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Titel: Allmählich dämmert es … Hoffentlich geht noch vor dem Abgrund ein Licht auf

Datum: 16. Dezember 2011 um 8:26 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Europäische Union, Medien und Medienanalyse, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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„Die Euro-Krise zeigt auf dramatische Weise, welchen Schaden permanente Exportüberschüsse anrichten. Der größte Verlierer ist Deutschland … Aus gutem Grund steht im deutschen Stabilitätsgesetz das Ziel eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts. Es geht dabei nicht um weniger deutsche Exporte. Wichtig ist vielmehr eine Stärkung der Binnennachfrage durch Umschichtungen im Steuersystem, höhere Löhne und eine Flexibilisierung des Dienstleistungssektors“; das konnte man gestern im Handelsblatt lesen. Solche wirtschaftspolitische Positionen konnten Sie bislang fast ausschließlich auf den NachDenkSeiten finden oder sie wurden von einigen wenigen Ökonomen wie Heiner Flassbeck oder Thomas Fricke vertreten und von amerikanischen Fachleuten wie Paul Krugman oder James Galbraith öffentlich wahrgenommen.
Aber nicht nur im Handelsblatt, auch anderswo scheint es zu dämmern, dass eine Politik, die nur eine härtere Bestrafung von Defizitländern kennt, in den Abgrund führt. Von Wolfgang Lieb

Nach jedem der zahlreichen zurückliegenden Gipfeln lobten bisher die politischen Redaktionen und die Wirtschaftsredaktionen die Kanzlerin in höchsten Tönen. Endlich würden die „Märkte“ wieder Vertrauen fassen, hieß es nach jedem Treffen von „Merkozy“. Am deutschen Wesen sollte Europa genesen, mit einer rigiden Sparpolitik, Lohnsenkungen, Sozialabbau, Privatisierungen oder Anhebungen der Massensteuern – durchgesetzt mit Strafmaßnahmen.

Doch nach dem Gipfel war immer nur vor dem nächsten Gipfel; die Frequenz der Gipfeltermine erhöhte sich rapide, doch genauso schnell erhöhten sich die Fieberkurven der Spekulation auf den Anleihemärkten – von Griechenland, über Portugal, Spanien, Italien bis hinein ins Kerneuropa. Deutschland als Exporteuropameister weigerte sich die Ursachen der Krise zur Kenntnis zu nehmen und diktiert den Defizitländern eine Austeriätspolitik, die sie ökonomisch und finanzpolitisch erwürgt, statt dass sie aus den Schulden wieder herauskommen könnten.

Und urplötzlich titelt selbst das sonst so auf die deutsche Exportindustrie fixierte Handelsblatt: „Deutschland bringt Europa aus dem Gleichgewicht“. Der Autor Jan Mallien führt aus, „Deutschland hat durch seine Leistungsbilanzüberschüsse über Jahre Forderungen gegenüber den am wenigsten wettbewerbsfähigen Ländern angehäuft. Deutschen Überschüssen standen hohe Defizite und damit Schulden von Ländern wie Griechenland, Portugal oder Spanien gegenüber. Unterm Stich blieb die Leistungsbilanz der Eurozone damit in etwa ausgeglichen. Das Problem für Deutschland: Seine Forderungen bergen ein hohes Verlustrisiko. Kein Land kann sich permanente Defizite leisten – ansonsten wird die Zinslast irgendwann zu hoch…Die Euro-Krise entstand letztlich daraus, dass sich die Defizitländer ihre Auslandsschulden auf Dauer nicht leisten konnten – und sie irgendwie drücken mussten…Der Kern des Problems sind nicht die Staatsschulden, sondern Ungleichgewichte im Außenhandel“.

Geht im Handelsblatt endlich ein Licht auf?

Aber nicht nur im Handelsblatt gab es diese Woche Lichtblicke. Im englischen Wirtschaftsblatt Financial Times schrieb Martin Wolf am Dienstag, den 13. Dezember (leider gebührenpflichtig), „die Schrauben der Finanzsünder anzuziehen, mag ein gutes Gefühl verschaffen, aber das funktioniert nicht“. Da Ergebnis wäre eine Instabilitäts- und Stagnations-Union. Es führe kein Weg daran vorbei, dass neben der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit für die wirtschaftlich schwächeren Länder der Eurozone eine Minderung der Kapitalexporte vor allem aus Deutschland notwendig sei, um Stabilität zu schaffen. Das bedeute, „that Germany becomes far less German“ oder aber, dass „the eurozone becomes a mega-Germany“. Leider sei kein solcher Ausgang der Krise plausibel und so blieben eben nur sinkende Löhne, Schuldenabwertung und ein verlängertes Absacken der Wirtschaft.

