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Titel: Sexueller Missbrauch: Wann endlich geht’s den Hehlern an den Kragen?

Datum: 19. Februar 2010 um 8:55 Uhr
Rubrik: Das kritische Tagebuch, Innen- und Gesellschaftspolitik, Kirchen/Religionen, Wertedebatte
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Vermutlich sind Hunderte von Kindern von Priestern und anderen Beauftragten der Katholischen Kirche missbraucht worden. Fachleute der Traumaforschung meinen, dass bei sexuellem Missbrauch die Gefahr posttraumatischer Belastungsstörungen bei 60 % liegt. Zugleich ist in der öffentlichen Debatte die Rede davon, dass die meisten dieser Verbrechen verjährt sind. Kaum jemand spricht jedoch von den Hehlern, die diese Verjährung möglich machen. Albrecht Müller

Ich verfolge nun schon seit Beginn der Debatte die verschiedenen Meldungen und Kommentare. Dabei fällt auf, dass nur äußerst selten davon gesprochen wird, dass es Menschen und gesamte Einrichtungen gegeben haben muss und gibt, die den Tätern den Ablauf der Verjährungsfrist möglich machen. Das sind die Schulleiter der Jesuiten-Schulen in Berlin, in St. Blasien und in Bonn zum Beispiel, vermutlich auch Lehrerkollegen. Das sind die Bischöfe und ihre Beauftragten. Die vom Jesuitenorden beauftragte Rechtsanwältin Raue hat diesen Auftrag schon seit 2007. Von 2007 bis heute sind vermutlich wiederum einige Fälle, die sie untersuchen sollte, verjährt.

Mitwisser hat es offensichtlich gegeben. Das zeigt schon die Tatsache, dass Priester/Lehrer versetzt worden sind. Warum haben die Mitwisser ihr Wissen nicht an die Staatsanwaltschaft weitergegeben? Gibt es einen eigenen Rechtsbereich der Katholischen Kirche, der die Unterschlagung solcher Straftaten mit den oben erwähnten bitteren Konsequenzen für die Betroffenen erlaubt? Das kann doch wohl nicht wahr sein.

Es ist also allerhöchste Zeit, dass die Staatsanwaltschaften tätig werden. Nicht nur zur Untersuchung der Frage, ob es noch Täter gibt, deren Straftat nicht verjährt ist. Auch zur Untersuchung der Frage, wer solche Straftaten gedeckt hat, also zu den Hehlern gehört.

Wenn der britische Observer vom 14. August 2003 („Vatican told bishops to cover up sex abuse“) richtig berichtet hat, dann hat der Vatikan 1962 selbst die Bischöfe zum Verschweigen sexuellen Missbrauchs angehalten. Der Observer berichtet auch, dass es deutliche Anzeichen dafür gibt, dass der damalige Kardinal Ratzinger und heutige Papst direkt mit diesen Verfügungen zu tun hatte. Wörtlich:

“Lawyers point to a letter the Vatican sent to bishops in May 2001 clearly stating the 1962 instruction was in force until then. The letter is signed by Cardinal Ratzinger, the most powerful man in Rome beside the Pope and who heads the Congregation for the Doctrine of the Faith – the office which ran the Inquisition in the Middle Ages.
Rev Thomas Doyle, a US Air Force chaplain in Germany and a specialist in Church law, has studied the document. He told The Observer: ‘It is certainly an indication of the pathological obsession with secrecy in the Catholic Church, but in itself it is not a smoking gun. …”

Wer den Missbrauch an Kindern deckt und durch Verschweigen dafür sorgt, dass die Strafverfolgung der Täter de facto unterbunden wird, der macht sich mitschuldig und sollte strafrechtlich belangt werden. Wenn das geschieht, dann ist wenigstens von daher ein Anreiz geschaffen, solche Straftaten einzugrenzen. Bisher müssen die Täter offensichtlich nur mit Versetzungen rechnen, vielleicht noch mit geringeren Karriereaussichten und anderen kleinen Strafen. – Das sollte geändert werden. Die Voraussetzung dafür ist die Belangung der Verschweiger und der Zudecker, der Hehler.

Gelöst ist das Problem damit allerdings noch nicht. Der Lösung käme man nur näher, wenn die Katholische Kirche sich endlich vom Zölibat verabschiedet.

P.S.:

Bei Spiegel Online gab es am12. Februar 2010 einen lesenswerten Bericht über das Leiden von Norbert Denef, der als Kind jahrelang von einem katholischen Pfarrer missbraucht wurde (Quelle: Spiegel). Er bekam als erstes deutsches Opfer eine finanzielle Entschädigung. Er kämpft jetzt dafür, dass die Verjährungsfrist im Zivilrecht aufgehoben wird, so dass die Missbrauchsopfer auch noch nach Eintritt der Verjährungsfrist – in der Regel 10 Jahre nach Eintritt der Volljährigkeit – Schadenersatz verlangen können. Auch das ist ein guter Ansatz. Geldleistungen tun weh. Auch der katholischen Kirche. Vielleicht wacht sie dann auf.
Denefs Petition wurde vom Deutschen Bundestag nicht erhört, eine Gesetzesänderung abgelehnt. Er kämpft jetzt auf europäischer Ebene weiter. Wenn Sie diese Aktion unterstützen wollen, dann hier.


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