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Titel: Schafft den „Sozialen Wohnungsbau“ ab!

Datum: 27. März 2024 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Sozialstaat
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Dass es in Deutschland ein riesiges und vor allem schnell wachsendes Wohnungsproblem gibt, ist bekannt. Vor allem in den meisten Großstädten und ihren Speckgürteln ist es für Gering- und Normalverdiener mittlerweile fast unmöglich, eine bezahlbare Bleibe zu finden. Sichtbarster Ausdruck dieser Krise ist die wachsende Zahl von Obdachlosen, doch die sind nur die Spitze des Eisberges. Viel größer ist die Anzahl derjenigen Menschen, die zwar nicht auf der Straße, aber in äußerst prekären Verhältnissen leben, etwa in Übergangeinrichtungen oder in von den Kommunen für horrende Summen angemieteten Pensionen. Statistiken gehen von bis zu einer Million Betroffenen aus, wobei Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus noch gar nicht eingerechnet sind. Vor allem in Großstädten haben die Wenigsten von ihnen eine Chance auf dem regulären Wohnungsmarkt. Und niemand zweifelt daran, dass die Zahl der Wohnungslosen weiter steigen wird. Von Rainer Balcerowiak.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Aber auch das skizziert die Dimension des Problems nur zum Teil. Ein statistisch kaum zu erfassender Teil der Bevölkerung lebt in äußerst beengten Verhältnissen und/oder muss einen Großteil seiner Einkünfte (teilweise über 50 Prozent) für die Miete aufbringen. Und wer seine Wohnung verliert, etwa durch horrende Mietsteigerungen nach Modernisierungen oder Eigenbedarfskündigungen nach Umwandlungen in Eigentumswohnungen, hat in vielen Städten kaum eine Chance auf adäquaten Ersatz. All das ist schon lange kein soziales „Randgruppenproblem“ mehr, sondern betrifft längst die viel beschworene „Mitte der Gesellschaft“ und zunehmend auch Familien mit Kindern.

Im Prinzip hätte der Staat zwei große Hebel, um diesem Desaster entgegenzusteuern. Zum einen mit durchgreifenden Regulierungen im Wohnungsbestand, etwa durch gesetzliche Deckelungen der Mieten und umfassende Belegungsrechte auch für Wohnungen im Privatbesitz. In den Nachkriegsjahren gab es entsprechende Gesetze zur Wohnraumzwangsbewirtschaftung, die aufgrund einer gewissen Entspannung auf dem Wohnungsmarkt aber ab Mitte der 1960er-Jahre stufenweise abgeschafft wurden. Für einige Städte gab es noch Übergangsregelungen, die peu à peu ausliefen. Letzte Bastion dieses Mietrechts war das eingemauerte Westberlin. Dort galt noch bis 1987 eine Mietpreisbindung für alle Altbauten, d.h. das Abgeordnetenhaus bestimmte die zulässigen Höchstmieten. Doch das ist Geschichte, und alle Versuche, vergleichbare Regulierungen angesichts der wachsenden Wohnungsnot wenigstens ansatzweise wieder in das Mietrecht zu implementieren, scheiterten.

