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Titel: Heuschrecken beißen sich bis in die Provinz

Datum: 9. November 2021 um 8:28 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Privatisierung
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Das Wort Immobilie ist ein besonderes, es ist die Nahrung für eine Spezies (Mensch), die den Hals nicht voll genug bekommt davon, diese zu erwerben, Rendite zu ergaunern, dieses anonyme Eigentum zu mehren und für die Maximierung mit diesen Häusern und ihren Bewohnern kalt und perfekt Schindluder zu treiben. Sie, die nationalen und internationalen Heuschrecken, tob(t)en sich bislang vor aller Augen vorzugsweise nahezu ungehindert von den regierenden Parteien und Entscheidern in den Metropolen aus. Nun beißen sie sich zunehmend bis tief in die Provinz hinein und ordern, ordern, ordern. Schlimmer noch: Sie können sich auch hier bis in die kleinen Kommunen hinein konservativer, auf Eigentum orientierter Unterstützer sicher sein, die öffentlich beschwichtigend behaupten, das Wohl ihrer Bürger im Blick zu haben. Doch: Mitnichten haben diese Politiker das. Sie lassen stattdessen die Heuschrecken gewähren und sie hegen und pflegen nebenher ihre kleine provinzielle Macht und ihre Kontakte und ihre Positionen. Gerade jetzt nach diversen Wahlen. Doch es bleibt nicht unbeobachtet und unkritisiert. Es wird tapfer und ungeschminkt Empörung laut, so von einer Vorsitzenden eines Mietervereins. Von Frank Blenz.

Das Folgende ist keine Provinzposse. Mit Unterstützung der herrschenden Parteien samt von ihnen beherrschten Institutionen geschah und geschieht geduldetes Ausleben von Gier und Umverteilung in einer kleinen Stadt und folgenschwere Entwicklungen in der ganzen Region. Die Geschichte zunächst: Mitten im vergangenen Sommer 2021 machte im vogtländischen Klingenthal (Freistaat Sachsen) ein eher schlichter Zeitungsartikel darauf aufmerksam, dass die Stadtverwaltung kommunales Wohneigentum verkaufte. Also auf gut Deutsch: privatisierte. Es ist wichtig zu erwähnen, dass das kein Einzelfall ist. So ein Vorgang passiert im ganzen Land immer wieder und mit intensiver werdender Hachtigkeit (Vogtländisch für: Gier). Man muss nur googeln: „Kommunale Wohnungen privatisieren“. Der amtierende Bürgermeister von Klingenthal warb für dieses Handeln und begründete es mit wirtschaftlichen Zwängen. Ein Wort fiel: Altschulden. Das Unglück nahm seinen Lauf, es wirkte so, als wäre es ein Naturgesetz, dass ein Ausverkauf stattfindet.

Doch es kommt Gegenwind gegenüber den Heuschrecken und ihren Handlangern auf. Tacheles spricht Marlies Hager, Mietervereinsvorsitzende (Vogtländischer Mieterverein) in einem Interview der Regionalzeitung „Freie Presse“, im Eigentum der großen Medienfamilie namens Schaub aus der Pfalz befindlich.

Wie bewerten Sie den Verkauf von 350 Wohnungen in Klingenthal an die in Jena ansässige SIVG-ICJ-Gruppe?

Unverantwortlich, kurzsichtig, unsozial. Die Mieter werden allein gelassen – oder drohen dem Käufer Sanktionen, wenn es anders kommt, als es sich Bürgermeister Thomas Hennig und der Klingenthaler Stadtrat ausgedacht haben…?

Das Interview ist eine einzige Anklage, die die Adressaten nicht unberührt lassen kann. Marlies Hager sagt weiter:

Grund und Boden verkauft man nicht! Schon gar nicht, wenn das Geld verfällt.“

Foto: Klingenthal ist eine schön anzusehende Stadt, in einem „klingenden Tal“, mit freundlichen Menschen, mit einem wunderschönen, weichen, dem vogtländischen Dialekt. Bekannt ist die Stadt derzeit ab und an in Sachen Wintersport, die Skisprungschanze der Vogtland-Arena ist Austragungsort von Weltcup-Wettkämpfen.

Man muss bei der Erzählung der Wohnungsverkaufsgeschichte mit in Betracht ziehen, allein schon vor dem Hintergrund des 9. November, Mauerfall: Schaue einer sich Klingenthal und die Region an, so ist über Jahre ein unsäglicher Aderlass zu beobachten. Ein Rückbau, eine Vernachlässigung sondergleichen (von wegen Aufbau Ost) war und ist im Gang. Der Bahnhof (Danke, Herr Mehdorn und Co.) ist weg. Viele soziokulturellen Gebäude sind verschwunden, die Innenstadt wirkt wie ein Ort der Depression, keine Spur von Konzept und Stadtentwicklung. Das berühmte Hotel am Aschberg, es ist leer und verkauft und zum Abriss freigegeben, das grandiose Hotel Buschhaus im Nachbarort Mühlleithen, berühmt durch das Internationale Damenskirennen (Langlauf) – es ist schon lange abgerissen nach langem, spekulativem Leerstand.

2021. Was geschieht auf Seiten der Entscheider, der federführenden mächtigen CDU? Eine Bundestagsabgeordnete schaffte erneut, das Direktmandat für Berlin zu erreichen, sie ist nun sogar zu einer der Vizepräsidenten des Bundestags erkoren worden. Der aktuelle Landrat sitzt im Sattel trotz vieler Proteste und Zweifel der Bürger angesichts einer desaströsen Coronapolitik. Und der Klingenthaler CDU-Bürgermeister will allen Ernstes 2022 neuer Landrat werden. Da kommt einem der Gedanke: Wenn es sich also lohnt, in bestimmten Parteien mit bestimmten Verbindungen zu agieren und das in Gegenwart einer ohnmächtigen Bürgerschaft, dann kann man nur zu einem Eintritt in diese Partei raten, will man Karriere machen. Das Bürgerwohl wird versprochen. Was daraus gemacht wird, hat was mit Heuschrecken zu tun, die nimmersatt sind.

Marlies Hager ist in Sachen Immobilien, Spekulationen und Co. nicht still, sie fordert:

Stoppt den Ausverkauf! Es ist verantwortungslos. Kein Verkauf von kommunalem Grund und Boden. Keine Teilung von Wohnungen in Eigentumsanlagen. Mieteinnahmen von Wohnungsbaugesellschaften müssen dort verbleiben.

Und sie ist auch ernüchtert, wie sehr schon der Ausverkauf seinen Lauf genommen hat. Sie antwortet auf die Frage, wie viel Vogtland inzwischen schon in Händen von Konzernen liegt:

Darauf kann man heute nicht mehr schlüssig antworten. Die TAG-Gruppe und andere Gesellschaften kaufen, was sie kriegen können, auch Eigentumswohnungen und kleinere Häuser. Dahinter stehen Aktionäre, Anleger aus Amerika, China, Russland usw. In anderen Ländern kann man Häuser und Land nicht einfach so kaufen. Diese Fehlentwicklung muss in Deutschland dringend gestoppt werden.


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