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Titel: Auswirkungen der Coronakrise – in vielen Unternehmensbilanzen hat sich eine Bewertungsblase aufgebaut, die nun zu platzen droht

Datum: 30. Mai 2020 um 11:45 Uhr
Rubrik: Ökonomie, Erosion der Demokratie
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Wiederholt sich die Geschichte wieder? In der Finanzkrise hatten laxe Bilanzierungsregeln bei den Banken wie Brandbeschleuniger gewirkt. Ähnliches könnte sich in der Coronakrise wiederholen – nun allerdings bei den Unternehmen. Davor hat vor zwei Wochen der Deutsche Analystenverband DVFA gewarnt: „Unternehmen, die nach IFRS bilanzieren, werden in 2020 verstärkt außerplanmäßig Goodwill Abschreibungen auf Firmenwerte durchführen müssen, Dies wird mit entsprechenden zusätzlichen negativen Konsequenzen für deren GuV (Gewinn- und Verlustrechnung, Anmerkung des Verfassers) und damit auch deren Eigenkapital verbunden sein“, heißt es in der Meldung. Vom Thomas Trares.

Beim Goodwill handelt es sich um eine Art positiven Firmenwert, der entsteht, wenn bei einer Unternehmensübernahme der Kaufpreis das Nettovermögen des Übernahmekandidaten übersteigt. Konkret heißt dies, das kaufende Unternehmen erhält nicht nur die Gebäude, Grundstücke oder Maschinen des Konkurrenten, sondern auch immaterielle Vermögenwerte wie eine bessere Marktposition, eine höhere Innovationskraft oder einen besseren Zugang zu Know-how. Diese bezeichnet man dann als Firmen- oder Geschäftswert (engl. Goodwill).

Dazu ein Beispiel: Der Chemie-und Pharmakonzern Bayer hatte 2018 für die Übernahme des US-Agrarkonzerns Monsanto 60 Milliarden Euro gezahlt. Den Goodwill aus diesem Deal bezifferte Bayer mit knapp 24 Milliarden Euro. Begründet hat man diesen Wert mit „erwarteten Umsatzsynergien durch das kombinierte Anbieten von Produkten“ sowie „erwarteten Synergien bei Verwaltungsprozessen und Infrastrukturen, u. a. Kosteneinsparungen in den Funktionen Vertrieb, Forschung und Entwicklung sowie allgemeine Verwaltung“.

Keine regelmäßigen Abschreibungen mehr

Ähnlich wie Maschinen, Gebäude und andere Vermögenswerte unterliegt auch der Goodwill dem Wertverfall, das heißt, er muss abgeschrieben werden. Und hier wird es nun spannend. Denn börsennotierte Unternehmen müssen seit 2005 nach den „International Financing Reporting Standards“ (IFRS) bilanzieren. Eine Abwertung des Goodwill findet hier aber nicht mehr regelmäßig statt, sondern nur noch dann, wenn ein Hinweis auf eine Wertminderung vorliegt. Die Unternehmen haben hier also mehr Gestaltungsspielraum. Im Ergebnis kommt es seither kaum noch zu Abschreibungen auf den Goodwill. Und dies ist auch logisch. Denn die Manager haben wenig Interesse daran, Abschreibungen vorzunehmen. Diese drücken auf Gewinn, Eigenkapital und Aktienkurs – und damit auch auf die Boni. Zudem kämen hohe Goodwill-Abschreibungen einem Eingeständnis gleich, die Unternehmen zu teuer eingekauft zu haben.

Unter dem Strich hat sich so in vielen Unternehmensbilanzen im Laufe der Jahre eine Blase aufgebaut, die nun zu platzen droht. Allein die 30 Dax-Konzerne haben derzeit insgesamt 317 Milliarden Euro Goodwill in ihren Bilanzen ausgewiesen, vor zehn Jahren waren es noch knapp 180 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu sind die Abschreibungen mickrig. 2019 waren es lediglich fünf Milliarden Euro. Spitzenreiter beim Goodwill ist in absoluten Zahlen der Bayer-Konzern mit 39,1 Milliarden Euro, das sind rund 83 Prozent des bilanziellen Eigenkapitals. Bei dem Gesundheitskonzern Fresenius und der Deutschen Post würde eine vollständige Abschreibung des Goodwill sogar fast das komplette Eigenkapital auffressen.

