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Titel: Interview mit James K. Galbraith 2/3

Datum: 2. Mai 2012 um 13:21 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Interviews, Schulden - Sparen, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Die NachDenkSeiten hatten am Rande der INET-Konferenz in Berlin die Chance, mit dem amerikanischen Ökonomen James K. Galbraith zu sprechen. Im zweiten Teil des Gesprächs geht es um die Eurokrise und die Austeritätspolitik der EU. Das Gespräch führten Roger Strassburg (RS) und Jens Berger (JB).

Der erste Teil des Interviews erschien am 26. April.

RS: Sie haben doch verfolgt, was in seit einigen Jahren in Europa passiert, richtig?

JG: Ja, das habe ich.

RS: Haben Sie mitbekommen, was in Deutschland vor sich geht? Ich habe Ihnen einiges an Material geschickt, das vielleicht zu Ihrem Informationsstand beigetragen hat.

JG: Dank Ihnen bin ich einigermaßen mit der Sache vertraut.

RS: Deutschland vor zehn Jahren – wann genau wurde der Ruf nach einem großen Niedriglohnsektor laut?

JB: Vor zehn Jahren wurde es dramatisch, aber es begann in Deutschland schon in der Ära Kohl, und wenn Sie sich nun die Finanz- und die Eurokrise und die Reaktion darauf aus Deutschland anschauen, die aufgrund der deutschen Machtstellung zur europäischen Reaktion auf die Krise wurde… Wenn wir die Einkommensunterschiede betrachten, meinen Sie dass die Ungleichheit sich durch diese Reaktion vergrößert? Durch die Austeritätspolitik, die verfassungsrechtliche Schuldenbremse und …

RS: … den Stabilitätspakt ….

JG: Nun, was wir heute schon sehen, ist eine zunehmende Divergenz quer durch Europa, und das ist der grundlegenden Mechanismus der zunehmenden Ungleichheit. Um noch einmal: Was in den Vereinigten Staaten die Form von Kreditblasen in bestimmten Sektoren annahm, und was sich teilweise im Immobilienbereich in verschiedenen Teilen des Landes abspielte – genau diese Blase und ihr Platzen nahm in Europa die Form von Kreditblasen in den Einzelstaaten an. Sie sehen jetzt Sie den Aufstieg und den Fall von Irland und Spanien und so weiter; und es ist dieses Auseinanderdriften, diese Divergenz, die in der Eurozone den größten einzelnen Stressfaktor darstellt.
Was Sie da über Deutschland beschreiben, ist ganz offensichtlich auch wichtig, aber das deutsche nationale Gefüge wird immer noch zusammengehalten von einer ganzen Reihe von stabilisierenden Institutionen, die immer noch existieren, obgleich sie, wie in den Vereinigten Staaten,…

RS: …sehr geschwächt sind…

JG: Sie sind geschwächt, aber sie sind immer noch stark verglichen mit dem, was staatenübergreifend geschieht. Man kann also erwarten, dass die Sache entlang der schwächsten Verbindungen zerbricht, und das sind in Europa die nationalen Grenzen. Als Folge davon werden wir eine Umverteilung von ganzen Bevölkerungsgruppen erleben. Es ist klar, dass jeder mit einer ausreichenden beruflichen Qualifikation, so weit er das kann, Griechenland verlassen und sich einer der großen Auslands-Communities in den Vereinigten Staaten oder in Australien anschließen wird. Die Menschen werden weggehen. In Europa hat das eine lange Geschichte, dass Menschen aus Portugal und Spanien auswandern, und wenn sie unter Druck geraten, werden sie es wieder tun. Das Scheitern der Stabilisierung der nationalen Ökonomien in Europa wird also auf lange Sicht ganz einfach zu einer Umverteilung der Bevölkerungen führen.

