Waffenlieferungen für den Frieden? Evangelischer Kirchentag als Steigbügelhalter der vorherrschenden Politik

Waffenlieferungen für den Frieden? Evangelischer Kirchentag als Steigbügelhalter der vorherrschenden Politik

Waffenlieferungen für den Frieden? Evangelischer Kirchentag als Steigbügelhalter der vorherrschenden Politik

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Roderich „Der Krieg muss nach Moskau getragen werden“ Kiesewetter war zu Gast bei einer Podiumsveranstaltung beim Evangelischen Kirchentag. Er fragte das Publikum, ob es bereit sei, höhere Steuern für Hochrüstung zu akzeptieren. Auf dem Podium saßen weitere Vertreter einer Politik der harten Hand gegenüber Russland. Waffenlieferungen für den Frieden? Abschlachten auf dem Schlachtfeld für die vorgeblich „gute“ Sache? Mit dem Segen der Kirche? So kann die Botschaft verstanden werden. Die Evangelische Kirche sollte sich in Grund und Boden schämen. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Unter dem Titel „Deutsche Zerrissenheit – Mit Waffen Frieden schaffen?“ fokussierte der Evangelische Kirchentag bei einer Podiumsdiskussion auf den Ukraine-Krieg und Russland. Die Zusammensetzung der Runde ließ die Marschrichtung erahnen. Auf der Bühne saßen der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter, der Politikwissenschaftler Sönke Neitzel („Vielleicht ist das der letzte Sommer, den wir noch in Frieden erleben“), Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow („Ein überfallener Staat muss sich verteidigen können.“) und Bischof Franz-Josef Overbeck („Wir müssen kriegstauglich werden“). Moderiert hat die Runde Politikberater Nico Lange („Alle außer Putin wollen Frieden“).

Man muss es der Evangelischen Kirche lassen: Wer diese Auswahl getroffen hat, könnte reibungsfrei auch zur ARD oder dem ZDF wechseln. Wir wissen: Das Prinzip „vier Stühle – eine Meinung“ ist bei den Öffentlich-Rechtlichen längst Alltag. Hier und da eine Art „Pluralitätskasper“, der auf gefällige Weise eine „Gegenposition“ vertreten darf – und schon ist der Pluralismus im „Qualitätsfernsehen“ am Ende der Fahnenstange angekommen. Fundamentalkritische Opposition? Fehlanzeige. Und: So, wie es altbekannte Praxis im deutschen Polit-Talk ist, als Sendungstitel dämliche Fragen zu stellen, die die Antwort schon vorwegnehmen, so dockt auch der Titel der Podiumsdiskussion mit Kiesewetter an das „ÖRR-Prinzip“ an. Der Titel „Deutsche Zerrissenheit – Mit Waffen Frieden schaffen?“ macht einer von Kritikern verschrienen Kirche alle Ehre. Die Kirche – Wasser predigen, Wein saufen? Die Kirche – Scheinfrömmigkeit und Heuchelei? Vorwürfe dieser Art bekommen die großen Kirchen von ihren Kritikern immer wieder zu hören. Bei einem solchen Titel für eine Podiumsdiskussion darf sich eine Kirche, die sich bisweilen auf die Botschaft Jesu stützt, nicht wundern, wenn ihr Heuchelei vorgeworfen wird.

Denn: Bei dieser Zusammensetzung des Podiums dient die Frage nicht einer ergebnisoffenen Diskussion. Die Frage ist bei Lichte betrachtet ein Steigbügelhalter für die vorherrschende Politik. Diskurssimulation, Scheindiskussion – um der Öffentlichkeit die Illusion einer pluralistischen Debatte zu vermitteln. Das steckt hinter der Frage. Doch es ist ja noch schlimmer: Vonseiten einer Kirche, die beansprucht, das Wort Gottes zu vertreten, ist politische Gefälligkeit bei der Frage von Krieg und Frieden eine erbärmliche Schande. Eine Kirche, die hinter dem Frieden steht, würde sich mit dem Mut Jesu einer Politik des Krieges in den Weg stellen. Sie würde keine pseudooffenen Fragen für ihre Podiumsdiskussionen stellen und dann Waffenlieferungsbefürworter einladen. Eine Kirche, die bedingungslos für Frieden ist, hätte die Courage, einer solchen Podiumsdiskussion schon in der Titelgebung die Gottesbotschaft aufzudrücken, zum Beispiel: „Im Namen unserer christlichen Friedensmission: Die deutsche Politik muss zurück zur Diplomatie!“

Eine Diskussion unter diesem Motto wäre zwar offen und für jeden ersichtlich „parteiisch“, aber eine Kirche hat nun mal parteiisch auf der Seite Gottes zu stehen – und nicht parteiisch auf der Seite der vorherrschenden Politik.

Ein Jeder möge sich vorstellen, was bei einer solchen Runde mit einer entsprechend kritischen Zusammensetzung auf dem Podium zu hören gewesen wäre.

Ramelow setzte zwar ein paar kritische Akzente wie etwa, dass nur noch von Aufrüstung und nicht mehr von Abrüstung gesprochen werde, aber eine wahrlich kritische Dekonstruktion des Krieges im Hinblick auf seine tiefen- und geostrategische Untermauerung erfolgte von dem Linken-Politiker nicht. Dafür ging Kiesewetter in die Vollen und fragte das Publikum:

„Sind Sie alle hier im Saal, sind Sie, Ihre Familie, Ihre Freunde bereit, etwas höhere Steuern zu zahlen oder auf Einkommen zu verzichten, wenn Sie wissen, unser Wohlstand in Frieden und Freiheit bleibt erhalten, wenn wir unsere Sicherheit mit Blick auf Finnland, Schweden, auf die baltischen Staaten, auf Tschechien und Polen, stärker durch uns mitfinanziert, tragen?“

Übrigens: Niemand in der Runde widersprach – auch nicht Ramelow und der Bischof. Es folgte ein Musikstück.

Bischof Overbecks Aussagen lavieren zwischen einem schier unendlichen ‚Frieden ja, aber…!‘. Er sagte gar: „(…) ohne die Sprache der Gewalt versteht die eine Seite dieses Krieges nicht, um was es geht – und das ist leider Russland (…)”.

Eine solche Aussage aus dem Munde eines „Mannes Gottes“? Overbeck klingt wie ein Politiker. Erinnert sei an ein Bibelstelle, bei der es um den „lauwarmen“ Menschen geht. „Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.“

Auf einem ‚alternativen Kirchentag‘ wurde dann übrigens doch noch die Stimme des Friedens hochgehalten. Dieses Kontrastprogramm fand sich aber nicht im Evangelischen Kirchentag integriert. „Die Kirchentagsleitung habe befürchtet“, so heißt es in einem BR-Bericht, „der pazifistische Friedensruf könne als Verlautbarung des ganzen Kirchentags verstanden werden.“

Welch ein Trauerspiel!

Titelbild: Screenshot Phoenix