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Titel: Der SPIEGEL – ein Sprachrohr von Kirchhofs “Institut für Finanz- und Steuerrecht“?

Datum: 31. August 2005 um 14:52 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Medien und Medienanalyse, Steuern und Abgaben
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Der SPIEGEL hat seinen Artikel über das Steuermodell Kirchhofs „Pauschal sozial?“ in SpiegelOnline korrigiert. Was allerdings nicht mehr zu korrigieren ist, das ist ein schwerer Verstoß gegen journalistische Grundtugenden, nämlich die Quelle anzugeben, wenn man über etwas berichtet. In der nachgeschobenen Korrektur musste der SPIEGEL nämlich eingestehen: Die von ihm veröffentlichten „Berechnungen“ wurden von Kirchhofs “Institut für Finanz- und Steuerrecht” vorgelegt. Wäre das journalistisch fair und sauber dem Leser mitgeteilt worden, hätte er gewusst, woher „der Wind“ in diesem Beitrag „weht“.

„Es lohnt sich, genauer zu rechnen. In Wirklichkeit ist das Kirchhof-Modell sozialer, als die meisten glauben“ so berichtet der SPIEGEL in seiner ursprünglichen Story dem erstaunten Leser. Er tut also so, als hätten die Autoren selbst diese Rechnung vorgenommen und bürgten dafür mit ihrer journalistischen Professionalität. In der Korrektur heißt es dann kleinlaut: „Die Berechnungen wurden von Kirchhofs “Institut für Finanz- und Steuerrecht” vorgelegt. Bei den von den Steuerexperten angestellten Berechnungen wurden in der Spalte´ bisherige Rechtslage ` drei steuerabzugsfähige Aufwendungsarten mitberechnet, aber dem SPIEGEL nicht beziehungsweise falsch übermittelt und deshalb in der Grafik nicht korrekt dargestellt.“
Warum schreibt der SPIEGEL nicht von vorneherein, dass ihm die Berechnungen von Kirchhof „vorgelegt“ und „übermittelt“ wurden?
Die Antwort ist ziemlich einfach: Das hätte der Geschichte jeden Neuigkeits- oder Überraschungseffekt genommen. Denn dass Kirchhof sein Modell schön rechnet, das hätte niemand verwundert. Der SPIEGEL wollte deshalb nicht eingestehen, dass er schlicht Kirchhofs Darstellung übernommen hat. Er hat damit Kirchhofs Berechnungen, den Anschein – um nicht zusagen, die „Weihe“ – objektiver und unabhängiger Berichterstattung gegeben und damit die (immer noch von vielen zugestandene) journalistische „Autorität“ des SPIEGELs gegenüber seinen Leserinnen und Lesern missbraucht.
Was würde man dem Spiegel vorwerfen, wenn er ohne Angabe der Quellen einfach die steuerpolitischen Rechenmodelle von FDP, CDU, SPD, ja womöglich der Linkspartei als seine journalistische Position ausgäbe? Richtig: Man würde sagen, der SPIEGEL sei parteiisch. Gerade so ist es aber auch bei der verdeckten Übernahme der Berechnungen von Kirchhof. Man darf übrigens gespannt sein, wie der SPIEGEL die Druckfassung dieses Beitrags korrigiert.

Ob die vom SPIEGEL korrigierte und jetzt nachgeschobene Berechnung, wonach ein Manager mit 300.000 Euro Jahresbrutto nach dem Steuermodell Kirchhofs trotz einer drastischen Senkung seines Steuersatzes auf 25% mehr Einkommenssteuer zu bezahlen hätte als nach jetzigem Recht, stimmt, damit befassen sich derzeit eine Reihe von Steuerexperten. Wir werden darüber berichten. Was einen ganz normalen Lohnsteuerzahler allerdings ohne nähere Prüfung erstaunt, ist die Höhe des Vorsorgeaufwands die vom Kirchhof-Institut in dem gegriffenen Rechenmodell als derzeit steuerfrei abgesetzt wird. Und was einen Normalarbeitnehmer gleichfalls ärgern muss, ist die steuerliche Absetzbarkeit des Erhaltungsaufwands zweier Immobilien. Einmal abgesehen, dass der normale Lohnempfänger es wohl selten im Laufe seines Arbeitslebens zu zwei Immobilien bringen wird, jedenfalls kann er den Erhaltungsaufwand für sein Häuschen oder für seine Mietwohnung mit keinem Cent von seiner Steuerlast absetzen.
Dass die derzeitigen Abschreibungsmöglichkeiten bei Vermietung und Verpachtung oder dass der Fiskus Einkommen aus Aktiengewinnen und Aktienverkäufen außerhalb der Spekulationsfrist steuerlich begünstigt, das haben wir schon häufig kritisiert. Dass das „reformiert“ oder wie bei den Aktiengewinnen „re-reformiert“ gehört, steht genauso außer Frage, wie die Abschaffung andere Abschreibungsmöglichkeiten und Steuerprivilegien, die sich die Reichen und Superreichen über die Jahre gegenüber dem Fiskus „erkämpft“ haben. Es ist schlicht ein steuerpolitischer Skandal, dass die Bezieher hoher und höchster Einkommen – und das alles mit Zustimmung des Haushaltsgesetzgebers – sich arm rechnen können und bei einer vielfachen Einkommenshöhe weniger Einkommensteuer bezahlen müssen, als mancher normale Lohnsteuerzahler, dem heute seine Steuern schon vorab vom Gehalt abgezogen werden.

Dieser skandalöse Zustand ist aber noch lange kein zwingendes Argument, für die Abkehr vom grundlegenden Prinzip der Steuerbelastung nach der Leistungsfähigkeit, d.h. nach der Höhe des Einkommens – eines der Kernelemente des Sozialstaates.
Denn welches derzeit diskutierte Steuermodell man auch immer unterstellt, unbestreitbar ist, dass vor allem die mittleren Einkommensbezieher bei einer flat tax von 25% weniger Steuern sparen könnten als die hohen und höheren Einkommensbezieher.
Nach Berechnungen des DIW Berlin (Wochenbericht 16/2004) würde der Netto-Einkommensmillionär um fast 9 % seines Nettoeinkom mens, also 90.000 Euro jährlich, ein Arbeitnehmer mit 15.000 bis 20.000 Euro Nettoein kommen nur um 0,6 %, also 90 bis 120 Euro jährlich entlastet
. Was daran sozial gerecht sein soll, wird das Geheimnis des in fast allen Talkshows und von vielen Leitartiklern hochgelobten radikalen Steuerreformers Kirchhof bleiben.

Übrigens: Ein so großes Geheimnis ist es nun auch wieder nicht. Die meisten, die öffentlich die flat tax bejubeln – wie wohl auch der Großteil der SPIEGEL-Redakteure – gehören solchen Einkommensschichten an, die davon am meisten profitieren würden. Das Sein bestimmt eben einmal mehr das Bewusstsein der Kirchhof-Fan-Gemeinde.
Entgegen der allgemeinen Medienbegeisterung für das Kirchhof-Modell sehen das die überwiegende Mehrheit der Menschen ganz anders: Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag des „Stern“ sprachen sich 56 % gegen eine einheitliche Einkommenssteuer bei Streichung aller Steuerprivilegien aus und lediglich 33 % befürworten eine flat tax.

Wie ein einfaches und sozial gerechtes Steuersystem aussehen könnte, siehe dazu einen Vorschlag von IMK und WSI:

Quelle: Hans Böckler Stiftung


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