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Titel: Sturmgeschütz des Denunziantentums: SPIEGEL ruft zu Wachsamkeit gegenüber russischen Nachbarn auf – „Hacker, Spione, Killer“

Datum: 26. August 2022 um 14:40 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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„Wie gut kennen Sie Ihre Nachbarn?“, fragt Melanie Amann, ihres Zeichens Mitglied der Spiegel-Chefredaktion, die verbliebenen SPIEGEL-Leser im Morgen-Briefing und leitet damit über zur neuen Titelstory über die angebliche Enttarnung einer „russischen Topagentin“ durch den SPIEGEL sowie die „Investigativplattformen“ Bellingcat und The Insider. Sie verweist dann tatsächlich auf die Netflix-Serie „The Americans“ als Beleg für die Gefährlichkeit von russischen Agenten, um dann gar nicht so unterschwellig die Angst zu schüren vor der „harmlosen Freundin“ von nebenan, die in Wirklichkeit eine fiese Putin-Agentin sein könnte. Ein weiterer Tiefpunkt im immer rasanteren journalistischen Abstieg des einst renommierten Nachrichten-Magazins. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Manche leben unter falscher Identität über Jahre unauffällig im Westen, kaum erkennbar für die Gesellschaften, in die sie eingeschleust wurden. So wie die Figuren in der Serie „The Americans“. Eine solche Topagentin hat ein SPIEGEL-Team in Kooperation mit den Investigativplattformen Bellingcat und The Insider jetzt enttarnt: Adela K. operierte zuletzt in Italien, und spionierte dort womöglich Mitarbeiter der Nato und der US-Navy aus“, raunt die Co-Chefredakteurin des Spiegels und schaltet dann gleich einen dramaturgischen Gang höher:

„Wie viele Leute, (…) werden jetzt aus allen Wolken fallen, verletzt und verunsichert sein, weil sie Adela K. für eine harmlose Freundin und Kollegin hielten?“

Schon dieser Einstieg lässt einen kopfschüttelnd zurück: Nicht nur wird eine fiktive Netflix-Serie als Beleg für die eigenen Aussagen herangezogen, nein, fast im selben Atemzug wird dann noch, ohne jede Relativierung, die angebliche „Enttarnung“ einer russischen „Topagentin“ durch SPIEGEL und Bellingcat verkündet. Da kann der BND ja gleich nach Hamburg in die Ericusspitze 1 einziehen, spart zudem unnötige Fahrtkosten bei anstehenden „Hintergrundgesprächen“.

Wirklich perfide wird das Stück aber durch die Verbindung der Titelfrage: „Wie gut kennen Sie Ihre Nachbarn?“ mit dem Verweis auf eine angeblich russische Agentin, die „viele Leute“ wohl „…für eine harmlose Freundin und Kollegin hielten.“ Ergänzt um den Satz:

„Wer jetzt denkt, was haben Spione schon mit mir zu tun, täuscht sich.“

Die im Subtext vermittelte Botschaft ist so subtil nicht: Egal wie nett Ihr Nachbar, Freund oder Kollege auch erscheint, wenn es sich dabei um einen Russen handelt, ist er im Zweifel ein gut getarnter Agent beziehungsweise im SPIEGEL-Framing ein Hacker, Spion oder Killer:

Doch wie so oft bei hochtrabenden „investigativen“ SPIEGEL-Titelgeschichten ist die von der Co-Chefredakteurin proklamierte „Enttarnung“ mehr Schein als Sein. Denn während es aus der Feder von Melanie Amann noch unmissverständlich heißt, „SPIEGEL-Team hat (russische) Topagentin enttarnt“, wird es im weiteren Verlauf des eigentlichen Artikels, an dem sage und schreibe 15 SPIEGEL-Redakteure beteiligt gewesen sein sollen, weit kleinlauter zu: „Recherche legt nahe“ und „womöglich“.

Quält man sich noch weiter, wird im Artikel dann auch eingeräumt, dass es eigentlich keinerlei Beweise dafür gebe, dass es sich bei „Adela K.“ wirklich um eine russische Agentin handeln würde. Soviel zu „Enttarnung“. Dort heißt es dann etwas verbrämt:

„Wie so oft in Spionagefällen fehlt der letzte Beweis, doch die Indizien sind erdrückend.“

Und was sind die angeblich „erdrückenden“ Indizien der „investigativen“ Recherche?

  1. Adela K. soll laut SPIEGEL Ausweise benutzt haben, die „offensichtlich aus einer von der GRU ausgestellten Serie stammen“ (alleine die Nutzung von „offensichtlich“ sollte wohl ausreichen, um beim Leser jeden Zweifel auszuräumen);
  2. Sie soll ebenso angeblich versucht haben, unter falschen Angaben die peruanische Staatsbürgerschaft zu erlangen;
  3. Des Weiteren wird vom SPIEGEL angeführt, sie hätte die Nähe zu Mitarbeitern zweier Militärstützpunkte gesucht (Allerdings wird auch dies vom SPIEGEL nur behauptet und nicht belegt oder in irgendeiner Form dokumentiert);
  4. Als weiteres Indiz soll eine „erfundene“ Krebserkrankung herhalten (wobei auch hier der SPIEGEL jede Art von Beleg schuldig bleibt, dass die Krebserkrankung tatsächlich erfunden wurde);
  5. Und abschließend dann das ultimative Indiz: „Vor ihrer aufwühlenden Facebook-Nachricht wurde in Moskau ein nagelneuer Audi A3 auf ihren Namen zugelassen.“


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