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Titel: Herrliche Belege für Kampagnenjournalismus

Datum: 23. September 2010 um 16:16 Uhr
Rubrik: Fachkräftemangel, Finanzkrise, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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Es gibt immer noch Journalisten, die bestreiten, dass ein beachtlicher Teil ihrer Kolleginnen und Kollegen in Kampagnen der Meinungsbeeinflussung eingebaut sind, beziehungsweise sich dafür nutzen lassen. Ich muss – in Ergänzung eines Beitrags vom 15. Mai – gestehen, dass ich diese Zweifel nur noch kopfschüttelnd wahrnehmen kann. Denn Kampagnenjournalismus wird inzwischen vermutlich zum beherrschenden Charakteristikum der schreibenden und sendenden Zunft. Zwei Beispiele aus der neueren Zeit stelle ich Ihnen vor: die Kampagne zu Steinbrück und die Kampagne zum angeblichen, neuen Wirtschaftswunder. Albrecht Müller

  1. Zu Steinbrück

    Er soll offensichtlich als Kanzlerkandidat der SPD aufgebaut werden. Die Hintergründe dieser Kampagne habe ich hier ausführlich analysiert. Der Ankündigungstext für die Sendung mit Beckmann vom 20. September spricht für sich – widerlicher Hofschranzenjournalismus – und lässt nichts aus:

    “Nach der Lehman-Pleite im Herbst 2008 glänzte er als Krisenmanager: Peer Steinbrück gilt als der Mann, der Deutschland erfolgreich durch die größte Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit führte. Seit dem SPD-Wahldebakel 2009 ist es stiller um den früheren Bundesfinanzminister geworden – jetzt meldet sich der streitbare Querdenker zurück und spricht bei „Beckmann” wie gewohnt Klartext: Ist die Finanzkrise endgültig überstanden oder übernehmen Zocker und Spekulanten schon wieder das Kommando? Wie beurteilt er die Integrationsdebatte um die Thesen seines Parteigenossen Thilo Sarrazin? Welche gesellschaftlichen Herausforderungen muss Deutschland bewältigen, und warum darf die SPD seiner Ansicht nach den Umbau des Sozialstaates nicht scheuen?”

    Jetzt wird Steinbrück schon zum Querdenker stilisiert und aus dem Förderer der Zocker und Spekulanten wird ihr Gegner gemacht. Das ist die Hohe Schule des Kampagnenjournalismus. Ein Freund von mir, der sich die Sendung angetan hat, schrieb dazu am 21. September:

    „… Gestern waren Steinbrück und Gauck im ARD bei Beckmann. Die beiden saßen da und agierten wie Grzimek und sein Affe selig. Beckmann schwang beständig das Weihrauchfass vor dem Krisenretter und Welterklärer, gelegentlich unterbrochen von bewundernden Zwischenreden des Beisassen. Nach allem, was wir darüber erfahren, muss es so auch im nordkoreanischen Fernsehen zugehen.

    Vermutlich merken diese Journalisten gar nicht, wie sehr sie langsam den übelsten Vorbildern in Medien totalitärer Staaten gleichen.

    Ich ergänze hier auch noch das gesprochene Wort des Juso-Bundesvorsitzenden, das zunächst in der Wiedergabe der Beckmann Sendung herausgeschnitten war:

    Sascha Vogt, Bundesvorsitzender der Jungsozialisten, sagt:

    “Ich glaube, die Partei sollte sich manchmal eher ein bisschen mehr von dem abgucken, was wir sagen. Wenn ich mal an die Finanzkrise denke: die Jusos haben schon viele Jahre vorher gesagt, dass es da an den Finanzmärkten was zusammenbraut, dass man da reguliert eingreifen muss … Herr Steinbrück hat 2008 noch die Hedgefonds … Entschuldigung … die Private Equity Fonds steuerlich begünstigt. Hätte man mal ein bisschen früher auf die Jusos gehört, wäre vielleicht vieles nicht so gekommen. Und dementsprechend halte ich das nicht für pseudoradikal, sondern für eigenständig und damit gut und vernünftig.

