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Titel: Corona und die Taxifahrer – ein Lagebericht aus Berlin

Datum: 3. Juli 2020 um 12:04 Uhr
Rubrik: Verkehrspolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Im April hatten die NachDenkSeiten bereits auf die prekäre Lage der Taxifahrer im Shutdown hingewiesen. Leider hat sich die Situation trotz der Lockerungen noch nicht verbessert und es stehen neue Bedrohungen im Raum, an denen die Politik nicht unschuldig ist. Der NachDenkSeiten-Freund und Berliner Taxifahrer Joachim Schäfer hat uns einen Lagebericht geschrieben, der wenig Raum für Optimismus bietet.

Lagebericht aus dem Taxigewerbe Berlin im Juni 2020

Die Ortskundeprüfung ist für Genehmigungsgebiete mit mehr als 50.000 Einwohnern vorgeschrieben. Drei Monate tägliches ‚Büffeln‘ und zwei Mal die Woche eineinhalb Stunden Trainer haben ausgereicht, um die Prüfung vor dem Landeseinwohneramt zu bestehen. Amtsärztliche Untersuchung, Augenattest, Führungszeugnis, Fahrpraxisnachweis für 2 Jahre und ein Mindestalter von 21 sowie natürlich die Fahrerlaubnis zum Führen eines PKW sind die Bedingungen, derer es bedurfte, um in Berlin die Erlaubnis zur Personenbeförderung in Taxen und Mietwagen zu erlangen. Seit dem Herbst ’87 verdinge ich mich als Taxifahrer und bestreite damit meinen Lebensunterhalt. Seit Mitte März bin ich auf Kurzarbeit bis voraussichtlich 28.2.2021.

Die Umsätze der noch diensttuenden Kollegen variieren zwischen 11 und 15 €/h. Und das auch nur noch in den Tageszeiten, ob das nächtliche Treiben wieder anläuft, hängt verstärkt von dem Zustrom der Touristen ab. Ähnliches, allerdings ohne Kurzarbeitergeld, habe ich nur während des Vulkanausbruchs des Eyjafjallajökull erlebt, als der gesamte Flugverkehr unterbrochen war und wochenlang kein Geld in der Kasse klimperte. 2010 war die Unternehmerschaft noch nicht so weit, staatliche Hilfen in Anspruch nehmen zu können. Dieses Jahr ging es schlagartig. Fand die Berlinale noch statt, war die Internationale Tourismusbörse schon abgesagt und am 16. März war dann klar, dass es keine Aussicht auf ein nur irgendwie betriebswirtschaftliches Betreiben einer Taxe auf längere Sicht mehr geben wird. Nach einigen Ungereimtheiten seitens der Behörde über die Arbeitszeiten von Taxifahrern als auch Angestellten des Hotel- und Gastronomiesektors wird nun die erste Erhöhung des bewilligten Kurzarbeitergeldes erwartet.

Derweil wird im Hause Scheuer das PBefG geändert, um den kapitalträchtigen, plattformgestützten und weltweit verantwortungslos agierenden transatlantischen Konzernagglomerationen einen Fuß nicht nur in den individuellen ÖPNV zu geben. Die Sicherheit und Fürsorge um die Fahrgäste wird internationalen Unternehmen in die Hand gegeben, wo doch das lokale Gewerbe, bei aller Kritik, die Aufgabe bisher sehr gut gemeistert hat. Ein Schelm ist, wer da vermutet, dass die Grabesstille aus dem Büro der Verkehrssenatorin Günther ob der Anfragen nach administrativen Maßnahmen bezüglich der Entscheidung des BGH, wonach die Geschäftspraktiken von UBER illegal sind, mit den Vorgängen im Bundesministerium zusammenhängen. Derweil wird der Bundesverband Taxi und Mietwagen aktuell sehr gefordert, weil er mit nachrangigen Akteuren, die auf der UBER-Masche reiten, gemeinsame Sache zu machen scheint. Nun, das kommt davon, wenn Unternehmer, wie noch 2019 geschehen, von ihrem Streik und Arbeitskampf reden. Vollkommene Ausblendung der eigenen Spiegelung! Und UBER & Co arbeiten weiter fleißig am Sarg für das Taxigewerbe. Dort gibt es nämlich kein Kurzarbeitergeld.

Der kleene Kutscher hockt dabei zu Hause und muss dabei auf 40 % vom Lohn und dem Trinkgeld in seiner Börse verzichten, was viele in die Grundsicherung zu den Jobcentern getrieben hat. Und schau ich rechts und links auf die anderen Werktätigen, da will mir die Verwirklichung des notwendigen Tittitainments im Zuge einer weltweiten Delabourisierung a la Zbigniew Brzeziński doch sehr real erscheinen. Und dass die Ausführungen von Herrn Wolff[*] mehr Evidenz haben als das Handeln der bundesdeutschen Exekutive spätestens seit Anfang März, leuchtet mir mittlerweile auch ein.


[«*] Vor uns liegt ein wirtschaftlicher Supergau | Ernst Wolff Rede in Stuttgart (13:44 min)


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