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Titel: Sogar die Covid-19-Krise wird von der EU geopolitisch genutzt. Eine spezielle EU-Einsatztruppe für die politische Kommunikation Richtung Osten behauptet, Russland desinformiere absichtlich.

Datum: 23. März 2020 um 7:46 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Strategien der Meinungsmache
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Christian Müller / 22. Mär 2020 – Es gibt nichts, das es nicht gibt. So gibt es zum Beispiel die «East StratCom Task Force» seit 2015. Sie ist Teil des «European External Action Service (EEAS)», hat ein Jahresbudget von 3 Millionen Euro und beschäftigt 16 Leute vollamtlich. … Dieser interessante Beitrag ist von Info Sperber übernommen – mit großem Dank an die Kollegen.

Eine «Task Force» ist eine Einsatztruppe. «StratCom» ist die Abkürzung für «Strategische Kommunikation». «East» zeigt, gegen wen diese strategische Kommunikation gerichtet ist: gegen Osten, sprich: gegen Russland.

Und was genau macht die «East StratCom Task Force»?

«Die Task Force entwickelt Kommunikationsprodukte (!) und -kampagnen, die darauf ausgerichtet sind, die EU-Politik in den Ländern der ‹Östlichen Partnerschaft› (Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldawien und Ukraine) besser zu erklären. Sie arbeitet eng mit den EU-Institutionen und den EU-Delegationen in den Ländern der ‹Östlichen Partnerschaft› zusammen. Die Task Force unterstützt in enger Zusammenarbeit mit anderen EU-Akteuren die umfassenderen Bemühungen der EU zur Stärkung des Medienumfelds in der Region der ‹Östlichen Partnerschaft›. Die Task Force berichtet und analysiert Desinformationstrends, erklärt und entlarvt Desinformationsberichte und sensibilisiert für Desinformationen, die vom russischen Staat, aus russischen Quellen und aus dem Medienraum der östlichen Nachbarschaft stammen.»

So der Text auf der Website «euvsdisinfo.eu», dort allerdings in Englisch.

Das könnte man auch kürzer und einfacher formulieren: Die «East StratCom Task Force» tut alles, um die politische Information in jenen Ländern, die an Russland grenzen, aber (noch) nicht in der EU sind, zu überwachen und zu steuern.

Die Covid-19-Krise als Beispiel

Jedermann hat es in den letzten drei Wochen in den Medien gelesen, gehört oder gesehen: Die Meinungen über die Covid-19-Krise gehen selbst unter renommierten Ärzten, Virologie- und Epidemie-Spezialisten weit auseinander. Viele warnen vor dem Virus und fordern noch härtere Massnahmen, etwa der Zürcher Uni-Spital-Arzt Adriano Aguzzi. Andere warnen vor der Panik und rufen zu mehr Besonnenheit und Zurückhaltung auf, in extremer Weise etwa Dr. Rolf Kron aus Bayern oder der an der Johns-Hopkins-University in Epidemiologie ausgebildete Spezialist Dr. Wolfgang Wodarg. Die freien Medien und nicht zuletzt die Social Media verbreiten alle denkbaren Beurteilungsvarianten. Die Meinungen gehen weit auseinander, die Information innerhalb der EU ist breitgefächert.

… und in Russland?

Wer russisches Fernsehen schaut oder russisches Radio hört, der weiss es: Auch in Russland gingen und gehen die Meinungen über die Gefahren von Covid-19 weit auseinander. Es gibt Experten, die warnen vor der Gefahr des Virus, und es gibt Experten, die warnen vor der Panik. Auch in Russland ist die Bandbreite der Beurteilungen gross. Nicht anders als innerhalb der EU.

Das hat offensichtlich auch die «East StratCom Task Force» gesehen. Was aber schliesst sie daraus? In einem speziellen Artikel zur Covid-19-Krise schreibt sie unter anderem:

«Die wichtigste Aufgabe für jede Art von Botschaft, die von kremlfreundlichen Medien an ein internationales Publikum gesendet wird, besteht darin, Zwietracht zu säen. Pro-Kreml-Desinformationsstellen überschütten das Zielpublikum mit Dutzenden verschiedenen Aussagen, Versionen, Erklärungen, ‹Leaks›, ‹sensationellen Enthüllungen› und Verschwörungstheorien. All dies zielt darauf ab, das Vertrauen in die Bemühungen des Gesundheitssystems, der Behörden, der nationalen und internationalen Institutionen zu mindern. Panik und Misstrauen zu säen, ein Bild eines bevorstehenden Zusammenbruchs zu schaffen, einen Zusammenbruch von Institutionen anzudeuten. Da behauptet die eine Informationsquelle, dass die Informationen über das Coronavirus übertrieben sind, die andere, dass wir vor der Apokalypse stehen.»