    Ich glaube, ‘ne konsequente Erneuerung der SPD, die die weiterhin braucht, funktioniert nicht mit alten Köpfen – von daher hat Herr Steinbrück jetzt ein Buch geschrieben. Wir in den Jusos nehmen das zur Kenntnis, aber ich glaube nicht, dass Herr Steinbrück in der Zukunft weiter Spitzenpositionen in der Partei einnehmen wird.“

  2. „Wirtschaftswunder“

    Zum Komplex „wirtschaftlicher Aufschwung, Boom, Wirtschaftswunder, Fachkräftemangel“ erschienen innerhalb von rund zwei Monaten in der Bild-Zeitung, bei SpiegelOnline und einigen anderen Medien Artikel mit dergleichen Botschaft (Wirtschaftswunder, Aufschwung XL, besser als andere Länder, Arbeitskräfte werden knapp, Zuwanderung ist nötig, der Aufschwung ist eine Folge der so genannten Reformpolitik), den gleichen Personen (Brüderle) und den gleichen angeblichen Belegen. So taucht der Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal von 2,2 % sowohl in den Artikeln von Juli/August wie auch in den Artikeln des Wochenendes um den 19. September auf. Vergleichen Sie selbst.

    Hier die Überschriften und die Einführungstexte zu den einschlägigen Produkten des offensichtlichen PR- und Kampagnenjournalismus:

    1. SpiegelOnline vom 19. September 2010, 07:48 Uhr
      Not auf dem Jobmarkt
      Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus

      Von Markus Dettmer
      Deutschlands Arbeitsmarkt entwickelt sich prächtig, bald sind wohl weniger als drei Millionen Menschen ohne Job. Doch was gut klingt, bereitet Ökonomen große Sorge: Dem Land droht ein Fachkräftemangel, der durch das Altern der Gesellschaft noch verstärkt wird. Der Ausweg: mehr Zuwanderung.

      Quelle: SPIEGEL Online

      Den Namen des Spiegelredakteurs Markus Dettmer muss man sich wohl merken. Offensichtlich ist er PR-Journalist.

      Vergleichen Sie seinen Beitrag mit den folgenden:

    2. SpiegelOnline vom 07. Juli 2010, 14:23 Uhr
      Industriestaaten-Vergleich
      Jubel über schwarz-rot-goldenes Jobwunder

      Das hat sonst kein Industrieland geschafft: In der Bundesrepublik ist trotz Wirtschaftskrise die Arbeitslosigkeit gesunken. Eine neue OECD-Studie lobt die Entwicklung in Deutschland – nur ein großes Problem gibt es. In anderen Staaten finden Arbeitslose wesentlich schneller wieder einen Job.
      Quelle: SPIEGEL Online
    3. Bild-Zeitung vom 13. August 2010
      Wirtschafts-Märchen Ausland feiert Deutschlands Konjunktur-Boom
      Höchstes Quartalswachstum seit der Wiedervereinigung +++ Politiker halten 3 Prozent Wachstum für möglich +++ Experte: „Sommermärchen!“
      Krise war gestern, heute ist Aufschwung! Die deutsche Wirtschaft boomt wieder, meldet das Statistische Bundesamt in Form von Zahlen: Ganze 2,2 Prozent legte das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal zu. Das höchste Quartalswachstum seit der Wiedervereinigung!
      Quelle: BILD.de
    4. Bild-Zeitung vom 30.7.2010
      „Fachkräftemangel wird zum Schlüsselproblem“ Brüderle will Spezialisten aus dem Ausland mit Geld locken
      Unternehmen sollen Lock-Prämien zahlen +++ Kritik von CSU und Verdi
      Quelle: BILD.de
    5. Bild-Zeitung vom 28.7.2010
      2010 rund zwei Millionen Arbeitsplätze mehr Neue Studie sagt Jobwunder voraus!
      Brüderle spricht schon von Vollbeschäftigung
      Quelle: BILD.de
    6. und noch einmal die Bild-Zeitung – vom 17.9.2000:
      Keiner kommt so gut aus der Krise wie wir! Das neue deutsche Wirtschaftswunder
      Die Amerikaner feiern die starke deutsche Wirtschaft als „Powerhouse“

