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Titel: ARD-Presseclub: Das Eingeständnis von „Kampagnenjournalismus“

Datum: 25. Juli 2011 um 8:58 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medien und Medienanalyse, Strategien der Meinungsmache
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Unter der Überschrift „Das Unbehagen an der politisch-medialen Klasse“ schrieb unlängst Jürgen Habermas: „Die munteren Moderator(inn)en der zahlreichen Talkshows richten mit ihrem immer gleichen Personal einen Meinungsbrei an, der dem letzten Zuschauer die Hoffnung nimmt, es könne bei politischen Themen noch Gründe geben, die zählen. Manchmal zeigt der ARD-Presseclub, dass es auch anders geht.“.
Manchmal und leider eher dann, wenn sich diese Journalisten-Runde verplappert, möchte man nach der gestrigen Sendung hinzufügen. Was ansonsten von Journalisten mit Empörung zurück gewiesen wird, bestätigten der Bild-Kolumnist Hugo Müller-Vogg und das Mitglied der Chefredaktion des Stern, Hans-Ulrich Jörges eher nebenbei, nämlich dass es in Deutschland „Kampagnenjournalismus“ gibt. Von Wolfgang Lieb

Der gestrige ARD-Presseclub zum Thema „Der englische Skandal – Macht, Moral und Machenschaften der Boulevard-Blätter“ lieferte das gewohnte Bild, wenn Journalisten über Journalismus diskutieren. Es werden individuelle (charakterliche) Fehler eingeräumt, die Arbeitgeber (Verleger und Chefredakteure) verteidigt und im Übrigen die Qualität und Pluralität der deutschen Medienlandschaft im Vergleich zu anderen Ländern als vorbildlich hervorgehoben.

So wiegelte Hans-Ulrich Jörges ab, Springer sei nicht Murdoch und Friede Springer übe doch politische Zurückhaltung. Dass die Haupterbin Axel Springers und neben Liz Mohn mächtigste Medienfrau Deutschlands höchst freundschaftliche Beziehungen zur Kanzlerin hat und Merkel wiederum diese Beziehungen pflegt, hat er dabei allerdings unterschlagen. Friede Springer war z.B. nicht nur auf der Wahlfrauenliste der CDU bei der letzten Bundespräsidentenwahl, sie saß auch applaudierend auf der Gästetribüne des Bundestags als Angela Merkel zur Bundeskanzlerin gewählt wurde. So große Nähe gab es nicht einmal zwischen Cameron und Murdoch.

Springer

Quelle: stern.de

Hatte die Springer-Presse nicht einen wesentlichen medialen Anteil daran, dass bei der letzten Bundestagswahl Schwarz-Gelb gewählt wurde? Genauso wie Murdoch erst die Wahl Tony Blairs und dann von David Cameron beeinflusste. Wurde nicht etwa Angela Merkel von der Bild-Zeitung im Vorfeld der letzten Wahl als „mächtigsten Frau“ bejubelt?

Da empörte sich Jörges in der Runde, dass sich der konservative britische Premier David Cameron in 15 Monaten 26 Mal mit Murdoch-Chefs traf. Dass sich die Kanzlerin und Friede Springer häufig treffen oder dass Friede Springer mitsamt dem Vorstandsvorsitzenden des Axel Springer Verlages, Mathias Döpfner, und Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zur von der Kanzlerin für Josef Ackermann veranstalteten Geburtstagsparty eingeladen wurde ist ihm allerdings keiner Erwähnung wert. Dass der nicht ohne Grund in Berliner Journalistenkreisen als „Kanzlerinnen-Zäpfchen“ bespöttelte Hugo Müller-Vogg, wie Albrecht Müller nicht zu Unrecht schrieb, wohl „der von Friede Springer persönlich beauftragte Reinwascher von Angela Merkel in allen Lebenslagen“ ist (Vgl. z.B. „Die Kanzlerin hat schon lange gewarnt“), durfte der gleichfalls zur Sendung eingeladene Bild-Kolumnist und Verfasser eines Gesprächsbandes mit Angela Merkel „Mein Weg“ unwidersprochen dementieren. Und Jörges half ihm sogar noch dabei, indem er meinte, Müller-Vogg sei wohl kein Lieblingsjournalist der Kanzlerin und dass es eine Menge Meinungsunterschiede gebe. Die mag es schon geben, aber allenfalls dann, wenn die Kanzlerin in seltenen Fällen mal nicht der politischen Linie der Bild-Zeitung folgt.

