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Titel: Dreikönigstreffen der FDP: Illusionstheater in der Oper

Datum: 7. Januar 2011 um 9:30 Uhr
Rubrik: FDP, Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Steuern und Abgaben
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Mit nicht enden wollenden Durchhalteparolen versuchte Westerwelle seinen Niedergang und den Absturz seiner Partei zu übertönen. Seine Erfolgsbilanz grenzte ans Komische. Seine einzigen Angebote sind abgedroschene Floskeln und die alten Klassenkampfparolen.
„Der Anfang ist gemacht.“ Wie einen Refrain wiederholte Westerwelle beim Dreikönigstreffen der FDP in der Stuttgarter Oper mindestens ein Dutzende diesen Satz, um den Anfang seines Endes zu überspielen. Wolfgang Lieb

Der gelernte Selbstdarsteller sprach mit keiner Silbe über sich selbst und das politische Desaster, in das er seine Partei geführt hat. Kein Anklang von Selbstkritik. Keine mutige Ankündigung, dass er auf dem Parteitag im Mai in Rostock wieder kandidieren werde. Nur indirekt redete er über sich und posierte in der Rolle des Propheten, der im Lande nichts gilt und auf Widerstand stößt. Er sprach nicht von sich, sondern von „Wir“. „Wir Liberalen“ seien standhaft geblieben, auch wenn man dafür kein Schulterklopfen ernte. Demoskopie sei nicht der Maßstab „unserer“ Meinung. Tue das Richtige und das Richtige käme dann auch an. Man müsse Erfolge vertreten, auch wenn man beschimpft würde. Da müsse man eben durch. Wer ein Land führen wolle, müsse auch bereit sein, Durststrecken zu ertragen. Man müsse harte Auseinandersetzungen ertragen. Man dürfe nie anfangen, sich selbst mit den Augen der Gegner zu sehen. Man müsse das Immunsystem einschalten gegen den Vorwurf der Klientelpolitik. Mit dieser Litanei an Durchhalteparolen versuchte er den Verlust an Glaubwürdigkeit und den Absturz seiner Partei in der Wählergunst zu übertönen.

Geradezu verzweifelt versuchte er die „Erfolge“ der FDP herauszuklauben. Danach hat diese Partei die gesamte Geschichte der Bundesrepublik bestimmt. Die FDP hat nach Westerwelle die „soziale Marktwirtschaft“ gegen Ludwig Erhard durchgesetzt, Willy Brandt Ostpolitik zum Erfolg geführt und Helmut Schmidts Nato-Doppelbeschluss gegen „Millionen“ von Demonstranten verteidigt. Mehr Größenwahn geht nicht.

Die FDP habe mit der Senkung der Unternehmenssteuer und vor allem der Erbschaftssteuer keine Klientelpolitik betrieben, sondern die Auswanderung der Familienbetriebe gestoppt. Gerade so, als ob die Hoteliers ihre Hotels alle ins Ausland verlagert hätten, wenn sie das Steuergeschenk nicht bekommen hätten.

Die FDP habe die jungen Leute vom Extremismus abgehalten, indem sie es geschafft haben, der Jugend eine Zukunft zu geben. Er verweigert also die Wirklichkeit, dass Deutschland von der OECD und von der UNO testiert eines der sozial selektivsten Bildungssysteme hat, dass gerade jüngst sogar die Bertelsmann Stiftung feststellte, dass rund jedes neunte Kind unter der Armutsgrenze lebt [PDF – 3.1 MB], dass das allein in diesem Jahr zum 30. September 126.535 betriebliche Ausbildungsplätze fehlten, dass fast jeder zweite Bewerber mindestens ein Jahr auf eine Lehrstelle wartet, dass sich in dem Milliarden verschlingenden, dschungelartigen sog. Übergangssystem mehr als 400.000 Jugendliche befinden, dass auch in Folge der 3. Lehrstellenkrise nunmehr schon über 1,5 Mio. Jugendliche ohne Ausbildung sind (BBIB-Report 10/2008)

Die FDP habe dazu beigetragen, dass die Arbeitnehmer heute besser dastünden als vor der schwarz-gelben Koalition. Das „Mehr Netto vom Brutto“ sieht aber so aus, dass die Krankversicherungs- und die Arbeitslosenversicherungsbeiträge erhöht wurden und dass die Löhne minus Steuern und Sozialabgaben unter dem Wert des Jahres 2000 liegen.

Gewinne steigen, Löhne sinken

Quelle: Jarass in NachDenkSeiten [PDF – 42.7 KB]

Die FDP habe „Leistungsgerechtigkeit geliefert“, weil sie „Schonvermögen“ für Hartz IV-Empfänger erhöht hat. Dass davon nur eine winzig kleine Gruppe, nämlich gerade einmal 0,5 Prozent der Antragssteller einen Vorteil erlangte, erwähnt Westerwelle natürlich nicht. Schon damals kommentierte die Frankfurter Rundschau, dass „der Weg von der Gerechtigkeitslücke zur Gerechtigkeitslüge“ nicht allzu weit sei.

