pro Person ist ja limitiert und damit entfällt die Möglichkeit, immer mehr Dinge pro Person anzuhäufen bzw. zu verkonsumieren. Stattdessen die Produktzyklen ständig zu verkürzen (man kauft sich das jeweils neue Auto nicht mehr alle 7 Jahre sondern alle 2 Jahre und irgendwann monatlich), wäre ebenso unmöglich.

Wie also sähe dann qualitatives Wachstum aus? Wenn der Funktionsumfang und Gebrauchswert beispielsweise meines Smartphones mit jeder Modellgeneration zunimmt, obwohl ich jedes Jahr das gleiche dafür bezahle: handelt es sich dann aus volkswirtschaftlicher Sicht um Wachstum (das BIP steigt ja nicht an), oder nicht einfach nur um technischen Fortschritt?

Kleine Anmerkung zum Schluss: selbst wenn die globale Bevölkerung nicht weiter wachsen würde, könnte der pro Kopf Rohstoffgebrauch der Menschen in den Industrienationen in den derzeitigen Schwellen- und Entwicklungsländern nicht umgesetzt werden: die hierfür noch aus der Erde zu holenden Rohstoffe (Zement, Stahl, Kupfer, Aluminium, Lithium etc.) stehen nicht in dieser Menge zur Verfügung. Ergo müssten wir in Europa ohnehin zugunsten der anderen unseren Rohstoff-Footprint auch in einer komplett nachhaltig gestalteten Welt reduzieren.

Vielleicht könnten Sie zu diesen Überlegungen (und den eventuell zugrunde liegenden Missverständnissen) einige etwas detailliertere Anmerkungen oder Ergänzungen zu Ihrem Artikel veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Ralph Feltens

Sehr geehrter Herr Berger

Nachtrag: praktisch zeitgleich zu Ihrem Artikel veröffentlichte der BUND eine Mitteilung (sowie weiterführende links) zu den Ergebnissen einer Studie bezüglich der eines “grünen” Wachstums und der Möglichkeiten, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch einerseits sowie Ressourcenextraktion und Umweltbelastung andererseits zu entkoppeln.

bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/news/zum-mythos-des-gruenen-wachstums/

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Ralph Feltens


18. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger,

Mit Ihrer Aussage vom 2.10.19, dass sich Wachstum nicht nur auf Konsum beziehen soll, sondern vor allem auf die Lebensbedingungen, stimme ich zu. Da gibt es noch einige Wachstumsbedürfnisse für gutes Leben für alle, die mit weniger Ressourcenverbrauch erreicht werden können. Aber für den Produktionssektor wird eine geschlossene Kreislaufwirtschaft nur mit sinkendem Verbrauch möglich. Bei jedem Rezyklierverfahren gibt es Verluste, auch bei den wertvollen Materialien Gold, Platin, Kupfer, Tantal, Kobalt… Selbst bei den hohen Rezyklierraten von Aluminium gibt es mindestens 2% Verlust pro sekundärer Wiederverwertung (nach 34 Kreisläufen ist nur mehr die Hälfte verfügbar). Derzeit steigt der Verbrauch an Aluminium um ca.5% pro Jahr, aber für eine vollkommene Kreislaufwirtschaft müsste er um 2% pro Jahr sinken. Ähnlich ist es bei Eisen, wobei es hier relativ hohe Oxidationsverluste gibt. Bei Kunststoffen ist mit 50% nicht wiederverwertbaren Verlusten zu rechnen. Auch Papier ist nicht 100% rezyklierbar, aber Bäume wachsen nach. Also bei der Warenproduktion braucht es nicht nur Kreativität, sondern tatsächlich Degrowth.

Dass in Europa der großteils bloß energieverbrauchende Dienstleistungssektor, abgesehen von den hardware Investitionen, die Wertschöpfung dominiert, verschweigt die ressourcenverschlingenden Importe. Ihr Glaube an die Kreislaufwirtschaft, insbesonders der globalen, ist irreal oder in Ihrer Ausdrucksweise Unsinn.