      Von Oliver Santen und Jan W. Schäfer
      Keiner kommt so gut aus der Krise wie wir! Das neue deutsche Wirtschaftswunder
      Die Amerikaner feiern die starke deutsche Wirtschaft als „Powerhouse“
      Von Oliver Santen und Jan W. Schäfer

      Als „Germany Superstar!“ und „Deutsches Powerhouse!“ feiern uns die Amerikaner. Unser Jobwunder wird zum Wirtschaftswunder.
      +++ Wachstum rauf! +++ Arbeitslosigkeit runter! +++ Auftragsbücher voll!
      Bald haben wir unter drei Millionen Arbeitslose und so viele Jobs wie vor der Wende. Die Welt staunt über die bärenstarke deutsche Wirtschaft!
      US-Medien feiern die deutsche Wirtschaft bereits als „Germany’s Superstar Economy“ und neues „Powerhouse“ (dt. Kraftpaket). Das angesehene „Wall Street Journal“ urteilt „Merkel 1, Obama 0“ und lobt: „Die Kanzlerin befolgte eine simple Regel: Schade der Wirtschaft nicht.“

      +++ Von April bis Juni wuchs die Wirtschaft um stolze 2,2 %. Das ist das größte Plus seit der Wiedervereinigung vor 20 Jahren. Zum Vergleich: Die US-Wirtschaft legte nur um 1,6 % zu.

      Mittlerweile beklagen viele Unternehmen, dass sie nicht mehr genügend Mitarbeiter finden. (…) CDU/CSU-Fraktionsvize Michael Fuchs: „Wir müssen klären, wie wir die Abwanderung von jährlich 150 000 Fachkräften aus Deutschland stoppen können. Und wie wir mehr ausländische Fachkräfte zu uns ins Land holen können.“
      Quelle: BILD.de

    Im September lief erkennbar die gleiche Kampagne wie im Juli und August. Es ist zu erwarten, dass dies so weitergeht. Übrigens wurde der letzte Artikel in der Bild-Zeitung von einem ausgewiesenen PR-Journalisten mit verfasst, von Oliver Santen. Leser der NachDenkSeiten wie auch meines Buches „Machtwahn“ kennen ihn schon von der Kampagne zur Privatisierung der Renten. Er war früher als Pressesprecher der Allianz AG tätig und wechselte dann zu der Bild-Zeitung und betreibt dort allerlei Produkte des Kampagnenjournalismus.

Deutschland ist Schlusslicht: Einkommensentwicklung von 2000-2010 im EU-Vergleich

Mit der laufenden Kampagne soll verdeckt werden, wie die Lage der Mehrheit der Menschen in Deutschland wirklich ist und wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt hat: sehr viel schlechter als in nahezu allen anderen Ländern der Europäischen Union. Dazu nur eine einzige Abbildung [PDF – 541 KB] mit der Quelle Kommission der Europäischen Union, die Darstellung der Einkommensentwicklung von 2000-2010 im EU-Vergleich. Deutschland ist bei der durchschnittlichen jährlichen Zunahme der realen Bruttoverdienste je Arbeitnehmer mit 0,1 % weit abgeschlagenes Schlusslicht.

Noch zwei Ergänzungen:

  1. Zum Thema Fachkräftemangel, genauer zum angeblichen „Ingenieurmangel“ schickte uns einer unserer Leser das Ergebnis seiner eigenen Erfahrungen:

    „Hallo liebe NDS-Macher,
    leider werdet Ihr immer unverzichtbarer nicht nur “Integrationsunwillige” ,sondern die fast gänzliche sog. Elite lebt ja in einer Parallelgesellschaft.
     
    Bild Schlagzeile: Ingenieur: So kriegen Sie Deutschlands sichersten Job
     
    Dass ich nicht nicht lache, meine Kommilitonen und ich sind seit 6 Monaten meist erfolglos im Bewerbungsmarathon.
     
    Wir sind alle Wirtschaftsingenieure.Unsere Vorlesungen waren im Hauptstudium ausnahmslos auf englisch und alle haben noch eine 2.Fremdsprache erlernt.
    Wir waren jeweils 6 Monate im Ausland (USA,Kanada,China,Spanien,Schweden) und zusätzlich mindestens 6 Monate im Unternehmen (BMW,VW,Daimler,Eon,Thyssen,CLAAS,..).
    Das würde ich als eine mehr als gute Ausbildung bezeichnen.
     