Da meldet Westerwelle schon als Erfolg, dass endlich der Skandal beseitigt wurde, dass das kleine Zubrot aus einem Ferienjob von Schülern nicht mehr mit den Hartz IV-Bezügen verrechnet wird. Wer sich anstrengt, „steigt auf“ verkündet Westerwelle diese Großtat.

Seine zynische Äußerung über die „spätrömische Dekadenz“, die bei uns herrsche, versucht er mit einem noch bösartigeren Vergleich aus der Welt zu schaffen. Den Hartz IV-Empfängern sei Alkohol und Tabak gestrichen worden, damit man in deren Kinder „investiere“. Gerade mal 23 Euro, also nicht einmal fünf Zigarettenschachteln will die schwarz-gelbe Bundesregierung für Nachhilfe, Sport- und Musikunterricht pro Monat für die Betroffenen Kinder mit ihrem „Bildungspaket“ anbieten, um die lächerliche Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes um 5 Euro zu rechtfertigen.

Wir kürzen und sparen richtig, ruft Westerwelle in den Saal. Dass mehr als ein Drittel, nämlich 29,5 Milliarden der insgesamt 80 Milliarden des sog. „Sparpakets“ zu Lasten der Arbeitslosen und der Arbeitsmarktpolitik geht und die Gewinner der Finanzspekulationen unbeschadet davon kommen, ist ihm natürlich keiner Erwähnung wert.

Was er und seine Partei, nachdem nun der Anfang gemacht sei, für die Zukunft will, darüber schwieg sich der Noch-Parteivorsitzende über seine auf über 70 Minuten aufgeblasene Rede aus – wohl ahnend, dass damit keine Blumentöpfe mehr zu gewinnen sind. Viele Worte, aber zu dem was die Menschen umtreibt, etwa zur Finanz- und Wirtschaftskrise kein Satz.

So dünn es mit den Erfolgen seiner im letzten Dreikönigstreffen noch großspurig angekündigten „geistig-politischen Wende“ aussieht, umso heftigere Attacken ritt er gegen die politischen Gegner. Es gehört in die unterste Schublade der politischen Rhetorik: Je schwächer die Argumente für die eigene Politik sind, desto mehr muss man auf den Gegner einprügeln.

Die Grünen seien nur Verweigerer und erklärten „die Sitzblockade zur obersten Instanz“, die Linke, das seien ohnehin nur Kommunisten, die eine Diktatur anstrebten, und die SPD bereite sowieso nur eine Regierung mit der Linkspartei vor. Nach einem inhaltlichen Argument sucht man vergeblich. Wer eine Linksregierung verhindern wolle, müsse FDP wählen. “Ohne die FDP gibt es eine linke Mehrheit”. Der Lagerwahlkampf, das ist der letzte Strohhalm, an dem sich Westerwelle aus dem persönlichen und aus dem Tief seiner Partei herausziehen will.

Westerwelle spürte wohl selbst, dass er in der Sache nicht viel anbieten kann, deshalb flüchtete er in die Rhetorik, die er am besten beherrscht, das nebulose Pathos: Er sehe drei Tendenzen gegen die sich die FDP stemmen müssten: Die Verweigerung der Zukunft, die Wiederkehr der Staatsgläubigkeit und die Renationalisierung der Politik. Alles was er dagegen stellt ist „Hoffnung“, „privat vor Staat“ und ein ziemlich hohles Bekenntnis zu Europa. Es sind die altbekannten abgedroschenen Floskeln.

Die eigentliche politische Scheidelinie in Deutschland sei die zwischen Furcht und Hoffnung.
Die FDP sei die Kraft, die auf Hoffnung setze. Was Westerwelle auf dem Dreikönigstreffen an Hoffnungsvollem geboten hat, müsste allerdings den Anhängern der FDP und vor allem den Bürgerinnen und Bürgern eher Furcht einjagen und die Hoffnung wecken, dass diese Partei bei den anstehenden sieben Landtagswahlen in diesem Jahr dort hingesetzt wird, wo sie hingehört: nämlich vor die Tür.

p.s.: Interessant war eigentlich nur, dass Westerwelle dafür eintrat schon Ende 2011 jeden vertretbaren Spielraum für einen Rückzug aus Afghanistan nutzen zu wollen und spätestens 2014 die volle Verantwortung an die dortige Regierung übergeben werden und die Bundeswehr abgezogen sein soll. Aber 2014 ist Westerwelle längst nicht mehr Außenminister und niemand wird sich an seine Worte erinnern.


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