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Titel: Ein „cleverer“ Herr Clever oder wie die Bundesagentur für Arbeit die Öffentlichkeit manipuliert

Datum: 30. Oktober 2007 um 10:25 Uhr
Rubrik: Bundesagentur für Arbeit, Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Strategien der Meinungsmache, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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In einem Interview vom 25.10.2007 („Mitteldeutsche Zeitung“) erklärt der Arbeitsmarkt-Experte Herr Clever, Vize im Bundesvorstand der BfA, dass er für die Jahre 2009 bis 2011 nur mit einem BIP-Wachstum von 1,4 % rechne – daher könne das ALG I nicht wieder verlängert werden. Bei jedoch nur 1,4 % nomineller BIP-Wachstumsrate wäre mit wieder steigender Arbeitslosigkeit in den Jahren 2009 bis 2011 in Deutschland zu rechnen, und dafür gilt es also schon jetzt zu sparen. Karl Mai

Herr Clever meint das nominelle BIP-Wachstum 2009 bis 2011. Das ist wirklich eine „clevere“ Begründung, denn sie besagt schlicht und einfach, dass das inflationsbereinigte, also reale Wachstum von 2009 bis 2011 ein negatives Wachstum oder bestenfalls „Null“-Wachstum sein wird, sofern die Inflationsrate ebenso hoch oder höher ausfallen wird. Ist sich der Herr Clever überhaupt bewusst, was er da aussagt? Immerhin geht die regierungsoffizielle nominelle BIP-Wachstumsrate für 2007 bis 2011 von durchschnittlich 3,27 % aus (bei einer Inflationsrate von 1,5 %), gemäß der aktuellen „Mittelfristigen Finanzplanung“.

Bei jedoch nur 1,4 % nomineller BIP-Wachstumsrate wäre mit wieder steigender Arbeitslosigkeit in den Jahren 2009 bis 2011 in Deutschland zu rechnen, und dafür gilt es also schon jetzt zu sparen. Wie kann man dann dafür plädieren, die Beitragssätze für die Arbeitslosenversicherung jetzt herabzusetzen?
Herr Clever rechnet mit Mehrkosten von 1,5 bis 2 Mrd. Euro für die Arbeitslosenversicherung, wenn das ALG I verlängert gezahlt würde. Gleichzeitig sind aber im Haushalt für das ALG II derzeit weitaus höhere Überschüsse zu erwarten, die zum Ausgleich herangezogen werden könnten.

Die Absenkung der Arbeitslosenbeiträge auf jeweils unter 3,25 % für Arbeitnehmer und auch für Arbeitgeber wird in der Öffentlichkeit als wesentlicher Faktor zur Verminderung der Arbeitslosigkeit propagiert – offenbar glaubt die Arbeitsagentur selbst an dieses Ammenmärchen. Verschwiegen wird, dass (nach Angaben für April 2006) z. B. in Spanien allein die Arbeitgeber 7 % vom Bruttolohn in die Arbeitslosenversicherung einzahlten, zusammen mit den Arbeitnehmern 8,64 %; in Dänemark zahlten Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen 8 % vom Bruttoverdienst oder Gewinn als Pauschale; in den Niederlanden zahlten Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen 8,3 % vom Bruttoverdienst. Deutschland lag 2006 bei 6,5 % Arbeitslosenversicherung von Arbeitnehmern plus Arbeitgebern. Dennoch ist in den anderen angeführten Ländern die Arbeitslosigkeit nicht höher als in Deutschland, sondern teilweise bedeutend niedriger.

Herr Clever bedient die neoliberalen Glaubensregeln mit der Gefälligkeitsaussage, ein wieder verlängertes ALG I sei „weder gerecht noch sozial“. Diese Aussage hätte vor 10 Jahren noch kein Spitzenvertreter des Arbeitsamtes gewagt – heute gilt als „sozial“ und „gerecht“ offenbar nur das, was die geplante Kassenlage gerade hergibt. Dabei ist die gegenwärtig diskutierte Verlängerung des ALG I von sehr geringem betriebswirtschaftlichen Gewicht: Das Volumen der Mehrkosten von 1,5 bis 2 Mrd. Euro liegt unter dem 0,0027-fachen der gesamten Bruttolohnsumme des Jahres 2006 gemäß VGR, woraus man sich den „märchenhaften“ Effekt selbst ausrechnen kann.
Der Logik des Herrn Clever zufolge müssten die o. a. 1,5 bis 2 Mrd. Euro direkt in die Finanzierung von Arbeitsplätzen fließen. Dort ist aber der Effekt ebenfalls negativ, wenn Clever ohnehin mit einem negativen BIP-Wachstum bereits in den Jahren 2009 bis 2011 rechnet.


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