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Titel: Bahnprivatisierung – Von Wortbruch redet niemand

Datum: 15. April 2008 um 9:15 Uhr
Rubrik: Privatisierung, SPD, Verkehrspolitik
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Es ist so gekommen, wie zu befürchten, allerdings auch zu erwarten war: Entgegen einer breiten Mehrheit der Bevölkerung (70 Prozent) und entgegen einer Mehrheit der SPD-Mitglieder haben die SPD-Gremien für eine Privatisierung der Bahn votiert.

In einem sog. Holdingmodell sollen der Mutterkonzern und das Schienennetz zu 100 Prozent im Besitz des Bundes bleiben, an den Betriebsgesellschaften (Fahrbetrieb und Güterverkehr) sollen sich private Investoren mit bis zu 24,9 Prozent beteiligen können. Dagegen heißt des im Beschluss des Hamburger SPD-Parteitages: “Private Investoren dürfen keinen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben. Zur Erreichung dieses Ziels stellt die stimmrechtslose Vorzugsaktie die geeignete Form dar …eine andere Beteiligung privater Investoren lehnen wir ab.“ Wo bleiben jetzt die Gegner der Privatisierung? Fordern sie einen Sonderparteitag? Nein, die Vorstandlinke Andrea Nahles begrüßte den Beschluss und wirbt SPD-intern um Zustimmung – mit der merkwürdigen Begründung: Rettet Kurt Beck. Die Linke mag damit den Parteivorsitzenden retten, doch was nützt das schon, wenn die SPD mit diesem „Wortbruch“ weiter an Vertrauen verliert? Wolfgang Lieb

Im September 2007 brachte Verkehrsminister Tiefensee nach vielen Vorankündigungen ein Privatisierungsgesetz für die Bahn in den Bundestag ein. Dabei stieß er selbst in der Regierungskoalition auf massiven Widerstand sowohl aus der SPD als auch aus der CDU.

Daraufhin wollten die Privatisierungsgegner in der SPD von Hermann Scheer bis zum Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin eine Brücke bauen und schlugen das Modell einer „stimmrechtslosen Volksaktie“ als Kompromiss vor.

Auf den NachDenkSeiten haben wir schon damals vorhergesagt, dass die Befürworter der Vorzugsaktien dem Versuch, die Privatisierung der Bahn zu verhindern, einen Tort angetan haben. Sie haben damit nämlich verhindert, dass die Frage des „Ob“ der Privatisierung nochmals auf den Tisch kommt.

SPD-Chef Beck versprach eine „Prüfung“ des Volksaktienmodells. Auf dem Hamburger Parteitag stand dann aber doch wieder die Frage nach dem „ob“ einer Privatisierung zur Debatte, und nur indem Kurt Beck sozusagen die Vertrauensfrage stellte, wurde folgender Kompromiss beschlossen:

Die Deutsche Bahn bleibt ein Instrument der Daseinsvorsorge; private Investoren können sich zwar über stimmrechtslose Vorzugsaktien beteiligen, dürfen jedoch keinen Einfluss auf die Geschäftspolitik bekommen; der Bahnkonzern wird nicht zerschlagen und die Beschäftigung wird gesichert. Wörtlich: “Private Investoren dürfen keinen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben. Zur Erreichung dieses Ziels stellt die stimmrechtslose Vorzugsaktie die geeignete Form dar …eine andere Beteiligung privater Investoren lehnen wir ab.”

Es wäre sogar zu einer Kampfabstimmung gegen jegliche Privatisierung gekommen, hätte sich Kurt Beck nicht mit einem Zusatzantrag verpflichtet: „Sollte dieses Modell der stimmrechtslosen Vorzugsaktien nicht durchgesetzt werden können, dann beauftragt der Parteitag den neugewählten Parteivorstand nach Beteiligung des Parteirates, der Landes- und Bezirksvorsitzenden sowie der Verkehrs-, Wirtschafts- und Finanzpolitiker des Bundes und der Länder jedwede vorgeschlagene Lösung zu beurteilen. Der Parteivorstand wird auch im Lichte der Debatten auf dem Hamburger Parteitag urteilen und diese dem nächsten Parteitag zur Entscheidung übertragen.“

Schon wenige Tage nach dem Hamburger Parteitag brachten Tiefensee und Steinbrück, als ginge sie dieser Beschluss nichts an, das sog. Holding-Modell ins Gespräch. Danach sollte der Mutterkonzern im Bundeseigentum bleiben, die Töchter jedoch an die Börse gehen können. Die NachDenkSeiten haben damals erneut davor gewarnt, dass mit diesem Holding-Modell die Gegner der Privatisierung „verschaukelt“ werden sollen.
Und so ist es nun auch gekommen: Kurt Beck folgt dem Holding-Modell, er akzeptiert die Zerschlagung der Bahn, und er schlägt selbst die Beteiligung privater Investoren im Fahrbetrieb vor – mit der kleinen Einschränkung, dass nicht 49 Prozent, sondern „nur“ 24,9 Prozent an private Investoren gehen sollen.
Weder das Holding-Modell mit der faktischen Zerschlagung der Bahn geschweige denn die Ausgabe „stimmberechtigter“ Aktien entsprechen dem Hamburger Parteitagsbeschluss.