RS: In Ihrem Buch haben Sie ja Ungleichheit in Europa mit der in den Vereinigten Staaten verglichen. Aber meinen Sie wirklich, dass es legitim ist, Europa mit den USA zu vergleichen? Im Allgemeinen zieht man ja nicht oft von einem Land in ein anderes, schon allein wegen der Sprache – man lernt ja nicht eine Sprache und zieht dann zwei Jahre später woanders hin.

JG: Aber sicher, Leute machen das, und sie werden es weiter tun. Aber das spielt keine große Rolle. Ungleichheit bemisst sich nicht danach, ob die Leute sich physisch auf den Weg machen. Entscheidend ist, dass Europa ein einheitliches Wirtschaftsgebiet ist, jedenfalls aus der Sicht eines Unternehmens, das Investitionsentscheidungen trifft, oder eines Investors, der sein Portfolio zusammenstellt. Das Fehlen von Schranken für Kapitalbewegungen ist ebenso entscheidend für die Entstehung einer einheitlichen Wirtschaftszone wie die Beweglichkeit der Arbeitskraft. Und man sollte auch nicht überzeichnen, in welchem Umfang die Menschen innerhalb der Vereinigten Staaten ständig von einem Land ins andere umziehen. Für Berufstätige ist das eine normale Sache, aber ein sehr großer Teil der Bevölkerung lebt immer noch da, wo er herkommt.

RS: Ich weiß nicht, ob Sie das eine Strategie nennen würden, oder ob es eher eine Ideologie ist: der Wettbewerb zwischen den Ländern. In Deutschland geht man sogar so weit, dass man sich einen Wettbewerb um Investitionen zwischen den Staaten wünscht.

JG: Eine Konsequenz der europäischen Integration, die von Beginn an klar abzusehen war und auch charakteristisch ist für alle industriellen Systeme, die sich vergrößern, ist folgende: Die Aktivität konzentriert sich am wettbewerbsfähigsten Ort; und das gilt nicht nur für die Industrie, sondern auch für die Landwirtschaft. Es gab eine Konzentration landwirtschaftlicher Aktivität im Norden Europas – nicht dass man das als ideale Gegend dafür ansehen würde, aber so ist es gelaufen. Und es war absehbar, dass dadurch ausgleichende Investitionen in der europäischen Peripherie nötig werden würden, nur hatten diese Investitionen nicht einmal annähernd eine ausreichende Größenordnung.
Genau das gleiche passierte in den Vereinigten Staaten. Als das Land sich auf kontinentaler Ebene entwickelte, gab es eine Konzentration der Industrie im Norden, im Nordosten und im mittleren Westen. Was dieser Entwicklung dann schließlich Einhalt gebot, war der New Deal. Der New Deal verteilte das Wirtschaftsgeschehen neu, etwa durch massive Infrastrukturprojekte im Süden. Natürlich hatten wir den Vorteil, ein Land zu sein, in dem Militärausgaben verteilt werden konnten. Das war sehr wichtig für den Staat Texas und sehr wichtig für andere Gegenden im Süden. Und das Sozialversicherungssystem wurde auf kontinentaler Ebene eingerichtet, was zur Folge hat, dass die minimale Altersabsicherung sich nach nationalen und nicht nach lokalen Standards bemisst. Wenn jemand also sein Arbeitsleben in Alabama verbracht hat, bekommt er mindestens das föderale Minimum ausgezahlt. Das wirkt sehr stark ausgleichend.
Man redet gern davon, wie viel Ungleichheit in den Vereinigten Staaten herrscht, aber während der letzten 80 Jahre ist im Ganzen die Ungleichheit radikal weniger geworden. Es gab ein starkes Gefälle zwischen Nord und Süd, aber das ist nicht länger der Fall. Noch vor 40 Jahren, als ich ein Kind war, wäre so gut wie kein Akademiker auf die Idee gekommen, etwa von New England nach Texas überzusiedeln. Das war eine Einbahnstraße – man musste heftige Einkommenseinbußen in Kauf nehmen, und es gab keinen Weg zurück. Heute ist das Routine. Das ganze Land ist substanziell besser integriert, jedenfalls bis zu einem bestimmten Punkt. Es gibt natürlich viele – und wachsende – Ungleichheiten auf der lokalen Ebene, und das ist es auch, was die Leute wahrnehmen, aber auf nationaler Ebene ist es viel, viel weniger geworden als es früher der Fall war.

