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Titel: „Wie der Sozialstaat zur Selbstbedienung einlädt“

Datum: 26. Oktober 2005 um 12:47 Uhr
Rubrik: Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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So lautet die Unterzeile des Spiegel-Titels dieser Woche mit der Schlagzeile „Das Spiel mit den Armen“. Wir kommentieren hier kurz, keineswegs um Sie zu animieren, dieses Kampfblatt der neoliberalen Bewegungen zu kaufen. Aber einige Anmerkungen sind angesichts des Versuchs, die Hartz IV-Betroffenen für das Scheitern verantwortlich zu machen, schon fällig.

  1. Die ganze Story ist von vorn bis hinten ein einziger Beleg des Scheiterns der Hartz IV-Reformen und der Reformen insgesamt. Der Spiegel schreibt: „Bei kaum einem anderen Gesetz stehen politischer Aufwand und Ertrag in einem so krassen Missverhältnis wie bei Hartz IV.“ Damit ist dieser Titel der Zweite, der sich dem Scheitern der Hartz-Gesetze widmet. Der Spiegeltitel vom 23.5.2005 lautete „Die total verrückte Reform – Hartz IV“. Am Tag vorher hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Entscheidung für Neuwahlen bekannt gegeben – mit der Begründung, das Wahlvolk solle die Fortsetzung der Reformpolitik (also einer gescheiterten Politik) in einer vorgezogenen Wahl bestätigen. Auch in diesem neuen Titel vom 24.10. wird nicht die logische Konsequenz gezogen, man solle nach diesem klaren Scheitern doch einmal überlegen, ob die Reformpolitik das Versprochene bringt.
    Der Spiegel nennt das Ganze ein Desaster. – Das hätte man auch früher wissen können. Wenn der Spiegel eine eigene Meinung hätte und sich nicht krampfhaft an neoliberale Meinungsführer wie die Deutsche Bank anlehnen würde, dann wäre es seinen Redakteuren vielleicht auch früher einmal eingefallen zu fragen, was die Reformen bringen.
  2. Wie schon der Untertitel (Wie der Sozialstaat zur Selbstbedienung einlädt) zeigt, werden die so genannten Missbräuche unter anderem dem Sozialstaat zugeschrieben. Tatsächlich sind das die Folgen ganz anderer Dinge: zum Beispiel der Tatsache, dass sich die Hartz-Reformen bisher weitgehend im Fordern austoben und das Fördern ausbleibt, zum Beispiel die Folgen der falschen und stümperhaften Planung dieser Reformen: dass die Gemeinden möglichst viele Sozialhilfeempfänger der Bundesagentur überantworten wollen, war vorhersehbar; dass das Ganze zu mehr Bürokratie und nicht zu weniger führt, war ebenfalls absehbar; das es bei diesen Regelungen unendliche Schwierigkeiten mit dem Begriff Bedarfsgemeinschaften geben wird, war absehbar; dass Schwarzarbeit nicht sinken, sondern steigen wird, war absehbar; dass Arbeitnehmer, die Jahrzehnte in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, und dann nur ein Jahr Arbeitslosengeld erhalten, sauer sind, sich ungerecht behandelt fühlen und an Versprochenes nicht mehr glauben, konnte man wissen. – Die Hartz-Gesetze sind Produkte von Bwl-Fuzzis in den Beratungsfirmen, die wenig Ahnung von gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen und auch nicht von gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen haben.
  3. Dieser Titel über Hartz IV wie auch der Spiegeltitel vom Mai und die Debatte um die Hartz-Gesetze und die Absicht, in der Reform von Hartz IV und weiteren Arbeitsmarktreformen auch Schwerpunkte der neuen Regierung zu sehen, zeigen, dass die deutschen Eliten offenbar nicht begriffen haben, dass sie sich hier vor allem der Verwaltung der Arbeitslosigkeit widmen, statt mit aller Kraft auf die Verringerung und Beseitigung hinzuarbeiten. Man muss sich dessen klar werden: die gesamten Hartz-Gesetze betreffen nur einen kleinen Bereich des Arbeitsmarktes, einen bedrückenden Bereich zugegeben, den der Arbeitslosigkeit, aber nicht den gesamten Arbeitsmarkt und schon gar nicht den gesamten Bereich der Beschäftigungspolitik. Und dennoch konzentriert sich die Aufmerksamkeit von Politik und herrschender Wissenschaft auf dieses Segment und seine Verwaltung. Das ist eine Art wahnhafter Verselbstständigung eines obendrein fragwürdigen Teils der Politik. Die neue Regierung hat die Chance, sich endlich auf die Beschäftigungspolitik zu konzentrieren, vertan. Sie kann das nicht damit entschuldigen, dass sie es, angeführt vom Spiegel, mit einer Publizistik zu tun hat, die auch nicht mehr weiß, was wichtig ist.
  4. Wie absurd diese Konzentration auf Agentur und Umbau und Kontrolle und Schnüffeln ist, das begreift man, wenn man sich einmal vorstellt, es fiele der Politik doch noch ein, die richtige Wirtschaftspolitik zu betreiben, und es gelänge, die Arbeitslosigkeit messbar zu reduzieren. Was machen wir dann mit den vielen Agenturen und PSAs und sonstigen Einrichtungen und neuen Gebäuden der Verwaltung der Arbeitslosigkeit?


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