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Titel: Bekenntnisse eines Feldschreibers

Datum: 26. März 2023 um 14:00 Uhr
Rubrik: NachDenkSatire, Wertedebatte
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Michael A. aus B. – mehr sag’ ich nicht. Ich verteidige meine Berufsehre und kann leider nicht behaupten, ich spräche für meinen ganzen Stand. Ich bin Journalist, d.h.: Ich liebe alle Menschen und bin ihnen gut. Den im Sumpf politisch unkorrigierter Inhalte versinkenden Mitbürgern winde ich Rettungsringe gecheckter Fakten und helfe sie ihnen wohlwollend über – wie ein leichtes Joch, um sie aus dem Treibsand unbetreuten Denkens heim in den Westen zu führen. Eine Satire von Michael Andrick.

Für sie ziehe ich aus ins Feld der Fakten, den Fake zu finden und dem querschwurbelnden Drachen mit Tatsachen den Garaus zu machen; diese Gesinnung ist meine Qualifikation, mein Anrecht auf Respekt.

Man schmäht in der Berliner Zeitung und anderswo nun den „Kampagnenjournalismus“ etwa des Tagesspiegels, des Spiegels oder der FAZ, der insbesondere danach trachte, Friedensdemonstrant*innen und -ierende zu Extremist*innen und -isierenden zu stempeln. Dem halte ich entgegen: Eine Kampagne, das ist wortgeschichtlich ein Feldzug. Und wo der Feind erkannt ist, da wird der Feldzug zur Pflicht, aus der sich nur elternlandslose Gesell*innen herauszureden versuchen.

Der Journalistendienst der Liebe – und hier komme ich zu meinem eigentlichen Thema – ist nun ein Wehrdienst geworden: „Der Westen“, wo die Sonne untergeht, kämpft wieder einen edlen Kampf gegen „den Osten“ – fürwahr ein Ringen, bei dem es keine Rücksicht auf tote Männer, Frauen und Kinder und zerbombte Städte geben darf, sondern bei dem wir allein auf das Schicksal unserer Werte zu sehen haben.

Warum? Weil es nur vordergründig irgendwelche Menschen sind, die angegriffen werden; unsere Werte sind die wahren Opfer dieses Krieges. Denn – so frage ich und kenne Ihre Antwort schon – was wäre eine Welt noch wert, in der Russen und Ukrainer in Wohlstand einträchtig zusammenleben – aber die westlichen Werte hätten sie nicht? Es müsste ihnen ergehen wie den „Wilden“, von denen Rousseau uns berichtet, sie lebten zwar ohne Streit und Mangel wie in einer großen Familie zusammen – „Allein was hilft`s?“, fragt dieser Weise des Westens: „Sie tragen keine Beinkleider!“

Unsere Geschichte ist dank dieses untrüglichen Sinns fürs Wesentliche, dank dieser Priorisierung von Werten über die banalen Lebensinteressen der Menschen, nicht erst seit Rousseau die Geschichte europäischen Ruhms, europäischer Herrschaft, ja ruhmreicher europäischer Herrschaft. Haben wir nicht mit unseren Werten der ganzen Welt so lange schon die Prosperität weniger auf Kosten aller gesichert? Und dabei „den Finanzmarkt“ stets intakt belassen, für das Gemeinwohl der Abschöpfer der Wertschöpfung überall?

Die Strahl- wie Anziehungskraft unserer Werte zeigt sich allerorten; hier nur ein Beispiel: unser Freihandel mit den Rohstoffen fast schon schuldenfreier Weltbank-Kolonien. Deren Einwohner bergen für unsere Telefone ihre seltenen Erden frohgemut mit bloßen Händen aus der schlammigen Krume – und überlassen sie uns so günstig, weil sie unsere Werte ja lieben und einen ersten Vorgeschmack aufs Paradies „Werte-Westen“ gekostet haben: Die in der Werte-EU überzähligen Hühnerschenkel, die dort billig zu kaufen sind.

Würden sie ohne die Verstrahlkraft unserer Werte deutsche Gesetze für ihre Lieferkette in den Werte-Westen mit solchem Stolz einhalten – ganz so, wie bei uns Lehrer pflichttreu und mit dem Stolz solidarischer Täterschaft ihre Schüler depressiv maskieren und die unabhängigen Richter in Rotten für die Grundrechte aufstehen, sich freitesten und sich wieder ins Plexiglasgehäuse niedersetzen?

Nein, das würden sie nicht. Aber sie wissen eben: Auf den Routen dieses freien Handels freier Menschen weht auch der Wind der Freiheit, markig untermalt vom Pulverduft, den sternenbeflaggte Zerstörer verströmen, deren Schutz und Schirm – Sie ahnen es! – unseren Nordseekrabben gilt, die, immer den günstigen Löhnen nach, schwerölgetrieben zum Ausgepultwerden nach Marokko und dann zurück zum Supermarkt nach Wanne-Eickel fahren – alles im Frieden des Imperiums der Freiheit, das seine tausend Militärbasen überall in den Dienst dieser Menschlichkeit stellt – und nicht bloß irgendwelcher Menschen.

Das ist ein Erbe, für das es sich ins Feld zu ziehen, im Felde zu schreiben und hinter der Front im Hotel spärlich mit den Freundestruppen aus dem Land zu leben lohnt. Ohne Schonung von Leib und Leber in der Lobby zu recherchieren, ist nicht leicht, aber man tut es aus Liebe.

Denn der so eingebettete Feldschreiber weiß: Nur seine Worte stehen wie eine Armee tintener Soldaten zwischen der Selbstbehauptung unserer Werte und der verfrühten Vereitelung dieses gesegneten Krieges durch die Friedensteufelinnen vom Brandenburger Tor und ihr elternlandloses Gefolge von Extremist*innen und Kriegsabtreiber*innen.

Autoreninformation: Michael Andrick ist Philosoph und Publizist. Sein Text „War dies möglich, so ist alles möglich“ gab den Anstoß zu einer „Corona-Debatte“ der Berliner Zeitung. Aktuell arbeitet er an einem Essay über die politische Kultur, die sich an der extremen Politik der letzten Jahre offenbart hat.


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