Von einem Sonderparteitag ist jedoch im Parteivorstand nicht mehr die Rede. Allenfalls aus dem Berliner Landesverband hört man noch ein leichtes Grummeln. Die Parteilinke und vorneweg der Protagonist des Volksaktienmodells Hermann Scheer tragen den „Kompromiss“ mit. Ihnen kommt, wie wir auf den NachDenkSeiten vorhergesagt haben, das zweifelhafte Verdienst zu, in der SPD die Tür zur Privatisierung offen gehalten zu haben. Es ist traurig, aber man muss es so deutlich sagen, Scheer und Sarrazin haben den jetzigen Beschluss der SPD erst ermöglicht.

Geradezu grotesk ist es, wenn nun gerade die Linke sich innerhalb der SPD dafür stark macht, keinen Sonderparteitag zu beantragen. Sie wirbt mit der Begründung um Zustimmung, man müsse Kurt Beck (gegen Steinmeier) „retten“. Eine so grundlegende Entscheidung der Daseinsvorsorge wie der Privatisierung der Bahn wird so zu einem parteipolitischen Machtspiel degradiert.

Mit der Zustimmung der SPD zu diesem Privatisierungsvorschlag mag die Linke zwar vielleicht Kurt Beck retten, aber das dürfte politisch ziemlich unerheblich sein, denn das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung in die Sozialdemokraten dürfte damit weiteren Schaden erleiden. Auch wenn in diesem Zusammenhang keine Medienkampagne gegen einem eklatanten Wortbruch zu erwarten ist: Die Bahnbediensteten und die Bahnfahrer werden diese Entscheidung dennoch aufmerksam registrieren.

Tiefensee, Steinbrück und Steinmeier dürfen nach diesem Beschluss mit Schampus anstoßen.
Sie haben ihr Ziel erreicht. Die angeblichen „Sicherheiten“, die jetzt beschlossen wurden, brauchen sie nun wirklich nicht mehr zu schrecken.

Beck feiert den Kompromiss, dass mit dem Anteil privater Investoren von nur 24,9 Prozent „der Mehrheitseigner, also der Bund, die Besetzung der Gremien“ bestimme. Angeblich möchte man diese Minderheitenbeteiligung sogar „per Satzung“ festschreiben.

Na herrlich, kann man dazu in fideler Resignation nur noch ausrufen: Der Bund hatte bisher zu 100 Prozent „die Gremien bestimmt“, und dennoch hat der Verkehrsminister den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG in seiner Börsenmanie nicht bremsen können. Hat nicht etwa der vom Bund bestimmte Aufsichtsratsvorsitzende und frühere Ruhrkohle-Chef Werner Müller oder der gesamte Aufsichtsrat ständig auf die Privatisierung gedrängt? Auch während des Streiks der Lokführer wurde erkennbar, dass das Unternehmen schon lange nicht mehr vom Bund beeinflusst, geschweige denn gesteuert wird.

Damals verkündete Tiefensee großspurig, die Bundesregierung halte sich direkt aus dem Tarifkonflikt heraus, versuche aber im Hintergrund “mit allen Hebeln” die Tarifpartner an einen Tisch zu holen. Und dann beschloss der Aufsichtsrat dieses Bundesunternehmens am gleichen Tag, der „Vorstand muss im Tarifkonflikt hart bleiben“. So wurden also bisher die „Gremien bestimmt“.

Wer hatte denn etwa bei der Telekom das Sagen, als es um die Massenentlassungen und Massenausgliederungen oder um die Ablösung des Vorstandsvorsitzenden Ricke ging? Wurden bei diesem ehemaligen Bundesunternehmen nicht die wesentlichen Entscheidungen von dem Finanzinvestor Blackstone vorangetrieben, der dazu nur winzige 4,5 Prozent der Anteile brauchte? (Selbstverständlich geschah das mit Rückendeckung des Bundesfinanzministers, der ja über die „positiven Impulse“ der Heuschrecke hoch erfreut war.)

