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Titel: Kinderarmut: Medien berichten zu oberflächlich und mit zu wenig Nachdruck
Datum: 8. August 2020 um 11:45 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Medienkritik, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Redaktion
Kinderarmut – dieser Begriff taucht in den Medien immer mal wieder auf. Meistens berichten Journalisten darüber, wenn neue Studien darauf verweisen, wie real Armut unter Kindern in diesem reichen Land ist. Zahlen, Daten, Fakten: Darauf springen Medien an. Das ist verständlich. Doch die Berichterstattung ist zu oberflächlich, sie bleibt im Alibi-Modus, es fehlt am Nachdruck. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Kürzlich kam wieder so ein Tag, an dem das Thema Kinderarmut die Aufmerksamkeit von Journalisten erregt hat. Anlass war eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung, wonach rund 2,8 Millionen Kinder in Deutschland in Armut leben, also über 21 Prozent aller unter 18-Jährigen.
Lokale, regionale und bundesweit erscheinende Medien berichteten. „Kinderamut in Deutschland – Armutsverschärfer Corona“, lautete die Überschrift bei der Zeit. „Bertelsmann-Studie: Kinderarmut trifft Millionen“, heißt es bei der Leonberger Kreiszeitung. „Bertelsmann-Studie zur Armut – Das Geld, armen Kindern zu helfen, fehlt nicht“, lautet die Überschrift eines Deutschlandfunk-Kommentars. Wer bei Google news den Begriff Kinderarmut eingibt, findet zahlreiche Treffer. Anders gesagt: Den Medien kann man auf den ersten Blick nicht vorwerfen, das Problem der Kinderarmut nicht zu thematisieren. Doch wer sich mit dem Thema schon länger auseinandersetzt, fällt auf: Es ist wie bei so manch anderem wichtigen Thema auch – Berichterstattung ist nicht gleich Berichterstattung.
Der Alibi-Modus vieler Medien
Die Berichterstattung zum Thema Kinderarmut kommt in Wellen. Wobei diese Wellen – und das ist eines der Probleme – nicht sonderlich hoch sind. Richtig ist: Medien platzieren das Thema durchaus auch prominent, allerdings fehlt der Berichterstattung etwas, was dringend nötig wäre, um Politik zu einem konsequenteren Handeln zu bewegen. Was fehlt ist der Druck. Zwar erzeugen prominent platzierte Artikel durchaus Aufmerksamkeit und dadurch eben auch einen kurzfristigen Druck, doch der Druck, der notwendig ist, um dafür zu sorgen, dass Politik das Problem der Kinderarmut nicht nur im Alibi-Modus angeht, entsteht nicht dadurch, dass hin und wieder Medien für einen Tag in der Berichterstattung auf die Kinderarmut verweisen.
Nachhaken ist gefragt. Immer und immer wieder. Journalisten müssen Politiker bei Interviews und Pressekonferenzen stellen, nicht aus der Verantwortung lassen. Und vor allem: Die Berichterstattung muss kontinuierlich, über einen längeren Zeitraum erfolgen.
Medien wären eigentlich dazu da, weitreichende Probleme immer wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und so auch in das Bewusstsein der Politik zu rufen. Diesbezüglich hat die Berichterstattung noch zu viele Defizite. Die „Armutsberichterstattung“ korrespondiert auf auffällige Weise mit dem oberflächlichen Umgang, der auf politischer Seite mit dem Thema zu beobachten ist. Auch wenn man zu dem Eindruck gelangen kann, dass manchen Journalisten, die über Armut im Land berichten, etwas an dem Thema liegt: Die Berichterstattung ist in ihrer Gesamtheit so alibimäßig wie das Handeln der Politik.
Armut: Die Mitverantwortung vieler Redakteure
Noch schlimmer ist: Zur Wahrheit gehört auch, dass zahlreiche Medien über viele Jahre unter anderem im Zuge der Agenda 2010 durch eine neoliberale Grundhaltung mit dazu beigetragen haben, dass sich Armutsverhältnisse ausbreiten und verfestigen konnten. Es ist offensichtlich: Die selbsternannten „Wachhunde“ haben nicht rechtzeitig angeschlagen. Kinderarmut – zu dieser bitteren Feststellung muss man gelangen – hat sich unter den Augen der Medien entwickelt und ausgebreitet. Die NachDenkSeiten haben schon frühzeitig auf die Gefahren einer Medienlandschaft hingewiesen, die sich stark neoliberal ausgerichtet und der Agenda-Politik letztlich mit den Weg geebnet hat.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2020 und selbst die ebenfalls stark neoliberal ausgerichtete Bertelsmann Stiftung, die gewiss nicht als Frontorganisation eines linken Klassenkampfes verstanden werden kann, macht auf die Gefahren der Kinderarmut aufmerksam, ja, sieht ein reales Problem auch für unsere Gesellschaft. Die fragwürdige Ausrichtung der Bertelsmann Stiftung haben die NachDenkSeiten unter anderem hier oder hier thematisiert.
Man fragt sich auch, wann Medien endlich anfangen, zu begreifen, dass in Deutschland nicht nur Kinderarmut ein Problem ist, sondern auch Erwachsenenarmut – und beide Armutssituationen eng miteinander verknüpft sind. Vor allem muss die Frage lauten: Wann stellen Journalisten Politiker zu dem Armutsproblem endlich so zur Rede, dass sie mit Ausflüchten und dem Verweis auf Minimalkorrekturen ihrer desaströsen Armutspolitik nicht mehr so einfach durchkommen?
Zeit wird es. Jedes Kind, das aufgrund von Armut auf der Strecke bleibt, ist eines zu viel. Jeder Erwachsene, der aufgrund von Armut am Ende seiner Kräfte ist, ist ebenso einer zu viel.
Titelbild: fasphotographic / Shutterstock
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