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Titel: Reparatur am Zug

Datum: 30. Mai 2023 um 15:17 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Verkehrspolitik
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Früher nahm man die Bahn, wenn man pünktlich zu einem Termin erscheinen wollte. Heute sollte man eher zum Auto greifen oder sich verdammt viel Zeit nehmen. Das ist zumindest mein gnadenlos subjektiver Eindruck, nachdem ich nach zwei Jahren Abstinenz mal wieder eine größere Reise mit der Bahn gemacht habe. Ein Kommentar von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Mich nerven ehrlich gesagt die regelmäßigen „Statusberichte“ bahnreisender Nutzer von Facebook und Twitter, die uns mit großer Wichtigkeit im globalen Kontext eher unwichtige Details über die Verspätungen ihrer Züge berichten. Aber ich habe auch gut reden – ich lebe in der Provinz, wo sich nicht nur Hase und Igel, sondern auch Bus und Bahn Gute Nacht sagen und als einer dieser Home-Office-Schreibtischtäter genieße ich zudem den Luxus, mir keine Gedanken über so profane Dinge wie den Weg zur Arbeit machen zu müssen. Und wenn es mit der Familie samt Hund und Katz’ mal in den Urlaub geht, scheidet die Bahn mangels Hund-und-Katz-Freundlichkeit ohnehin als Reisemittel aus – die Letzte Generation möge mir vergeben, aber immerhin fliege ich auch nicht, da dieses Verkehrsmittel bekanntlich auch nicht gerade haustierfreundlich ist.

Wenn ich die Bahn dann doch mal nutze, so geschieht dies meist beruflich. Dieser Punkt ist nicht ganz unwichtig, da ich privat schon mittlere Bauchschmerzen bekomme, wenn ich mir das Preistableau der Bahn anschaue. Und ja, Bahnfahren hat ja gerade für berufliche Reisen auch Vorteile. Man kommt entspannt an und kann während der Fahrt sogar arbeiten. Und vor allem: Man ist pünktlich! Staus und Baustellen spielen bei der Bahn ja keine Rolle – doch all dies ist graue Theorie.

Als ich am letzten Freitag zum ersten Mal seit Einführung der Maskenpflicht mal wieder in einen Zug gestiegen bin, war ich durchaus zweckoptimistisch. Zwar hatte ich die Schilderungen von Freunden, Kollegen und meinem Sohn im Ohr, die sich fortwährend über den katastrophalen Zustand der Bahn mokieren. Aber das sind sicher alles Übertreibungen – so dachte ich. Das wird schon alles klappen. Doch damit lag ich anscheinend auf ganzer Linie falsch.

Kurz nachdem ich meine lange Reise nach Augsburg in einem Nahverkehrszug, der mich zu „meinem“ ICE-Bahnhof in Göttingen bringen sollte, am Freitagvormittag startete, meldete sich zum ersten Mal meine DB-App, um mir mitzuteilen, dass ich mir ruhig in Göttingen noch ein Frühstück gönnen kann, da mein ICE Verspätung hat. „Reparatur am Zug“, so die kryptische Begründung. Nun gut, so was kann ja mal passieren und bei der Buchung war ich ja – die Stimmen der Bahnprofis aus meinem Umfeld im Hinterkopf – so vorsichtig, dass ich großzügig zwei Stunden Puffer in meine Planung einbezogen habe. Die netten Leute in Augsburg, die zu meinem Vortrag kommen wollen, werden schon nicht warten müssen. Und siehe da – selbst die massive Verspätung, mit der mein ICE dann trotz oder besser wegen der Reparatur am Zug eintrudelte, ließe sich ja theoretisch ganz dynamisch mit anderen Anschlusszügen abfedern. Da hatte ich ja noch mal Glück gehabt. Dachte ich zumindest.

Anstatt zu arbeiten war ich die halbe Fahrt über voll und ganz mit der Studie der Fahrpläne und der stetig dynamischen Meldungen von neuen Verspätungen bei Anschlusszügen beschäftigt. Mein Auto-Navi macht das ganz automatisch und zuverlässig im Hintergrund. Die DB-App bringt hingegen selbst technikaffine Nerds zur Weißglut.

Das lag auch daran, dass kein einziger ICE gen Süden keine Verspätung hatte – mindestens die Hälfte davon mit dem Vermerk „Reparatur am Zug“. Nach langer Recherche kam ich dann zu dem überraschenden Ergebnis, dass ich mein Ziel Augsburg auch – und wahrscheinlich am schnellsten – erreiche, wenn ich gar nicht umsteige, sondern einfach in meinem ICE bleibe, der ja auch irgendwie nach Augsburg fährt – nur halt mit dem kleinen Umweg über Stuttgart. Das macht zwar für mich keinen wirklichen Sinn, aber die Profis der Bahn werden sich dabei schon was gedacht haben.

