NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Dettling in der FR – am interessantesten ist, was nicht geschrieben steht.

Datum: 23. April 2006 um 15:55 Uhr
Rubrik: Medien und Medienanalyse, SPD, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich:

Die SPD braucht ein neues Godesberg
Vor fast fünfzig Jahren betrieben beherzte Sozialdemokraten in Bad Godesberg eine grundlegende Renovierung ihrer Partei. Auch heute steht die SPD vor großen Problemen, in ihren eigenen Reihen und in der Gesellschaft. Jetzt muss sie sich bewegen. Von Warnfried Dettling

Das ist der Vorspann zu einem Beitrag in der Rubrik „Standpunkte“ der Frankfurter Rundschau vom 22.4.

Was uns der Autor oder die Frankfurter Rundschau leider nicht mitteilt: Dettling war 10 Jahre lang Leiter der Planungsgruppe und der Hauptabteilung Politik der CDU, er ist eng mit der Bertelsmann-Stiftung verbunden, zum Beispiel publiziert er im Verlag Bertelsmann-Stiftung, wird dabei vermutlich gefördert und ist Fellow der Bertelsmann Tochter für die politische Agitation CAP (Centrum für angewandte Politikforschung in München), und Dettling ist zum Beispiel von den Netzwerkern der SPD schon früh als eine Art Katalysator für die konservative Modernisierung der SPD benutzt worden.

Hier zunächst die notwendigen Informationen:

  1. Warnfried Dettling, Dr. phil., 1943, 1973-1983 Leiter der Planungsgruppe und der Hauptabteilung Politik in der CDU-Bundesgeschäftsstelle, danach bis 1991 Abteilungsleiter im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, seither Autor und Berater. Neuere Veröffentlichung (u.a.): Die Stadt und ihre Bürger. Neue Wege in der kommunalen Sozialpolitik. Grundlagen, Perspektiven, Beispiele. Verlag Bertelsmann Stiftung (Gütersloh 2001).
  2. Dettlings Dankesrede [PDF – 16 KB] bei der Ernennung zum Fellow. Die Fellows bei CAP haben in etwa die Funktion der Botschafter bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

    Wenn man diese Informationen kennt, kann man den Beitrag Dettlings in der Frankfurter Rundschau besser einordnen. Dazu noch einige Anmerkungen:

    • Eine Begründung für die These in der Überschrift, die SPD brauche ein neues Godesberg, sucht man in dem gesamten Text vergebens. Ich schenke und schicke der/dem Ersten unter unseren Leserinnen und Lesern, die/der mir hilft, im Text die entsprechende Stelle zu finden, portofrei meine Dokumentation und Analyse des Wahlkampfes 1972 mit dem Titel „Willy Wählen 72“.
    • Dettling verkündet das neoliberale Credo, die SPD müsse sich bewegen. Das ist alles.
    • Ansonsten biedert er sich bei Kurt Beck an. Vermutlich will er auch ihn beraten. Zunächst: Was Dettling im zweiten Absatz des Beitrages über Beck schreibt, sehe ich auch so. Kurt Beck ist um vieles klüger vorgegangen, als andere Führungskräfte der SPD. Beck hat auch ein paar vernünftige personalpolitische Entscheidungen getroffen, zum Beispiel mit der Ernennung von Doris Annen zur Kultusministerin. Sie überragt in der Qualität gerade auch die einschlägigen Spitzen der CDU/CSU, vor allem die Bundesministerin Schavan. Also mit diesem Lob hat Dettling Recht. Das ist aber auch alles.
    • Dettlings Hinweis im dritten Absatz über Becks Unterstützung von Agenda 2010 und Hartz IV ist inhaltslos und teilweise abenteuerlich. Wenn man die Motivation für die Zerstörung des Vertrauens in die Arbeitslosenversicherung durch Hartz IV zurückführt auf die in Dettlings Text geschilderten Missbräuche von Sozialleistungen, dann hat man nicht begriffen, erstens, dass man als Politiker wegen solcher Missbräuche nicht das Vertrauen in eine wichtige soziale Einrichtung zerstören sollte, und zweitens lebt Dettling wie die gesamte große Koalition in der Traumwelt, Hartz IV und die Agenda 2010 hätten irgend etwas von Belang gebracht und seien richtungsweisend dafür, wohin wir uns „bewegen“ sollen.

Die Person Dettlings im allgemeinen und Dettlings Beitrag in der FR im besonderen sind insofern interessant, als sie den permanenten Versuch der konservativen und neoliberalen Kreise markieren, nicht nur in der öffentlichen Auseinandersetzung die Hegemonie zu fertigen sondern auch die innere Willensbildung des früher einmal linken Teils unserer Gesellschaft zu beeinflussen und zu prägen. Deshalb biedert sich Dettling bei SPD Kreisen an, deshalb schreibt er in der Frankfurter Rundschau und in der TAZ. Und immer konsequent mit den gleichen Thesen: die Welt hat sich verändert, wir müssen uns bewegen und so weiter.


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=1212