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Titel: Die Brandstifter wehren sich – die Springer-Zeitungen blasen zum Gegenangriff

Datum: 29. Juli 2011 um 9:25 Uhr
Rubrik: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Rechte Gefahr, Strategien der Meinungsmache
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Ein bisschen scheinen die Zeitungen des Axel Springer Verlags doch vom schlechten Gewissen geplagt zu sein, wenn sich sowohl die „bürgerlichere“ „Welt“ als auch das Boulevardblatt „Bild“ zu massiver Selbstverteidigung wegen der in manchen Medien zu findenden Kritik an ihrem Starjournalisten Henryk M. Broder oder an ihrer „Bauchredner-Puppe“ Thilo Sarrazin veranlasst sehen.
Von Wolfgang Lieb.

Bild erklärt in einem Leitkommentar die „Islamfeindlichkeit“ als Motivation für das Verbrechen schlicht für „Blödsinn“. Und das Blatt fährt auf der gleichen Seite noch eine Attacke auf den SPD-Chef Gabriel mit der Schlagzeile: „Was hat Sarrazin mit der Killer-Bestie von Oslo zu tun, Herr Gabriel?“

Den Anstoß erregt ein zutreffendes Gabriel-Zitat: „In einer Gesellschaft, in der Anti-Islamismus und die Abgrenzung von anderen wieder hoffähig wird, in der das Bürgertum Herrn Sarrazin applaudiert, da gibt es natürlich auch an den Rändern der Gesellschaft Verrückte, die sich letztlich legitimiert fühlen, härtere Maßnahmen zu ergreifen.“

Eine solche Attacke darf natürlich die Bild-Zeitung, die sich Sarrazin von Anfang als Bauchredner für ihre ausländerfeindliche Stimmungsmache bediente, nicht auf sich sitzen lassen: Sarrazin habe nur „immer wieder auf Missstände hingewiesen, u.a. den mangelnden Willen vieler Ausländer kritisiert, sich bei uns zu integrieren“, so werden dessen rassistische Thesen verharmlost.

Auch die Welt fühlt sich „angegriffen“ und geht zum Gegenangriff über: Es sei eine „Deutsche Blamage“, dass „Intellektuelle“ nach der Schreckenstat in Norwegen die Islamdebatte zu „retabuisieren“ versuchten. Gleichzeitig feiert sie ihren neuen Starautor Henryk M. Broder als „Polemiker und Freigeist“, der der Gesellschaft „ihre blinden Flecken spiegelt“.

Für die Welt sind die Terroranschläge in Norwegen einfach nur eine „Wahnsinnstat“ und für Bild nur „die abscheuliche Tat eines geisteskranken Einzeltäters“. Für die Springer-Blätter ist der grausame Massenmörder also einfach nur krank und damit noch nicht einmal schuldfähig.

Kann man es sich wirklich so einfach machen, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen?

Folgen wir doch einmal der Schnelldiagnose von Springers journalistischen Psychiatern:
Selbst wenn der Täter geisteskrank wäre, kann man dann seinen Irrsinn von seiner Ideologie trennen, die er in seinem Manifest „2083 – European Declaration of Independence“ auf 1500 Seiten aufgeschrieben hat. Man mag das alles Irrsinn nennen, aber dann hat Anders Breivik nur den Irrsinn von zahllosen anderen Irrsinnigen abgeschrieben, deren Texte nach wie vor millionenfach durchs Internet wabern. Das Manifest ist doch nur ein Mosaikbild geistiger Verhetzung aus zahllosen Quellen. Und eine dieser Quellen ist eben auch Broder.

Niemand hat doch dem in diesem wirren Dokument mehrfach zitierten Herrn Broder unterstellt, dass seine islamfeindlichen Texte in einem kausalen Zusammenhang mit dieser Schreckenstat stünden. Genauso wenig gibt es eine lineare Verbindung zwischen Broders und Sarrazins islamfeindlicher Ideologie und diesem Terrorakt. Aber hat der norwegische Wahnsinnstäter seine Islam-, Kultur-, oder Zivilisationskritik etwa selbst erfunden? Hat er nicht nur die weitverbreiteten rechten Ideologien aufgegriffen und sich daraus sein „ver-rücktes“ Weltbild zusammen gebaut? Worin liegt in diesem Weltbild der Unterschied zwischen diesem einen Irren und den zahllosen Nicht-Irren, die genauso denken und schreiben? Zugegeben, Breivik war ein Einzel-Täter, er ist aber kein Einzel-Denker (so richtigerweise Carolin Emcke in der „Zeit“ v. 28.7.2011).

Wer Fragen nach dem Zustandekommen eines solchen irren Weltbildes aufwirft, wird von Bild als „trittbrettfahrender Moralprediger“ (als der Breiviksche „Gutmensch“ eben) beschimpft. Schließlich sei der norwegische Anschlag doch nur „einer der ganz wenigen bedeutenden (!) Terroranschlägen des letzten Jahrzehnts gewesen, die NICHT im Namen des Islam verübt wurden“. Der Sarrazin-Fan Stepanie Jungholt („Danke, Herr Sarrazin, für den A…tritt!“) behauptet, dass die Terrorangst „nichts mit Islamfeindlichkeit sondern mit Erfahrung zu tun“ habe.