Unterschiedliche Meinungen: im Westen ein Zeichen für Demokratie, in Russland gezielte Desinformation

Warum unterschiedliche Meinungen zur Covid-19-Krise in der EU und in Russland etwas ganz anderes sind, erklärt im gleichen Artikel die «East StratCom Task Force» so:

«Die kremlfreundlichen Desinformationsstellen versuchen nicht, ‹eine Idee zu verkaufen›, sondern das Publikum zu verwirren. Während die Journalisten seriöser Nachrichtenagenturen Quellen und Daten sorgfältig nachprüfen, verbreiten die Desinformationsstellen ‹alternative Fakten›. Die Informationen sind mit Lügen besetzt; ein Nebel von Fälschungen verschleiert die Fakten. Informationslücken werden missbraucht. Informationen haben in einem autoritären Staat oder einer autoritären Organisation eine ganz andere Funktion als in einer demokratischen Gesellschaft. In einem demokratischen Diskurs kann und wird eine Aussage oder eine Meinung in Frage gestellt. Kritik und Dissens sind der Kern der Demokratie. In der autoritären Gesellschaft geht es bei jeder Aussage um Loyalität. Loyalität gegenüber einem Führer, einer Sache, einer Marke, einer Ideologie, einem Glauben … Ob die Aussage auf Tatsachen beruht oder nicht, ist irrelevant. Die Aussage in Frage zu stellen, würde bedeuten, den Führer, die Sache, die Marke in Frage zu stellen.»

So ist es also: Die EU erlaubt unterschiedliche Meinungen als Beweis für demokratische Verhältnisse. In Russland aber haben unterschiedliche Meinungen, zum Beispiel die Warnung vor dem gefährlichen Virus auf der einen und die Warnung vor der Panik auf der anderen Seite, das Ziel der Desinformation.

Was aus Russland kommt, ist eh nur «Propaganda»

Die EU beschäftigt eine spezielle Einsatztruppe, die «East StratCom Task Force» mit einem Jahresbudget von 3 Millionen Euro und 16 mehrsprachigen Spezialisten, die den Auftrag haben, selbst eine internationale Krise wie die jetzige Covid-19-Krise politisch zu nutzen und insbesondere die rund 72 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen in sechs Ländern ausserhalb der EU, die an Russland grenzen, mit der «richtigen» Information zu versorgen. Denn was aus Russland kommt, sei ja eh nur «Propaganda».

Diese «richtige» Information ist allerdings immer die gleiche. Sie entspricht dem politischen Auftrag der «East StratCom Task Force»: Was aus Russland kommt, kommt aus dem Kreml, ist unglaubwürdig und dient in erster Linie der Desinformation.

Ja, auch in Russland wird, wie überall und in allen Ländern, vieles gesagt und geschrieben, was besser nicht gesagt und geschrieben würde. Und es gibt, wie überall und in allen Ländern, auch in Russland die politische Propaganda. Die Frage sei trotzdem erlaubt: Muss wirklich auch eine Pandemie, die weltweit unzählige unschuldige Opfer fordert, missbraucht werden, um – im offiziellen Auftrag der EU – Hass auf Russland zu schüren? Wäre die Covid-19-Pandemie nicht vielmehr und endlich ein Anlass, um über gemeinsame Probleme und Bedrohungen nachzudenken?

Nachtrag heute Sonntagmorgen: Auch die «NZZ am Sonntag» widmet in der heutigen Ausgabe diesem Thema einen Artikel. Die Headline: «Moskau will mit Corona-Fake-News verunsichern». Dass es EU-seitig die «East StratCom Task Force» gibt, wird dabei selbstverständlich nicht erwähnt.

Nachtrag heute Sonntagmittag: Seit gestern Abend weiss man, wenn man es wissen will, dass Russland bereit ist, Italien zu helfen, und neun Flugzeuge mit Ärzten, Epidemie-Spezialisten und Material nach Italien schickt. Wenigstens Radio SRF hat es kurz gemeldet und auch im «Echo der Zeit» am Abend wurde es erwähnt.


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