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Titel: Ein Hoch auf FAZ.NET für diese Erkenntnis: „Längst hat die Finanzwelt die Politik fest im Griff“ (Finanzkrise XLVIV)

Datum: 22. November 2010 um 11:14 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Euro und Eurokrise, Finanzkrise, Medien und Medienanalyse
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Die NachDenkSeiten werden überflüssig. Die FAZ übernimmt unsere Rolle. Was wir seit langem, spätestens seit der Rettung der IKB in den Jahren 2007 und 2008 schreiben, dass nämlich die deutsche Politik in den Fängen der Finanzindustrie ist, schreibt jetzt die FAZ in ihrer Internetausgabe. Fantastisch. Lesen Sie selbst. Albrecht Müller

NachDenkSeiten-Leser wissen schon lange, dass die deutsche Politik eine Art Wurmfortsatz der Wünsche der Finanzwirtschaft ist. Sie wissen das von hier und von hier und von vielen anderen Gelegenheiten, hier eine ganze Liste.

Immer, wenn ich in der Vergangenheit schrieb, die deutsche Politik sei in den Fängen der Finanzindustrie, dachte ich darüber nach, dass dieses harte Urteil einige unserer Leser erschrecken könnte. So war es vermutlich auch. Ich bitte diese Leser nun herzlich darum, sich den FAZ.NET-Artikel anzuschauen und uns nachträglich noch ein Generalpardon für alle künftigen Artikel zum Thema zu erteilen und manch hartes Urteil zu erlauben.

Weil man ja nicht weiß, wie lange ein solcher Artikel im Netz steht, erlauben wir uns, einige längere Passagen wiederzugeben:

Irland-Krise
Die List der deutschen Banken

Deutschland soll jetzt auch Irland retten. Und die deutschen Banken finden das gut. Kein Wunder: Denn das schont ihre Bilanzen vor Abschreibungen. Längst hat die Finanzwelt die Politik fest im Griff.

21. November 2010 . Auf einmal ist Josef Ackermann ganz Staatsmann. In den vergangenen Tagen tourte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank durch Brüssel, besuchte den EU-Kommissionspräsidenten, den Ratspräsidenten, den Binnenmarktkommissar. Und sagte dann: „Europa muss als Einheit bewahrt werden und darf nicht kurzfristigen ökonomischen Erwägungen zum Opfer fallen.“

Wenn der Deutsche-Bank-Chef, ein Schweizer, zum glühenden Europäer wird, ist Vorsicht geboten. Was Ackermann sagt, ist klar: Die EU-Staaten sollen Irland finanziell unter die Arme greifen. Von 50 bis 100 Milliarden Euro ist die Rede, die EU und Internationaler Währungsfonds zur Stützung Irlands aufbringen sollen.

Was Ackermann nicht sagt, wird erst auf den zweiten Blick klar: Wenn Europa Irland hilft, hilft es auch den deutschen Banken. Die nämlich sind zweitgrößter Gläubiger Irlands nach den Briten. Sie haben mehr als hundert Milliarden Euro an Krediten in Irland vergeben, davon allein rund 40 Milliarden an die irischen Banken.

Irland nämlich war einst das Spielhaus Europas. (AM: Endlich schreiben da mal Journalisten) Vieles, was anderswo von Gesetz oder Bankenaufsicht verboten war, ging in Irland. Nun sind die großen irischen Geldhäuser auf staatliche Hilfe angewiesen. Es geht die Angst um, dass der irische Staat das irgendwann nicht mehr schultern kann – und dann womöglich die Gläubiger ranmüssen, also auch die deutschen Banken.

(AM: übrigens haben wir durch die Rettung der HRE schon einmal für die Verluste des Spielhauses Europas bezahlt. Ein großer Teil der Verluste kam nämlich aus den Abenteuern der irischen Tochter. Siehe Hinweis Nummer 9 vom Oktober 2008 oder hier gleich noch mit mehreren weiteren Hinweisen auf das Versagen und Verwischen von Steinbrück und einigen Medien. Weiter mit FAZ.NET:)

Helft Irland, um uns zu helfen

Die Finanzkrise ist wieder dort angekommen, wo sie einmal anfing: bei den Banken. Und die sind frecher geworden. (AM: treffendes Adjektiv) Bedurfte es einst noch der Lehman-Pleite, um zu beweisen, dass Steuergeld für ihre Rettung notwendig ist, sollen mögliche Krisen jetzt schon vorbeugend von den Steuerzahlern der EU abgewendet werden. Damit die Banken nicht für das haften müssen, wofür sie eigentlich üppige Zinsen kassieren: für das Risiko, dass der Ernstfall eintritt und ein Schuldner nicht zahlen kann.

Es gibt Banker, die das sogar offen zugeben. Lutz Raettig, Aufsichtsratschef von Morgan Stanley Deutschland und Sprecher der Frankfurter Banken, sagt: „Die Forderungen der deutschen Banken an Irland sind wichtig genug, um dem Land zu helfen.“ Er spricht damit aus, was die anderen denken: Helft Irland, um uns zu helfen.

(AM: den letzten Absatz sollten Sie präsent haben, wenn Sie lesen, was laut Spiegel online unser Finanzminister Schäuble im ZDF zur Begründung der Zahlungsbereitschaft gesagt hat: „Wir verteidigen ja nicht irgendein Mitgliedsland, sondern wir verteidigen die Stabilität unserer gemeinsamen Währung.“ – So ist es eben: Die Finanzwelt hat die Politik fest im Griff)

Weniger als die halbe Wahrheit

Welche Geldhäuser es genau sind, die die riesigen Kredite an Irland vergeben haben, darüber sagen die Institute zur Zeit lieber nichts. Wohlweislich, schließlich könnte das den Aktienkurs drücken. In der Deutschen Bank nennt man lediglich 309 Millionen Euro Forderungen gegen den irischen Staat und Gebietskörperschaften – eine läppische Zahl im Vergleich zu den Milliarden, die deutsche Banken in Irland insgesamt verliehen haben.

