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Titel: Eine Ohrfeige für den Journalismus

Datum: 28. Februar 2017 um 10:06 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Hendrik Zörner ist kein Freund der Entspannungspolitik und ganz und gar nicht damit einverstanden, dass Matthias Platzeck dem Sender RT Deutsch ein Interview gegeben hat. Dies lässt Zörner die Öffentlichkeit auch wissen, indem er einen kurzen – dafür aber sehr meinungsstarken – Blog-Beitrag verfasst. Mit der Wahrheit nimmt es Zörner dabei jedoch nicht so genau. Unter anderem versucht er RT Deutsch zu diskreditieren, indem er dem Sender vorwirft, den „Fall Lisa“ in die Welt gesetzt zu haben. Das ist jedoch falsch oder um es neudeutsch auszudrücken: Fake News. Das wäre alles nicht so dramatisch, wäre Zörner nicht Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbands DJV und hätte seine falschen Tatsachenbehauptungen nicht ausgerechnet im offiziellen DJV-Blog veröffentlicht. Dadurch tritt nun die skurrile Situation ein, dass der oberste Journalisten-Verband durch seine Pressesprecher offiziell Fake-News verbreiten lässt. Peinlich. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Warum regt sich ein DJV-Funktionär eigentlich dermaßen darüber auf, dass der Vorsitzende des deutsch-russischen Forums einem russischen Sender ein Interview gibt? RT Deutsch ist ein Staatssender! Das sind die Deutsche Welle und der BBC World Service auch und sicher hätte kein Journalisten-Funktionär ein Interview mit diesen Sendern kritisiert. Nein, Zörner druckst gar nicht erst herum wie viele seiner Kollegen, sondern benennt den Grund, warum er beim bloßen Gedanken an die „Putin treue Propagandaschleuder RT Deutsch“ (sic!) Schaum vorm Mund bekommt. Der Sender sei schließlich „die Plattform, die das Märchen einer angeblichen Vergewaltigung in die Welt gesetzt und damit diplomatische Verwicklungen ausgelöst hat. Wenn es in Deutschland eine Heimat von Fake News gibt, dann auf diesem Portal“. RT Deutsch als Heimat von Fake News? Wegen des mittlerweile berühmt-berüchtigten „Falles Lisa“, der ja immer zitiert wird, wenn es um das Thema „Fake News“ geht? Zu dumm, dass diese Behauptung überhaupt nicht stimmt.

RT Deutsch hat insgesamt dreimal über den Fall Lisa berichtet. Der erste Bericht wurde am 23. Januar 2016 veröffentlicht – zwei Wochen nach der vermeintlichen Tat und eine Woche nach den ersten Medienberichten zu diesem Fall. Alleine die zeitliche Diskrepanz sollte eigentlich bereits die These, RT Deutsch habe das „Märchen […] in die Welt gesetzt“ in Frage stellen. Doch offensichtlich hat DJV-Funktionär Zörner nicht einmal oberflächlich recherchiert, um seine Vorwürfe auch begründen zu können. Ein Anruf bei den Kollegen von RT Deutsch hätte sicher genügt, um diese Falschmeldung zu vermeiden. Aber mit „den Propagandaschleudern“ spricht man ja nicht. Ist dieser besonders peinliche Fall von unterlassener Recherche noch Fahrlässigkeit oder bereits Vorsatz? Im letzteren Fall wäre Zörners Artikel selbst ein Beispiel für Fake News.

Wie hat es sich denn nun beim Fall Lisa wirklich verhalten? Maßgeblich verantwortlich für die falsche Berichterstattung, bei der in der „emotional aufgeheizten“ Zeit kurz nach den Silvester-Vorfällen am Kölner Hauptbahnhof vermeintlichen Migranten eine angebliche Entführung und Vergewaltigung eines 13jährigen deutsch-russischen Mädchens aus Berlin vorgeworfen wurde, war ein russischer Journalist namens Iwan Blagoij, der für den russischen Pervij Kanal Berichte zum Thema gemacht hat. Diese Stories und was von Pervij Kanal daraus gemacht wurde, war journalistisch unsauber und stark verdächtig, vorsätzliche Falschmeldungen zu sein. Begleitet wurden diese Berichte von einer rechtslastigen Facebook-Seite namens „Anonymous.Kollektiv“, deren Urheber unbekannt sind. Die russischen Berichte von Pervij Kanal und ein hetzerisches Video von Anonymous.Kollektiv wurden wiederum am 20. Januar – zwei Tage nach den ersten Demonstrationen deutsch-russischer Bürger in Berlin – von der russischen Nachrichtenagentur Sputnik auch auf Deutsch wiedergegeben und haben die Situation weiter angeheizt. RT Deutsch ist erst spät auf dieses Thema eingegangen.

Hendrik Zörner könnte sich also mit Fug und Recht und Schaum vorm Mund über Iwan Blagoij, Pervij Kanal und die anonymen Schmutzfinken vom Anonymous.Kollektiv aufregen. Er könnte sogar die Berichterstattung von Sputnik im Fall Lisa scharf kritisieren. RT Deutsch als Urheber für die Falschmeldungen zum Fall Lisa zu erklären, ist jedoch eine unwahre Unterstellung, gegen die die Kollegen eigentlich sogar eine Gegendarstellung erwirken könnten. Das wäre dann wohl der Gipfel der Peinlichkeit für den DJV.

Fragt sich zum Abschluss, wo Hendrik Zörner seine falschen Behauptungen eigentlich her hat. Folgende Passage legt die Antwort nahe: „Das dürfte auch Matthias Platzeck wissen, wenn er regelmäßig außer RT Deutsch noch andere Medien liest und sieht. Dass er das ausblendet, ist eine Ohrfeige für die Qualitätsmedien.“ Herr Zörner hat seine Falschinformationen offenbar aus den „anderen Medien“. Dies freilich ist eine „Ohrfeige für den Journalismus“.


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