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Titel: „Arbeit ist lebensnotwendig“

Datum: 17. Juli 2007 um 9:24 Uhr
Rubrik: INSM, Kirchen/Religionen, Sozialstaat, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Notker Wolf, Abtprimas des Benediktinerordens, fungiert als Botschafter der INSM.
Damit eine Lobbyinitiative als überparteilich und unabhängig erscheinen kann, benötigt sie ja bekanntlich Unterstützung aus dem gesamten gesellschaftlichen Spektrum. So komplettierte die INSM jetzt ihren Unterstützerkreis mit einem Geistlichen, dem Abtprimas des Benediktinerordens, Notker Wolf. In einer einseitigen Anzeige [PDF – 488 KB] unter dem Titel „Arbeit ist lebensnotwendig“ im SPIEGEL Nr. 29/16.07.07 auf Seite 27 kommt der Geistliche in einem Interview mit den Fragestellern der INSM zu Wort. Ein Kommentar von Matthias Burghardt.

Die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland haben ja bereits ihren Frieden mit dem wirtschaftspolitischen Kurs der vergangen Jahre geschlossen. Im Impulstext der katholischen Bischöfe „Das Soziale neu denken“ aus dem Jahr 2004 wurde die Lage so dargestellt: Das Soziale „wurde zu einem Anspruch, um eine immer komfortable Normalität herzustellen“.

Die Arbeitslosen, die hunderte von Bewerbungen schreiben, oder die allein erziehenden Mütter die vor der Wahl stehen, ob sie ihren Kindern nun Kleidung, Essen oder Eintrittsgeld fürs Freibad kaufen, die 11 Millionen Menschen in Deutschland die arm oder von Armut bedroht sind, empfinden ihr Leben wahrscheinlich nicht so „komfortabel“ wie die katholischen Bischöfe wohl vermuteten.
Die Bischöfe stellten in der Schrift weiterhin fest: „Jeder ist zunächst für die Gestaltung seines Lebens selbst verantwortlich“. Sie offenbarten damit ihre individualistische Weltsicht, die ihre Pfarrer in den leeren Kirchen sonntäglich beklagen, weil sie erleben müssen, dass die
eigenverantwortlichen Individuen, die ihr Leben selbst gestalten, auch keine Gemeinschaft mehr brauchen.

Die evangelische Kirche ist mit ihrer Denkschrift zur Armut auch schon auf den Mainstream eingeschwenkt, mit ihrem Ratsvorsitzenden Bischof Wolfgang Huber an der Spitze, der immer wieder weitere „Reformen“ anmahnt und vorsorglich vor einem neuen „Reformstau“ warnt.

In die gleiche Kerbe schlägt nun auch der neue Botschafter der INSM, Abtprimas Notker Wolf. Seiner Meinung nach soll jeder Einzelne befragt werden: „Bist du wirklich bereit eine Arbeit anzunehmen, auch wenn sie schlecht bezahlt ist? Willst du deinen Lebensunterhalt selbst verdienen oder nicht?“
Diese Doppelfrage ist eine zynische Form der Verweigerung der wirtschaftlichen Realität. Für Wolf ist offenbar Arbeitslosigkeit nur persönliches Phlegma.
Dem Benediktiner-Manager, der seine Dienste auch durch Vermittlungsagenturen für prominente Referenten anbieten lässt, scheint es wohl entgangen zu sein, dass heute 2,7 Millionen Frauen und 1,1 Millionen Männer zwar Vollzeit arbeiten, aber damit trotzdem nicht ihren Lebensunterhalt verdienen können, denn Vollzeitarbeit und ausreichender Lohn zum Lebensunterhalt, bedingen sich heute nicht mehr zwangsläufig.

Diese Menschen haben also schlecht bezahlte Arbeit angenommen, sie wollten ihren Lebensunterhalt verdienen – und was ist nun die Antwort des Vorstehers von 25.000 Benidiktinern? „Auch ein Sozialhilfeempfänger muss sehen, dass er seinen Lebensunterhalt bald wieder allein bestreitet“. Das geht für eine immer größer werdende Zahl von Menschen nur mit einem zweiten Job oder mehreren Minijobs, was auch längst Realität in unserem Land geworden ist und zu großen Verwerfungen führt: Probleme in der Ehe, Kinderlosigkeit etc. was dann wiederum besonders von den Kirchen beweint wird.

Aber Notker Wolf legt noch einen drauf. „Wir fragen aber zu wenig danach, wo wir ohne den Staat auskommen können. Die Bürger verhalten sich oft wie Kinder, die keine Verantwortung übernehmen wollen.“
Mit katholischer Soziallehre oder dem Evangelium Jesu Christi hat die Nachplapperei neoliberaler Glaubenssätze des Abtprimas nichts zu tun. Er beweist damit eher, dass er selbst kindisch ist und nicht die Bürger. Wie ein Sektierer von Scientology macht der das mittelalterliche „ora et labora“ zum Dogma der kapitalistischen Neuzeit.
Mit dieser Agitation gegen den Staat und die Sozialstaatlichkeit fallen Notker Wolf und andere Kirchenvertreter weit hinter die Einsicht zurück, die Ketteler und Kolping, ja die schon Jesus Christus vor 2.000 Jahren hatte: Der Mensch erreicht Selbstverantwortung nur durch Mitverantwortung.

PS: Aber wir sollten Wolf vielleicht ruhig den Gefallen tun und fragend werden. So können wir doch fragen, warum man gerade in den kirchlichen Diensten so oft Lohndumping und plumpe Lohndrückerei vorfindet? Und wenn wir gerade dabei sind, könnten wir doch den Gedanken zu Ende führen und überlegen, wo wir sonst noch ohne den Staat auskommen wollen, so könnten wir doch z.B. fragen, warum wir auch das Einziehen der Kirchensteuern nicht einfach den Kirchen überlassen?

Anmerkung WL: Wolf scheint er Vorzeige-Mönch der INSM zu sein und wird auf sog. Diskussionsveranstaltungen herumgereicht. Wie wenig Interesse an Diskussion die INSM in Wirklichkeit hat verdeutlicht eine Debatte zwischen dem Abtprimas und der ehemaligen Vizechefin des DGB, Ursula Engelen Kefer. In ihrem Bericht über diese Veranstaltung wird Engelen-Kefer mit keinem einzigen Satz zitiert, dafür mit umso größerer Begeisterung die hohlen Sprüche des Ordens-Managers.


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