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Titel: Steinmeier als Handlanger der Springer-Presse

Datum: 9. Oktober 2009 um 9:42 Uhr
Rubrik: Das kritische Tagebuch, DIE LINKE, SPD, Strategien der Meinungsmache
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Gestern analysierte Albrecht Müller die Fremdbestimmung der SPD mit Hilfe der Springer Medien und belegte das etwa u.a. mit dem ersten Namensartikel Steinmeiers nach der Wahl in Springers Welt. Noch am gleichen Tag konnte sich Springers Bild-Zeitung mit dem „ersten Interview nach dem SPD-Wahl-Wahl-Debakel“ rühmen. Die Schlagzeile ist bezeichnend: „Jetzt spricht Steinmeier“. Wolfgang Lieb

Steinmeier weiß, was er tut
Üblicherweise benutzt dieses rechte Kampf- und Hetzblatt die Formel „Jetzt spricht…“ dann, wenn es jemand – etwa einer betrogenen Ehefrau oder Verona Poth – über die es negative Schlagzeilen gegeben hat, eine Plattform zur Rechtfertigung oder zu einem Gegenangriff bieten will. Die Bild-Zeitung also als Sprachrohr für Steinmeiers Retourkutsche gegen das in dieser Woche abgelaufenen Personalrevirement in der SPD-Parteiführung und zugleich als Paukenschlag gegen Stimmen innerhalb der SPD, die nach der historisch zu nennenden Niederlage eine „Erneuerung“ der Strategie und der politischen Ausrichtung der Sozialdemokratie anmahnen.

Man darf Steinmeier nicht unterstellen, dass er nicht wüsste, dass die Springer-Zeitungen die Haupttrommler der konservativen Medientruppe für den anpasserischen Rechtskurs der SPD darstellen. Steinmeier wusste ziemlich genau, warum er für seine ersten Verlautbarungen als Vorsitzender der neuen SPD-Bundestagsfraktion die Welt und Bild nutzte. Dort stehen die stärksten Meinungs-Bataillone für seinen politischen Kurs. (Daran ändern auch sporadisch eingestreute Gastbeiträge wie der von Michael Müller, nichts.) Erwartungsgemäß wurde das Bild-Interview auch den ganzen Tag über alle Nachrichtensendungen transportiert und wir auch von vielen einschlägigen Zeitungen aufgegriffen.

Dabei hat Steinmeier keine Silbe gesagt, die von dem abweicht, was er schon immer gesagt hat.

Er hat Hartz IV verteidigt, die Rente mit 67 und er hat sich wieder einmal von der Linkspartei abgegrenzt. Er stehe damit „keineswegs“ auf verlorenem Posten, sagt er: „Und ich rate allen, jetzt nicht die Schlachten des Jahres 2003 noch einmal zu schlagen. Die Bilanz unserer elf Jahre in der Regierung ist gut. Es gibt keinen Grund, sich dafür zu verstecken.“ Und er hat die undifferenzierte und dümmliche Polemik gegen die Linkspartei zum hundertsten Mal wiederholt: „Deutschland raus aus der Nato und der anti-europäische Kurs der Linkspartei – das ist mit der SPD nicht zu machen.“

(Dümmlich schon deshalb, weil die Linke ja nicht raus aus der Nato fordert, sondern deren Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands [PDF – 317 KB] und weil sie nicht etwa europafeindlich ist, sondern – anders als der von ihr abgelehnte Lissabon Vertrag – „für eine soziale, demokratische und friedliche Europäische Union“ eintritt. Aber weil es Steinmeier um „Totschlagargumente“ geht, muss er die Ebene einer sachlichen Auseinandersetzung wieder einmal verlassen.)

Steinmeier bedient sich der Springer-Presse, um sein totales Scheitern zu verteidigen und er macht sich gleichzeitig zum Handlanger eines konservativen Medienmainstreams, der Schwarz-gelb an die Regierung gebracht hat und wesentlich dazu beigetragen hat, die SPD auf ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis absacken zu lassen.

Steinmeier kennt natürlich die Kampagnen der Springer-Presse gegen die SPD und damit – wenn auch nicht direkt auf seine Person bezogen – gegen ihn, als „Kandidaten“. Dass er sich auch nach der Niederlage immer noch vor deren Karren spannen lässt, kann einen rationalen Grund nur darin haben, dass er seine (politischen) Felle davon schwimmen sieht. Und dass er diese Gefahr sogar als so groß ansieht, dass er ausgesprochene Feinde der SPD (von politischem Gegner kann man bei der Bild-Zeitung nun wirklich nicht mehr sprechen) als seine Bündnispartner sucht, um einen Kurswechsel innerhalb der Sozialdemokratie mit allen Mitteln zu verhindern. Womit Steinmeier in Präsidium und Vorstand der SPD offenbar nicht mehr durchgedrungen ist, das holt er jetzt vor einem Millionenpublikum nach – ohne dass ihm jemand aus seiner Partei direkt entgegnen könnte: „Jetzt spricht Steinmeier“

Wenn Gabriel oder die (gar nicht so) neue Führungsmannschaft die SPD wirklich „erneuern“ wollten, müssten sie eigentlich Steinmeier zurückpfeifen. Aber das können sie gar nicht mehr, weil Steinmeier als SPD-Fraktionsvorsitzender schon gewählt ist und sich daran – auf absehbare Zeit – auch nichts mehr ändern lässt. Und Steinmeier nutzt seine neue Funktion schamlos aus.