JB: Meinen Sie also, dass eine moderne Version von Roosevelts New Deal die richtige Antwort auf die Eurokrise wäre?

JG: Ich denke, dass eine funktionierende Union Maßnahmen erfordert, um Einkommen und Wirtschaftsaktivität über große Landstriche hinweg wirkungsvoll umzuverteilen. Andernfalls kollabiert alles Richtung Zentrum. Die EU tut genau das in großem Maßstab, und zwar mit den Strukturausgleichsfonds zugunsten von bestimmten Regierungen und deren Infrastrukturprojekten. Man bekommt eine Menge frischen Straßenbelag – Portugal ist wie Kalifornien geworden. Eine etwas zweifelhafte Strategie der Wirtschaftsentwicklung, aber nun ist er halt mal da. Was es aber auf europäischer Ebene nicht gibt, sind Umverteilungsmechanismen zugusten von Individuen. Es gibt kein Äquivalent zu unserem kontinentalen Sozialversicherungssytem. Und es gibt auch nicht das gleiche Maß von Umverteilung sagen wir mal durch Betrieb und Wartung, wie das in den USA mit dem Militärbudget der Fall ist. Das griechische Militär wird aus dem griechischen Steueraufkommen bezahlt…

RS: … und sie haben ein großes Militär …

JG: … und sie haben ein großes Militär, was die griechische Wirtschaft sehr belastet …

RS: … und Portugal und Griechenland sind diejenigen, die die meisten Waffen importieren. Nach einer neulich veröffentlichten Daten haben sie die höchsten Militärausgaben innerhalb Europas.

JG: Das ist natürlich bei diesen beiden Ländern ein Erbe der Politik vergangener Jahrzehnte.

RS: Schwer vorzustellen, warum gerade sie so viel Militär brauchen, als ob Griechenland die Türkei anschaut und sagt: »Ihr seid gefährlich!«

JG: Damit hat das nichts zu tun. Es hat mit dem Erbe von 1974 zu tun, als man einen »Deal« mit den griechischen Militärs machte, damit sie sich politisch mit einer Rolle im Hintergrund zufrieden geben. Und es hat natürlich mit innereuropäischen Abmachungen zu tun, denn was sie kaufen, sind deutsche Panzer und französische U-Boote. Es scheint auch, als würden diese Abmachungen nicht allzu leicht als Bestandteil von Austeritätspaketen geopfert.

RS: Nun, das ist eins von den Dingen, die die deutsche Regierung nicht so gern aufgeben wollte.

JG: Warum eigentlich nicht, bei all dem Gerede über den Sparkurs?

RS: Es ging auch um deutsche U-Boote…

JG: Deutsche U-Boote…

RS: Aber meinen Sie eigentlich, dass es eine gute Idee ist, den Wettbewerb zwischen Nationen zu befördern? Das ist es doch eigentlich, was die EU betreibt, man möchte, dass die Länder miteinander konkurrieren.

JG: Nun, worin genau sollte ein Land wie Griechenland wirksam mit Deutschland konkurrieren können?

RS: Olivenöl…

JG: Ach ja, richtig… Es gibt hier ein echtes Problem mit dem Unterschied zwischen Sektoren mit wachsenden und schrumpfenden Erträgen.

RS: Wir müssen uns eigentlich fragen, was Griechenland überhaupt tun kann, insbesondere in einer Währungsunion. Griechenland wird niemals exportieren, wie Deutschland das tut, dazu ist es gar nicht in der Lage.

