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Titel: Die FDP leistet sich einen armen Staat. Weitere 19 Milliarden Steuerentlastung für Unternehmen und Besserverdienende.

Datum: 27. Juli 2005 um 15:51 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, DIE LINKE, FDP, Steuern und Abgaben
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Einfach, ungerecht und unseriös ist das Steuerkonzept der FDP in ihrem Wahlprogramm. In einem Drei-Stufenmodell mit Sätzen von 15, 25 und einer weiteren Senkung des Spitzensteuersatzes auf 35 % sollen obere Einkommensschichten noch stärker als schon bisher entlastet werden und bei Unternehmen soll die Spitzenbelastung 25 % nicht übersteigen. Sie will die Wähler mit einem auch in linken Kreisen populären „Bürgergeld“ locken, schweigt sich aber darüber aus, wie viel der Staat in Not geratenen Bürgern für ein menschwürdiges Dasein noch bezahlen könnte.

Die Linkspartei wird für ihr Steuer- und Finanzierungskonzept als Lügnerin beschimpft. Die FDP, die nur die Steuern senken will, aber kein Wort darüber verliert, wie sie realistischer Weise die schwierige Finanzsituation meistern will oder wie sie ein „Bürgergeld“ finanzieren, geschweige denn die Handlungs- und Zukunftsfähigkeit erhalten will, erfährt überwiegend Lob in der veröffentlichten Meinung.
Man baut auf den Populismus, dass niemand gerne Steuern bezahlt.

Sicher, das deutsche Steuerrecht ist kompliziert, das gilt allerdings vor allem für diejenigen Steuerzahler, die ihr Einkommen aus Unternehmen, aus Kapital-, Zins- oder sonstigen selbständigen Einkünften beziehen. Der unselbständige Arbeitnehmer hat im Regelfall unter der Kompliziertheit kaum zu leiden. Seine Steuern werden vorab vom Lohn abgezogen und er darf danach um einen Steuerausgleich kämpfen. Die Probleme um Kindergeld, Werbungskosten oder die Versteuerung von Zuschlägen sind lästig aber überschaubar.
Die steuerpolitische Diskussion dreht sich somit weniger um die Masse der Steuerzahler, also die Lohnbezieher, sondern um die steuerliche Veranlagung von anderen Einkunftsarten.
Das Steuerrecht ist nicht etwa deshalb so kompliziert geworden, weil es – wie immer behauptet wird – einen staatlichen Regulierungswahn gegeben hätte, sondern weil es in den letzten 30 Jahren einen steuerpolitischen Siegeszug der Wirtschaft und ihrer Lobby gegeben hat, der zu zahllosen Steuerentlastungen oder steuerentlastenden Ausnahmetatbeständen geführt hat, die inzwischen nur noch Steuerexperten durchschauen (siehe NachDenkSeiten [PDF – 80 KB])

Kaum jemand kümmert sich um den Umsatzsteuerbetrug von schätzungsweise 16 bis 20 Milliarden Euro und niemand ist ernsthaft der Steuerhinterziehung durch Verschiebung von Schwarzgeld ins Ausland in Höhe von 100 bis 500 Milliarden Euro oder der Steuerminderung durch Gewinnverlagerung ins Ausland auf der Spur (siehe NachDenkSeiten vom 14.12.2004).

Auch der Kampf gegen die Schwarzarbeit, die dem Fiskus ( allerdings wohl maßlos übertrieben) 370 Milliarden Euro unbesteuertes Einkommen entziehen soll, wird allenfalls mit Samthandschuhen geführt (siehe NachDenkSeiten 15.4.2005)

Dafür gibt es seit einigen Jahren zwischen CDU/CSU und FDP geradezu einen Wettlauf um möglichst einfache und möglichst radikale Steuerkonzepte. Nebenbei bemerkt: Selten wird in Deutschland „Radikalismus“ so positiv aufgenommen. Auch die Regierungsparteien wollten natürlich in diesem Wettlauf nicht fehlen – ihre Konzepte gehen in die gleich Richtung, sie sind nur nicht so radikal.

Dass eine Reform der Einkommensbesteuerung sinnvoll ist, haben auch wir auf den NachDenkSeiten nie bestritten. Wir haben allerdings in Frage gestellt, dass Steuersenkungen Investitionen und Arbeitsplätze schaffen und dass dadurch wieder staatliche Mehreinnahmen erwachsen könnten. Die Erfahrung gibt uns Recht.

Nahezu uni sono wird der Satz nachgebetet, Steuererhöhungen seien Gift für die Konjunktur und das Wachstum. Jetzt hat sich die Union aus den Büschen gewagt und will also die Mehrwertsteuer erhöhen. Eine Steuer, die nun wirklich in besonderer Weise jene Familien und Einzelpersonen belastet, die geringe Einkommen und damit wenig Kaufkraft zur Verfügung haben weil sie ihre gesamten Einnahmen für den laufenden Konsum verbrauchen. Eine Steuer, die tendenziell die fiskalische Belastung weiter zu Gunsten der Exportwirtschaft und zu Lasten der vor allem den Binnenmarkt beliefernden Produzenten und Dienstleister verschiebt, weil sie die die Exportwirtschaft überhaupt nicht tangiert. Eine Steuer, die noch mehr zu Schwarzarbeit verleitet (siehe NachDenkSeiten vom 8.5.2005).

Darüber, dass es ernst zu nehmende Vorschläge gibt, wie man Steuern vereinfachen und modernisieren könnte, mit denen man sogar die Konjunktur anstacheln könnte, die gerecht wären und den Staat handlungsfähig und investitionsfähig hielten, wird kaum berichtet.

Um unseren Leserinnen und Lesern einen Diskussionsanstoß zu geben, um ihr eigenes Urteil bilden zu können, bieten wir ihnen Links zu den Steuerkonzepten, der FDP, der Linkspartei [PDF – 276 KB] und einer Gruppe die sich aus Mitgliedern der alternativen Ökonomen aus der Memorandum-Gruppe, aus Attac und aus dem IMK in der Hans-Böckler-Stiftung zusammengefunden hat:

Konzept für eine „Solidarische Einfachsteuer“ (SES) [PDF – 240 KB] erarbeitet von: Sven Giegold (Attac), Rudolf Hickel (Memo), Ralf Krämer (ver.di), Astrid Kraus (Attac), Detlev v. Larcher (Attac), Axel Troost (Memo), Achim Truger (IMK in der Hans-Böckler- Stiftung), Burkhard Winsemann – 18. Juli 2005


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