Bundesweit für Furore sorgte das im Februar 2020 in Kraft getretene Mietendeckelgesetz der rot-rot-grünen Koalition in Berlin, das sowohl ein Einfrieren der Bestandsmieten als auch eine allgemeine Deckelung der Altbaumieten vorsah, die dementsprechend auch abgesenkt werden mussten. Gut ein Jahr später kippte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz, nicht seines Inhalts wegen, sondern aufgrund der fehlenden Zuständigkeit des Landes Berlins, denn die liegt laut Urteil beim Bund. Aber die Bundesregierung denkt natürlich nicht im Traum daran, der mächtigen Immobilienlobby Fesseln anzulegen, und folgt damit einer langen Tradition. Ab Mitte der 1990er-Jahre haben Bund, bundeseigene Unternehmen, Länder und Kommunen unzählige Wohnungen an Kapitalgesellschaften verscherbelt. Paketverkäufe wie 114.000 bundeseigene Eisenbahnerwohnungen und die komplette kommunale Berliner Wohnungsbaugesellschaft GSW (66.000 Wohnungen) an Finanzinvestoren schufen die Basis für die Etablierung börsennotierter Immobilienkonzerne wie Vonovia und Deutsche Wohnen. Parallel dazu kam der Wohnungsbau zeitweilig fast zum Erliegen. Die Erleichterung von Eigenbedarfskündigungen und Modernisierungsumlagen sowie die Beschneidung der kommunalen Instrumente für Mietobergrenzen in einzelnen Quartieren als Verdrängungsschutz wirkten als zusätzlicher Turbo für eine Entwicklung, die für viele Menschen längst zu einer existenziellen Bedrohung geworden ist.

Zur „sozialen Abfederung“ gibt es das Wohngeld für einkommensschwache Haushalte, dass vor Kurzem sogar deutlich erhöht und auf weitere Berechtigte ausgedehnt wurde. Für viele Haushalte bedeutet das eine gewisse Linderung der prekären finanziellen Lage, aber relevante Gruppen wie etwa Studenten, die Bafög beziehen, und Empfänger von Transferleistungen haben darauf überhaupt kein Anrecht. Im Kern ist das Konstrukt Wohngeld eine Subvention der Profite von Hausbesitzern, denn der Bedarf entsteht ja erst durch hohe Mieten.

„Sozialer Wohnungsbau“ als Treiber der Wohnungskrise

Der zweite große Hebel für die Überwindung der Wohnungsnot ist natürlich der Neubau. Dort setzt man seit Jahrzehnten mit einigen Unterbrechungen auf den sogenannten „sozialen Wohnungsbau“. Zweifellos ist das eines der verrücktesten und kaputtesten Konstrukte, das sich die Architekten der „sozialen Marktwirtschaft“ deutscher Prägung jemals ausgedacht haben. Das Prinzip ist simpel: Der Staat erkauft sich mit Zuschüssen, zinsverbilligten Darlehen, Steuererleichterungen usw. von Investoren zeitlich befristete gedeckelte Mieten und Belegungsbindungen, in der Regel zwischen 15 und 20 Jahren. Danach fallen diese Wohnungen aus der Bindung und können „marktkonform“ verwertet werden.

Es handelt sich also nicht um eine soziale Wohnraumförderung, sondern um Wirtschaftsförderung mit temporärer sozialer Zwischennutzung, und im Quellcode jeder von privaten Investoren gebauten „Sozialwohnung“ steckt bereits ihr Wegfall. Betrug der Bestand an Sozialwohnungen 2002 noch 2,6 Millionen, so waren es 2022 nur noch weniger als 1,07 Millionen – und bald werden es weniger als eine Million sein. Statistisch fällt alle 19 Sekunden eine alte Sozialwohnung weg, und der Neubau kann da natürlich bei Weitem nicht Schritt halten, während aufgrund der explodierenden Mieten auf dem „freien Wohnungsmarkt“ der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum stetig steigt. Dennoch wird vom Bund immer mehr Geld in dieses System gepumpt, allein in den Jahren 2024/25 sollen es insgesamt 6,7 Milliarden Euro sein.

Bis 2035 fallen jährlich rund 40.000 Sozialwohnungen aus dem Bestand, wie eine aktuelle Kurzstudie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zeigt. Allein um das aktuelle Niveau von zuletzt schätzungsweise 1,07 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland zu halten, müssten bis dahin 519.000 neue entstehen – mehr als 40.000 jedes Jahr. Aber dann ginge das Spiel ja weiter, denn je mehr geförderte Sozialwohnungen gebaut werden, desto mehr fallen ja später auch aus der Bindung. Man müsste also auf immer und ewig dem Wegfall von sozial gebundenen Wohnungen hinterherbauen und Jahr für Jahr unzählige Milliarden in den Schlund der renditegetriebenen Immobilienwirtschaft stecken, ohne damit eine strukturelle Verbesserung der sozialen Wohnraumversorgung erreichen zu können.