Kritische Eingeständnisse gegenüber der Verfilzung von Journalismus und Politik gab es eher am Rande oder indirekt:

Jörges hat wenigstens auf die „private Versippung“ zwischen Journalisten und Politikern hingewiesen und erwähnt, dass auch Gerhard Schröder sich mit vielen Chefredakteuren duzte und man sich sogar gegenseitig im Urlaub besuchte. Er nannte diese Nähe zur Macht „im Prinzip korrupt“. Müller-Vogg gestand zumindest ein, dass die „Versuchung groß“ sei und auch schon mal die Grenzen überschritten würden, um Gefälligkeit gegen „privilegierte Information“ einzutauschen. Jörges schilderte, dass es derzeit geradezu ein „Wettrennen der Chefredakteure“ gebe, Peer Steinbrück zum Essen einzuladen, um an ihm „dran zu sein“, falls er denn Kanzler werden sollte. Es gebe eben das Prinzip solche „Köpfe hochzuziehen“, mit denen man lange arbeiten könne.

Zwar wurde in dem Sonntags-Stammtisch bestritten, dass es in Deutschland vergleichbare Abhöraktionen der Medien wie durch die Murdoch-Presse gegeben habe, aber die Londoner FAZ-Korrespondentin Gina Thomas, wies zurecht darauf hin, dass auch bei uns das Privatleben von Politikern, wie etwa von Franz Müntefering oder von Oskar Lafontaine, ausgeforscht worden sei. Es gebe auch hierzulande Dosiers mit intimen Informationen über Politiker, war die einhellige Meinung. Solche Intimitäten würden nur deshalb nicht ausgebreitet, weil die deutschen Gesetze und die Justiz strenger seien als anderswo. Was ja wohl nicht gerade für die freiwillige Selbstbeschränkung des Journalismus spricht.

Offenbar selbst zur Überraschung des Moderators, dem ARD-Programmdirektor Volker Herres, wurde so ganz nebenbei erwähnt, dass es auch bei uns „Kampagne-Journalismus“ gebe. Jörges behauptete – wohl eher um den Kampagnenjournalismus herunterzuspielen -, die „Kampagnen, die die Bild-Zeitung versucht hat, sind alle gescheitert“. Er verwies dabei auf die Griechenland-, die zu Guttenberg- oder die Sarrazin-Kampagnen.

Dass die Stimmungsmache gerade auch der Bild-Zeitung gegen die Griechen [PDF – 166 KB] jedoch erfolgreich war, beweisen selbst Umfragen der Blätter des Springer Verlages. Müller-Vogg verplapperte sich und räumte in einem Nebensatz ein, dass „zu Guttenbergs Aufstieg…ohne die Begleitung (durch die Bild-Zeitung (WL)) nicht möglich gewesen“ wäre. Und dass Sarrazins rassistische Thesen vor allem durch die wochenlange Kampagne der Bild-Zeitung durchgedrungen sind, wird auch nicht dadurch relativiert, dass Müller-Vogg abwiegelnd darauf verwies, dass auch der SPIEGEL mit einem Vorabdruck dessen Buch zum Bestseller mitverholfen habe. Müller-Vogg hat wohl gar nicht bemerkt, dass er die Rolle der Bild-Zeitung bei der Popularisierung von Sarrazins Hetzparolen vor allem gegen die hier lebenden Türken und Araber geradezu bestätigte, indem er sagte, dass ein „typischer Bildzeitungsleser“ die „600 Seiten“ des Buches „Deutschland schafft sich ab“ sicherlich nicht lese. Gerade weil er damit völlig Recht hat, müssen die Millionen Bild-Leser sich doch wohl ihre Meinung vor allem durch die Bild-Zeitung und die dieses Boulevard-Blatt nachplappernden anderen Medien „gebildet“ haben.

Müller-Vogg meinte die BILD-Kampagnen damit verteidigen zu können, indem er offen zugab, dass alle Medien mit „gewisser Relevanz“ versuchten „Themen zu setzen“. So kann man Kampagnenjournalismus auch umschreiben.

Immerhin wurde im gestrigen Presseclub, zwar eher weil sie sich verplappert haben, aber endlich einmal auch aus dem Munde von Journalisten bestätigt, was uns gegenüber in vielen Diskussionen mit Medienvertretern immer als Gespinst von Verschwörungstheoretikern zurückgewiesen wurde, nämlich dass in Deutschland
„Kampagnenjournalismus“ weit verbreitet ist. Zahllose Belege dafür finden Sie, wenn Sie in der Suchfunktion der NachDenkSeiten einmal das Suchwort „Kampagnenjournalismus“ eingeben.


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