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Titel: Das „Ökumenische Friedenszentrum am Rand des Kirchentages in Hannover“ wurde bisher nicht wirklich wahrgenommen
Datum: 13. Mai 2025 um 16:55 Uhr
Rubrik: Friedenspolitik
Verantwortlich: Albrecht Müller
Zum Beitrag der NachDenkSeiten mit dem Thema „Waffenlieferungen für den Frieden? Evangelischer Kirchentag als Steigbügelhalter der vorherrschenden Politik“ und zu den dazu eingegangenen und veröffentlichten Leserbriefen schreibt uns ein Pfarrer aus Württemberg. Er findet, das „Ökumenische Friedenszentrum“ sei nicht gebührend wahrgenommen worden. Wir geben seine Mail, obwohl sie nicht als Leserbrief gedacht war, unseren Leserinnen und Lesern wegen des Inhalts zur Kenntnis. Albrecht Müller.
Liebes Redaktionsteam der NachDenkSeiten,
was ich hier schreibe, soll kein Leserbrief werden, sondern eher eine Anregung für einen redaktionellen Artikel in den NachDenkSeiten. Ich bin evangelischer Pfarrer der württembergischen Landeskirche. Beim Durchlesen der Leserbriefe zum Artikel „Waffenlieferungen für den Frieden? Evangelischer Kirchentag als Steigbügelhalter der vorherrschenden Politik“ ist mir aufgefallen, dass bei aller Erregung über die von Politikern bestrittenen Veranstaltungen auf dem eigentlichen Kirchentag das „Ökumenische Friedenszentrum am Rand des Kirchentages in Hannover“ in seiner Bedeutung bisher nicht wirklich wahrgenommen wird.
Wobei Sie in den „Hinweisen des Tages“ am 2. Mai dankenswerterweise den Artikel von BR24 verlinkt haben, in dem das Friedenszentrum erwähnt wird und wo im Radiobeitrag Dekanin Susanne Büttner, die zum Kernkreis der Initiatoren gehört, ausführlich zu Wort kommt.
Um das Friedenszentrum mit der ökumenischen Friedenssynode wirklich zu verstehen, ist es wahrscheinlich notwendig, sich seine Geschichte zu vergegenwärtigen.
Der Anfang liegt schon im Sommer 2022, als Susanne Büttner, Ev. Dekanin im Justizvollzug, zusammen mit einem kleinen Kreis württembergischer Theologinnen und Theologen eine Erklärung „Christ*innen sagen Nein zu Waffenlieferungen und Aufrüstung“ verfasst hat. Diese Erklärung war ein Widerspruch gegen das Einschwenken der medial wahrnehmbaren Kirchenvertreter auf die Linie der von der Politik ausgerufenen Zeitenwende. Damals hat sie formuliert:
„Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine umfassende Krise für jegliche Form europäischer Friedenspolitik. Gerade deshalb ist es im Sinne der Botschaft Jesu, wenn wir als Christ*innen nicht der Logik und Ideologie des Krieges verfallen. Entgegen dem momentan herrschenden gesellschaftlichen Diskurs wollen wir weiter für Friedensbemühungen, gegen Waffenlieferungen und gegen Aufrüstung eintreten.“
Über innerkirchliche Kanäle verbreitet, wurde diese Erklärung bis April 2023 über 300-mal unterschrieben.
Ein Kreis von württembergischen Pfarrerinnen und Pfarrern hat sich dann bis zum Herbst 2023 mehrfach getroffen, um eine grundlegende Stellungnahme zu erarbeiten, die, abweichend vom kirchlichen Mainstream, theologische Kritik an einer Politik der Waffen formuliert, um damit inner- und außerkirchlich sichtbar und aktiv werden zu können. Ende Oktober 2023 wurde die Erklärung als „Württembergischer Friedensaufruf“ veröffentlicht. Den sieben Thesen ist dabei immer ein Bibelzitat vorangestellt. Dann wird eine der in Medien, Politik und Kirche vertretenen Positionen zum Ukrainekrieg aufgegriffen und dem eine aus der Bibel begründete Haltung entgegengestellt. Zentral ist die Zumutung von Jesus, auch die Feinde zu lieben. Dabei nimmt der Friedensaufruf ernst, dass die Feindesliebe, zu der Jesus auffordert, nicht für harmlose Umstände gedacht ist, sondern gerade für die Auseinandersetzung mit wirklichen Feinden.
Über den Württembergischen Friedensaufruf wurde in der regionalen Presse berichtet, er wurde im Deutschen Pfarrerblatt publiziert, doch der erhoffte breitere innerkirchliche Dialog blieb aus.
Bei einem Treffen des Initiativkreises im Sommer 2024 zur Frage, wie es angesichts der spärlichen Reaktionen auf die bisherigen Äußerungen weitergehen sollte, entstand die Idee einer ökumenischen Friedenssynode auf dem Kirchentag in Hannover, 1. bis 3. Mai 2025. Nach ersten Sondierungen war im Herbst 2024 jedoch klar, dass die Kirchentagsleitung eine Veranstaltung, bei der Thesen auf der Linie des „Württembergischen Friedensaufrufs“ verabschiedet werden sollten, nicht mittragen würde.
