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Titel: Leserbriefe zu „„Aus rein wissenschaftlicher Sicht“ – Christian Drosten im Tagesthemen-Interview“

Datum: 29. Januar 2021 um 15:30 Uhr
Rubrik: Leserbriefe
Verantwortlich:

Jens Berger kritisiert in diesem Artikel ein Interview der „Tagesthemen“-Moderatorin Caren Miosga mit dem Virologen Christian Drosten. Es fällt u.a. durch unkritische Fragen und „eine möglichst alarmistische Richtung“ auf. Danke für die interessanten E-Mails. Hier eine Auswahl der eingereichten Leserbriefe. Zusammengestellt von Christian Reimann.


1. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger,
 
ich stimme voll und ganz mit Ihnen überein. Der Virologe Drosten sollte einfach nur noch seine Klappe halten.
 
Allerdings hat es in Südafrika Temperaturen von um die 25Grad und Covid-19 scheint sich nicht daran zu halten, was andere Coronaviren so tun. Von steil fallenden Fallzahlen hab ich noch nichts gehört.
 
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Hennig

Anmerkung Jens Berger: Sehr geehrter Herr Hennig,

für die hohen Inzidenzwerte in Südafrika, Indien und Brasilien gibt es eine andere – für mich sehr überzeugende – Erklärung, der in folgender Studie nachgegangen wird.

Offenbar scheint eine Kombination aus hohen Temperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit bei der Übertragung über Aerosole ein fördernder Faktor zu sein; aber das ist auf das mitteleuropäische Klima kaum übertragbar.

Beste Grüße
Jens Berger


2. Leserbrief

Lieber Jens Berger,

ein Experte, wie der Virologe Christian Drosten, ist in meinen Augen per se jemand, dessen Sachverstand und Autorität sich im übertragenem Sinn auf eine Parzelle erstreckt und nicht jemand, der (interdisziplinär) von einem Berg aus aufs Ganze schaut.
Der Problematik des von Ihnen kritisierten Interviews liegt für mein Verständnis nicht ein mangelndes Differenzierungsvermögen Prof. Drostens zugrunde (das ich Prof. Drosten hiermit weder attestieren noch unterstellen möchte), sondern etwas gesellschaftlich Grundlegendes.

Hierzu zweierlei in maximal komprimierter Form:

  1. Das Thesenpapier 7 (Seite 99 bis 108 – extrem lesenswert) der neunköpfigen Autorengruppe um Prof. Schrappe konstatiert eine Verengung des öffentlichen Diskurses sowie eine gleichzeitige Legitimierung politischer Entscheidungen als Umsetzung wissenschaftlich autorisierten Wissens (Expertokratie). Das Wiederaufleben des Expertenwissens, das sich laut der Autoren vor Corona “auf der Stufenleiter der wissenschaftlichen Evidenz ganz unten befand” (weit hinter dem wissenschaftlichen Diskurs, methodischen Zweifeln und wissenschaftlicher Belege), sieht das Autorenteam vor allem durch archaisch verankerte Mechanismen aktiviert: in der Krise vertrauen Politik und Bevölkerung den personalisierten Experten wie Prof. Drosten.
  2. Ich glaube nicht, dass allein die mit einer Krise verbundenen Unsicherheiten und Ängste solch ein Zurückfallen auf eine “frühere Entwicklungsstufe” ausreichend erklärt.