Diese Erfahrung sieht statistisch so aus, dass von den 249 terroristischen Anschlägen in den EU-Staaten im Jahre 2010 3 (in Worten: drei) von islamistischen Terroristen ausgegangen sind.

In 2010, 249 terrorist attacks were reported in nine Member States, while 611 individuals were arrested for terrorism-related offences. The majority of these attacks were in France (84) and Spain (90…Several Member States were successful in preventing attacks by terrorist groups including those by Islamist terrorist groups…
Islamist terrorists carried out three attacks on EU territory.
(Quelle: Europol – EU Terrorism Situation and Trend Report [PDF – 7 MB])

Wenn die „Erfahrung“ allerdings nur auf der Wahrnehmung der Bild-Zeitung basiert, denkt man halt bei Terroranschlägen auch nur „instinktiv an radikale Muslime“. Dass allein im April dieses Jahres 68 Menschen infolge politisch rechts motivierter Straftaten verletzt worden sind, war diesem Blatt natürlich keine Meldung, geschweige denn eine Schlagzeile wert. Das ist ja auch zu „unbedeutend“, schließlich wurden die Anschläge ja von vielen Tätern an verschiedenen Orten begangen – auch wenn die Verbreitung und die Zahl für die einzelnen Bürger im Lande mindestens so bedrohlich sind, wie ein Terrorakt mit vielen Opfern.

Terror ist eben für die Bild-Zeitung immer nur der Terror der Islamisten, der Terror von Rechts, der wird stets von verwirrten oder geisteskranken Einzeltätern begangen. Deren ideologische Motivation kann man deshalb ausblenden. Der Islamismus ist der Feind und der Rechtsradikalismus eben nur die Verirrung oder der Wahnsinn Einzelner.

Die „Welt“ betreibt die Ablenkung vor den latenten Gefahren des rechten Sumpfes natürlich mit feinerer Feder. Dort wird die dringend notwendige Debatte darüber mit einem „neudeutschen Hang zum Autismus“ oder als das „durchsichtige Manövrieren um politischen Landgewinn“ abgetan, letzteres natürlich nur, um gleichzeitig wieder für die Broders und Sarrazins und deren „islamkritische Debatten“ Land zu gewinnen.

Selbstverständlich sind die Broders oder die Sarrazins keine Zellen des Terrorismus, wie es sie bei Al Kaida gibt oder geben soll. Aber was unterscheidet eigentlich die Internet-Netzwerke von islamischen Fundamentalisten von den Internet-Plattformen der Rechtsradikalen, die Broder und Sarrazin gerne als unangreifbare Zeugen zitieren? Sicher, dort wird nicht zum „heiligen Krieg“ aufgerufen oder Attentätern gar das Paradies versprochen, aber wird dort nicht auch die Rettung des christlichen Abendlandes vor der multikulturellen Dekadenz angestrebt und das Schreckbild des Aussterbens der Nation durch ethnische Unterwanderung an die Wand gemalt.

„Wie die Appeasement-Politik gegenüber Hitler die expansive Haltung der Nazis nur befördert hat, so laufen die Europäer mit ihrer Politik der Beschwichtigung heute Gefahr, die Transformation Europas zu einem islamischen Kontinent zu beschleunigen“

zitiert die Frankfurter Rundschau Henry M. Broder.

Solche Sprüche gelten für die „Welt“ als „anarchischer Humor“ und als „kämpferischer Humanismus“. Worin unterscheidet sich diese ungeschminkte Aufforderung, der europäischen Politik in den Arm zu fallen, von der Meinung Breiviks, die große Koalition der „Korrekten“ schwäche von innen die Abwehr gegen den äußeren Feind und treibe so die Islamisierung Europas voran? (Zitiert nach „Bomben für das Abendland“ in die „Zeit“ vom 28.7.2011)

Auch Breivik sagte, dass er die Gewalt grausam finde, aber gerecht. Es gibt schon viel zu viele, die in Deutschland und anderswo ihre Gewalttaten gegen Ausländer und vor allem gegen Muslime als gerecht empfinden.

Schlussbemerkung: Damit ich nicht wieder von einzelnen E-Mail-Schreibern vorgehalten bekomme, ich verharmlose die Probleme der Einwanderung, füge ich an: Den vielen Integrationsverweigerern steht auch eine jahrelange Integrationsverweigerung der deutschen Politik gegenüber. Bis heute wird ja nicht akzeptiert, dass Deutschland – ob es das will oder nicht – ein Einwanderungsland ist.
Und bis heute wird viel zu wenig getan, dieser Tatsache Rechnung zu tragen.


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