Mit freundlichen Grüßen
H.Peter Degischer


19. Leserbrief

Hallo Herr Berger,

Das Wachstum nur im Zusammenhang mit dem BSP zu betrachten lenkt von den eigentlichen Problemen : nämlich Ressourcenverbrauch, Umweltzerstörung durch Raubbau, Landschaftsverbrauch und Treibhausgasemissionen, ab.

Immerhin hat die Produktion noch einen Anteil von 26,8% am BSP und trägt maßgeblich zu den oben genannten Problemen bei. Wir brauchen nur nach Südamerika zu schauen, wo z.B. Lithium für den Batteriebau für Elektroautos ganze Landstriche zerstört und damit der indigenen Bevölkerung die Lebensgrundlagen nimmt. Ähnlich verhält es sich bei der Textilproduktion, wo die Umsatzrate der Produkte sich vervielfacht hat.

Man braucht sich nur im eigenen Umfeld umzuschauen, wie immer mehr Naturflächen durch Bebauung und Versiegelung verloren gehen, von der Zunahme des Verkehrs ganz zu schweigen.

Das bessere Umweltschutzmaßnahmen, Ausbau des ÖPNV, mehr Pflegeeinrichtungen und mehr Bildungseinrichtungen zum Wachstum beitragen ist völlig klar.

Es darf aber nicht der Eindruck erweckt werden, dass Hinweise darauf, dass die westlichen Ökonomien über ihre Verhältnisse auf Kosten der Zerstörung unseres Planeten leben, mit der (ökonomischen) Realität nichts zu tun haben.

Rolf Urban, Glinde (Holstein)


20. Leserbrief

Lieber Jens Berger,
 
ich bin, wie manch andere offenbar auch, ein wenig – sagen wir erstaunt über diesen Artikel, den ich von Ihnen so nicht erwartet hätte.

Genauso wenig korrekt wie das Axiom: Ressourcenschutz und Kreislaufwirtschaft kann es NUR OHNE Wachstum geben, ist Ihr genau gegenteiliges Axiom. Beide Argumentationen tappen notwendigerweise in die Falle des Zirkelschlusses.

Somit eröffnen bzw. gestalten Sie eine wichtige Diskussion leider logisch verschoben. Die Diskussion kann ja nicht lauten: Kann es den notwendigen Wandel nur mit oder nur ohne Wachstum geben? Denn partielles Wachstum, wie von Ihnen beispielhaft benannt, lässt sich wohl nicht vermeiden. Die Frage ist m. E. aber vielmehr: Brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Art wie wir wirtschaften, weg vom Motor Wachstum und der Motivation Gier? Gesamtsystemisch gesehen kann das Ziel von Kreislaufwirtschaft in diesem Sinne ja nur Wachstumsverzicht sein. Diese Sicht schließt Kreativität, Innovationen und gesellschaftliche Dynamik ausdrücklich ein aber Motor und Paradigma des Wirtschaftens sind ganz bewußt andere.

Wenn Sie nun in Kategorien des gesamtwirtschaftlichen Wachstums und im Glauben an die Lenkungsfunktion des Preises (wann hätte er je maßgeblich und nachhaltig zum Wohle des Ressourcenschutzes gewirkt?) in Richtung Kreislaufwirtschaft argumentieren, dann begeben Sie sich in den selbst produzierten Zirkelschluss. Ein solcher allerdings ist für jede Debatte kontraproduktiv.
 
Ich hoffe auf einen weiteren Beitrag von Ihnen zu diesem Thema und freue mich weiterhin auf alle Ihre Beiträge!
 
schöne Grüße
Michael Vogt
Bochum


Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten

Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff.

Es gibt die folgenden Emailadressen:

Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“.


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=55464