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Titel: Zur Strategie der Umorientierung vom Ende des Ost-West-Konfliktes hin zur Neubelebung: Meinungsmache von Karsten Voigt und Nato-Stoltenberg

Datum: 30. Oktober 2014 um 9:28 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Europapolitik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich:

Karsten Voigt (SPD) war bis 2010 Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Er unternimmt und verstärkt in einem Beitrag für IPG (Internationale Politik und Gesellschaft) vom 28. Oktober den Versuch, die Abkehr der SPD von ihrer früheren friedenspolitischen Linie und hin zur Unterstützung der neuen Konfrontation mit Russland zu begründen. Auf dieses Dokument wird in Abschnitt A. hingewiesen. In Abschnitt B wird eine Wertung des Handelsblatts zu einer Grundsatzrede des neuen Generalsekretärs der NATO zitiert. In Abschnitt C folgt mein Kommentar und meine Bewertung der Vorgänge. Albrecht Müller.

  1. Erschüttertes Vertrauen
    Wir stehen in einer neuen Phase sozialdemokratischer Ostpolitik.

    Von Karsten Voigt

    Das Ziel sozialdemokratischer Ostpolitik bleibt eine gesamteuropäische Friedensordnung unter Einschluss Russlands. Seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes haben sich Sozialdemokraten dafür eingesetzt, dieses Ziel durch Angebote der Kooperation mit Russland voranzutreiben – über mehr als ein Jahrzehnt hinweg mit großem Erfolg.
    Doch in den vergangenen Jahren haben sich in der russischen Politik negative Entwicklungen verstärkt. Die Annexion der Krim und die Konflikte in der Ost-Ukraine machen deshalb eine neue Bewertung der russischen Politik erforderlich. Wenn Russland seine Haltung gegenüber dem Westen neu definiert, dann hat das Konsequenzen für unsere Politik. Deshalb stehen wir am Beginn einer neuen Phase der sozialdemokratischen Ostpolitik.

    Quelle: IPG [PDF – 102 KB]

  2. Nato-Chef verschärft den Ton Richtung Moskau

    29.10.2014, 08:16 Uhr

    Russland torpediere Frieden und Demokratie, kritisiert die Nato. In der Ukraine beansprucht derweil die prowestliche Volksfront die Führung der neuen Koalition, während die Separatisten planen, eigene Wahlen abzuhalten.

    Brüssel/Kiew. Der neue Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg verschärft im Konflikt mit Russland den Ton. Zwei Tage nach der Parlamentswahl in der Ukraine warf er Russlands Präsidenten Wladimir Putin am Dienstag eine Torpedierung von Demokratie und Frieden im Osten Europas vor.
    „Russland versucht, die Fortschritte rückgängig zu machen, die wir durch gemeinsame Anstrengung erzielt haben“, sagte Stoltenberg in einer Grundsatzrede in Brüssel. Er bedauere sehr, dass viele Ukrainer ihr Wahlrecht nicht ausüben konnten – sowohl auf der von Russland annektierten Krim, als auch in der Ostukraine, wo Russland weiter die Separatisten unterstütze.
    In einem ZDF-Interview sagte Stoltenberg zur aktuellen Situation in der Ukraine, er bedauere sehr, dass Russlands Verhalten eine kooperative Beziehung unmöglich mache.
    „Was wir erlebt haben, ist, dass Russland internationales Recht und Absprachen verletzt, dass es Grenzen in Europa mit Gewalt verschoben hat, und dass es die Kooperation, die wir versucht haben in den letzten zwanzig Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges aufzubauen, einfach so zunichtemacht“, sagte er.
    Quelle: Handelsblatt

  3. Kommentar zu beiden Texten:
    Die beiden Texte sind interessant, weil sie die Strategie des Westens im Neuaufbau der Konfrontation mit Russland sichtbar machen. Die neue Konfrontation wird den Russen in die Schuhe geschoben. Alles was vorher war, zum Beispiel die Ausdehnung der NATO und der Bruch vieler Versprechen zum Ende des Konfliktes zwischen Ost und West genauso wie der Staatsstreich in der Ukraine wird weggelassen. Die Schuld an der neuen Konfrontation wird elegant den Russen zugeschoben.

