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Titel: Manipulieren, diffamieren, kriminalisieren – Für S 21 ist jedes Mittel recht

Datum: 22. November 2011 um 9:23 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Stuttgart 21
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Sie müssen schlechte Argumente und große Angst vor einer Niederlage haben: Die Befürworter der Verlegung des Stuttgarter Bahnhofs unter die Erde ziehen alle Register. Mit Schadenersatzforderungen und Horrorszenarien für den Raum Stuttgart versuchen sie Furcht zu verbreiten. Mit Angst, Schrecken und verleumderischer Propaganda sollen die Menschen davon abgehalten werden, bei der Volksabstimmung am 27. November mit Ja zu stimmen. Hermann Zoller

Sie lassen nichts aus, was es so im Werkzeugkasten der Demagogie gibt. Schon die erste Plakatserie diskriminierte die Kopfbahnhoffreunde . Die neuen Plakate sind ein herber Schlag in die Magengrube eines jeden Demokraten. Die Werbemasche eines größeren Kaufhauses abkupfernd schlagzeilen die Verfechter des Röhren-Bahnhofs mit einer Blondine mit leuchtend blauen Augen „Milliardenstrafe beim Ausstieg? – Wir sind doch nicht blöd!“ und ein fröhliches Schulmädchen erklärt „Zukunft geht vorwärts. Nicht rückwärts! – Meine Eltern sind doch nicht blöd“ und ein empörter Opa setzt den Finger an den Kopf und fragt „Randale statt Demokratie? Wir sind doch nicht blöd!“

Mit anderen Worten: Das Demonstrationsrecht der Bürgerinnen und Bürger hat nichts mit Demokratie zu tun, das ist „Randale“; und all jene, die S 21 ablehnen sind blöd. In der politischen Auseinandersetzung geht es manchmal ruppig zu, aber es sollte unter Demokraten Grenzen geben. Die Auftraggeber dieser Propaganda für S 21 haben diese überschritten. Sie demaskieren sich damit selbst: sie wollen nicht die Auseinandersetzung mit Fakten, sondern mit billiger Stimmungsmache ihr Projekt durchboxen – koste es was es wolle, auch zu dem Preis, dass dabei die Demokratie Schaden nimmt. Sie belegen damit, dass sie eigentlich gar keine Bürgerbeteiligung wollen. Mit ihren Plakaten und ihrer unehrlichen Argumentation wollen sie nicht nur ihren unterirdischen Bahnhof durchsetzen, sondern schlussendlich vor allem den Bürgerinnen und Bürgern die Lust nehmen, sich je wieder für etwas zu engagieren. Zwar reden alle von Bürgerbeteiligung, am liebsten wäre aber vielen, wenn die Bürgerinnen und Bürger erkennen würden, dass ihr ganzes Mitreden eigentlich umsonst ist, weil es eh nichts bringt.

Wenn man sich diese Plakate anschaut und gegenüberstellt die Arbeit, die Tausende von Menschen, investiert haben, um sich durch die Details der Bahnplanungen zu arbeiten, sogar neue Entwürfe auszuarbeiten, dann ist ein Slogan „Wir sind doch nicht blöd!“ nicht nur unangemessen, er ist eine Frechheit.

Das ist zwar eine andere Variante, aber dieselbe Melodie: Wenn Bahnchef Grube im Interview mit der Stuttgarter Zeitung (2. November 2011) jammert: „Ich bin kürzlich vom Emir von Katar konkret gefragt worden, ob es hier noch Planungs- und Investitionssicherheit gebe – wegen des Streits um Stuttgart 21. Und ein chinesischer Unternehmer hat mir gesagt, er habe wegen Stuttgart 21 vorerst von einer Investition in Deutschland Abstand genommen“, dann will er damit Angst verbreiten, der Standort Deutschland sei in Gefahr, Arbeitsplätze bedroht. In Wirklichkeit wendet Grube hier nur das Konzept an: Angst und Schrecken verbreiten. „Wenn wir nicht mal den Mut haben, solch ein Infrastrukturprojekt anzupacken, dann können wir einpacken!“ legte Grube als Redner auf dem 10. fischer forum Waldachtal nach – um dann in aller Bescheidenheit einige Sätze später scheinheilig zu beteuern. „Menschlicher Respekt ist mir sehr wichtig!“

