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Titel: Der „Wippschaukeleffekt“, „B sagen und A meinen“ und andere Methoden der Manipulation werden aktuell immer wieder genutzt. Hinterfrage alles, um frei zu bleiben.

Datum: 9. Juni 2020 um 9:07 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich:

Auf ein paar aktuelle Vorgänge bei der Heute Show vom 5. Juni möchte ich Sie hinweisen und damit zugleich empfehlen, sich die in „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst“ beschriebenen Methoden und Fälle der Manipulation zu merken. In diesen traurigen Zeiten sollten wir uns wenigstens den Spaß gönnen, hinter die Kulissen zu schauen und in Kenntnis der angewandten Methoden eigenständig zu durchschauen, was uns täglich an manipulierender Propaganda zugemutet wird. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

In den letzten Tagen habe ich mir wieder ein paar Medienprodukte einschlägiger Art angesehen. Sie liefern kostenlos frei Haus, was man zum Beleg und zur Demonstration von Manipulationsmethoden und Vorgängen braucht.
Bestes Beispiel:
Die Heute Show vom 5. Juni. Sie hat gleich mehrere Demonstrationsbeispiele geliefert:

  1. Längere Teile der Heute Show widmeten sich dem US-amerikanischen Präsidenten Trump und dessen in vieler Hinsicht verheerender Politik. Der amerikanische Präsident wird heftig kritisiert und das ist auch berechtigt. Was man bei der Kritik dieser Person aber immer beachten muss, ist der Wippschaukeleffekt. Das meint im konkreten Fall: Je tiefer Trump im Ansehen und gestützt von Szenen wie in der Heute Show sinkt, umso glanzvoller erscheinen seine Vorgänger und seine heutigen Konkurrenten. Dabei wird leicht vergessen, dass wir zum Beispiel mit seiner Mitbewerberin von 2016, mit Hillary Clinton, nicht grundlegend besser bedient gewesen wären, so wie wir auch heute noch unter den Kriegen zu leiden haben, die die Vorgänger von Trump vom Zaun gebrochen haben.Damit will ich den Charakter und die Sprüche und menschenverachtenden Taten des jetzigen Präsidenten nicht beschönigen. Ich will nur davor warnen, in die Falle zu tappen, die anderen, die Vorgänger und die jetzigen Konkurrenten, wippschaukelgemäß hochzuheben. Schon jetzt ist erkennbar, dass der Wippschaukeleffekt wirkt. Wer redet schon von George W. Bushs Kriegen – vom Irakkrieg und der Erfindung der Massenvernichtungsmittel als Begründung für die militärische Intervention im Irak, vom Afghanistan-Krieg als Antwort auf 9/11. Im Anhang finden Sie das Kapitel III.9 über den Wippschaukeleffekt.
  2. Ab Minute 3:50 der Heute Show wird die Manipulationsmethode „Namen verknüpfen und damit Einzelne bewerten“ (siehe Kapitel III. 15 auf Seite 55 im Buch) angewendet.

    Welke kommentiert, Trump bewerbe sich um die Aufnahme in den Club der Autokraten, und dann wird noch schnell hinterhergeschoben: der Diktatoren.

    Diese Methode kennen wir aus vielfältigen Zusammenhängen und immer mit gleichen Personen: mit Trump, dem nordkoreanischen Präsidenten, dem chinesischen Präsidenten, dem ungarischen Präsidenten, mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan, mit dem syrischen Präsidenten Assad und mit dem russischen Präsidenten Putin. Diese Methode dient bei diesem Beispiel wie auch bei vielen anderen vor allem der Diffamierung Russlands und des russischen Präsidenten, im konkreten Fall nennt Welke de facto Russland eine Diktatur und Putin einen Diktator. Das soll hängenbleiben und das bleibt hängen. Zumindest bei einer Mehrheit des Publikums.

