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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Den Debattenraum so weit wie möglich halten
Datum: 12. Mai 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Interviews, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
In einer Zeit, in der der Debattenraum zunehmend schrumpft und polarisiert ist, haben Verlage eine besondere Verantwortung, für offene Diskursräume einzutreten. Markus Karsten, Verleger des Westend Verlags, setzt mit seinem Programm genau auf diese Vielfalt. Unter dem Motto Bücher für die Wirklichkeit bringt er gesellschaftskritische und auch „umstrittene“ Autoren und Inhalte in den Buchmarkt. Ein aktuelles – und vielleicht überraschendes – Beispiel für diese Haltung des Westend Verlags ist die Veröffentlichung von Ulf Poschardts Buch „Shitbürgertum“, das dadurch jetzt im regulären Buchhandel erhältlich ist, nachdem es von seinem ursprünglichen Verlag fallen gelassen wurde. Maike Gosch sprach im Interview mit Markus Karsten über Cancel Culture, Debattenraum und Meinungsfreiheit.
Maike Gosch: Herr Karsten, Sie haben mit dem Westend Verlag das Buch „Shitbürgertum“ des prominenten Medienmanagers und Autors Ulf Poschardt veröffentlicht, das zuvor nur im Selbstverlag erhältlich war, nachdem es vom ursprünglichen Verlag des Autors als zu polemisch abgelehnt wurde. Was glauben oder wissen Sie über die Beweggründe des vorigen Verlags zu Klampen, das Buch aus dem Programm zu nehmen? Und was hat Sie selbst bewogen, dieses Buch in Ihr Programm aufzunehmen?
Markus Karsten: Über die Beweggründe von zu Klampen kann ich relativ wenig sagen. Es war so, dass in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Anfang Januar ein Artikel erschien, in dem zu lesen war, dass ein Buch von Ulf Poschardt nicht wie geplant erscheinen wird. Man konnte – so meine ich, mich zu erinnern – herauslesen, dass etwas an dem Manuskript dem zu Klampen Verlag nicht gepasst hatte oder nicht so war, wie sie es sich vorgestellt hatten, und das Buch daher nicht dort erscheinen würde. Jetzt liegt es natürlich in der heutigen Zeit nicht allzu fern, anzunehmen, dass Poschardt eben Sachen geschrieben hatte, die dem Verlag nicht politisch korrekt genug erschienen.
Dass Ulf Poschardt nicht so ganz die DNA des Westend-Programmes trifft, das hatten wir angenommen, aber wenn der Text eines Autors, der auch Herausgeber einer bedeutenden Mediengruppe ist, nicht erscheinen soll, kann das aus meiner Sicht nicht daran liegen, dass er etwas geschrieben hat, das nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar ist, sondern dass dies andere Gründe hat. Und dann hatte ich oder wir einfach den Impuls, ihn anzurufen und zu sagen: „Also, wenn die es nicht machen wollen, dann machen wir es.“
Diese Entscheidung trafen Sie noch, bevor sie es gelesen hatten?
Ja, ohne es gelesen zu haben. Es war ja noch nicht auf dem Markt. Es war nur der Reflex, zu sagen: Das kann nicht sein, dass Poschardt hier aus dem Debattenraum ausgeschlossen werden soll, so sah es für mich zumindest aus. Ob es so gewesen ist, weiß ich natürlich nicht.
„Wir bringen das und werfen es wieder in den Debattenraum rein.“
Und wir haben ihn dann kontaktiert und gesagt: „Wir würden das machen.“ Es ist ja viel von Debattenkultur, Demokratie und Meinungsfreiheit und vom „man muss mit allen reden“ die Rede. Dann muss man eben auch mal, wenn so etwas passiert, einspringen und sagen: Wir bringen das und werfen es wieder in den Debattenraum rein. Genau so haben wir im vorliegenden Falle gehandelt.
