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Titel: Heiner Geißler: Rattenfänger für die CDU im linken und ökologischen Spektrum

Datum: 26. Januar 2009 um 8:52 Uhr
Rubrik: CDU/CSU, Das kritische Tagebuch, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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Der langjährige Generalsekretär der CDU und in dieser Zeit einer der demagogischsten Aufwiegler gegen die Grünen und die Sozialdemokraten, gibt sich heute als das „linke Gewissen der CDU“. Dieses Image hat er mit seinem spektakulären Beitritt zu Attac kurz vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm ausgebaut. Alle, die meinen, hier wäre ein Saulus zum Paulus geworden, sollten sein Interview im Tagesspiegel lesen. Dort lobt er Kanzlerin Merkel in höchsten Tönen und versteigt sich sogar zu der Behauptung, der enttäuschende knappe Wahlsieg der Union bei den letzten Bundestagswahlen sei ein „Votum gegen die neoliberalen Reformen“ gewesen. Geißler war schon immer einer der geschicktesten Strategen, wenn es darum ging, mit Geschichtsklitterungen Wasser auf die Mühlen der CDU zu lenken. Wolfgang Lieb

Mit seiner verbalen Kritik am „heutigen Kapitalismus“ macht er das, was er schon immer am besten konnte, nämlich Wähler für die Union anzulocken, indem er den Eindruck vermittelt, dass die CDU in so vielfältiges politisches Spektrum abdecke, dass dort etwa auch die Positionen von Globalisierungskritikern und ökologisch Engagierten abgedeckt würden. Mit der realen Politik der Kanzlerin oder der Union hat diese irreführende Vorspiegelung einer derartigen politischen Bandbreite nichts, aber auch gar nichts zu tun.

Angela Merkel „macht gute Arbeit. Ich habe mich früh um sie gekümmert, schon als ich CDU- Generalsekretär war. Sie hat einen kapitalen Fehler korrigiert, indem sie das neoliberale Programm des Leipziger Parteitags wieder umgestoßen hat. Merkel hat, weil sie Naturwissenschaftlerin ist, einen Riesenvorteil: Sie reagiert richtig auf physikalische Fakten. Die letzten Bundestagswahlen waren ein Votum gegen die neoliberalen Reformen, und Merkel zog daraus messerscharf Konsequenzen. Im Gegensatz zur SPD, die weiter an der Agenda 2010 festhielt und festhält“, sagt Geißler dem Tagesspiegel.

Es gehört zu den simpelsten rhetorischen Kunstgriffen von Wahlstrategen, aus einer halben Wahrheit eine glatte Lüge zu verbreiten. Es ist zwar wahr, dass die SPD „weiter an der Agenda 2010 festhielt und festhält“, zur ganzen Wahrheit gehört jedoch auch, dass die CDU mit ihrer konkreten Politik den Kurs der Schröder-Agenda nur verschärft hat und wie etwa der gelb-schwarze Bundespräsident Köhler mit seiner Agenda 2020 weiter verschärfen will.

Geißler suggeriert, als stünde Merkel gegen die „neoliberalen Reformen“. Der für die CDU enttäuschende Wahlausgang bei der letzten Bundestagswahl, hat jedoch bei Merkel bestenfalls zur Einsicht geführt, dass „das neoliberale Programm des Leipziger Parteitags“ beim Wähler keine Mehrheit findet. Merkel hat aber dieses Programm nicht etwa „korrigiert“, sie hat nur die Tonart und ihre Strategie geändert. Sie hat sich zum Beispiel vor dem schmelzenden Polareis ablichten lassen und damit das Bild der „Klimakanzlerin“ in die Welt gesetzt, aber gleichzeitig fungiert sie in Brüssel bei der Einführung CO-2-Grenzwerten als knallharte Automobillobyistin. Merkel wirft sich in die Pose der Vorkämpferin für Arbeitsplätze und weitet mit ihrer tatsächlichen Politik den Niedriglohnsektor und prekäre Beschäftigung aus und sie kämpft mit allen Mitteln gegen einen allgemeinen Mindestlohn.
Wie weit bei ihr das Gesagte und das Gemeinte auseinander gehen, haben wir auf den NachDenkSeiten zuletzt am Beispiel der Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin belegt.

