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Titel: Gas-Deal mit Katar? Die Debatte geht am Thema vorbei

Datum: 30. November 2022 um 12:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Ressourcen
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Das Timing könnte kaum besser sein. Während die politisch-mediale Empörungsmaschine gegen das Emirat Katar gerade auf Hochtouren läuft, verkündeten die Tagesthemen gestern einen „Gas-Deal zwischen Katar und Deutschland“ und empörten sich moralinsauer darüber, dass man ja nun „fossile Energien aus einem anderen autoritären Staat“ bezöge und die Laufzeit der Verträge nicht mit der angestrebten Klimaneutralität in Einklang zu bringen sei. Das ist schon seltsam. Schließlich hat nicht Deutschland, sondern der US-Energie-Multi ConocoPhillips gestern einen Vertrag mit Katar abgeschlossen. Deutschland ist nicht Subjekt, sondern Objekt bei dem Deal. Mehr und mehr wird klar, dass Deutschlands Energieversorgung künftig von US-Konzernen dominiert wird. Deutsche Politiker mit oder ohne „One-Love-Binde“ sind nur Staffage in einem Spiel, bei dem nicht einmal klar ist, ob sie es überhaupt verstehen. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Nein, Ryan Lance hat bei der vor versammelter Presse zelebrierten Unterzeichnung eines „Sale and Purchase Agreements“ seines Konzernes ConocoPhillips mit dem katarischen Staatsunternehmen QatarEnergy keine Regenbogen- oder One-Love-Binde getragen und wahrscheinlich ist ihm das aktivistische Kasperletheater der deutschen Meinungsmacher noch nicht einmal bekannt. Für Lance geht es nicht um die Rechte der katarischen LGBTQ-Community oder nepalesische Wanderarbeiter. Er ist CEO des drittgrößten amerikanischen Energiekonzerns und hat erst vor wenigen Wochen einen 28 Milliarden US-Dollar schweren Kooperationsvertrag mit den Kataris abgeschlossen. Man wird in einem gemeinsamen Joint-Venture in den nächsten fünf Jahren neue Erdgasvorkommen erschließen und sechs neue LNG-Export-Terminals in Betrieb nehmen. Dafür braucht ConocoPhillips Abnehmer – wenn möglich gebunden an langfristige Verträge. Einer diese Abnehmer soll nun Deutschland sein.

Es ist also weniger das derzeit so harsch von deutschen Meinungsmachern kritisierte Emirat Katar, sondern vielmehr der US-Multi ConocoPhillips, der die mittel- bis langfristige Energieversorgung Deutschlands sichern soll. Die öffentlichkeitswirksame Vertragsunterzeichnung war so gesehen eher Show. Dass ConocoPhillips sich um Kunden für das Joint-Venture kümmert, ist klar. Sonst hätte man kaum 28 Milliarden US-Dollar investiert. Robert Habeck hätte sich also im Frühjahr den Bückling in Katar sparen können und wäre besser nach Houston, Texas, geflogen, um dort einen Bückling vor den US-Multis zu machen. Denn sie sind es, die Deutschlands Gasversorgung in Zukunft managen und damit fürstlich Geld verdienen werden.

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So ist es auch kein Wunder, dass der Börsenwert von ConocoPhillips sich in den letzten zwei Jahren mehr als vervierfacht hat. Sehr zur Freude der Großaktionäre BlackRock und Vanguard und auch sehr zur Freude von Ryan Lance, der im letzten Jahr stolze 24 Millionen US-Dollar Salär bezog und in diesem Jahr bereits mit mehr als 80 Millionen US-Dollar Gewinn an den Aktienoptionen profitierte, die ihm ConocoPhillips gewährt.

Und Deutschland? Das Interessante ist, dass es im gestern unterzeichneten Vertrag streng genommen gar nicht so sehr um Deutschland ging. Katar und ConocoPhillips einigten sich lediglich darauf, dass ConocoPhillips ab 2026 eine bestimmte Menge LNG des Joint-Ventures an das noch nicht fertiggestellte LNG-Terminal in Brunsbüttel liefert. Das ist nicht sonderlich überraschend, da sich ConocoPhillips bereits zusammen mit RWE und dem aus der BP hervorgegangenen britischen Petrochemiegiganten Ineos 80% der Lieferkapazität für das Terminal in Brunsbüttel vertraglich abgesichert hatte. Es war nur noch offen, ob ConocoPhillips das LNG aus den USA oder aus Katar liefert. ConocoPhillips ist der Koch, Deutschland bestenfalls der Kellner. ConocoPhillips kann Deutschland beliefern, muss dies aber nicht. Letztlich wird wohl auch der Preis darüber entscheiden, ob und wie viel Erdgas die Texaner nach Deutschland liefern.

Darüber wird hierzulande aber nicht diskutiert. Wie in einer Parallelwelt debattiert man lieber über den moralischen Kontext eines deutsch-katarischen Erdgasdeals, den es überhaupt nicht gibt. Offenbar gelingt es dem politisch-medialen Komplex nicht mehr, über One-Love-Binden hinauszudenken. Höchstens in zitierten Nebensätzen deutet sich der größere Rahmen an. So zitiert der SPIEGEL in einem angeblichen Hintergrundartikel zum Thema einen Gasexperten mit den Worten: „Wir werden absehbar bei LNG sehr stark von den USA abhängig sein. Es ist besser, unterschiedliche Lieferanten mit überschaubaren Anteilen zu haben.“ Das ist korrekt. Die sich förmlich aufdrängende Frage, ob man sich ausgerechnet mit ConocoPhillips aus der „sehr starken Abhängigkeit“ von den USA befreien will, stellt der SPIEGEL freilich nicht. Klar, es geht um Werte und nicht um Fakten.

Die eigentlich interessanten Fragen bleiben bei der Berichterstattung offen. Gibt es verbindliche Abnahmeverträge deutscher Importeure mit ConocoPhillips? Wenn ja, welche Preisklauseln gibt es in diesen Verträgen? Ist ConocoPhillips überhaupt verpflichtet, bestimmte Mengen an LNG nach Brunsbüttel zu liefern und drohen im Nichterfüllungsfall Konventionalstrafen? Das alles wurde – wenn überhaupt – in anderen Verträgen geregelt. Doch natürlich berichtet man lieber über den eigentlich nicht sonderlich interessanten internen Vertrag der Joint-Venture-Partner ConocoPhillips und Katar. Klar, Katar sells und man kann sich ja so wunderbar moralisch überlegen fühlen, wenn es um Katar geht. Dass man sich gleichzeitig in die totale Abhängigkeit amerikanischer Energiekonzerne begibt und dafür auf absehbare Zeit Milliarden und Abermilliarden in die USA überweist, passt nicht so gut ins Bild und könnte unbequeme Fragen aufwerfen. Dann echauffieren wir uns doch lieber über One-Love-Binden. Solange das Volk die falschen Fragen stellt, muss man auch nicht die richtigen Antworten geben.

Titelbild: QatarEnergy


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