Konstituierend hierfür scheint mir die mit dem Neoliberalismus einhergehenden Perspektivverschiebungen zu sein. Der Neoliberalismus (grob vereinfacht: der Markt als universelles Regulativ) ist geschichtlich eine Gegenreaktion auf linke Umverteilungspolitik (Rotes Wien 1919-34, New Deal 1933-38) und hat sich geistesgeschichtlich im Positivismus (stark vereinfacht: Messbarkeit und Quantifizierung als objektive Eigenschaften von Dingen und Qualitäten) verankert, aus dem er fälschlicherweise seine “Wissenschaftlichkeit” wie Geltungsanspruch ableitet. Szientismus und Solutionismus sind zwei Ableger des Positivismus. Der Szientismus (grob gesagt eine Reduktion der Lebenswirklichkeit aufs Wissenschaftliche) ist eine streng positivistische Sicht auf Wirklichkeit, insofern überrascht es vielleicht etwas weniger, dass Gesellschaften, die über viele Jahre mit dem Ungeist der neoliberalen Ideologie geimpft worden sind, für eine entsprechend verkürzte, alternativlose Sicht auf das epidemiologische Geschehen empfänglich sind. Ich verstehe den Neoliberalismus als totalitäre Ideologie, die in letzter Konsequenz das “Selbst”, das es weitestgehend aus seinen sozialen und historischen Bezügen herausgelöst hat, neu konstituieren will als Problemlöser. Der Solutionismus (solution) ist ein weiteres Rädchen im neoliberalen Getriebe, indem er alle Probleme auf klar technisch definierbare, einer eindeutigen Lösung zuführbare reduziert und nicht einer gemeinschaftlich ausgehandelten Lösung zuführt.

Stefan Eichardt


3. Leserbrief

Liebes Leserbriefteam, lieber Jens Berger,
 
vielen Dank für Ihren Artikel über die Praxis von Interview-führungen und – Verführungen.
 
Nun halte ich die Tagesschausprecher-innen alle nicht für Journalisten, sondern für Nachrichtensprecher-innen, die den Anstrich einer journalistischen Fachkompetenz bekommen. Wie ich mal las, werden sie ausgesucht nach Aussehen und Stimme. Dann dürfen sie lesen und vielleicht, damit es kompetent aussieht, auch Interviews führen, die allerdings von Redakteuren im Hintergrund geschrieben werden, genauso wie die Texte, die sie zu lesen haben.
 
Zu Herrn Drosten machte es mehr Sinn sich zu enthalten oder auf seine Funktion bei den Planspielen die in 2019 in den USA stattgefunden haben und auch der damalige Gesundheitsminister Grohe anwesend war. Drosten ist also nicht neutral und politisch genau das, was Sie als Falke beschreiben. In der Politik sind das dann die Kriegstreiber und jetzt befinden wir uns auch in so was ähnlichem wie einem Corona-Krieg.
 
Es gibt Eskalationsstufen, die eingehalten werden müssen, damit es immer wieder Begründungen für eine Verlängerung der Corona-Schutz-Zwangsnahmen geben kann.
 
Und die dusselige Bezeichnung aus „rein wissenschaftlicher Sicht“ macht die Fragestellerin nicht klüger und den Beantworter auch nicht,  der sich allerdings für diese Bezeichnung „Wissenschaftler“ gebauchpinselt fühlen kann, da er in Wirklichkeit keiner ist, eben sowenig wie Merkel eine Wissenschaftlerin, trotz Doktortitel oder Karen Miosga eine Journalistin ist. Echte Wissenschaftler lieben den Disput oder die Disputation, das Abwägen von allen Vor-und Nachteilen. Das was hier gespielt ist: „Wir tun so als ob….“
 
Sie kennen das Spottlied „Die Wissenschaft, die Wissenschaft hat festgestellt, dass Marmelade Fett enthält? Darum essen wir auf jeder Reise Marmelade eimerweise.“
 
Besser doch mal kräftig lachen über das was sich derzeit Journalismus und Wissenschaft nennt.
 
Viele Grüße
Karola Schramm


4. Leserbrief

Lieber Herr Berger,

Sie wundern sich darüber, dass die Medien aktuell nur als Schwarzmaler und Pessimisten agieren. Meine Erklärung für dieses Phänomen ist, dass die Journalistinnen und Journalisten sich verantwortlich fühlen. Sie sehen sich schon lange als vierte Macht und damit auch als Erzieher der Nation. Bei der Pandemie kommt nun hinzu, dass es hier um Menschenleben gehen kann, die ganz offensichtlich in Krankenhäusern zähl- und berichtbar sind (die Menschenleben außerhalb der Krankenhäuser sind weniger zähl- und medial verwertbar). Wenn Journalisten nun neutral berichten würden und kritische Stimmen ebenso zu Wort kommen lassen würden, wären sie dann nicht mit schuldig, wenn sich die Pandemie aus diesem Grund ausbreitet? Sie fühlen sich verantwortlich dafür, dass die Menschen das Richtige tun: Wenn die Medien die Moral untergraben, dann wird Deutschland untergehen! So scheint mir die Berichterstattung der Journalistinnen und Journalisten erklärbar.