JG: Natürlich kann es das nicht, und genau deshalb braucht es eine Politik der stabilisierenden Einkommensflüsse. Andernfalls bleibt dieses Land einfach so lange in der Klemme, bis die Bevölkerung geht, und genau das wird passieren. Niemand in den Vereinigten Staaten behauptet, dass Florida etwa mit Ohio konkurrieren soll, wenn es um den Zusammenbau von Hondas geht. Dafür ist Florida nicht da.

RS: Florida ist im Wesentlichen ein Ort, wo Leute ihren Ruhestand verbringen.

JG: Richtig, und tatsächlich ist es so, dass der östliche Teil des Golfs von Mexiko im Großen und Ganzen deshalb von Öl- und Gasförderung ausgenommen blieb, weil man die Möglichkeit von solchen Katastrophen wie letztes Jahr im Mississippi Canyon ausschließen wollte.

RS: Deutschland – und nicht nur Deutschland – ist sehr stark gegen die Idee, Geld und Einkommen in die Länder des Südens fließen zu sehen. Man möchte keine Transferunion.

JG: Das steht im Widerspruch zu einem der grundlegenden Prinzipien für eine funktionsfähige Wirtschaftsunion.

RS: Was Griechenland angeht – gibt es dort irgendeinen Ausweg? Was, denken Sie, wird dort passieren? Jetzt kürzen sie ausgerechnet die Löhne, und zwar nicht nur im öffentlichen Sektor, was natürlich beim Steueraufkommen nicht helfen wird, und es wird auch nichts an der Verschuldung ändern, aber es soll das Land wettbewerbsfähiger machen nach Art einer »inneren Abwertung«. Was ich kommen sehe, ist folgendes: Die Menschen können ihre Mieten nicht mehr bezahlen, Hausbesitzer werden pleite gehen, es wird weitere Einbrüche bei den Krediten geben – sehen Sie auch diese Art Spirale?

JG: Es ist für die arbeitende Bevölkerung in Griechenland sehr schwierig, der Besteuerung zu entgehen; besteuert wird der Wohnsitz, und die Steuer wird mit der Stromrechnung bezahlt, d.h. so lang man sich nicht vom Netz abhängen kann – was wiederum eine größere eigene Investition verlangt – ist man gezwungen, die Steuern zu bezahlen, wenn man Strom beziehen möchte. Ja, es ist eine Abwärtsspirale. Die Einschnitte bei den öffentlichen Leistungen in Griechenland sind Einschnitte in ein schlecht funktionierendes öffentliches Gesundheitssystem, ein schlecht funktionierendes Bildungswesen und ein jetzt schon ineffizientes und überlastetes Verkehrswesen; es sind also Einschnitte von der Art, die Investitionen aus dem Ausland gerade weniger attraktiv machen. Die Idee, dass es einen Weg gibt, durch innere Abwertung die Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen, ist offensichtliche falsch. Offensichtlich falsch. Welche Frage müssen wir also stellen? Was geht hier vor sich? Ich denke das ist nicht allzu schwer zu verstehen. Um die Geldanlagen der französischen und deutschen Banken zurückzuführen und um Umstände zu schaffen, in denen die privaten Gläubiger den Verlusten entgehen könnten, die sie im Falle eines griechischen Schuldenschnitts erleiden würden (was ja jetzt passiert ist) – um all das zu schaffen, musste der deutschen Wählerschaft weisgemacht werden, dass es hier um eine Hilfe für Griechenland ging, für die als Gegenleistung auf der Seite der Griechen Opfer gebracht würden. Aber das einzige, was an der Sache real war, waren die Opfer. Sie waren spürbar, und sie lieferten die Rechtfertigung für dieses Vorgehen, aber irgendeine substanzielle Unterstützung für Griechenland war damit nicht verbunden.

RS: Hier kommt meine Kritik an Deutschland ins Spiel. Es scheint eine bestimmte Mentalität zu geben, die besagt, dass Opfer an und für sich eine gute Sache sind.

JG: Ja, absolut.

RS: Ich denke, dass es eine sehr stark vorherrschende Mentalität ist.