    Die Realität ist, dass erst jetzt nach 6 Monaten die Ersten von uns Jobangebote haben und dass auch nur bei den Ingenieurdienstleistern, sprich Zeitarbeit.
    Flexibilität wird in jeder Hinsicht ausgeschlachtet und wer dafür 36.000 Euro brutto bekommt hat Glück gehabt. An Vorsorge ist auch da nicht zu denken.
    Nach einem Studium, welches nur durch eine externe Finanzierung möglich war, hatte ich nach 7 Semestern schließlich genau diese 36.000 Euro an Schulden bei der KfW angehäuft. Das ist die triste Wahrheit:20 Jahre Studienkredit abzahlen um sich als moderner Hilfsarbeiter ausbeuten zu lassen. Und das nach o.g. Studium.
     
    Aber das ist ja nur ein mickriges Beispiel zu den vielen Tausend noch schlechteren Zuständen.
    Die Bild Zeitung wird von Tag zu Tag unerträglicher in ihrer Propaganda.
    Wie ich gestern las :”Merkel ermahnt die ganze Welt” da hätte ich mich ja fast nass gemacht.
    Sie hat sich wieder verdient gemacht bei Springer u. Bertelsmann, also gibt es Streicheleinheiten.
    Die Machtverhältnisse sind hier klar geregelt ;-)

  2. Zweite Ergänzung – eine längere Anmerkung unseres Lesers G.K. zum Artikel in der Bild-Zeitung vom 17. September:

    Beim Lesen dieses Propaganda-Schmachtfetzens von BILD kann man sich nur noch an den Kopf fassen! Hier werden in schier unglaublicher Art und Weise Fakten wahlweise beschönigt, verdreht oder unterschlagen.

    BILD unterlegt ein Brüderle-Foto mit folgendem Text: “Er ist der Minister des neuen deutschen Wirtschaftswunders”. Selbst bei Existenz eines von BILD behaupteten deutschen “Wirtschaftswunders” hätte dieses mit der Person und Politik Brüderles rein gar nichts zu tun! Brüderle wurde erst Ende vergangenen Jahres Bundeswirtschaftsminister. Auf die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts des ersten Halbjahres 2010 hatte Brüderles Politik keinerlei Einfluss. Dies auch vor dem Hintergrund, daß die Handlungen der schwarz-gelben Koalition selbst nach Meinung der ihr nahestehenden Medien bisher von Chaos, widersprüchlichen Entscheidungen und Streit dominiert waren. Gäbe es das von BILD behauptete “Wirtschaftwunder”, dann trotz, nicht jedoch wegen Brüderles (und schwarz-gelber) Politik. BILD schreibt: “Durch Kurzarbeit konnten in der Krise rund eine Million Jobs gerettet werden. Viele Länder beneiden uns darum. In den USA ist das Wort `Kurzarbeit´ schon unübersetzt übernommen worden“ (wie `kindergarden´).” Wie sehr der angebliche “Wirtschaftswunder-Minister” Brüderle mit tatkräftiger Unterstützung von BILD mit fremden Federn geschmückt wird, zeigt sich exemplarisch und überdeutlich beim Thema Kurzarbeit: Der von der Grossen Koalition beschlossene Ausbau der Kurzarbeit ein SPD-Vorschlag gewesen, den die FDP entschieden bekämpft hatte.

    Laut BILD feiern “die” US-Medien die deutsche Wirtschaft. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß auch in den USA die Redaktionsstuben in den vergangenen Jahren personell stark ausgedünnt wurden, so daß die dortigen Journalisten immer weniger Zeit für die eigene Recherche aufbringen können und sich bei ihrer Berichterstattung sehr häufig aus “zweiter Hand” bedienen müssen. Im vorliegenden Falle heißt dies: Sie orientieren sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an der “Jobwunder-” und “Wirtschaftswunder”-Berichterstattung der deutschen Mainstreammedien. Als Beispiel für eine unkritisch-überschwängliche US-Berichterstattung zitiert BILD das “angesehene Wall Street Journal” – mithin jene Zeitung, die wie kaum ein anderes US-Medium das Sprachrohr des rechtskonservativ-neoliberalen Wallstreet-Finanzkapitalismus ist. Jenes Finanzkapitalismus, der nicht unwesentlich für die Ursachen der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise Verantwortung trägt. BILD schreibt: “Das angesehene Wall Street Journal urteilt `Merkel 1, Obama 0´ und lobt: `Die Kanzlerin befolgte eine simple Regel: Schade der Wirtschaft nicht.´” Diese zustimmend von BILD zitierte Aussage des Wall Street Journal ist an Dreistigkeit kaum noch zu übertreffen:

    • Die schier unglaubliche wirtschafts- und finanzpolitische sowie innen- und außenpolitische Problemlast, welche Barack Obama von George W. Bush zu übernehmen hatte, läßt sich sehr trefflich mit dem Terminus “Erblast” umschreiben. das neoliberale Wall Street Journal verschweigt, daß vor allem die neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik Bushs (z.B. Steuergeschenke an Wohlhabende und die Wirtschaft, Umverteilung von unten nach oben, rücksichtslose Klientelpolitik) sowie der extrem kostenintensive Irakkrieg die Verantwortung dafür tragen, daß der US-Staatshaushalt bereits zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Finanz- und Wirtschaftskrise ein sehr hohes Staatsdefizit aufwies. Es sei daran erinnert, daß BILD hierzulande stets zu den eifrigsten Unterstützern des völkerrechtswidrigen und kostentreibenden Irak-Krieges zählte und auch Frau Merkel Deutschland an der Seite der “Koalition der Willigen” in den Irakkrieg führen wollte.
    • Das rechtskonservativ-neoliberale Wall Street Journal möchte wohl vegessen machen, daß es die unkontrollierten finanzkapitastischen Exzesse waren, die insbesondere in den USA zu unglaublich hohen “Kollateralschäden” führten und deren Folgen Barack Obama heute auszubaden hat.
    • BILD zitiert das Wallstreet Journal: “Die Kanzlerin befolgte eine simple Regel: Schade der Wirtschaft nicht”. Welch ungeheuerliche Verlogenheit! Dieses “Argument” liest sich so, als wolle BILD damit der von Schwarz-Gelb betriebenen Klientelpolitik (z.B. zu Gunsten der Atomindustrie, der Pharmaindustrie, der Versicherungswirtschaft und des Hotelgewerbes) sowie der Sparpolitik zu Lasten des “kleinen Mannes” einen Heiligenschein verpassen. Und: Wurden uns vor nicht allzu langer Zeit von rechtskonservativ-neoliberalen Medien die USA nicht stets als mustergültiges Land für “Deregulierung”, “Flexibiliserung” und “Privatisierung” mit Penetranz unter die Nase gerieben? Wurde nicht ständig darauf gedrungen, unser Land noch stärker am “flexiblen, modernen US-Kapitalismus” auszurichten? Kurzum: Wurde nicht permanent behauptet, ein noch Mehr an Neoliberalismus würde uns ins “gelobte Wirtschaftwunderland” führen? BILD verfährt heute nach dem Motto: “Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern” (und möchte die deutsche Politik trotzdem auch weiterhin auf neoliberalem Kurs halten).

    BILD bejubelt ein momentan überdurchschnittliches deutsches Wirtschaftswachstum und blendet kritsche Fragen und Aspekte vollständig aus:

    • Während der Wirtschaftskrise schrumpfte das deutsche Bruttoinlandsprodukt stärker als beim Durchschnitt der EU- sowie OECD-Staaten.
    • Wer heftig abstürzt, hat auch viel wieder aufzuholen: Trotz hohem BIP-Wachstum im 2. Quartal 2010 liegt das deutsche Bruttoinlandsprodukt noch um -2,7 Prozent unterhalb des Niveaus vom 1. Quartal 2008 (dem letzten Quartal vor Ausbruch der Wirtschaftskrise). Selbst die USA schneiden hier besser ab: Deren Wirtschaftleistung liegt nur um 0,3 Prozent unter dem Niveau vom 1. Quartal 2008 (Frankreich: -1,3 Prozent, Großbritannien: -3,4 Prozent, Griechenland: -5,4 Prozent).
    • Das deutsche BIP-Wachstum ist vor allem exportgetrieben und profitiert momentan von den weltweit aufgelegten staatlichen Konjunkturpaketen.
    • Während der Haushaltsdebatte erklärte Brüderle: “Das deutsche Jobwunder löst Hunderttausende persönliche Konjunkturprogramme aus”. Die “Qualität” der in diesem Jahr geschaffenen Stellen (zumeist schlecht bezahlte Leiharbeit/Teilzeitarbeit) blendet Brüderle völlig aus. Brüderle verschweigt zudem das im kommenden Jahr negativ wirkende “Konjunkturprogramm” aus mit hoher Wahrscheinlichkeit nominal stagnierenden und damit real sinkenden Renten sowie der Kürzung sozialer Leistungen vor allem bei den sozial schwachen Mitgliedern unserer Gesellschaft.
    • BILD blendet die negativen Folgen der extremen Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft völlig aus. So hat das hiesige Lohndumping der vergangenen Jahre (das mit einer äußerst schwachen Entwicklung des Privaten Verbrauchs einhergeht) der Wettbewerbsfähigkeit zahlreicher Staaten der Eurozone schweren Schaden zugefügt und trägt in nicht unwesentlichem Maße Mitverantwortung für die ökonomischen Probleme innerhalb der Eurozone. Deutschland weist in Europa mittlerweile den höchsten prozentualen Anteil der im Niedriglohnsektor beschäftigten Arbeitnehmer aus. Der von Deutschland ausgehende Druck auf die Löhne und Gehälter sowie die Sozialleistungen der übrigen Eurozonen-Staaten droht in einer deflationären europäischen Abwärtsspirale zu münden. Siehe hierzu auch folgende vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) veröffentlichte Studien:

      “Einseitige Exportorientierung belastet Wachstum – Frankreich besser als Deutschland”

      “Mit dem Export aus der Krise? Deutschland im Euroraumvergleich”

      Brüderle, BILD und zahlreiche Mainstreammedien bejubeln lautstark und völig unkritisch das angebliche deutsche “Jobwunder”. Sowohl bezüglich der aktuellen Arbeitsmarktentwicklung als auch im Hinblick auf den längerfristigen Trend der Arbeitslosenzahlen wird jedoch von BILD, Brüderle und zahlreichen Mainstreammedien ein deutlich geschöntes Bild gezeichnet:

      So bejubeln unsere Medien den im Vorjahresvergleich “kräftigen” Zuwachs bei den sozialversicherungspflichtigen Stellen. Dieser Zuwachs betrug im Juni 2010 (dem letzverfügbaren Monat, zu dem die Bundesagentur für Arbeit Daten bereit gestellt hat) im Vergleich zum Vorjahres-Juni 284.000 Personen. Wirft man hingegen einen Blick hinter die Kulissen der offiziell gemeldeten Daten, dann sind bzgl. der Qualität dieser Stellen deutliche Abstriche vorzunehmen. Es zeigt sich, daß sich die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse selbst bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen weiter fortsetzt:

    • Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitjobs hat sich im Juni 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 174.000 Personen erhöht. Teilzeitstellen zeichnen sich im Vergleich zu Vollzeitstellen nicht nur durch eine niedrigere Stundenzahl, sondern auch durch eine um ca. 25% geringere Stundenentlohnung (lt. Statistischem Bundesamt) aus.
    • Die Zahl der zwar sozialversicherungspflichtigen, in aller Regel jedoch ebenfalls prekären Leiharbeiterjobs erhöhte sich im Juni 2010 im Vorjahresvergleich um 177.000.

    Der NachDenkSeiten-Beitrag “Statistisches Bundesamt: Rund neun Millionen Menschen wünschen sich (mehr) Arbeit” zeigt, in welch hohem Maße die offiziell ausgewiesenen Arbeitslosendaten die tatsächliche Lage auf dem Arbeitsmarkt verschleiern.