Wir haben dann im Januar die Nachricht aus Berlin bekommen, dass Herr Poschardt für sein Buch jetzt schon eine andere Lösung gefunden hätte – aber man könne ja in Kontakt bleiben für weitere folgende Publikationen. Kurze Zeit später, etwa Ende Januar, erschien das Buch dann bei Amazon. Das heißt, es war bei Amazon erhältlich – und nur bei Amazon – und eroberte da sofort Verkaufsrang 1, und das drei Wochen lang. Das ist relativ ungewöhnlich für ein politisches Sachbuch. Und ich vermute mal, dass Herr Poschardt nichts an dem Buch geändert hat, wie zu Klampen das wollte, und damit eben Erfolg hatte.
Dann kamen die Bundestagswahlen, und das Buch war immer noch sehr stark im Gespräch. Ich hatte das Buch auch inzwischen gelesen, ihm erneut geschrieben und gesagt: „Also, wenn das Buch so einen enormen Anklang findet, dann sollte es doch auch über den Buchhandel verfügbar sein, und zwar von Rügen bis Bozen, also im gesamten deutschsprachigen Raum.“ Um nachhaltig Diskussionen und Debatten anzustoßen, ist es schon notwendig, dass ein Buch auch im stationären Buchhandel erhältlich ist und nicht nur im Internet. Deswegen sind wir erneut auf Ulf Poschardt zugegangen und haben ihm vorgeschlagen, nun auch eine Buchhandelsausgabe zu veröffentlichen. Kurz danach trafen wir uns in Berlin, das war Ende März, und schon am 22. April lag das Buch überall im Handel. Inzwischen seien auch andere Verlage auf Poschardt zugegangen. Er wollte das Buch aber mit uns machen – weil wir sehr früh schon, bevor das Buch erfolgreich war, gesagt hatten, wir würden es veröffentlichen, eben aus der Motivation heraus, den Debattenraum groß und weit zu halten. Eine Woche nach Erscheinen ist der Titel bei der einschlägigen Bestsellerliste, die uns allen bekannt ist, auf Platz drei eingestiegen, von null auf drei, wohlgemerkt.
Und was für eine Wirkung erhoffen Sie sich von dem Buch oder von seiner Veröffentlichung?
Wir machen in der Regel keinen Abgleich: Gibt es eine bis ins Kleinste ausformulierte Programmbeschreibung des Westend-Verlages und passt ein Buch genau da rein? Wir machen nicht zwingend Bücher, die uns gefallen oder mir gefallen, das natürlich schon, aber das eigentlich Entscheidende ist: Gibt es ein Thema, das öffentlich besprochen werden soll, gibt es einen Beitrag, der in den Debattenraum soll, ja, muss? Das war ja schon zum Teil geschehen, als es bei Amazon so stark bestellt wurde und gekauft wurde, was ja zeigt, dass dieses Buch auf ein größeres Interesse stößt. Und ich verspreche mir von der Veröffentlichung, dass – auch wenn das, was dort steht, an der einen oder anderen Stelle forciert formuliert ist – sich mit den Thesen von Herrn Poschardt auseinandergesetzt wird.
Der Westend Verlag setzt sich ja nach eigener Aussage für alternative Sichtweisen und neue Perspektiven ein, die im „Mainstream“ zu wenig Raum oder kein Forum bekommen. Sehen Sie das auch bei diesem Buch gegeben, also jenseits von der Ablehnung durch zu Klampen? Der Autor selbst hat ja objektiv eine sehr große Meinungsmacht und eigentlich auch ein sehr großes Forum durch seine Prominenz und berufliche Position in der Medienwelt. Und man könnte auch argumentieren, dass seine Position oder die Thesen, die er in dem Buch vertritt, selbst wenn nicht Teil des links-grünen, aber doch des liberal-rechten Mainstream-Spektrums sind, also mitnichten eine marginale Position sind.
Tatsächlich habe ich ihn in der vergangenen Woche noch selbst in Berlin getroffen, und auf dem Weg habe ich auch einen Beitrag von ihm in der Welt gelesen. Er kann mehr oder weniger, wenn er will, jeden Tag mit seiner Meinung reichweitenstark aufwarten und erreicht ein gewisses Publikum, und in diesen Meinungsbeiträgen schimmert natürlich auch immer wieder durch, was er auch in dem Buch sagt und beschreibt. Ein Buch kann unbestritten ausführlicher und nuancierter sein.