Wie also sollte sich der Bund als Mehrheitsgesellschafter angesichts des Risikos von Gewinnwarnungen und Kursverlusten künftig erlauben können, kapitalmarktwidrige Gemeinwohlerwägungen zur Grundlage von Unternehmensentscheidungen (Hauptversammlung und Aufsichtsrat) zu machen? Das Interesse von Privatinvestoren an einer Beteiligung zielt doch eher darauf, Gewinne zu erwirtschaften, indem Kosten gesenkt werden, zum Beispiel durch die Stilllegung unrentabler Verkehrsangebote. Solche Verkehrsverbindungen können jedoch durchaus im Interesse des Gemeinwohls sein.

Apropos Kostensenkungen: Nein, es soll nicht so kommen, wie bei den anderen früher bundeseigenen Unternehmen, also wie bei der Post oder der Telekom. Massenentlassungen wie dort soll es natürlich nicht geben: „Der konzerninterne Arbeitsmarkt soll tarifvertraglich abgesichert werden, so dass die 230.000 Beschäftigen größtmögliche Sicherheit erhielten.“

War es eigentlich bei Tarifverhandlungen der Bahn bisher nicht auch schon so, dass dabei zwei Verhandlungspartner am Tisch saßen, nämlich die Bahn AG und nicht der Bund und schon gar nicht die SPD? Es würde einen nicht wundern, wenn für den Bahnvorstand der bis dahin zum Personalchef aufgestiegene Privatisierungsbefürworter und derzeitige Vorsitzende der Bahngewerkschaft „Transnet“, Norbert Hansen, verkünden würde, wieviel Personal eingespart werden muss, damit die Bahn wettbewerbsfähig bleibt.
Da mag Hansen heute noch so lautstark eine 15-jährige „Beschäftigungsgarantie“ per Tarifvertrag fordern. Ein Tarifvertrag mit so langer Laufzeit und dann noch unkündbar, damit macht sich Hansen nur noch lächerlicher, als er sich in der gesamten Privatisierungsdebatte als Gewerkschafter schon gemacht hat.

Das Hauptargument der Privatisierungsbefürworter war stets, die Bahn brauche „frisches Geld“, um investieren zu können. Der Hauptbetreiber eines Börsengangs, Hartmut Mehdorn, erklärte, er könne „auf dieser Grundlage (!) gut arbeiten“. Er erwartet von der Veräußerung der Anteile im Fahrbetrieb angeblich 5 Milliarden. In der Erklärung von Kurt Beck hieß es: „Für das zusätzliche Kapital gelte eine Zwei-Drittel-Regelung. Je ein Drittel fließe in den Bundeshaushalt und in das Grundkapital der Bahn. Mit dem letzten Drittel sollen qualitative Vorgaben wie Lärmvermeidung, Streckenausbau oder Energieeffizienz finanziert werden.“
Wegen gut eineinhalb Milliarden „frischem Geld“ für Investitionen dieses ganze Theater? Kann das ein “rational sauberes und ökonomisch verantwortliches Modell” (Kurt Beck) sein?
Das glaube, wer noch immer an die Beschlüsse der SPD glaubt.

Aus der CDU wurde denn auch schon verlautbart, die 24,9 Prozent könnten die “erste Tranche” der Privatisierung sein, weitere sollten folgen. Ziel der Union bleibe aber weiterhin, bis zu 49,9 Prozent der Verkehrssparte der Bahn zu privatisieren.

Wir wollen ja mit unseren Prognosen wirklich nicht immer Recht behalten, aber wir sagen für den Koalitionsausschuss einen Privatisierungsanteil zwischen 35 bis 45 Prozent als Kompromiss voraus.

Und eine weitergehende Privatisierung wird spätestens in der kommenden Legislaturperiode folgen. Die SPD hat mit diesem Wortbruch vermutlich so viele weitere Wähler vergrault, dass sie kaum Chancen hat, dann noch ein Wort mitreden zu können.

O-Ton Kurt Becks bei seiner Intervention auf dem Hamburger Parteitag:

… dann sage ich Euch zu, dass wir bei dieser Beratung die hier deutlich gewordenen Sorgen und Bedenken einbeziehen werden. Und wenn bei dieser Beratung des Parteivorstandes unter diesen Anhörbedingungen, die ich angesprochen habe, diese Sorgen nicht völlig ausgeräumt sind, nicht völlig ausgeräumt sind, dann wird der Parteivorstand einer Regelung nicht von sich aus zustimmen, sondern die Entscheidung dem nächsten Parteitag übertragen.

Quelle: Bahn für alle

Quelle 1: Ergebnisse der Arbeitsgruppe Bahnreform [PDF – 122 KB]
Quelle 2: Strukturmodell [PDF – 28 KB]


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