Risiken in den Bilanzen

Auf die Risiken, die in den Bilanzen schlummern, hat auch schon die Branche selbst hingewiesen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) etwa forderte, die „Regeln zeitnah und dringend zu überprüfen, um prozyklische Wirkungen von Bewertungen zu verhindern“. Dieser Forderung schloss sich der Analystenverband DVFA vor zwei Wochen an: „Der DVFA setzt sich für eine planmäßige Abschreibung von Goodwill ein. Nur so ist zu verhindern, dass in Zeiten von Krisen keine Verstärkung von Verlustsituationen erfolgt.“ Der DVFA fordert damit im Grunde nur, zur jener Praxis zurückzukehren, wie sie bis 2004 gang und gäbe war. Bis dahin mussten börsennotierte Unternehmen planmäßig abschreiben, in der Regel über zehn bis 20 Jahre.

Für die Hege und Pflege der internationalen Bilanzierungsregeln IFRS ist das International Accounting Standards Board (IASB) zuständig. Dessen Standards haben inzwischen alle EU-Mitgliedsstaaten und über 90 weitere Länder übernommen. Über den Umgang mit Goodwill hat das IASB zuletzt im Juni 2019 beratschlagt und sich dann mit acht zu sechs Stimmen gegen eine offene Diskussion über die Rückkehr zur planmäßigen Abschreibung ausgesprochen.

Keine demokratische Kontrolle

Problematisch dabei ist jedoch, dass das IASB gar keine demokratisch legitimierte Organisation ist. Eigentümer ist vielmehr die International Accounting Standards Committee Foundation, eine Stiftung, die in der US-Steueroase Delaware residiert. Die Mitglieder des IASB sind vor allem ehemalige Mitarbeiter nationaler Finanzaufsichtsbehörden, aber auch privater Unternehmensberatungen. Finanziert wird das IASB von den vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften PricewaterhouseCoopers, KPMG, Deloitte Touche Tohmatsu und Ernst & Young.

Der Gründungsherausgeber des Polit-Magazins „Die Gazette“, Fritz Glunk, hat kürzlich ein Buch über Organisationen wie das IASB geschrieben. Glunk bezeichnet solche Konstrukte als „Schattenmächte“. Das sind formlose Gruppen oder Gebilde, in denen Wirtschaftsvertreter und staatliche Behörden zusammensitzen und globale Regeln festlegen. „Keine dieser Gruppen ist gewählt oder abwählbar oder einer demokratischen Kontrolle unterworfen; manche der so global verabredeten Normen werden, so wie sie sind, de facto oder de jure zu geltendem Weltwirtschaftsrecht“, sagt Glunk.

„Folgenreiche Verschiebung“

Bezüglich des IASB meint Glunk, dass sich durch dessen Wirken eine „folgenreiche Verschiebung“ ergeben hätte. In Deutschland etwa sind nun wesentliche Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs (HGB) nicht mehr gültig; stattdessen gelten die Vorschriften des IFRS. Im Kern unterscheiden sich die beiden Standards darin, welche Informationen des Jahresabschlusses eines Unternehmens sie in den Vordergrund stellen. Während das traditionelle HGB-Modell durch eine vorsichtige Ermittlung des Gewinns gekennzeichnet ist und die Interessen aller am Unternehmen Beteiligten im Blick hat, konzentriert sich der angelsächsisch geprägte IFRS vor allem auf das Interesse der Investoren.

Wie sich dies konkret auswirkt, lässt sich anhand des bereits erwähnten Bayer-Monsanto-Deals nachvollziehen. Experten gehen nämlich davon aus, dass dieser auf Basis planmäßiger Abschreibungen nach HGB nicht stattgefunden hätte. Denn bei einem Goodwill von knapp 24 Milliarden Euro hätte Bayer über Jahre hinweg Abschreibungen in Milliardenhöhe vornehmen müssen. Davor wäre das Management womöglich zurückgeschreckt.

Einen Vorgeschmack darauf, wie es demnächst zugehen könnte, hat vor zwei Wochen übrigens der österreichische Ziegelhersteller Wienerberger geliefert. Bei der Vorlage der Quartalszahlen erklärte das Unternehmen, wegen der Coronakrise Goodwill-Abschreibungen vorzunehmen: „Die Covid-19-Krise ist ein Anlassfall, wo ein Unternehmen alle seine Assets prüfen muss“, sagte Wienerberger-Chef Heimo Scheuch. Von den insgesamt rund 116 Millionen Euro Abschreibungen im ersten Quartal entfielen 94 Millionen Euro auf die vollständige Firmenwertberichtigung im Bereich Fassadenziegel in Nordamerika. „Seit 1999 schleppen wir den mit, den ‘Goodwill’, und ich sagte, wir erledigen das jetzt ein für alle Mal statt immer wieder 10 Millionen – das heißt, es gibt dann keinen ‘Goodwill’ mehr“, erklärte Scheuch.

Titelbild: PKpix/shutterstock.com


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