JG: Natürlich ist sie das; man kann also die Kanzlerin Merkel nicht rundheraus dafür kritisieren, dass sie auf diesem Vorgehen bestanden hat. Alles was sie tat, war die Bedingungen dafür herzustellen, dass die Maßnahmen politisch akzeptiert würden.

RS: Sie wird darin von den meisten Leuten unterstützt.

JG: Richtig. Insofern ist das eine griechische Tragödie im klassischen Sinne: Man tut, was die politischen Umstände erfordern, und geopfert wird ein kleines Land mit 11 Millionen Einwohnern.

RS: So etwa im Abstand von einem Monat kann man hierzulande in der Zeitung lesen, dass die Ökonomen überrascht sind, dass Griechenland seine Situation nicht verbessern konnte, und man lehnt sich zurück und fragt sich: »Warum sind diese Leute eigentlich überrascht?« Vielleicht sind wir ja sogar noch zu optimistisch. Man muss sich das vorstellen: Eine Wirtschaft, in der die Leute gerade so über die Runden kommen – und dann müssen sie sich plötzlich entscheiden, ob sie die Miete oder den Strom bezahlen sollen. Natürlich pflanzt sich das zum Vermieter und zum Stromanbieter fort, weitet sich aus wie eine Kettenreaktion. Wird das passieren, sehen Sie das als wahrscheinlich an?

JG: Nun, ich war letzten Oktober in Griechenland und habe bei einer großen Firma einen Vortrag gehalten. Das war eine Gelegenheit, um mit prominenten Wirtschaftsführern zu plaudern, und was sie mir sagten, war, dass sie keinen Hoffnungsschimmer sahen – ganz zu schweigen davon, wie es den gewöhnlichen Menschen ergeht. Nirgendwo im Land herrschte der Eindruck, dass man hinsichtlich der Politik und der Situation, in der sich das Land befand, einen Wendepunkt vor sich hat. Es gab diesen Eindruck einmal – zumindest sagten das Regierungsvertreter im ersten Jahr von Papandreous Regierungszeit. Man war jedenfalls bereit, der offiziellen Regierungslinie Ausdruck zu verleihen, nämlich dass eine konsequente Umsetzung der Reformen zu einem wiederkehrenden Vertrauen auf den Kreditmärkten führen würde. Über diesen Punkt habe ich im Sommer 2010 direkt mit Papandreous erstem Finanzminister Papaconstantinou gesprochen. Unter dieser Regierung wurden Reformen energisch vorangetrieben, und einige davon, da bin ich sicher, waren auch angebracht. Wir sprechen von einer Regierung, die noch nie, um es mal vorsichtig auszudrücken, ein Paradebeispiel an Effizienz war.

RS: Nicht jede Kritik an Griechenland ist fehl am Platz…

JG: Papandreous Regierung nahm eine ganze Menge von sehr sinnvollen Dingen in Angriff. Ein Element von Illusion schlich sich in diesen Glauben ein – jedenfalls wurde dieser Glaube kundgetan, aber es ist schwer zu sagen, ob die Leute das selbst ernst nahmen – nämlich den Glauben, dass die effektive Umsetzung der Reformen von den Kreditmärkten belohnt werden würde.

RS: Die »Vertrauensfee«…
[Eine Wortschöpfung von Krugman, vgl. hier]

JG: …die Vertrauensfee, gedacht als eine gutmütige Gestalt, die ein Auge darauf wirft, wie gut man arbeitet und einem, abhängig von der eigenen Performance, verbesserten Zugang zu den Kreditmärkten gibt. Und dann erkennt man, dass wir hier eine europäische, ja sogar eine globale Kreditkrise haben, und man erkennt, dass Ereignisse irgendwo auf der Welt sich auf alle schwachen Schuldner auswirken, egal ob wir jetzt von Griechenland, Portugal, Spanien oder Irland sprechen.

