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Titel: Betreuungsgeld stellt Hartz IV-Logik in Frage – Moralische Empörung ist nur Heuchelei

Datum: 27. April 2012 um 16:48 Uhr
Rubrik: Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Soziale Gerechtigkeit, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Wer die Ungerechtigkeit beklagt, dass Arbeitslosengeld II-Empfänger vom Betreuungsgeld nicht profitieren sollen, der müsste konsequenterweise die gesamte Logik Hartz IV- Logik in Frage stellen – und das tun weder CDU/CSU noch FDP, aber auch SPD und Grüne gerade nicht. Die moralische Empörung gegen die Anrechnung des Betreuungsgeldes auf die Hartz IV-Regelsätze ist deshalb nur geheuchelt. Von Wolfgang Lieb.

Das Betreuungsgeld ist nichts anderes als eine Transferleistung für Besserverdienende. In derselben Logik müssten auch Eltern einen staatlichen Zuschuss bekommen, wenn sie ihre Kinder auf Privatschulen schicken, weil sie ja damit die Leistungen der öffentlichen Schulen nicht in Anspruch nehmen. Oder Familien, die in ihrem Garten einen Swimmingpool bauen, müssten eine Subvention erhalten, weil deren Kinder ja nicht mehr ins städtische Schwimmbad gehen. Wer einen Sandkasten oder eine Schaukel für seine Kinder errichtet müsste das zumindest von der Steuer absetzen können, weil dessen Kinder ja keinen öffentlichen Spielplatz mehr beanspruchten.

Das Betreuungsgeld ist darüber hinaus ein bildungspolitisches Debakel, weil es gerade Eltern mit niedrigem Einkommen davon abhält ihren Kindern ein frühkindliches pädagogisches Angebot in Anspruch zu nehmen. Da Eltern mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich zu den einkommensmäßig Benachteiligten gehören, wiederspricht das Betreuungsgeld allen politischen Beteuerungen, die Integrationsangebote für Zugewanderte verbessern zu wollen.
100 oder 150 Euro pro Kind Betreuungsgeld, sind für viele Familien, die jeden Cent zweimal umdrehen müssen, ein starker Anreiz ihre Kinder eben nicht in eine Kita zu schicken.

Noch absurder ist die Logik, den Ärmsten der Armen – nämlich den Hartz-IV-Empfängern – das Betreuungsgeld vom Arbeitslosengeld II abzuziehen. Dass CDU/CSU und die FDP eine solche Anrechnung fordern, überrascht nicht, entspricht es doch deren seit langer Zeit verfolgten Politik, dass staatliche Transferleistungen deutlich unterhalb der Billigstlöhne liegen müssen. Bisher musste noch jeder Euro zur Sicherung des Existenzminimums erst vor dem Bundesverfassungsgericht eingeklagt werden.

Dass sich aber jetzt SPD und Grüne – wie in der aktuellen Stunde im Bundestag dieser Woche – über die Anrechnung des Betreuungsgeld auf die Hartz-IV-Leistungen empört zeigen kann von Schwarz-Gelb nicht zu Unrecht als „Heuchelei“ zurückgewiesen werden. Hat doch Rot-Grün das Hartz-IV-System eingeführt und gehört es doch von Anfang an zur Rechtslage und auch zur Praxis des Hartz-Gesetzes, dass nahezu alle familienpolitisch begründete zusätzliche Transferleistungen dem Arbeitslosengeld II angerechnet und das heißt eben vom Regelsatz wieder abgezogen werden.

Eine Ausnahme stellt eigentlich nur das sog. „Bildungspaket“ dar, das sich bislang allerdings als Flopp herausstellte.

Das Kindergeld wird auf die Hartz-IV-Leistungen angerechnet und das war zuletzt auch bei der Einführung des Elterngeldes so: Die Streichung wurde von Schwarz-Gelb damit begründet, dass das Elterngeld nun mal eine „Lohnersatzleistung“ sei und wer nicht arbeite, hätte schließlich auch keinen „Lohn“ und damit auch keinen Anspruch auf einen Ersatz.

Diese formale – um nicht zu sagen zynische – Begründung war aber sogar nur die halbe Wahrheit und in Wirklichkeit eine ganze Lüge. Mit der Einführung des Elterngeldes, von dem vor allem Besserverdienende profitieren, wurde nämlich das vorherige Erziehungsgeld für Arbeitslosengeld II- (bzw. Sozialhilfe- und Grundsicherungs-) bezieher/innen gestrichen. Statt früher 7.200 Euro über einen Zeitraum von zwei Jahren erhielt diese Gruppe nach Einführung des Elterngeldes nur noch zwölf Mal 300, also maximal 3.600 Euro. Mit dem Sparpaket im Jahre 2010 wurde dann nach der Logik des Hartz-Systems auch noch der Minimalbetrag von 300 Euro für Hartz-IV-Empfänger gestrichen.

Selbst die Leistungen aus dem Fonds für missbrauchte oder traumatisierte Heimkinder sollten nach dieser Logik früheren Heimkindern angerechnet werden können, die von Hartz IV leben.

Die Leistungen nach dem Arbeitslosengeld II oder nach dem Sozialgeld sind eben in den Sozialgesetzen mit der Hartz-Reform von Rot-Grün mit Zustimmung von CDU/CSU und FDP abschließend aufgeführt und alle darüber hinausgehenden Zuschüsse sind eben davon abzuziehen sobald das in diesen Gesetzen festgelegte Existenzminimum überschritten wird. Auch zusätzliches Erwerbseinkommen bis hin zu Einkünften aus Ferienjobs von Hartz IV-Empfängern schmälerten den Betrag des Arbeitslosengeldes, bis es endlich zu gewissen Erleichterungen beim Hinzuverdienst kam.

Wer also die Ungerechtigkeit beklagt, dass Arbeitslosengeld II-Empfänger vom Betreuungsgeld nicht profitieren sollen, der müsste konsequenterweise die gesamte Logik Hartz IV- Logik in Frage stellen – und das tun bis auf die LINKE weder CDU/CSU noch FDP, aber auch SPD und Grüne gerade nicht. Die Empörung gegen die Anrechnung des Betreuungsgeldes auf die Hartz IV-Regelsätze ist also tatsächlich nur geheuchelt.


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