„Man muss erstmal ein Diktat als ein Diktat erkennen,
bevor man sich dann von diesem befreien kann.“
Man muss erstmal ein Diktat als ein Diktat erkennen, bevor man sich dann von diesem befreien kann und wieder stärker dahin kommt, dass sich in einem Debattenraum, in der Öffentlichkeit, über politische Sachverhalte gestritten werden darf. Die ganze Welt redet von Demokratie und davon, wie wichtig es ist, dass alle mit allen reden, man sich mit allen auseinandersetzen muss – wie kürzlich zum Beispiel auch wieder Bodo Ramelow auf dem evangelischen Kirchentag gesagt hat –, und dann, wenn so etwas passiert wie dieses Buch, dann gilt das plötzlich nicht mehr, dann heißt es: „Ja, aber der war nicht gemeint“ oder „Diese These war nicht gemeint“. Das kann nicht sein, und dem Westend Verlag steht es gut an, auch Debattenbeiträge zu publizieren, die nicht in unser klassisches Programmschema passen, das eher soziale Fragen, Medienkritik, Frieden, geopolitische und kritische Beiträge umfasst, die aber den Debattenraum offenhalten. Autoren von uns, die sehr stark sozialpolitisch unterwegs ausgerichtet sind, wie zum Beispiel Heiner Flassbeck, Albrecht Müller [Anm. M. G.: der Herausgeber der NachDenkSeiten] oder auch andere, machen inhaltliche Angebote und zeigen Erklärungen für Fehlentwicklungen in Politik und Gesellschaft.
„Schnell steht fest, was als richtig zu gelten hat,
und ab dann ist der Sack sofort zu.“
Wenn wir ehrlich sind, werden aber wirkliche Debatten doch gar nicht mehr geführt. Schnell steht fest, was als richtig zu gelten hat, und ab dann ist der Sack sofort zu: Man will sich gar nicht mehr damit rumschlagen, zu prüfen und zu bewerten, welche Argumente sind stichhaltig, welche weniger. Denn: Es steht ja bereits fest, was als gut und richtig zu gelten hat.
Gab es da von Lesern oder Unterstützern des Westend Verlags und ihrem Umfeld negative Reaktionen im Hinblick darauf, dass viele der Positionen, die Poschardt in dem Buch äußert, der politischen Linie oder inhaltlichen Deutung der Welt in vielen der anderen Bücher in Ihrem Programm diametral entgegenstehen?
Nein. Es hat eine Zuschrift gegeben von Seiten der Medien, mit einem sehr kritischen Unterton, bei der naheliegt, dass hier eine ad-hominem-Beurteilung zugrunde liegt. Ich glaube nicht, dass das Buch gelesen wurde. Jetzt kann man natürlich sagen, auch wenn das Buch gelesen wurde, wäre es kritisch gewesen, vielleicht. Aber diese eine Stimme, die kann ich mit einigen anderen aufwiegen, die gesagt haben: „Oh, das ist ja klasse, dass ihr den Poschardt macht, herzlichen Glückwunsch.“
Und ich glaube, dass bei diesen Glückwünschen der Unterton weniger war, dass sie in allen Verästelungen Poschardt folgen, sondern überhaupt dafür, die Fahne hochzuhalten und zu sagen, hier ist ein Beitrag, über den soll verdammt nochmal diskutiert werden.
Wir haben ja nach Ansicht vieler Menschen inzwischen einen zunehmend gespaltenen und auch aufgeheizten Debattenraum bei politischen und vielen anderen Themen in Deutschland. Ist da das Buch in seiner verschärften Polemik nicht eher ein Teil des Problems als ein Teil der Lösung?
Was heißt verschärfte Polemik? Ich kann nur sagen, es ist ein brillant geschriebenes Buch, und dies ist vielleicht eine gute Gelegenheit, hier mal Folgendes zu sagen – ein Publizist aus München hat mich drauf aufmerksam gemacht –: Es gibt heutzutage überhaupt ein Problem damit, erst einmal zu sagen, dass ein Buch gut geschrieben ist, dass es intellektuell sehr dicht ist. Und das ist dieses Buch. Ich kann die Inhalte in toto ablehnen, kann aber sagen, es ist einfach toll geschrieben – und Letzteres trifft hier auf alle Fälle zu. Ich sehe Teile der Problematik, die im Buch beschrieben werden, ähnlich. Ich würde es vielleicht anders angehen, aber ich sehe überhaupt nicht den Punkt, warum das Buch Teil eines Problems sein soll und warum es intellektuell, inhaltlich, auch in der Argumentationsführung, nicht veröffentlicht werden kann.