Die aktuelle Bundesregierung blieb in ihrem Koalitionsvertrag dieser abstrusen Förderlogik verhaftet, verkündete aber immerhin große Ziele: Pro Jahr sollten 100.000 neue geförderte Sozialwohnungen entstehen. Doch das Interesse der Wirtschaft hält sich in Grenzen, 2023 wurden gerade mal 25.000 fertiggestellt, 2024 könnten es vielleicht knapp 30.000 werden. Mit einem Mix aus noch mehr Steuergeschenken und „Bürokratieabbau“ will man das jetzt ein bisschen stimulieren, was natürlich angesichts der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht funktionieren wird. Und in den Bereich „soziale Wohnraumförderung“ fällt für diese Regierung auch die Alimentierung des Baus oder des Erwerbs von Eigenheimen und Eigentumswohnungen.

Es ginge auch anders

Dieses System des „sozialen Wohnungsbaus“ ist also im Sinne einer sozialen Wohnraumversorgung offensichtlich vollkommen irre. Es kostet unzählige Milliarden und schafft mehr Probleme, als es lösen kann. Also braucht es neue Systeme. Zwei wären da im Angebot. Die etwas „marktkonformere“ Variante wäre die Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit. Die gab es in Deutschland seit 1851 in verschiedenen Ausformungen. Zwischen 1949 und 1989 wurde fast jede vierte in der BRD fertiggestellte Wohnung von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen errichtet. Mit ihrer Abschaffung 1990 wurden letztendlich die Grundlagen für die Privatisierungen in den 1990er- und 2000er-Jahren geschaffen, denn Wohnungen, die einer Gewinnbeschränkung unterliegen, sind für Anleger alles andere als attraktiv. Sie könnte mit einem Fördersystem verbunden werden, dessen Kernelement die Kopplung jeglicher Förderung an die Schaffung dauerhaft preis- und belegungsgebundenen Wohnraums sein müsste.

Die etwas radikalere Variante wäre, dass der Staat den Wohnungsbau nicht mehr fördert, sondern die Kommunen finanziell dazu ertüchtigt, selbst zu bauen, um Wohnraum zu schaffen, der dauerhaft in öffentlichem Besitz verbleibt. Wie das geht, zeigt uns die Stadt Wien seit fast 100 Jahren. Natürlich ließen sich beide Varianten auch kombinieren, also ein Sektor, der Wohnungsbau und Bewirtschaftung in unmittelbarer öffentlicher Trägerschaft ohne Renditeinteressen betreibt, und ein Sektor geförderten, gemeinnützigen Wohnungsbaus mit gedeckelten Renditen.

Festzuhalten bleibt: Der deutsche Sonderweg des geförderten sozialen Wohnungsbaus ist eine teure Sackgasse und kein Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Eine umfassende soziale Wohnraumversorgung für alle Schichten der Bevölkerung ist nur zu realisieren, wenn dieses Segment der Marktlogik und den damit verbundenen Profitinteressen entzogen wird – als Teil der sozialen Daseinsvorsorge des Staates. Dazu würden außer entsprechenden Rahmenbedingungen für den Neubau nebst einer entsprechenden Bodenpolitik auch durchgreifende Regulierungen für den Bestand und erweiterte Schutzrechte für Mieter gehören, etwa in Bezug auf Eigenbedarfskündigungen. Für die mächtige Immobilienlobby ist das eine Horrorvorstellung. Aber sie kann sich zurzeit darauf verlassen, dass die herrschenden Parteien ihre Interessen zuverlässig vertreten.

Titelbild: Unkas Photo/shutterstock.com


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