Was will Steinmeier damit erreichen?
Er will damit demonstrieren, hier stehe ich als neuer Fraktionsführer mit der SPD-Bundestagsfraktion als „Kraftzentrum“ im Rücken und dort steht ihr von SPD-Parteiführung, die ihr viel reden könnt, aber nichts zu sagen habt. Die praktische, alltägliche Politik der SPD bestimme ich, Steinmeier!

Steinmeiers betonhartes Festhalten am Agenda-Kurs und an der Ausgrenzung der Linken, sind ein eindeutiges Signal an den SPD-Bundesparteitag Mitte November in Dresden. Die Delegierten sollen wissen, wenn ihr etwas anderes beschließen solltet, als das, was ich als Fraktionsvorsitzender vorgebe, dann spaltet ihr die SPD. Es ist genau die von Schröder übernommene Erpressungsstrategie gegenüber der Partei.

Der einzige Unterschied ist, dass Steinmeier nicht mehr Regierungschef sondern „nur“ noch Fraktionsvorsitzender ist. Steinmeier und Müntefering wussten am Wahlabend ziemlich genau, warum sie in einem Atemzug mit dem Eingeständnis der Niederlage unter dem Applaus der Claqueure Steinmeier als den künftigen Fraktionsvorsitzenden bestimmten. Der künftige SPD-Vorsitzende Gabriel ist zwar nicht mehr wie unter Schröder in die Kabinetts- aber jetzt in die Fraktionsdisziplin eingebunden.

Die Springer-Presse weiß, was sie will
Dass die Springer-Presse und andere Medien, die Albrecht Müller als Beleg für die Fremdbestimmung der SPD als Beispiele angeführt hat, politisch daran interessiert sind, dass die SPD auf ihrem Kurs der Anbiederung an die Union (beschönigend heißt das „die Mitte“) bleibt, versteht sich von selbst. Sie wollen nicht, dass der neuen von ihnen herbei geschriebenen „bürgerlichen Regierung“ zu viel Wind aus der Opposition entgegenweht. Wie sagte doch Merkel zu Steinmeier in der Kanzlerrunde am Wahlabend so schnippisch: Sie müssen aufpassen, dass sie in der Opposition nicht dem widersprechen, was sie in der Regierung vertreten haben.
Die Konservativen wissen ziemlich genau, was Schwarz-gelb an Zumutungen bringen wird.

Fast die gesamte Medienlandschaft hat ja in Sachen SPD offenbar nur zwei Fragen: Erstens, öffnet sich die Partei nach links und zweitens, bricht sie ihr Tabu gegenüber der Linkspartei. Das schüren von Ängsten in der Bevölkerung gegen alles was „links“ erscheinen könnte, das ist eben die uralte Methode der Konservativen, im Kampf um die Macht. Die Verweigerung einer kritischen Aufarbeitung der Wahlniederlage der SPD, das Ausklammern einer inhaltlichen Debatte über ein politische Alternative zu Schwarz-gelb in den Medien hat ja seine Gründe:

  • Der Teil der Medien, die die neue Regierung gewollt hat, muss, um der eigenen Glaubwürdigkeit willen, Merkel und Westerwelle nun auch nach der Wahl unterstützen. Wer Partei ergriffen hat, kann nun nicht einfach die Partei wechseln.
  • Schon die Verteufelung der Linkspartei und der massive Druck auf die SPD, eine Kontaktsperre zu dieser Partei aufrecht zu erhalten, war ja der Sorge der Konservativen geschuldet, es könne wieder eine „linke“ Mehrheit im Bundestag geben und irgendwann könnte es sich die SPD anders überlegen und eine solche Machtoption für eine andere Politik auch wahrnehmen. Jetzt nach der Wahl ist die Angst der konservativen Meinungsmacher nicht geringer geworden, sie müssen nämlich befürchten, dass die von ihnen „verführten“ Wählerinnen und Wähler schon ziemlich bald erkennen, dass sie verraten oder verschaukelt worden sind. Es gilt deshalb, diejenigen, die gegen die neue Regierung opponieren oder gar zum Widerstand in der Bevölkerung aufrufen könnten, zu schwächen oder wenigstens zu verhindern, dass die Opposition an einem Strang zieht.