Was würden Sie denen entgegnen, die sagen: Verlage geben mit solchen Veröffentlichungen rechten Tendenzen eine Bühne?
Ich kann nicht nachvollziehen, was an dem Buch rechts sein soll. Ich habe diese Vorwürfe auch so nicht wahrgenommen. Ich glaube, im Großen und Ganzen wird das Buch von Medienleuten so eingeschätzt, dass hier ein gewaltiger, wortmächtiger Herausgeber sehr pointiert auf gewisse Entwicklungen hinweist und damit ein Gespräch, eine Debatte anstößt, die geführt werden soll. Wie die dann endet, ob sie so endet, wie Herr Poschardt sich das wünscht und ob die Diskussion so endet, dass viele von den Argumenten, die er verwendet, abgeschwächt oder gar getilgt werden, das wird man sehen. Das ist ja genau der Sinn dieser Debatte, die angestoßen werden soll. Momentan scheint es so zu sein, dass Herr Poschardt vielen Menschen aus der Seele spricht. Da können wir ja als Verlag nicht einfach wegschauen.
Vielleicht kann ich hier eine kleine Anekdote dazu erzählen: Wolfgang Kubicki hat vor einigen Jahren im Bundestag – das war, glaube ich, noch vor Corona – eine kurze Philippika im Bundestag gehalten, in der es um Meinungsfreiheit ging. Das war vielleicht der Beginn davon, dass auch öffentlich viel stärker über die Einengung der Meinungsfreiheit gesprochen wurde, was ja in der Tendenz eine rechte oder eine dem rechten politischen Spektrum zugeschriebene Beobachtung ist. Jedenfalls hat er dort öffentlich darauf aufmerksam gemacht, vielleicht im Bundestag zum ersten Mal, dass es hierbei zu Fehlentwicklungen oder für die Demokratie ungünstigen Entwicklungen kommen kann.
„Wolfgang, du kannst dir nicht vorstellen, was ich mir anhören muss,
weil wir dein Buch bei Westend machen.“
Er erwiderte: „Markus, es geht mir genauso. Was glaubst du, was ich mir anhören muss, dass mein Buch bei Westend erschienen ist.“
Ich hatte ihn angeschrieben und gesagt: „Machen Sie doch ein Buch daraus.“ Und das hat er gemacht. Dann hat sich in der Tat damals einer unserer Autoren daran gestoßen, rief mich an und meinte, wieso das denn, und überhaupt die FDP und Kubicki und so weiter. Und ich habe gesagt, Moment, in diesem Buch geht es doch um ein ganz bestimmtes Thema, und warum soll sich der Autor nicht bei Westend auch zu diesem Thema äußern können? Einige Zeit danach war Wolfgang Kubicki mal zu Gast bei uns, und ich sagte ihm bei einem Mittagessen: „Wolfgang, du kannst dir nicht vorstellen, was ich mir anhören muss, weil wir dein Buch bei Westend machen.“ Er erwiderte: „Markus, es geht mir genauso. Was glaubst du, was ich mir anhören muss, dass mein Buch bei Westend erschienen ist.“
„Es darf doch nicht sein, dass wir uns nur noch
in hermetisch abgeschirmten Bereichen bewegen.“
Zeigt dieser Hergang nicht, wie es sein sollte? Es darf doch nicht sein, dass wir uns nur noch in hermetisch abgeschirmten Bereichen bewegen. Ich glaube, von so etwas leben die politisch-demokratischen Prozesse, in denen wir uns befinden. Und diese Prozesse dürfen nicht erlahmen, und es gehört auch immer wieder ein gewisser Mut dazu, diese Prozesse am Leben zu halten. Ich finde, auch in diesem Fall steht es dem Westend Verlag gut an, hier mitzumischen.