Bei dieser „atemberaubenden Flucht aus der Wahrheit“ mischt Geißler kräftig mit. Er hat sich dabei in seiner politischen Karriere immer als besonders durchtriebener „Fluchthelfer“ gezeigt; besonders wenn er damit dem politischen Gegner schaden konnte.

Diese Methodik, die Wahrheit zu verkehren und damit den politischen Gegner zu bekämpfen, hat Geißler schon immer eingesetzt. Man erinnere sich an seinen (gegen die damals noch pazifistischeren Grünen gerichteten) unsäglichen Vergleich in der Bundestagsdebatte zum Nato-Doppelbeschluss, wonach der „Pazifismus der 30er Jahre…Auschwitz erst möglich gemacht“ habe. Oder man denke etwa daran, dass er Verfechter des Rechtsstaats beim Umgang mit den RAF-Mördern, wie etwa Helmut Gollwitzer, Günter Wallraff oder den damaligen liberalen Bundesinnenminister Werner Maihofer als „Sympathisanten des Terrors“ beschuldigte.

Geißler hat es immer verstanden, Worte und Begriffe aus dem linksliberalen und alternativen politischen Spektrum für die Konservativen zu „besetzen“, er ist geradezu der Erfinder des neoliberalen „Neusprechs“. Er hat es als einer der ersten aus der CDU begriffen, dass man dem Gegner die Sprache rauben muss und sie mit konservativen Inhalten belegen muss.

Das Interview im Tagesspiegel belegt einmal mehr, dass Geißlers kapitalismuskritische Attitüde, kein anderes Ziel hat, als Menschen, für die die Finanz- und Wirtschaftskrise ein besonders schlimmes Beispiel für das Versagen der neoliberalen Ideologie und Anstoß für eine politische Wende ist, über die eigentlichen Verursacher und Versager zu täuschen. Ja noch mehr, Geißler spricht diese Politiker von ihrer Verantwortung frei und lobt Angela Merkel, dass sie „gute Arbeit“ mache.

Hinter der Rhetorik von Geißler steckt stets die Strategie der Vereinnahmung von Kritikern und Gegnern als Stimmvieh für die CDU. Im Zweifel gilt für ihn: „Die Partei hat immer recht“.

Ergänzung AM: Die Mainstream-Medien haben diese Funktion Heiner Geißlers erkannt und laden ihn schon deshalb als angeblichen Kritiker des Kapitalismus und der Gier der Oberen besonders gerne ein. Sie wissen, dass sich diese radikale Kritik im Fernsehen gut anhört und zugleich Merkel und der Union nicht weh tut, sondern ihr Wählerspektrum erweitert.

Erstaunlich ist, dass so viele Zeitgenossinnen/en auch im fortschrittlichen und linksliberalen Spektrum dieses Rollenspiel nicht durchschauen. Sie blenden vermutlich eine Antwort wie die letzte in dem zitierten Interview im Tagesspiegel einfach aus. Oder sie glauben ernsthaft, dass Angela Merkel mit der neoliberalen Linie gebrochen hat.
Es trifft sich gut, dass im gleichen Tagesspiegel auch ein Beitrag von Harald Schumann „Angriff auf die Staatskasse“ erschienen ist. In den Hinweisen vom 26.1. ist auf ihn verlinkt und zur Sicherheit hier noch einmal. Da wird Merkels Rolle in der Finanzkrise und beim unkontrollierten Verschleudern unseres Geldes sichtbar.

Wir haben in den NachDenkSeiten übrigens schon im Mai und Juni 2007 auf Geißlers Rollenspiel aufmerksam gemacht. Hier die notwendigen Links:


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=3725