Die Welt hat ihre Angst vor einem Kurswechsel der SPD in schöner Offenheit ausgesprochen:

Trotz ihrer Wahlniederlage und dem mageren Ergebnis von 23 Prozent geht die SPD vielleicht sogar einer rosigen Zukunft entgegen. Zwei Gründe sprechen dafür: erstens die allgemeinen Mehrheitsverhältnisse, zweitens die Bündnisoptionen. Die SPD ist die einzige Partei im Bundestag, die mit allen anderen dort vertretenen Parteien Koalitionen schließen kann: mit der ‘Linken’ genauso wie mit den Freien Demokraten, mit der Union genauso wie mit den Grünen. Die Vielfalt der Optionen wird sie über kurz oder lang nutzen – zum Leidwesen von CDU und CSU.

Diese „allgemeinen Mehrheitsverhältnisse“ und diese „Bündnisoptionen“ gilt es, mit aller Macht zu verhindern – und dazu bietet sich Steinmeier als Handlanger an.

Was könnte aber die Motivation von Steinmeier sein, dass er dazu die Hand bietet?
Die banale Erklärung ist, dass er als der „Consigliere“, also als Leiter des Stabs hinter seinem Boss Gerhard Schröder, die Agenda-Politik eingefädelt hat und nun – und sei es nur zur Rettung auch des eigenen Bildes in der Geschichte – sich daran festklammern muss.

Als tiefgründigere Erklärung für die Fortsetzung der Zerstörung der eigenen Partei bietet sich mir nur an, dass Steinmeier diese Partei immer nur genutzt hat, um sich mit ihrer Hilfe in Ämter hieven zu lassen. Die SPD hat sozusagen seine persönliche Aufsteigermentalität befriedigt.

Es gehört zur Tragik von Schröder wie von Steinmeier, dass sie es – aus „kleinen Verhältnissen“ kommend – mittels ihrer Partei geschafft haben, ganz nach oben zu kommen. Dort angekommen, haben sie ihre Herkunft vergessen und sich „denen da oben“ zugehörig gefüllt. Dennoch haben sie sich weiter als „Aufsteiger“ verhalten und sich den Machteliten gefällig zeigen wollen, um ihre Zugehörigkeit zu beweisen. Das ist für mich eine Erklärung dafür, dass Schröder und Steinmeier politisch umgesetzt haben, was etwa ein gestandener Konservativer wie Helmut Kohl nie gewagt hätte.

So galt für Schröder und Steinmeier in der Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik vor allem die Unternehmerlogik. Man hatte es geschafft, mit den „Großen“ der Wirtschaft „am Tisch“ zu sitzen und man implementierte deren (einzel-)unternehmerische Interessen, als „alternativlose“ und „objektiv notwendige“ Politik. Genauso war für Wolfgang Clement und ist noch heute für den Seeheimer Kreis, jeder, der Unternehmern widerspricht, gleich ein Gegner der Wirtschaft. Die SPD konnte so nie ein eigenständiges wirtschaftspolitisches Konzept entwickeln und schon gar nicht konnte damit in Deutschland makroökonomisches Denken Platz greifen. In ihrer kleinen (ökonomischen) Welt, sei es nur darum gegangen durch Lohn- und Sozialdumping den deutschen Unternehmen ein für alle Mal absolute Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, schreibt Heiner Flassbeck zu Recht.

Es geht nicht um die SPD sondern um die Demokratie
Man könnte nun resignierend sagen: Lass Steinmeier an seiner Agenda festhalten und lass ihn mit Hilfe und als Handlanger des konservativen Lagers die SPD weiter auf seinen Kurs zwingen. Die Sozialdemokraten erledigen sich ja damit von selbst.

Aber das wäre zu kurz und nur parteipolitisch gedacht und würde gerade das, worum es eigentlich gehen muss, nämlich eine andere Politik für die große Mehrheit der Menschen zu ermöglichen, ausblenden.

Es könnte sogar gut sein, dass die SPD von den zu erwartenden harten Einschnitten der „bürgerlichen Koalition“ wieder profitiert und das könnte sogar Steinmeier ohne sein Zutun zu gute kommen.

Dann träfe das wieder ein, was Flassbeck für eine Gefährdung der Demokratie hält:

Mit der Übernahme der herrschenden ökonomischen Lehre, die nichts anderes als simple Unternehmenslogik bietet, bringt sich die Sozialdemokratie um jede Chance und jede Perspektive. Wenn sie regiert, verliert sie ihre Anhänger und Mitglieder, weil die Ergebnisse wirtschaftlich und sozial katastrophal sind. Wenn sie opponiert, hat sie wirtschaftspolitisch keine Alternative zu bieten, muss also auf der Scheitern der Konservativen warten, um denn nach der Regierungsübernahme wieder selbst zu scheitern. Das Ergebnis solchen wechselseitigen Scheiterns gefährdet die Demokratie.

(Heiner Flassbeck, Gescheitert. Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert. S.21)

Nicht nur im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung, sondern vor allem auch im Interesse der Demokratie ist eine Alternative zur bevorstehenden Regierungspolitik dringend notwendig.


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