Von vielen Beobachtern wird heute immer häufiger von einer Verengung des Debattenraums gesprochen, wir haben es hier ja auch schon angesprochen. Sehen Sie diese Entwicklung auch? Und falls ja, warum glauben Sie, ist der Raum für alternative oder kritische Stimmen im öffentlichen Diskurs geschrumpft, und welche Rolle spielen Verlage hierbei?
Ich glaube, es gibt diese Tendenz – das klingt übrigens auch bei Poschardt an, ich kann mich sozusagen auf ihn beziehen –, die man so beschreiben kann: Es gibt Gute, und die sind nur gut, und Böse, die sind nur böse. Poschardt bezeichnet das als manichäisch [Anm. M. G.: Eine weltanschauliche Schwarz-Weiß-Sicht ohne Grautöne]. Ich finde, das ist eine richtige Beobachtung und betrifft möglicherweise auch beide Seiten der Debatte. Und es gibt tatsächlich Diskurshoheiten, die besagen, dass man bestimmte Begriffe und politische Umstände auf eine bestimmte Weise zu beschreiben hat, oder sie sind falsch. Und auch hier, glaube ich, leistet das Buch von Poschardt einen Beitrag dazu, zu versuchen, sich diesen Panzer nicht überstülpen zu lassen. Die NachDenkSeiten probieren das ja auch – auf anderen Gebieten – permanent. Es gibt viele Buchverlage, insbesondere die politischen Sachbuchverlage, die immer wieder gute Bücher bringen und sich bemühen, eine politische Diskussion anzustoßen und politische Sachverhalte differenziert zu diskutieren. Und alle Verlage täten eben gut daran, sich nicht an diesem Gut-Böse-Schema zu orientieren.
Inwiefern beobachten Sie auch eine publizistische Selbstzensur bei Verlagen? Also, das bewusste Meiden bestimmter Themen, Begriffe oder Autoren aus Angst vor öffentlicher Empörung oder Cancel-Kampagnen?
Ich glaube schon, dass es in den Medien – ob es jetzt Buchverlage, Magazine, Zeitschriften, Online-Medien sind – in der Tendenz eine, vielleicht auch unbeabsichtigte, aber schlussendlich doch reale Annäherung an einen regierungskonformen Meinungskorridor gibt, dem man sich anschmiegt. Es gibt aber immer wieder, überraschenderweise auch in öffentlich-rechtlichen Medien, sehr gute Beiträge, was allerdings nichts daran ändert, dass dieser Meinungskorridor besteht. Und die Frage ist: Wird dieser Korridor enger, füllt er sich links und rechts mit noch mehr Beton oder bleibt er flexibel? Interessanterweise ist dieser enge und vorgegebene Meinungskorridor aber bei ganz vielen Menschen, die mitunter keinen übermäßigen Medienkonsum betreiben, gar nicht wirkmächtig. Und gewisse Auseinandersetzungen, die in den Medien bis zum Exzess geführt werden, kommen bei ihnen überhaupt nicht an – ja, ich möchte sogar sagen, werden dort gar nicht wahrgenommen, weil sie einfach ganz weit weg von deren Lebensrealität sind.
Erleben Sie selbst als Verlag oder Verleger auch Druck – etwa von Medien, Buchhandel oder öffentlichen Institutionen –, wenn sie bestimmte Gegenperspektiven anbieten?
Auch, wenn wir nicht direkt kritisch angesprochen werden, nehmen wir natürlich wahr, wie durch bestimmte manipulative Methoden versucht wird, Einfluss zu nehmen. Albrecht Müller hat ja in seinem Buch „Glaube wenig – Hinterfrage alles – Denke selbst“ sehr ausführlich beschrieben, welche Methoden es gibt. Aber da wir das Buch gelesen haben und uns zu Herzen nehmen, durchschauen wir das Vorgehen.
„Das Buch gelesen haben muss man nicht,
es reicht das Thema oder eine Autorin, um es zu diskreditieren.“
Wenn man heutzutage in irgendeiner Form medial auftritt und mit gewissen Inhalten aufwartet, werden diese natürlich nicht immer bejubelt. Das Buch gelesen haben muss man nicht, es reicht das Thema oder eine Autorin, um es zu diskreditieren. Und die Frage ist, was dann passiert: Ist es einfach Kritik, mit der man sich auseinandersetzt, oder wird ein Ausschluss versucht, also bedeutet das zum Beispiel „Mit euch arbeite ich nicht mehr zusammen“ oder so etwas. Uns erreichen auch, relativ selten, aus meiner Sicht etwas scheinheilige Fragen zu diesem oder jenem Autor oder Thema.