    Kein Wort zu der Destabilisierungspolitik der USA, kein Wort zu der Problematik der uni-polaren Welt unter Führung der USA. Kein Wort zu Brzezinskis weltpolitischen Gedankenspielen. Kein Wort zur Minderung der Wertschätzung für die UNO und zu ihrer Missachtung bei militärischen Einsätzen der westlichen Staaten. Kein Wort zur „Erfolglosigkeit“ der vielen militärischen Interventionen und zu den zerstörerischen Folgen.

    Karsten Voigt versucht, ähnlich wie sein Parteifreund Gernot Erler, die Abwendung der Sozialdemokratie vom Konzept der gemeinsamen Sicherheit den Veränderungen in Russland in die Schuhe zu schieben. Es ist vor allem Putin, mit dem man anders als mit Jelzin gemeinsame Werte nicht teilen kann. Die Zeit von Jelzin muss großartig gewesen sein für den Westen, so gewinnt man den Eindruck, und Sozialdemokraten machen sich damit zu den Bütteln der Ausbeutung Russlands, die Jelzin leicht gemacht hatte.

    Dem Norweger Stoltenberg wurde einige Zeit vor seiner Installierung in manchen deutschen Medien das Image eines unabhängigen und für die Partnerschaft mit Russland offenen Generalsekretärs der NATO verordnet. Ich war damals schon skeptisch. Nachtigall, ik hör Dir trapsen, dachte ich. Jetzt muss man erkennen, dass dies eine beabsichtigte Prägung des Images von Stoltenberg war, um seine Angriffe gegen eine Partnerschaft zwischen Ost und West umso glaubwürdiger erscheinen zu lassen.

    Clever sind diese Leute und sie denken auch in langfristig angelegten Strategien der Meinungsmache.

    Karsten Voigt habe ich schon in Zeiten der gemeinsamen Zugehörigkeit zur SPD-Bundestagsfraktion in entscheidenden Phasen der Politik, als es nämlich 1990 ff. um ein bisschen mehr Souveränität unseres Landes und vor allem um weniger Belastung durch die Anwesenheit und die Übungen fremder Streitkräfte ging, als Einflussagent der USA erlebt. Das ist er wohl geblieben. Dafür spricht auch die Tatsache, dass er von 1999–2010 Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit war – für einen ehemals linken Juso-Vorsitzenden ist dies eine ungewöhnliche Position [*]. Näheres auch zu den Verflechtungen dieser Person mit den einschlägigen Einrichtungen siehe hier.

    Damit keine Missverständnisse entstehen: mit Einflussagenten-Tätigkeit meine ich die Tatsache, dass man bei der entsprechenden Person davon ausgehen kann, dass sie im Zweifel immer die Interessen anderer vertritt, im konkreten Fall der USA, der NATO und des Westens.

    Karsten Voigt hat übrigens die typische Karriere auffallend vieler „erfolgreichen“ Sozialdemokraten gemacht: von links unten nach rechts oben. Im Dezember 1969 wurde er zum ersten linken Juso Vorsitzenden gewählt. Ich erinnere mich noch gut an diesen Kongress in München und die dort beschlossenen Papiere, weil ich diese dann im Auftrag von Willy Brandt und Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Wischnewski für den Parteivorstand der SPD zu kommentieren hatte. Das klang alles ganz links und war im typischen von Marx entlehnten Jargon gehalten. Das ist alles weit her und solche Leute kann man sehr gut gebrauchen, wenn man die SPD jetzt auf eine neue Ostpolitik festlegen will. Die Überschrift des Textes von Karsten VoIgt „Erschüttertes Vertrauen. Wir stehen in einer neuen Phase sozialdemokratischer Ostpolitik“ ist dann die passende Wegmarke. – Wendehälse überall.


[«*] In einer vorherigen Version dieses Textes hieß es, Voigt sei in einer Zeit Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit gewesen, in der die SPD nicht in der Regierung beteiligt war. Dies ist natürlich ein Fehler, den wir zu entschuldigen haben.


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