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Titel: Schluss mit Fake Food – wir müssen zurück zu einer authentischen Ernährung

Datum: 28. Dezember 2020 um 11:30 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Ressourcen, Wertedebatte
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In der Küche geht es um das Wichtigste überhaupt: um unser Leben. Das zeigt der ehemalige Sternekoch Franz Keller in seinem Buch „Ab in die Küche!“ eindrücklich und fordert uns auf, uns von Fake-Food und Industriefertigessen zu verabschieden und wieder mehr selber zu kochen. Denn nur so können wir die Kontrolle über unser Essen zurückgewinnen und eine Menge Gutes für unsere Gesundheit und zur Rettung des Planeten tun.

Ich bin kein Klimaaktivist, sondern ein Koch, doch die Klimaveränderung ist für mich weder eine ideologische noch eine theoretische Debatte. Ich lebe hier auf meinem Falkenhof seit vielen Jahren mit meinen Tieren zusammen und erlebe hautnah, was Klimawandel konkret bedeutet. Ein Dürresommer wie 2018 bringt mich an den Rand der Existenz, weil meine Rinder nicht genügend Futter auf der Weide finden und selbst der Futterzukauf zum Problem wird, ganz einfach, weil es knapp wird und die Preise explodieren. Auch 2019 war es wieder viel zu trocken und meine Rinder fanden viel weniger Gras auf meinen Weiden. Wenn sich das nun in unschöner Regelmäßigkeit wiederholt, dann kann ich meinen Traum von einer artgerechten Tierzucht womöglich in Zukunft an den Nagel hängen. Und dann ist Schluss mit dem perfekten Genuss.

Soweit ist es glücklicherweise noch nicht und die gute Nachricht ist: Wir haben es selbst in der Hand und können noch heute damit anfangen, die Dinge zum Besseren zu wenden. Nach den vielen persönlichen Gesprächen, die ich in den letzten Monaten geführt habe, würde ich sogar behaupten, dass große Teile unserer Bevölkerung bereit und offen für Veränderung sind. Und zwar sowohl in ihrer eigenen Ernährungsweise als auch in Bezug auf die Nahrungsmittelproduktion in unserer hochindustrialisierten Landwirtschaft. »Moment mal, Herr Keller, ein Blick in die Statistik widerlegt Ihre Behauptung aber klar.« Ja, diesen Einspruch höre ich oft und er ist auf den ersten Blick nicht von der Hand zu weisen: In Umfragen bekennen mehr als 85 Prozent der Deutschen, dass ihnen das Tierwohl sehr am Herzen liegt. Die Krux ist nur, dass sich der überwiegende Teil am Supermarktregal aber trotzdem für Billigfleisch aus der Mastfabrik entscheidet. Der Anteil an Biolebensmitteln liegt im Gesamtmarkt für Lebensmittel noch immer bei nur rund fünf Prozent und bei Biofleisch noch weit darunter.

Wie erklärt sich dieser Unterschied zwischen Wünschen und Wollen und dem konkreten Handeln? Banale Antwort: Es liegt am Preis. Ein Bekenntnis zum Tierwohl ist in Umfragen schnell gegeben, doch wenn es Geld kostet, werfen wir die guten Vorsätze sofort über Bord. Speziell in Deutschland haben wir uns daran gewöhnt, dass Essen billig ist. In den 1950er-Jahren haben wir pro Haushalt noch circa 45 Prozent unseres Einkommens für Essen ausgegeben, heute sind es im Durchschnitt gerade mal 15 Prozent.

Also doch besser Klappe halten, Franz? Nein, sage ich, denn der Blick auf den Preis erklärt nicht alles, beziehungsweise bezahlen wir für unser Billigessen an anderen Stellen einen Preis, der vielen Menschen gar nicht bewusst ist. In meinen Diskussionen habe ich immer wieder festgestellt, es fehlt an Wissen, an Transparenz und Aufklärung. Und es fehlt an einer Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik, die Umwelt- und Klimaschutz, vor allem aber die Gesundheit und die Wünsche der Bevölkerung ernst nimmt und nicht nur im Interesse großer Konzerne in der Agrarindustrie handelt.

Schon mal was von Fake Food gehört? Darunter versteht man für gewöhnlich gefälschte Lebensmittel. Olivenöl zum Beispiel, das uns zum Spitzenpreis als »extra nativ« verkauft wird, aber mit minderwertigen Ölen gepanscht wird. Wein, Honig, Milch, Gewürze, Pferdefleisch-Lasagne, Parma-Schinken – die Liste der gefälschten Lebensmittel, die jährlich einen Schaden von mehr als 13 Milliarden Euro* verursachen, ist lang, denn es fehlt an effektiven Kontrollen, um den kriminellen Lebensmittelfälschern das Handwerk zu legen, die damit Profite machen, wie sie sonst nur im illegalen Drogenhandel erzielt werden. Für mich allerdings sind auch viele ganz legale Nahrungsmittel aus unserer hochindustrialisierten Lebensmittelproduktion nichts anderes als Fake Food. Ein Stück Fleisch aus der Mastfabrik sieht vielleicht noch aus wie ein Rinderfilet oder eine Hühnerbrust, aber es hat wirklich nicht mehr viel damit zu tun.

Ich habe mich vor mehr als 20 Jahren aus dem elitären Sterne-Zirkus verabschiedet, weil ich schon damals gespürt habe, dass wir auf einem völlig falschen Weg unterwegs sind. Und das gilt heute mehr denn je. Wir müssen im eigenen Interesse Schluss machen mit Fake Food aus den Mastfabriken und der Ernährungsindustrie und zurück zu einer authentischen Ernährung kommen. Deshalb heißt es jetzt: Ab in die Küche! Denn das ist der beste Weg, um die Kontrolle über unsere eigene Ernährung zurückzugewinnen.

Statistisch betrachtet hält sich nämlich die Begeisterung der Deutschen fürs Kochen nach wie vor in Grenzen. Zusammengefasst sind es immerhin fast ein Viertel aller Deutschen, die nie oder höchstens einmal in der Woche am heimischen Herd stehen. Hier ist also noch reichlich Luft nach oben und ich hoffe und wünsche mir, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, ab sofort den Kochlöffel häufiger in die Hand nehmen.

* »Nahrungsmittelbetrug: Diese Lebensmittel werden besonders häufig gefälscht«, online unter: www.geo.de

Titelbild: Lightspring/shutterstock.com

Dieser Text ist ein Auszug aus: Franz Keller: „Ab in die Küche! Wie wir die Kontrolle über unsere Ernährung zurückgewinnen“, 224 Seiten mit zahlreichen Fotos, Westend Verlag 2020


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