Und in der FAZ, deren Feuilleton-Redaktion sich zur Speerspitze eines neuen Denkens im konservativen Blätterwald entwickelt schreibt Nils Minkmar unter der Überschrift „Stellt endlich die Systemfrage!“: „Plötzlich weiß man ja auch wieder, dass die Staatsschuldenkrise nicht auf unfähige Beamte, nicht auf die mangelnde Effektivität des Staates zurückgeht, sondern ganz im Gegenteil auf die Reibungslosigkeit, mit der die Parlamente aller Länder für Schulden votiert haben, die direkt der Finanzindustrie zugutekamen, als sich die Superhirne dort verzockt hatten.
Bis heute wurden die Verursacher der Krise weder rechtlich noch finanziell zur Verantwortung gezogen. Stattdessen müssen europäische Rentner, Studenten und Arbeitslose öffentliche Sparprogramme ertragen, die ihnen Regierungen aus sogenannten Fachleuten geschrieben haben.“

Sogar in der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung scheint der neoliberale Kalk allmählich zu bröckeln. Der einstmals nicht über das wirtschaftspolitische Denken der „schwäbischen Hausfrau“ hinaus gelangte Alexander Hagelüken schreibt dort überraschenderweise: „Die nächste Wirtschaftskrise zieht herauf wie ein Wintersturm … Das liberale Dogma, der Staat solle sich heraushalten, ist spätestens seit der Finanzkrise überholt. Damals verhinderte vor allem die schnelle Reaktion der USA, Chinas oder Europas mit Konjunkturprogrammen und billigem Geld der Zentralbanken eine Depression wie in den Dreißigern Jahren. Keynes ist nicht tot, seine Ideen sind das Gebot der Stunde.“

Und solche Ketzereien gegen das liberale Dogma hat der Ressortleiter Wirtschaft der SZ, Marc Beise, durchgehen lassen!

Wir verspüren also in dieser Woche ein wenig Aufwind für unsere wirtschaftspolitischen Positionen, wie sie von Albrecht Müller gestern in einem Interview markiert wurden, doch leider kündigen einige Schwalben im Blätterwald noch keinen Frühling an.

Denn in der Politik herrscht nach wie vor Eisesstarre.

Die Kanzlerin lobte diese Woche vor dem Parlament (mal wieder) den auf dem letzten Gipfel verabredeten zwischenstaatlichen Vertrag vollmundig. Die nach Camerons ausscheren verbliebenen 17 Euro-Staaten sollen einen Vertrag ratifizieren, der eine Schuldenbremse („möglichst in den Verfassungen“) vorsieht, die ein Defizit von nicht mehr als 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zulässt. Eine solche Schuldenbremse ist das Aus für die konjunkturpolitische Handlungsfähigkeit der Staaten und der Totenschein für Keynes, dessen Wiedergeburt Hagelüken gerade fordert.

Wer höhere Schulden macht soll automatisch bestraft werden, gerade so als ob man einem nackten Mann noch in die Tasche fassen könnte. Der Wahn des Kaputtsparens in einer aufkommenden Wirtschaftskrise verstellt jeden Blick auf die Kernursache der Verschuldung der Leistungsbilanzdefizitländer und er wird leider auch das (Kapital-)Exportland Deutschland dem „Wintersturm“ aussetzen. Nicht nur in Europa sondern auch global können Defizitländer chronische Auslandsschulden auf Dauer nicht verkraften und werden früher oder später zum Objekt der Spekulanten. Im Übrigen bleiben ja auch die Absatzhoffnungen in die „Schwellenstaaten“ Luftbuchungen, denn auch China, Indien oder Brasilien sind vom globalen Abschwung erfasst. Deutschland bliebe also bald nur noch der Mars als Exportgebiet.

Für eine wirkliche Opposition in Deutschland müsste angesichts dieses Katastrophenkurses der Regierung höchste Alarmstufe herrschen. Doch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, dem die FAZ wohl einen Ehrenplatz in ihrer Reihe der Mahner für ein Umdenken einzuräumen gedachte, spielte sich in seinem dortigen Debattenbeitrag sogar noch als der Sparkommissar von Angela Merkel auf. Davon, dass die Stagnation der Löhne, der von seiner Partei geöffnete Niedriglohnsektor, die Unternehmensteuersenkungen der Regierung Schröder und die Deregulierung der Finanzmärkte durch den potentiellen Kanzlerkandidaten Steinbrück die wirklichen Ursachen für die derzeitige Überlagerung der Krisen sind, hat der sich so gerne arbeitnehmernah gebende politische Wellenreiter Gabriel offenbar nie etwas gehört. Bei ihm „ist Hopfen und Malz verloren“, schreibt Albrecht Müller nur noch voller Enttäuschung.
Die gesamte SPD-Führung kann sich aus lauter Angst, auf eine der von ihrer Partei ausgelegten Tretminen zu treten, gedanklich offenbar nur noch im Kreise drehen.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Jürgen Trittin, forderte immerhin Eurobonds, das wäre immerhin eine Firewall gegen die Spekulation, aber immer noch keine Brandbekämpfung. Und DIE LINKE wird nicht wahrgenommen. Da kann Gregor Gysi im Bundestag noch so oft darauf hinweisen: „Wenn wir aus dieser Falle herauswollen, die auch andere Länder belastet, dann müssen wir endlich die Binnenwirtschaft stärken, um nicht zu stark von den Verkäufen in andere Länder abhängig zu sein. Wenn wir die Binnenwirtschaft stärken wollen, dann brauchen wir endlich höhere Löhne, höhere Renten und höhere Sozialleistungen.“

Wie viele Gipfel wird es noch dauern, bis diese banale Erkenntnis in Europa einkehrt? Hoffentlich kommen der Absturz der europäischen Wirtschaft und damit das Ende der Europäischen Union nicht zuvor.


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