Sicherlich dürfte sich die Politik über diese selbst auferlegte Rolle der Medien freuen. Ob sie allerdings aufoktroyiert wurde, wage ich zu bezweifeln. Mir scheint, dass hier ein vorhandenes Selbstverständnis (vierte Macht, neuerdings auch: Haltung zeigen) auf ein wahrgenommenes und medial verarbeitetes (damit auch: skandalisiertes) Problem trifft. Das Ergebnis haben Sie in Ihrem Artikel schön beschrieben: Wenn nur ein bisschen gelocktert wird, dann geht Deutschland unter.

Das wird sich erst wandeln, wenn es genügend Politikerinnen und Politiker gibt, die für Lockerungen plädieren. Dann werden die Medien auch noch warnen, aber letztlich doch darüber berichten und sich irgendwann auch anschließen. Es war ja die Politik, die eigentlich dafür die Verantwortung trägt.
 
Viele Grüße
N. Krause


5. Leserbrief

Liebe NDS-Redaktion,

die Vogelgrippe hatte vergleichsweise wenig Opfer, aber 50 Prozent der Todesfälle waren unter zwanzig Jahr alt. Würden auch alle so nach Lockerungen rufen, sich nach Wiedereröffnung von Schulen und Kitas sehnen, wenn die meisten der 50000 Opfer in Deutschland unter Kindern und Jugendlichen zu finden wären? Oder zählen nicht alle Leben gleich viel in Deutschland? Je älter, desto wertloser? Vielleicht sollten kritische Journalisten wie Herr Berger zur Kenntnis nehmen, dass die Risikogruppen in Deutschland zwischen 25 – 30 Mio. Menschen umfassen, da muss man allgemein sehr umsichtig handeln. Wenn man Hochbetagte in Pflegeheimen einen besonderen Schutz angedeihen lassen will, dann kann man diese nicht für jedermann sperrangelweit geöffnet halten. Besuche kann man dann nur so vorsichtig stattfinden lassen, wie es auf Isolierstationen in Kliniken der Brauch ist (z.B. bei Patienten nach Knochenmarkstransplantationen – also Einzeln in Schutzkleidung usw. – Hat Herr Berger zuhause eine Wohnungstür und schließt er diese, wenn er das Haus verlässt? Wozu? Wohnungseinbrüche finden ja trotzdem immer wieder statt :-)). Des Weiteren wirken sich die Schulschließungen sehr effektiv auf das Sinken der Fallzahlen aus (Studie der ETH Zürich) –  das lässt mich vermuten, dass gerade Schulen zu den großen “Infektionsinkubatoren” zählen (nicht missverstehen, die Kinder können nichts dafür – aber so manche Schule ähnelt schon sehr einer Schrottimmobilie. Herr Berger hat selbst auf den NDS über den Investitionsstau – 118 Mrd. Euro – in den Schulen berichtet, 27.8.2018). Trotz Winter-Saison dämmt die Einhaltung der AHA-L-Regeln auch andere Infektionskrankheiten ein. Gab es in der 2. KW 2020 noch 2821 laborbestätigte Grippefälle, so waren es heuer nur noch 29. Auch Bronchitis, Lungenentzündungen, Magen-Darm-Infektionen sind je nach Gebiet zwischen 25 – 60 Prozent rückläufig. Lockdowns sind schon wirksam – wie hätte sich das Corona-Infektionsgeschehen wohl ausgewirkt, wenn man gar keine Maßnahmen ergriffen hätte? Die Grippesaison ist übrigens auch im australischen Winter ausgefallen. Wie sich die infektiöseren Virus-Mutationen verbreiten können, hat der britische Mathematiker und Epidemiologe Adam Kurchaski in Modell-Rechnungen gezeigt. Da die Fallzahlen rapide nach oben schießen, werden schwere Verläufe auch bei Jüngeren stark zunehmen. Wir wollen hoffen, dass Drosten und Kucharski sich irren – sonst haben wir im Sommer tatsächlich noch große Probleme.

Viele Grüße
Michael Wrazidlo


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