Mit dem Arbeiten war es das dann aber endgültig. Da meine Sitzplatzreservierung ja nur bis Fulda gültig war, durfte ich den Rest den Fahrt an einem Stehtisch im Bistro – immerhin! – verbringen. Dort piepte dann pausenlos meine DB-App, die mich über Verspätungen und Reparaturen von Zügen informierte, in denen ich ja dank deren teils stundenlanger Verspätung und meiner eigenen dynamischen Planung gar nicht saß. Nur so viel: Wäre ich den Empfehlungen der App gefolgt, wäre ich irgendwann nach zehn Uhr abends in Augsburg angekommen und der Vortrag hätte ohne den Vortragenden stattfinden müssen.

So schien es zumindest, dass ich es mit anderthalb Stunden Verspätung doch noch „pünktlich“ schaffe. Doch das war abermals zu optimistisch gedacht. Aus Gründen, die sich mir nicht erschließen, fuhr mein ICE ab Stuttgart nur noch im Bummeltempo über die schöne Schwäbische Alb und meine DB-App meldete minütlich neue Verspätungen. Nun ja, immerhin bin ich dann mit zweieinhalb Stunden Verspätung doch noch in Augsburg angekommen und dank meines Zwei-Stunden-Puffers mussten die Besucher meines Vortrags nur eine halbe Stunde warten. Das ist ärgerlich, aber es gibt Schlimmeres.

Mein einziges Problem: Ich musste ja am nächsten Morgen noch irgendwie zurückkommen. Überflüssig zu erwähnen, dass bereits der erste ICE, der mich von Augsburg nach Fulda bringen sollte, massive Verspätung hatte – und ja, wieder einmal lag es an einer Reparatur am Zug. Überflüssig auch zu erwähnen, dass sämtliche(!) Anschlusszüge inkl. ihrer Alternativen auch massive Verspätungen hatten, sodass auch die Rückreise zu einem völlig unkalkulierbaren Glücksspiel wurde. Und dieses Glücksspiel habe ich verloren. Immerhin gab es gar nicht mal so schlechten Kaffee im Bistro, man muss ja auch mal dankbar sein.

Jedoch wäre ich beinahe an Koffeinvergiftung gestorben, da mein allerletzter Anschlusszug in Göttingen wegen einer – Sie ahnen es – Reparatur am Zug erst gar nicht losgefahren ist, was mir die zweifelhafte Freude eingebracht hat, auf dem Göttinger Bahnhofsvorplatz – immerhin bei bestem Wetter – mir zwei Stunden meiner Lebenszeit mit dem Genuss von weiteren Kaffeeprodukten in verschiedener Form zu vertreiben. Die zwei Stunden Verspätung der Hinreise konnte die Rückfahrt mühelos toppen. Als ich am Abend – immerhin ausgeruht, wenn auch dank des Kaffee-Overkills mit einem Blutdruck kurz vor dem Schlaganfall – endlich in meinem Heimatdorf ankam, summierte sich die Verspätung auf stolze fünf Stunden. Das ist in etwa so viel, wie ich für die gesamte Strecke mit meinem Auto gebraucht hätte. Auch bemerkenswert: Ohne BahnCard hätte mich die Reise mit siebeneinhalb Stunden Verspätung über 300 Euro gekostet – wohlgemerkt Zweiter Klasse. Mein sparsamer Diesel wäre mit ungefähr 100 Euro Spritkosten ausgekommen.

Werde ich wieder Bahn fahren? Ich denke schon. Ich bin ein großer Fan des öffentlichen Fernverkehrs und allein schon aus ökologischen Gründen kann ich es nur schlecht mit meinem Gewissen vereinbaren, 1,5 Tonnen Blech zu bewegen, wenn ich doch alternativ auch mit dem Zug fahren kann. Ich gebe jedoch auch zu, dass ich dies künftig leider von meinem Terminplan abhängig machen muss. Es ist schon paradox. Früher verzichtete man auf das Auto und fuhr mit der Bahn, wenn man eng getaktete Termine hatte. Heute würde ich es im Zweifel genau andersherum machen. Wenn mein Terminplan es mir erlaubt, Puffer im Bereich von mehreren Stunden einzubauen, werde ich gerne wieder mit der Bahn fahren. Sollten berufliche oder private Gründe einen derart großen zeitlichen Puffer nicht erlauben, muss ich halt zum Auto greifen. Bahnfahren ist heute Luxus – nicht nur finanziell, sondern auch zeitlich.

Zynisch könnte man sagen, dass das Missmanagement der Bahn und die falschen politischen Vorgaben es geschafft haben, die Bahn so unattraktiv zu machen, dass das Auto wieder eine Alternative für Langstrecken geworden ist. So eine „Reparatur am Zug“ kommt ja nicht aus dem heiteren Himmel heraus. Die Bahn wurde kaputtgespart und wir müssen mit den Konsequenzen leben. Vielleicht sollte man dieses Problem erstmal in den Griff bekommen, bevor man das nächste Mal den Begriff „Verkehrswende“ überhaupt in den Mund nimmt. Das wäre doch mal eine angewandte und sinnvolle Klimapolitik.

Titelbild: Hadrian/shutterstock.com


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