Und so geht das weiter: Grube behauptet, die Neubautrasse Ulm – Wendlingen werde es ohne Stuttgart 21 „definitiv“ nicht geben. Richtig dagegen ist, dass es keine zwingende Verbindung zwischen dieser Strecke und der Vergrabung des Stuttgarter Bahnhofs gibt. Man kann allerdings bezweifeln, dass die Neubautrasse Ulm – Wendlingen die Bedeutung hat, die die Bahn ihr bisher zugeschrieben hat. Nebenbei: über das, was gebaut wird, entscheidet nicht Herr Grube, sondern der Deutsche Bundestag.

Als schweres Geschütz wird auch Bundesverkehrsminister Ramsauer aufgefahren und der schlägt (Stuttgarter Zeitung, 12. November 2011) bayerisch-deftig zu: „Ausstieg wäre ein Horrorszenario für Stuttgart.“ Und dieselben Märchen: für 930 Millionen Euro bekäme Stuttgart einen hochmodernen Bahnhof – als ob die vielen Milliarden Euro nicht von den Bürgerinnen und Bürgern aufgebracht werden müssten, sondern von einem reichen Onkel von Übersee. Und auch Ramsauer wärmt die für viele Schwaben erschreckende Vorstellung auf, wenn Stuttgart einen so schönen Bahnhof nicht wolle, dann müsse das Land halt 1,5 Milliarden Ausstiegskosten zahlen und bekomme dafür „gar nichts“. Immherhin würden rund fünf Milliarden gespart und Stuttgart behielte einen Bahnhof, der – obwohl ihn die Bahn schon ein Jahrzehnt lang hat verkommen lassen – noch immer gut funktioniert und für rund zwei Milliarden top saniert werden könnte. Hierbei bliebe den Hunderttausenden von Pendlern 15 Jahre Behinderungen im Bahnverkehr erspart, besser noch: Renovierung des Kopfbahnhofs und der Ausbau einiger Strecken würden schon sehr schnell zur spürbaren Verbesserungen führen.

Statt Alternativen zu prüfen geht die Horrorpropaganda weiter: In der Riege der Angstmacher wollen Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, Regionalpräsident Thomas Bopp und Regionaldirektorin Jeannette Wopperer (alle CDU) nicht fehlen. In einem Brief an Ministerpräsident Kretschmann stellen sie für sich fest: „Ein Ausstieg aus dem Projekt bedeutet daher einen Vertragsbruch, der von uns nicht mitgetragen und unterstützt wird.“ Und dann die Drohung: „Auch auf eigene Schadenersatzansprüche werden wir nicht verzichten.“ Stuttgarter Zeitung, 19. November 2011.

Interessant daran ist auch, dass die Politiker, die nichts getan haben, um die Kalkulationen und Planungen für S 21 zu durchleuchten und den Bürgerinnen und Bürgern durchschaubar vorzulegen, die bis heute mit gezinkten Karten spielen und gerade jetzt kurz vor der Abstimmung mit ihren Schadenersatzansprüchen an die Öffentlichkeit gehen – natürlich um Angst und Schrecken zu verbreiten.

Der Stuttgarter Stadtrat Hannes Rockenbauch hat in einem Brief an den Stuttgarter OB einiges zurechtgerückt:

Lieber Wolfgang Schuster,
zehn Tage vor der Volksabstimmung kündigen Sie an, dass Sie das Land auf Schadensersatz verklagen werden, wenn es aus Stuttgart 21 aussteigt. Ist das Ihr Verständnis von Demokratie? Und welchen Schaden meinen Sie?
Nicht nur das Land spart mit dem Ausstieg Geld – 930 Millionen Euro -, sondern auch unsere Stadt. Wir würden nicht nur unseren eigenen Finanzierungsanteil von 240 Millionen Euro einsparen. Nein, die Bahn AG müsste uns 750 Millionen Euro überweisen – Steuergelder, die Sie vor zehn Jahren leichtfertig für den Kauf des Gleisvorfeldes unseres Hauptbahnhofs ausgegeben haben. Ausgegeben für ein Gelände, das frühestens 2025 bebaut werden kann, falls Stuttgart 21 überhaupt realisiert wird. Mit diesen 750 Millionen Euro könnten wir auf einen Schlag zum Beispiel alle Schulen und Kindergärten in Stuttgart sanieren, also das nachholen, was Sie seit vielen Jahren sträflich vernachlässigt haben.
Im Jahr 2000, lieber Herr Schuster, hat der damalige Bahn-Chef Hartmut Mehdorn eigene Kosten für Stuttgart 21 auf die Stadt Stuttgart und das Land abgewälzt. Sie selbst haben dies in einer Vorlage bestätigt, welche die Monatszeitung “Einundzwanzig” nun veröffentlich hat. In der Vorlage schreiben Sie in dankenswerter Offenheit, dass die Bundesregierung und die Deutsche Bahn AG die Entscheidung über Stuttgart 21 davon abhängig machten, “ein positives betriebswirtschaftliches Ergebnis abzusichern, indem die Risiken der Grundstückserlöse sowie aus Verfahrens- und Baukostenentwicklung auf die Vertragspartner Land, Region und Stadt möglichst abgewälzt werden”.
Kurz: Die Steuerzahler in Baden-Württemberg sollen zahlen – und die Stuttgarter gleich doppelt. Dabei hatte sich die Bahn, wie Sie selbst zugeben, bis zuletzt geweigert, die Berechnung der Wirtschaftlichkeit transparent zu machen. Mit diesem Grundstückserwerb, Herr Schuster, haben sie vor allem die Bürger unserer Stadt geschädigt. Deshalb stellt sich für mich nicht die Frage, ob das Land bei einem Ausstieg aus Stuttgart 21 schadensersatzpflichtig ist, sondern eher, ob Sie selbst schadensersatzpflichtig sind gegenüber den Bürgern, die sie gewählt haben.

Ihr 
Hannes Rockenbauch 

Stadtrat in Stuttgart und Sprecher des Landesbündnisses JA zum Ausstieg

Mit Einschüchterung versucht es auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Der Arbeitgeberverband hat für 100.000 Euro einen Kino- und Internet-Spot für S 21 herstellen lassen. Dieses Filmchen wurde von den S-21-Gegnern aufgegriffen und in eine vom Schauspieler Walter Sittler kommentierte Fassung gebracht. Dagegen will Hundt nun klagen. „Das gehört zur Demokratie“, sagt Walter Sittler dazu. „Die Meinungsfreiheit ist einer der Grundpfeiler eines demokratischen Staates. Und das dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Klar, dass dazu auch das Zitatrecht gehört. Und davon macht unser Videospot Gebrauch, denn er ist die Antwort auf den Spot der Arbeitgeber“ . Da hat Walter Sittler recht. Aber Hundt geht es gar nicht um die juristische Klärung eines Urheberrechtsproblems: es ist die alte Taktik der Arbeitgeberverbände, die sie nicht zuletzt gegen die Gewerkschaften anwenden: diffamieren und kriminalisieren.

Manipulationen der Bahn für den Stresstest aufgedeckt

Erfreulich ist, dass es immer wieder gelingt, der Bahn in die Karten zu schauen und ihre Manipulationsversuche aufzudecken. Am 18. November 2011 haben Wissenschaftler eine Analyse der Angaben der Bahn während des Stresstests vorgelegt, die die Trickserei der Bahn offen legt (Wikireal).

Auch dieses Gutachten belegt vor allem eines: Die Verteidiger von S 21 haben nie den freimütigen Dialog gesucht, sondern immer nur versucht, kritische Bürgerinnen und Bürger um die Fichte zu führen. Eine Volksabstimmung hat aber nur dann eigentlich einen Sinn, wenn mit offenen Karten gepielt wird. Auch das ist ein Grund, am 27. November mit Ja zu stimmen.

Hermann Zoller


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