So wurde der kühne Entschluss gefasst, unabhängig vom Kirchentag, aber zentral in Hannover, drei Tage lang ein ökumenisches Friedenszentrum zu veranstalten, bei dem eine Synode von Christen aus ganz Deutschland, unabhängig von kirchlichen Institutionen und Strukturen, einen Friedensruf beschließen würde.
Dazu sollten Räume in den Ver.di-Höfen angemietet werden, was sich auf Kosten von 20.000 Euro belaufen würde. Für die Veranstaltung gab es keinerlei amtskirchlichen Hintergrund. Die Summe musste vollständig aus Spenden aufgebracht werden. Somit war das Wagnis für die kleine Gruppe der Initiatoren enorm. Wie viele Christen würden überhaupt von dem Vorhaben erfahren, die Sache mittragen und sich nach Hannover aufmachen?
Es gelang, Margot Käßmann als Schirmfrau zu gewinnen und ein beachtliches Programm mit hochkarätigen Referenten auf die Beine zu stellen. Außerdem ließen sich ca. 25 Friedensorganisationen als Unterstützer gewinnen. Dabei bestand der harte Kern der Organisatoren aus einer sechsköpfigen Gruppe, die es schließlich geschafft hat, die drei Tage in Hannover hochprofessionell vorzubereiten und durchzuführen.
Die Friedenssynode am 1. Mai 2025 war dann ein voller Erfolg. Nach einer Bibelarbeit von Margot Käßmann diskutierten etwa 300 Teilnehmer in mehreren Räumen und verschiedenen Runden den vorgelegten Entwurf und brachten Ergänzungen ein. Am Ende des Tages wurde der „Friedensruf von Christinnen und Christen“ einstimmig verabschiedet. In Vorträgen und Diskussionen und bei Gesprächen am Rand der Veranstaltung wurde die Thematik während der folgenden zwei Tagen weiter vertieft.
Über die große Zahl der Besucher waren die Veranstalter des Friedenszentrums erstaunt. Immer wieder mussten Besucher wegen Überfüllung der Räume abgewiesen werden.
Der Text des Hannoverschen Friedensrufs führt den Württembergischen Friedensaufruf von 2023 weiter. Seine Bedeutung liegt darin, dass hier Christen von der Basis her ihre Stimmen erheben, indem sie sich direkt auf die Bibel berufen und den Anspruch und Zuspruch von dem, was sie als Gottes Wort hören, der vorgeblichen Rationalität von „Kriegstüchtigkeit“ entgegenstellen. Der ehemalige Landesbischof der badischen evangelischen Kirche, Jochen Cornelius-Bundschuh, wies in seinem Vortrag im Friedenszentrum darauf hin, dass die Bibelzitate des Friedensrufes ja keineswegs willkürlich ausgewählt seien, sondern als Spitzensätze die umfassende „Friedensbewegung Gottes“ markierten, mit der Gott durchgängig um die Erde und das Leben auf ihr ringe.
Der Friedensruf bezieht also eine Position konsequent auf der Seite der einzelnen Menschen und des Lebens. Damit wendet er sich gegen jede Ideologie, die irgendwelche Werte – und seien es Freiheit und Demokratie – über die Menschen stellt. Grundlage ist die Erkenntnis, dass sich der gewaltsame Kampf gegen Gewalt unweigerlich ad absurdum führt, weil der Kämpfer gegen Gewalt genau zu dem mutiert, was er zu bekämpfen vorgibt. „Es wird gesagt, Gewaltverzicht sei naiv, unrealistisch und unvernünftig. Jesus aber lehrt uns die Vernunft eines Gewaltverzichts, der die Spirale der Eskalation durchbricht“, formuliert die 5. These des Friedensrufes.
Ebenfalls bemerkenswert am Hannoverschen Friedensruf ist, dass er sich konsequent der Huldigung vor dem Narrativ von „Russlands unprovoziertem, ungerechtfertigten, völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine“ verweigert. Seine Standhaftigkeit schöpft der Friedensruf aus der Verbundenheit mit Jesus Christus, der uns zumutet, unsere Feinde zu lieben und deshalb „verlangt, sich von vereinfachendem Gut-Böse-Denken zu lösen und die eigene Mitverantwortung für die Entwicklung von Konflikten zu erkennen“ (These 2).
Ein Problem der dominierenden Medien ist, dass sie nach prominenten Personen suchen, an denen sich Positionen festmachen lassen. Der Hannoversche Friedensruf lässt sich jedoch keiner Führungsperson zuordnen, sondern lebt allein von seinem Inhalt, was die mediale Vermittlung erschwert. Doch vielleicht ist das persönliche Weitertragen ja nachhaltiger als die mediale Vermittlung. Die Friedenssynode lebt von der Hoffnung, dass Christen, berührt von der Kraft der Worte, inmitten der Gewaltbereitschaft in Politik und Kirche als Salz der Erde und Friedensstifter wirken.
Es wäre trotzdem schön, wenn sich die NachDenkSeiten auch ein wenig an der medialen Vermittlung dieser Basisbewegung beteiligen könnten.
Mit freundlichen Grüßen
Pfarrer Michael Rau
89542 Herbrechtingen
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