  3. Nebenbei wird dann auch noch die Methode „B sagen und A meinen“ angewandt. Mit der Aussage (B), Trump bewerbe sich um die Aufnahme in den Club der Autokraten bzw. Diktatoren, wird die Botschaft A transportiert, die USA seien eine Demokratie. Vermutlich glauben das viele Leute, ich nicht, ganz einfach schon deshalb nicht, weil in den USA von heute das gemeine Volk bzw. die von dort kommenden Menschen nie und nimmer die Chance haben, in ein wichtiges politisches Amt und schon gar nicht zum Präsidenten aufzusteigen. Dazu braucht man Hunderte von Millionen, wenn nicht Milliarden von US-Dollar. Wer hat die schon?
  4. Zur Beschönigung der früheren Zustände in den USA wie auch in anderen Ländern gehört auch die Tatsache, dass in dem gesamten Stück der Heute Show der Eindruck erweckt wird, als sei der Rassismus gerade erst jetzt erfunden worden. Dass Kinder von Amerikanern mit afrikanischem Hintergrund lernen müssen, die Hände zu heben, um zu zeigen dass sie nicht bewaffnet sind und lernen zu sagen, so Welke: „Bitte bringt mich nicht um“. Das ist doch nichts Neues in den USA. 1973 hat mir beispielsweise ein schwarz-weißes Paar in Atlanta/Georgia gezeigt und erklärt, wie ihr Leben im damals sehr rassistischen Georgia aussieht. Schrecklich und geprägt von Rassismus, der das Leben dieses jungen Paares zur Achterbahn machte. Diesen Zustand heute alleine mit dem jetzigen Präsidenten zu verbinden, ist schlicht albern. Aber so war die ganze Sendung.
  5. Ein besonders albernes Stück war dann noch der letzte Teil. Da traten Hazel Brugger und Fabian Köster zusammen mit Günther Oettinger auf. Was die Nummer eigentlich sollte, habe ich nicht verstanden. Sollte es Ironie sein? Nebenbei war es Werbung für Oettinger und dann auch noch Produktwerbung für das Tannenzäpfle von Rothaus im badischen Schwarzwald. Da ich, wenn ich schon mal Bier trinke, zu dieser Marke greife, störte mich persönlich die Werbung für dieses schöne Bier nicht. Aber prinzipiell? So etwas in einer Satiresendung, in einer Heute Show? Produktwerbung muss ich wohl als neue Methode der Manipulation in die Neuauflage meines Buches aufnehmen. So viel zur Heute Show. Gesamtdiagnose: Die Sendung befindet sich weiter auf dem absteigenden Ast. Statt Aufklärung Anwendung billiger Methoden der Manipulation.

An ein paar Beispielen habe ich gezeigt, wie nützlich es sein kann, wenn man Fälle gängiger Manipulation anschaut und wenn man die Methoden der Manipulation kennt. Wenn Sie sich diese Kenntnisse angeeignet haben, dann werden Sie Ihre Fernsehabende, jedenfalls Ihre Nachrichtenabende bei Tagesschau und Tagesthemen, bei Heute, beim Heute Journal und inzwischen auch bei den Satire- und Kabarettsendungen viel mehr genießen können. Dann werden Sie am laufenden Band den sogenannten Aha-Effekt erleben, weil sich Zusammenhänge auftun. Und Sie werden auch entdecken, dass Sie mit Ihrer Familie, mit Ihren Freunden und Nachbarn um vieles genüsslicher über verschiedene Medienereignisse diskutieren können. Wer hinter die Kulissen blickt, kann auch leichter lachen.

Offenbar machen immer mehr Menschen die Erfahrung, dass „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst“ dabei eine große Hilfe ist. Das Buch ist jetzt seit 30 Wochen auf der Bestsellerliste, in dieser Woche wieder auf Platz 6. Wenn Sie schon ein Exemplar haben, dann geben Sie es bitte zur Lektüre weiter. Wenn nicht, es ist im Buchhandel erhältlich. Wenn Sie im Internet bestellen wollen, dann muss es ja nicht unbedingt Amazon sein. Die Buchkomplizen liefern es auch.

Anhang:

Auszug aus „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst“, Kapitel III.9. Seite 42-46:

9. Der Wippschaukeleffekt

Der Begriff Wippschaukeleffekt klingt vermutlich fremd. In den Lehrbüchern kommt er nicht vor. Es fiel mir jedoch kein passenderer Begriff für die Manipulationsmethode ein, die hier zu skizzieren sein wird:

US-Präsident Donald Trump ist schon eine besondere Figur, er bedient sich übler Methoden und schlägt mit maßlosen Sprüchen um sich. Aber er ist bei vielen politischen Absichten und Taten wie etwa bei der Neigung, Kriege zu führen, nicht schlimmer als seine Vorgänger Barack Obama und vor allem als George W. Bush oder auch Bill Clinton und auch nicht schlimmer als seine Gegenkandidatin von 2016, Hillary Clinton. Doch dank des permanent gegen den jetzigen Präsidenten erhobenen Zeigefingers wird das ohnehin vorhandene negative Bild weiter verschlimmert. Im Gegenzug erscheinen seine Vorgänger und seine Konkurrentin beim letzten Wahlkampf als vorteilhafte tugendhafte Figuren. Die Demokraten um Obama und Clinton wirken geradezu als glanzvoll – das Ergebnis des Wippschaukeleffektes.