Im Kern sind wir sozialpolitisch geleitet und haben im Gegensatz zu vielen anderen Medienleuten auch tatsächlich regelmäßigen und intensiven Kontakt zu Menschen, denen es nicht gut, besser gesagt sogar sehr schlecht geht in dieser Gesellschaft: ob aus dem migrantischen Milieu, dem klassischen Arbeitermilieu, Arbeitslose oder sonst wie abgehängte Menschen. Und weil wir da sehr nah dran sind und viele dieser Menschen tatsächlich intensiv unterstützen und sie auch an unterschiedlichen Stellen in unsere Verlagsarbeit einbeziehen, wissen wir, wovon wir sprechen. Wir wissen, was es bedeutet, ganz unten zu sein, weil wir uns sehr eng mit diesen Menschen austauschen, ihnen beistehen und nicht nur über sie sprechen. Das bietet kaum Wohlfühlbenefit, wie man ihn auf einer Demo gegen oder für irgendwas einstreicht, sondern kostet Zeit, Nerven, Geld. Aber weder spielt das eine Rolle, noch wüsste ich eine Alternative dazu, als an dem Ort, an dem man sich gerade befindet, andere so zu unterstützen, dass sie einigermaßen menschenwürdig leben können. Alles andere ist Sich-wichtig-Nehmen.
Gab es auf Bücher des Westend Verlags irgendwelche Reaktionen, sei es auf der Buchmesse, sei es bei Veranstaltungen, wo Lesereisen oder Ähnliches verhindert werden oder wo Ihnen vielleicht Kollegen aus anderen Verlagen entweder sagen „Das finde ich unmöglich, was ihr macht“ oder unter der Hand sagen „Ich finde das eigentlich spannend, aber bei uns ginge das nicht“?
Bei den Autoren und Autorinnen, bei denen friedenspolitische oder geopolitisch-kritische Thematiken vorherrschen, kann das schon mal vorkommen.
Wir bekommen vor Ort sehr viel Zuspruch. Zum Beispiel werden wir als Verlag oft an den Büchertischen, mit denen wir bei den Lesungen vor Ort sind, mit so einem Lob überschüttet, dass es mir schon fast unangenehm ist, weil wir ja im Prinzip nichts anderes machen, als den Gedanken der Autorinnen und Autoren einen Raum zu geben. Wir heimsen sozusagen Lob für den Mut und die Arbeit ein, den eigentlich die Autorinnen und Autoren bekommen sollten. Aber ich verstehe es schon, der Verlag als Mittler, als Medium spielt da auch eine Rolle.
„Es gibt sehr wache politische Köpfe, aber sie werden bis aufs Messer bekämpft.“
Wir bekommen allerdings auch die Schwierigkeiten mit. Und es ist in der Tat so, dass Menschen, die sich für Frieden und Verständigung und Miteinanderreden einsetzen, unverständlicherweise (oder vielleicht auch verständlicherweise) sehr stark attackiert werden – gerade von Leuten, die sich eigentlich damit brüsten, irgendwie „kritisch“ zu sein. Und wenn Sie mich fragen, hat die politische Linke bei den vergangenen großen politischen Problemen absolut versagt: Sie hat bei Corona versagt und sie versagt aktuell bei friedenspolitischen Fragen. Es gibt sehr wache politische Köpfe, aber sie werden bis aufs Messer bekämpft. Und es macht schon traurig, aber auch wütend, zu sehen, wie – gerade journalistisch – Menschen von Schein-Linken attackiert werden, obwohl sie sich doch eigentlich für etwas sehr Gutes und Menschliches einsetzen, nur um die Meinungsführerschaft zu behalten. Aber es ist eigentlich nur eine behauptete Meinungsführerschaft. Man muss, das dürfte eindeutig sein, strikt unterscheiden zwischen der Meinung der großen Medienorgane und dem, was die Menschen draußen tatsächlich bewegt und was sie tatsächlich denken.
Vielen Dank für das Gespräch!
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