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Titel: Der Verfassungsschutz dient dem Machterhalt der herrschenden Kreise. So ist es. So war es von Anfang an.

Datum: 22. Juli 2010 um 9:41 Uhr
Rubrik: DIE LINKE, Erosion der Demokratie, Innere Sicherheit
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Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden. Die Partei Die Linke und auch Bodo Ramelow dürfen vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Lächerlich. Aber diese antidemokratische Lächerlichkeit hat Tradition in dieser FdGO. In einem Beitrag vom 21. Mai hatte ich schon darauf hingewiesen, wie wir als Schüler Anfang der Fünfzigerjahre ungeschützt von irgend einem Verfassungsschutz den verbliebenen Nazi-Lehrern und ihrer Verherrlichung des Militärs ausgesetzt waren. Später habe ich dann als Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt mit SPD-Parteibuch erlebt, wie der Verfassungsschutz offen Jagd auf Sozialdemokraten gemacht hat. Diese sollten sich nicht zu früh freuen über das Urteil von Leipzig. Ihre Option zur politischen Führung und zu einer politischen Alternative zu Schwarz-Gelb ist in Leipzig neben der Demokratie auch noch zu Grabe getragen worden, wie die taz in diesem Beitrag zu Recht feststellt. Albrecht Müller

Um die Dreistigkeit und zugleich die Doofheit der Verfassungsschützer zu beschreiben muss ich eine kleine Geschichte erzählen: Ich war ab Februar 1973 Leiter der Planungsabteilung im sozialdemokratisch geführten Bundeskanzleramt. Als solcher wurde ich gelegentlich von Verfassungsschützern befragt, wenn eine/r meiner Mitarbeiter vom Status eines Honorarvertrags-Mitarbeiters zum Status eines Angestellten wechseln konnte. Die Befragung kreiste um alles Mögliche, dann auch um die Gefährdung der Kandidaten durch die berühmten „Fs“ – erpressbar durch finanzielle Probleme oder durch Frauengeschichten? Bei Letzterem musste ich schon immer lachen, weil meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen solcher Geschichten in der Regel nicht erpressbar waren. Aber diese Des-Orientierung der Verfassungsschützer konnte man ihnen gerne durchgehen lassen.
Richtig amüsant wurde es dann, wenn das Thema „Neigung zum Extremismus“ aufgerufen wurde. Ich wurde befragt, ob der/die Kandidat/in rechtsextreme Neigungen habe. Ich verneinte wahrheitsgemäß. Dann wurde ich gefragt, ob der Kandidat linksextreme Neigungen habe. Darauf fragte ich regelmäßig zurück, was der Befragende mit „linksextrem“ meine. Dann kam in mindestens drei Fällen, also bei drei verschiedenen Gelegenheiten, die Antwort: „Juso oder so.“

Diese Einlassung der Verfassungsschützer ist zumindest in zweierlei Hinsicht bemerkenswert:

Erstens: Die Befrager – die übrigens meist aus dem Kreis von ausgedienten Offizieren kamen – haben einfach unterstellt, dass ein Sozialdemokrat im Range eines Abteilungsleiters nur ein rechtskonservativer Sozialdemokrat und Juso-Hasser sein kann.

Zweitens: Das Urteil über die Jusos folgte damals, wie heute das Urteil über die Linke, aus einer Dauerkampagne der permanent betriebenen Stigmatisierung. Die Stigmatisierung der Jusos reichte damals sogar über den großen Teich hinweg. Als ich 1973 anlässlich eines USA-Besuchs auch das Deutschlandreferat des State Departments zum Gespräch aufsuchte, fragte mich mein Gesprächspartner ernsthaft und besorgt nach der Macht der Jusos. Auch dies war ein Reflex auf die mediale und parteipolitische Daueragitation in Deutschland, verstärkt vermutlich durch das, was Gesprächpartner aus dem konservativen Lager incl. jenes der SPD selbst in Washington abgeladen hatten.
Diese Stigmatisierung der Jusos und der damals von ihnen vertretenen eher linken Positionen in der SPD sollte den innerparteilichen Klärungsprozess mit dem Ziel des Rechtsrutsches befördern. So ist es auch gekommen.

P.S: Die SPD selbst hat damals die sogenannten Verfassungsschützer indirekt ermuntert – mit dem sogenannten Radikalenerlass.

Anlage – ein lesenswerter Artikel aus der taz:

Urteil zur Linken-Beobachtung
Sabotage der Demokrate

KOMMENTAR VON CHRISTIAN RATH
So ein bescheuertes Urteil! Nicht nur die Linke kann weiter vom Verfassungsschutz beobachtet werden, auch über den nun wirklich völlig unrevolutionären Abgeordnten Bodo Ramelow darf wieder eine Personenakte des Geheimdienstes angelegt werden.

Da behaupten die obersten Verwaltungsrichter in Leipzig allen Ernstes, dass das Sammeln von Zeitungsausschnitten über die Tätigkeit von Abgeordneten sinnvoll sei, um die Diktatur des Proletariats zu verhindern. Nichts als vorgeschobene Argumente. Nicht der Inhalt der Akte ist entscheidend, sondern dass der Dienst überhaupt Akten über die Linke und ihre Abgeordneten angelegen darf, ist die Botschaft. “Die sind gefährlich, die führen vielleicht finstere Pläne im Schilde, die müssen jedenfalls genau überwacht werden.” Das sind die Botschaften, die mit einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz transportiert werden. Der Anwalt des Dienstes hat es in Leipzig ganz offen gesagt: Die Stigmatisierung der Überwachten sei keine unbeabsichtigte Nebenfolge, sondern geradezu ein Zweck der Maßnahme.

Deutlicher als mit der Überwachung der Linken, kann man auch kaum zeigen, wie der Verfassungsschutz in den politischen Meinungskampf eingreift und ihn verzerrt. Da werden einige romantische Revoluzzer und ML-Traditionalisten in der Linken zum Anlass genommen, um eine zutiefst links-sozialdemokratisch Partei in Verruf zu bringen. Das hilft der SPD, die Nummer eins im linken Spektrum zu bleiben. Und es nutzt der Union, weil es rot-rot-grüne Bündnisse erschwert. Das Leipziger Urteil kommt wie bestellt.

Doch weil hier so unverhohlen die Demokratie sabotiert wird, ist das Urteil ein dringender Fall für das Bundesverfassungsgericht. In Karlsruhe wird die Entscheidung vermutlich nicht lange Bestand haben.
Quelle: taz


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