Ein ähnlicher Effekt tritt ein, wenn immer wieder und mit Recht, die AfD und einzelne Politiker dieser Partei kritisiert und als undemokratisch bezeichnet werden. In der Kontrastierung mit den Rechten erscheinen die Kritiker als links oder linksliberal, obwohl viele von ihnen das gar nicht sind. Einen erstaunlich schrägen Beleg für diesen Effekt konnte man am 1. August 2019 im Internetmedium Tichys Einblick finden. Da macht sich Gastautor Dr. Manfred Schwarz, früher einmal für die CDU und den Hamburger Senat tätig, Gedanken über Innenminister Horst Seehofers Reaktion auf den Tod eines sechsjährigen Jungen im Frankfurter Hauptbahnhof und Seehofers Zögern mit Kritik. Der Kommentator meint: »Zu groß ist seine Angst, vom linken medialen Mainstream unter Dauerbeschuss genommen zu werden.«19 Da führt offensichtlich der Ruck nach rechts eines Beobachters des Geschehens dazu, dass er den wahren Standort des medialen Mainstream in Deutschland völlig verkennt. »Linker medialer Mainstream« in Deutschlands – das ist zum Lachen.

Ein Beispiel aus früheren Zeiten: Zwischen den beiden Spitzenpolitikern Willy Brandt und Helmut Schmidt knirschte es oft. Schmidt hielt sich für fähiger, war konservativer als Brandt und schon deshalb bei der Mehrheit der Medien höher angesehen als Willy Brandt. Helmut Schmidt hat dieser besonderen Vorliebe nachgeholfen, indem er seinen Parteifreund Brandt häufig kritisierte und ihn von seiner Umgebung in Hintergrundgesprächen schlechtmachen ließ. Der Effekt war erstaunlich: Je schlechter das Ansehen Willy Brandts wurde, umso mehr stieg die Bewunderung für Helmut Schmidt.

Die Wirkung wurde dabei noch dadurch verstärkt, dass Menschen dazu neigen, sich nicht entscheiden zu wollen. Im konkreten Fall konnten sie den Sozialdemokraten Brandt und auch die SPD ablehnen und gleichzeitig den Sozialdemokraten Helmut Schmidt gut finden. Das führte am Ende zumindest im bürgerlichen Lager der Schmidt-Bewunderer zu der Aussage, Helmut Schmidt sei prima, aber er sei in der falschen Partei.

Sachliche Gründe für diesen Wippschaukeleffekt gab es nicht, eher umgekehrt. Aber die Methode funktionierte.

Noch ein Beispiel: In den letzten Jahren begannen die etablierten Medien und ihre Vertreter die heranwachsenden Medien im Internet kritisch bis herablassend zu beäugen. Diese Kritik und die damit eintretende negative Etikettierung wirkt ebenfalls nach dem Schaukelprinzip. Die etablierten Medien erscheinen als das Wahre; sie erscheinen zugleich immer mehr als eine Einheit. Das Boulevardblatt Bild-Zeitung auf der einen Seite und zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit auf der anderen Seite wirken als einvernehmliche Gruppierung der wahren Medien. Das ist schon seltsam, vor allem dann, wenn man sich an die früheren großen Unterschiede und an die gegenseitige Kritik erinnert.

Es gibt bei uns im Westen unter kritischen Mitbürgern seit langem schon eine skeptische Debatte und kritische Analyse dessen, was allgemein Demokratie genannt wird. Demokratie gab es fast nie, habe ich einmal mit Blick auf die massive finanzielle Unterstützung des CDU-Kanzlers Konrad Adenauer und seiner Nachfolger, vor allem Helmut Kohl und etwas stiller Angela Merkel, durch die Wirtschaft formuliert. Die konservativen Parteien CDU, CSU und FDP hatten die Unterstützung des reichen Teils unserer Gesellschaft. Sie hatten immer sehr viel mehr Mittel, um ihre Wahlkämpfe zu finanzieren. Gleiche Wettbewerbsbedingungen und damit wirklich demokratische Verhältnisse gab es nie.

Auch in anderen Ländern ist das nicht anders, zum Teil schlimmer: In den USA müssen Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten Hunderte von Millionen Dollar heranschaffen, um kandidieren zu können. Diese Art von Kandidatenauswahl kann man nicht demokratisch nennen.

In Frankreich taucht ein Präsidentschaftskandidat wie Emmanuel Macron aus dem Nichts auf. Offenbar ausgesucht und gesteuert.

Das Große Geld spielt in allen solchen sogenannten Demokratien eine große Rolle. Eigentlich müsste man zugestehen, dass die Verhältnisse nicht demokratisch sind. Da hilft der Wippschaukeleffekt aus der Patsche: Im Vergleich zu den sogenannten Autokraten, im Vergleich zum türkischen Präsidenten Erdoğan beispielsweise, erscheinen die bei uns handelnden Personen als Demokraten und unser System als demokratisch. Die Wippschaukel sorgt dafür, dass wir dann als Demokraten und ohnehin als die Guten gelten.


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