Und vermutlich weniger als die halbe Wahrheit. Denn wenn man sich die Zahlen für die deutschen Banken insgesamt anguckt, machen Verbindlichkeiten gegenüber dem Staat nur einen winzigen Teil dessen aus, was an Irland verliehen wurde (siehe Grafik). Der Großteil des Geldes ging an irische Banken und Unternehmen. Hier schweigt die Deutsche Bank wie ihre Konkurrenten über die Details.

(AM: Die Methoden, mit denen man uns an der Nase herum führt und letztlich betrügt, sind äußerst billig, wie man an der Äußerung von Herrn Ackermann sieht.)

„Anlagenotstand beseitigen“

Die Gewinner dieses Spiels sind zuallererst die Gläubigerbanken. Sie haben sich schön aus der Affäre gezogen – und können Sätze sagen wie Martin Blessing, Vorstandsvorsitzender der Commerzbank. „Aus der Banken- und Wirtschaftskrise ist jetzt eine Krise der Staatsschulden geworden.“ Übersetzt: Am Anfang waren wir schuld, jetzt aber die anderen. Das mag für Griechenland stimmen. Für Irland stimmt es nicht: Dort gibt es eine massive Bankenkrise.

Und schon wieder wittern die deutschen Banken den großen Reibach. Wenn nämlich die EU an Irland Geld vergibt, wird es sicherer, in ganz Europa anzulegen – und die Banken machen wieder mehr Geschäft. Derzeit lassen sie das Geld vor allem in Deutschland, Ifo-Chef Sinn nennt das einen „Anlagenotstand“ und ist sicher: „Die Banken wollen, dass dieser Notstand beseitigt wird und sie das deutsche Spargeld wieder fröhlich in die Welt hinaustragen können. Und dafür soll am besten auch noch der deutsche Steuerzahler bürgen.“ EU-Hilfen für Irland brächten für die Banken also einen doppelten Gewinn. Sie schonen die Bilanzen vor Kreditverlusten und eröffnen neues Geschäft.

(AM: Dieser Hinweis auf die Relevanz der Rettungsaktion für die künftigen Geschäfte der Finanzwirtschaft ist besonders interessant und weiterführend. Die 25 %-Rendite soll auch künftig möglich sein – auf unsere Kosten!)

Solidaritätssemantik schüren

Die Politik macht das Spiel mit und schweigt über die Banken. Denn Bankenrettung ist seit HRE & Co nicht sehr populär. „Wir retten Irland, damit wir nicht die Banken retten müssen“, sagt Bankwissenschaftler Hans-Peter Burghof. Solidarität mit Irland ist politisch eher zu verkaufen als Solidarität mit Josef Ackermann.

(AM: Das folgende hat schon mögliches NachDenkSeiten-Niveau. FAZ.NET berichtet von einer Semantik, die eingesetzt wird. Großartig)

Die Banker schüren diese Solidaritätssemantik nach Kräften. Sie sprechen von Kettenreaktionen und Dominoeffekten, die auf Irland folgen könnten. Und skizzieren Schreckensszenarien, die eintreten würden, wenn man sie selbst an den Hilfen für Irland beteiligte. Jürgen Fitschen, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, etwa schickt zwar vor, dass es auf Dauer Regeln geben solle, wie die Gläubiger von Staatsschulden an den Ausfällen beteiligt werden. Doch dann droht er: „Wenn man das jetzt aber für Irland macht, könnte es an den Märkten eine Katastrophe geben.“ Das Argument wird ihm das nächste Mal auch wieder einfallen.

Überzogene Angst der Banker

Ohnehin muss man die Drohungen der Banker bezweifeln. Stefan Homburg, Finanzwissenschaftler an der Universität Hannover, ist überzeugt, dass die Angst überzogen ist. „Es geht nicht um die Existenz der deutschen Banken, es geht um Abschreibungen, die man verhindern will.“ Seiner Meinung nach sind die Spitzen-Banker längst mächtiger als die Politiker – und viel klüger.

(AM: Es ist immer wieder das gleiche Dilemma, vor dem wir stehen: Es ist schwer zu entscheiden, was schwerer wiegt und entscheidender ist: Die politische Korruption oder die Dummheit. – „Dumm, arglos oder korrupt?“ lautete schon eine Überschrift in meinem Buch „Machtwahn. Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet.“ Siehe hier auf Seiten 263 ff. Manche meiner Leser fanden das zu hart. Ich hoffe, dass die Lektüre des Artikels in FAZ.NET die Härte meiner Aussage in einem milderen Licht erscheinen lässt.)

Homburg hat eine Möglichkeit gefunden, um sich als Steuerzahler zu entschädigen. Er kaufte in der Krise Aktien der Deutschen Bank. Bei jeder Rettungsaktion steigt nun deren Wert. „Die Gewinne entschädigen mich für die zusätzlichen Steuern, die fällig werden, weil die Banken gerettet werden.“

Schlussbemerkung AM:

Mit Ausnahme der Berufungen auf Hans-Werner Sinn, die die beiden Autoren wirklich nicht nötig hätten, ein wirklich guter Artikel. Wir sollten zusammenarbeiten.

Bei Ihnen, unseren Leserinnen und Lesern, rege ich an, den FAZ.NET-Artikel oder dieses ganze Stück zu verbreiten. Sicher gibt es auch in Ihrem Bekanntenkreis noch Menschen, die noch keinen realistischen Blick auf das Geschehen haben.


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