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Titel: 30 Jahre deutsche Einheit – ein Zwischenruf von Hermann Zoller

Datum: 5. Oktober 2020 um 12:32 Uhr
Rubrik: Gedenktage/Jahrestage, Militäreinsätze/Kriege
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Diesen Zwischenruf veröffentlichen wir auch wegen des darin enthaltenen interessanten Artikels aus der Stuttgarter Zeitung vom 18. September 1945 (!). Siehe unten.

Die Freude ist groß: Jetzt ist Deutschland schon 30 Jahre wieder ein Staat. Viele Veranstaltungen, Zeitungsartikel, Radioberichte. Es ist ja auch wirklich erfreulich, wenn Grenzen fallen. Bundespräsident Steinmeier hat immerhin zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Vereinigungsprozess aufgefordert: „Dazu gehört auch, dass wir offen über Fehler und Ungerechtigkeiten sprechen.“ Ja, da wird es wohl Zeit, dass sich Historiker an die Arbeit machen. Besser wäre natürlich gewesen, schon in der Wendezeit sich Gedanken darüber zu machen, wie wir diese ganze Aktion möglichst demokratisch gestalten könnten, statt einem Übernahmemodus freien Lauf zu lassen. Eine Gedenkstätte für die friedliche Revolution wünscht sich unser Staatsoberhaupt auch. Das kann man alles machen. – Allerdings: Nach den Reden am 3.10. muss man befürchten, dass nur wieder ein Stückwerk zustande kommt, ein Projekt, das durch seine Unvollständigkeit die Geschichte verzerrt.

Wo wurde gestern darüber gesprochen, warum es überhaupt zu einer Teilung Deutschlands kam? Bei aller Freude: Es kann doch nicht sein, dass wir die Ursachen vergessen, ausblenden.

Dieser Tage feierte die „Stuttgarter Zeitung“ ihren 75. Geburtstag. Aus diesem Anlass veröffentlichte sie in ihrer Festausgabe als Faksimile die Seite 1 ihrer ersten Ausgabe vom 18. September 1945. Dort, ganz am Ende der Seite steht diese Meldung:

 
Kriegsverwüstungen in der UdSSR

Moskau, 14. September (DANA). Die russischen Zeitungen veröffentlichen in großer Aufmachung die amtlichen Angaben und Zahlen über die von den Deutschen während der Besatzung westrussischer Gebiete in den Dörfern und Städten angerichteten Verwüstungen. Die Zahlen stützen sich auf die Ermittlungen der außerordentlichen Staatskommission.

Die Deutschen haben 7000 Dörfer und 1700 Städte zerstört und dadurch 25 Millionen Menschen obdachlos gemacht. Die Staatskommission hat ihren Bericht auf Grund der Aussage von über sieben Millionen Arbeitern, Technikern, Ingenieuren und Wissenschaftlern zusammengestellt.

Der Bericht stellt weiter fest, dass von den Deutschen insgesamt ungefähr 32.000 Fabriken, 48.000 Schulen und andere Erziehungsinstitute und 43.000 Bibliotheken zerstört wurden. 98.000 Kollektivfarmen wurden entweder vollständig vernichtet oder ihres Inventars beraubt. 40.000 Krankhäuser wurden zerstört. Zu den öffentlichen Anlagen, die von den Deutschen vernichtet wurden, gehören 36.000 Postämter, 4100 Bahnstationen und Eisenbahnlinien in einer Länge von 64.622 Kilometer. Ferner eigneten sich die Deutschen 7 Millionen Pferde, 17 Millionen Rinder und 20 Millionen Schweine an, die an Ort und Stelle geschlachtet oder von durchmarschierenden Soldaten gestohlen und mitgenommen wurden.

Der Bericht gibt für den Gesamtverlust, den das russische Wirtschaftsleben in den vier Kriegsjahren durch die Deutschen erlitten hat, eine Zahl von ungefähr 110 Milliarden Reichsmark an.

In ihrer Jubiläumsausgabe ergänzt die „Stuttgarter Zeitung“:

„Im Zweiten Weltkrieg mussten 27 Millionen Sowjetbürger ihr Leben lassen. Das entspricht mehr als der Hälfte aller Kriegstoten.“


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