    Bezüglich des längerfristigen Entwicklungstrends bei den Arbeitsmarktdaten und der von den Medien bejubelten Zahl der in den vergangenen Jahren neu geschaffenen Arbeitsstellen schreibt das Neue Deutschland unter der Überschrift “Dichtung und Wahrheit des Beschäftigungswunders”:

    “Statistiker entdecken die »Vollbeschäftigteneinheit« als neue Grundlage für die Erwerbslosenzahlen. Die realen Erwerbslosenzahlen sind viel höher als es die offizielle Statistik Monat für Monat angibt. Nun hat der Staat eine neue Berechnungsmethode gefunden – sie ähnelt einer, die schon in der DDR angewendet wurde.
    Um diese Vielzahl von Erwerbspersonentypen zu bündeln, sei eine Neuberechnung zu »Vollzeitäquivalenten« erforderlich. Die verschiedenen Erwerbstätigengruppen werden dabei nach dem Maß ihrer Beteiligung am Erwerbsprozess gewichtet. Das Bild des deutschen Beschäftigungswunders verändert sich schlagartig, werden die auf diese Art und Weise berechneten Erwerbstätigenzahlen genutzt. Der bisher ausgewiesene Zuwachs von 1,9 Millionen Arbeitsplätzen im Zeitraum zwischen 1999 und 2008 schrumpft nach diesen Berechnungen auf etwa ein Fünftel, nämlich nur noch auf 382 000 zusätzliche Vollzeitäquivalente. (…) Leider liegen aktuellere Daten für 2009 und 2010 nicht vor. Angesichts dieser Zahlen von einem Beschäftigungswunder zu sprechen, ist pure Heuchelei.”

    Die letztverfügbaren Daten des Jahres 2008 beziehen sich auf die Zeit, als sich die Wirtschaftskrise noch nicht auf dem Arbeitsmarkt ausgewirkt hatte. Dies ist ein Indiz dafür, daß sich die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt ähnlich darstellen dürfte wie zum damaligen Zeitpunkt. Im übrigen wird die im ND-Beitrag beschriebene Berechnungsmethodik auch in der Unternehmenspraxis häufig zur Ermittlung vergleichbar gerechneter Beschäftigungsdaten herangezogen. Diese Berechnungsmethodik zeigt, daß die seit 1999 in großem Umfang stattgefundene Umwandlung von Vollzeitarbeitsplätzen in Teilzeit- und Minijobs sowie die Einführung der 1-Euro-Jobs zu einer drastischen Aufhübschung der Erwerbstätigen- sowie der Arbeitslosenstatistik geführt hat.

    Ergänzend zu der auch im internationalen Vergleich schlechten Entwicklung der hiesigen Arbeitnehmereinkommen zeigt die deutsche Arbeitsmarktentwicklung der vergangenen Jahre eine sehr deutliche Verschlechterung der Qualitität der Arbeitsplätze:

    • Starke Zunahme der zeitlichen Befristung der Arbeitsplätze,
    • Umwandlung von Vollzeitarbeitsplätzen in zumeist schlecht bezahlte Mini- und Teilzeitjobs,
    • Einführung der sog. “1-Euro-Jobs”,
    • Deutliche Ausweitung der Leiharbeit.

    Zu diesen negativen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt schweigen sich BILD, die überwiegende Zahl der Mainstreammedien sowie Brüderle weitestgehend aus.

    Auch das Thema “Facharbeitermangel” wird propagandistisch eingespannt. Kritische Hinweise fehlen zur Gänze! Siehe hierzu den NachDenkSeiten-Beitrag sowie die dort angeführten Links: “Einige Interessante Mails zur Debatte um den angeblichen Fachkräftemangel”

    BILD zitiert den CDU/CSU-Fraktionsvize Michael Fuchs: „Wir müssen klären, wie wir die Abwanderung von jährlich 150 000 Fachkräften aus Deutschland stoppen können.” Fuchs gehört innerhalb der Unionsfraktion zur Riege der neoliberalen Hardliner. Sowohl BILD als auch Fuchs sollten sich einmal die Frage stellen, ob die seit langen Jahren andauernde schlechte Entwicklung der deutschen Löhne und Gehälter ursächlich oder zumindest mit ursächlich für die Abwanderung von Fachkräften aus Deutschland sein könnte.


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