RS: Alle müssen ihre Verschuldungsrate drücken. Naja, nicht alle…

JG: Aber auf dem Weg zu Sicherheit, um das mal etwas deutlicher zu sagen, auf dem Weg zur Sicherheit müssen alle schwächelnden Anlagen abgestoßen werden. Es gibt also überhaupt nichts, was eine Regierung tun kann, ganz gleich wie tugendhaft sie sein mag, um sich selbst von einem schwachen in einen starken Gläubiger zu verwandeln. Nach wie vor wird sie als schwacher Gläubiger eingestuft werden, und nach wie vor wird man sie nach Möglichkeit fallen lassen – nicht nur wenn schlimme Dinge eintreten, sondern sogar schon bei einfachen spekulativen Verschiebungen etwa im Markt für CDS. Es war also von Anfang an eine Illusion, zu meinen, dass es einen Weg zurück zu den Kreditmärkten gäbe.

RS: Sollte es Produkte wie CDS überhaupt geben, oder meinen Sie dass sie eher eine Gefahr darstellen?

JG: Die stellen ganz offensichtlich eine gefährliche Entwicklung dar. Was mich interessiert ist, ob es eine wirksame Weise gibt, sie wieder unter Kontrolle zu bekommen. Nachdem sie erfunden waren, war das ein bisschen wie bei der Atombombe: Sobald man erkannte, dass man so etwas bauen könnte, war klar, dass es gebaut würde, und das kann nicht rückgängig gemacht werden.

RS: Man kann den Geist nicht wieder in die Flasche zwingen.

JG: Ein Credit Default Swap ist einfach ein außerbörslicher Vertrag zwischen zwei privaten Parteien, der besagt, dass ich Betrag x bezahlen werde, wenn y passiert und vorher eine Reihe von Zahlungen z bei mir eingegangen sind. Wir können solche Verträge Credit Default Swaps nennen, aber ich kann nicht erkennen, wie wir sagen können, dass Menschen nicht befugt sein sollen, sie abzuschließen, also wie wir sie aus dem Bereich der Legalität ausgrenzen könnten.

JB: Man könnte eine Regulierung vornehmen, so wie in Deutschland, wo es verboten ist, eine Lebensversicherung auf das Leben eines anderen abzuschließen.

RS: Auch in den USA ist das im Allgemeinen so.

JG: Das stimmt schon, aber können Sie die Unterhändler der Firmen X und Y davon abhalten, so einen Vertrag meinetwegen in Singapur abzuschließen? Viel Glück!

RS: Richtig. Könnten größere Finanzinstitute daran gehindert werden, diese Verträge abzuschließen, so dass sie sich nicht zu einem systemischen Risiko auswachsen können?

JG: Die Antwort auf diese Frage kenne ich nicht. Ich denke es wird keine einfache Antwort sein.

RS: Noch einmal kurz zur europäischen Austeritätspolitik: Glauben Sie, dass diejenigen, die äußerste Sparsamkeit fordern – ich denke Merkel und Schäuble sind hier die Übeltäter -, meinen Sie dass diese Leute wirklich überzeugt sind, dass das helfen wird?

JG: Ich kenne die Kanzlerin Merkel nicht, und ich kenne auch nicht Herrn Schäuble. Ich kann Ihnen nur sagen, dass man politisches Führungspersonal grundsätzlich nicht verdächtigen sollte, das, was es sagt, auch zu meinen.

RS: Ich meine, es sollte doch eigentlich offensichtlich sein, dass das nicht funktionieren wird. Unsere Spekulation folgt ja mehr der Idee, dass diese Krise eine schöne Gelegenheit bietet, die man nicht verschenken sollte, sich sozialer Programme zu entledigen und Regierungen zu beschneiden – ganz so wie die Republikaner in den Vereinigten Staaten das tun.

JG: Das ist eine Hypothese mit einem gewissen Maß an Erklärungskraft.

Der dritte Teil des Interviews folgt in Kürze. Das Transskript in englischer Sprache finden Sie hier [PDF – 147 KB].

Bei der Übersetzung ins Deutsche half uns unser Leser Christoph Pingel.


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