In ihren buchstäblich letzten Amtstagen hatte Innenministerin Nancy Faeser die Ergebnisse eines Gutachtens des deutschen Inlandsgeheimdienstes veröffentlicht, laut dem die AfD jetzt „als gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ gilt. Das Innenministerium (BMI) hatte in diesem Zusammenhang öffentlich verneint, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gegenüber dem BMI weisungsgebunden sei. Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, ob das BMI wirklich die Position vertritt, dass das BfV nicht weisungsgebunden sei, ob die Veröffentlichung mit dem künftigen Kanzler Merz und Innenminister Dobrindt abgesprochen war und ob das BMI das Durchstechen des Gesamtgutachtens zu Medien wie dem SPIEGEL, welches als geheime Verschlusssache eingestuft wurde, als Straftat bewertet und entsprechende Schritte einleiten wird. Von Florian Warweg.
Hintergrund: Ist der Verfassungsschutz weisungsgebunden?
Am 2. Mai erklärte das BMI in Reaktion auf den Kommentar eines X-Nutzers, der darauf hinwies, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz, kurz BfV, gegenüber dem BMI weisungsgebunden ist, dass dies angeblich nicht der Fall sei:
„Nein, das BfV arbeitet eigenständig. Min Faeser erklärt dazu: “Die neue Einstufung ist Ergebnis einer umfassenden & neutralen Prüfung, die in einem 1100-seitigen Gutachten festgehalten ist. Es hat keinen politischen Einfluss auf das Gutachten gegeben.”
Die Verneinung des BMI („Nein…) in Bezug auf den Aspekt der Weisungsgebundenheit ist in dieser Form nicht korrekt. Das BfV ist als Bundesoberbehörde dem Bundesministerium nachgeordnet, untersteht infolgedessen derer Dienst- sowie Fachaufsicht und ist in Folge dem BMI gegenüber weisungsgebunden.
Das Durchstechen der geheimen Verschlusssache Afd-Gutachten an SPIEGEL & Co
Das AfD-Gutachten gilt als „behördeninterne Einstufung des Bundesamtes für Verfassungsschutz“ und wurde als solches als „Verschlusssache“ eingestuft. Begründet wurde dies damit, dass dieses Gutachten „Bewertungen und Einschätzungen“ enthalte, die Rückschlüsse auf die Arbeit des deutschen Inlandsgeheimdienstes ermöglichen würde. Deshalb, so die weitere Argumentation des BMI, „ist eine Veröffentlichung weder vorgesehen noch möglich“.
Allerdings wurde das mehr als 1.100 Seiten umfassende Gutachten an mehrere Journalisten aus dem Leitmedienspektrum in Gänze durchgestochen, beispielhaft sei auf den SPIEGEL-Redakteur Wolf Wiedmann-Schmidt verwiesen, der bereits am 2. Mai folgenden Artikel mit Details aus dem Gutachten veröffentlichte: „So begründet der Verfassungsschutz die AfD-Einstufung“.
Die Weitergabe von Verschlusssachen, also ein Verstoß gegen die sogenannte „Verschlusssachenanordnung“, gilt als Straftat und kann entsprechend verfolgt werden. Laut dem BMI-Sprecher Lars Harmsen „wird dem nachgegangen“.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 5. Mai 2025
Frage Warweg
Das BMI hat am 2. Mai im Zusammenhang mit dem Gutachten über die AfD auf X verneint, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz gegenüber dem BMI weisungsgebunden sei. Die Einstufung sei nach neutraler Prüfung und ohne politischen Einfluss erfolgt. Da würde mich zunächst interessieren: Stellt sich das BMI wirklich auf diese Position, dass das BfV als nachgeordnete Behörde dem BMI gegenüber nicht weisungsgebunden sei?
Harmsen (BMI)
Die Bundesinnenministerin hat entschieden, der eigenständigen und neutralen fachlichen Prüfung des Bundesamts für Verfassungsschutz zu folgen, was das Gutachten zur Einstufung der AfD angeht, um auch nur den Anschein einer politischen Einflussnahme auf dieses Gutachten zu vermeiden. Deshalb ist keine Prüfung durch das BMI und sind insbesondere keine Änderungen durch das BMI erfolgt, und in diesem Zusammenhang ist auch dieser Post in den sozialen Medien zu sehen.
Zusatzfrage Warweg
Dann habe ich noch eine grundsätzliche Verständnisfrage. Jetzt gilt es ja eher als unüblich, dass man buchstäblich in den letzten Amtstagen noch entsprechende Schritte mit solchen Auswirkungen beschließt oder verkündet. Vor diesem Hintergrund würde mich noch interessieren: War dieser Schritt denn mit Herrn Merz und ihrem Nachfolger Dobrindt abgesprochen?
Harmsen (BMI)
Die Bundesinnenministerin hat sich am Freitag ja dazu geäußert, sowohl in einem Statement als dann auch abends im „ARD-Brennpunkt“. Wir haben immer gesagt: Nicht das Gutachten selbst, aber das Ergebnis der Prüfung wird in dem Moment veröffentlicht, in dem es bei uns im BMI vorliegt. Das ist letzte Woche Montag bei uns eingegangen, und wir haben es dann am Freitag in seinem Ergebnis kundgetan. Frau Ministerin Faeser hat am Freitagmorgen sowohl den wahrscheinlich künftigen Bundeskanzler, Herrn Merz, als auch ihren wahrscheinlichen Amtsnachfolger, Herrn Dobrindt, darüber informiert und sich darüber auch ausgetauscht.
Frage Rusch (Epoch Times)
Das Verfassungsschutzgutachten der AfD ist als Verschlusssache eingeordnet. Allerdings wurde es an manche Medien durchgestochen. Wenn man auf die Wählerzahl der AfD und die aktuellen Umfragen blickt, dann könnte diese Intransparenz unter einem großen Teil der Bürger für Unmut sorgen. Wäre es aus Sicht zur Förderung des gesellschaftlichen Miteinanders nicht besser, den Bericht zu veröffentlichen? Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen? Die Frage geht sowohl an Herrn Harmsen als auch an Herrn Hebestreit.
Harmsen (BMI)
Ich kann zumindest ganz klar sagen: Aus dem BMI bzw. aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz ist dieses als Verschlusssache eingestufte Gutachten nicht weitergegeben worden. Entsprechende Medienberichte darüber habe ich wahrgenommen, aber kann die hier nicht bestätigen.
Das Gutachten ist eine behördeninterne Einstufung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und als solches als Verschlusssache eingestuft. Unabhängig davon, dass auch öffentliche Erkenntnisse oder öffentlich zugängliche Quellen herangezogen wurden, enthält dieses Gutachten Bewertungen und Einschätzungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, und insofern ließe das Gesamtgutachten auf die Arbeit dieses Nachrichtendienstes, also des Bundesamtes für Verfassungsschutz, schließen. Wie Sie wissen, und das ist ja auch der Grund, warum wir uns hier grundsätzlich nicht zur Arbeit der Nachrichtendienste äußern, ist diese Arbeit schützenswert, um sie auch in Zukunft so durchführen zu können, dass sie dem gesetzlichen Auftrag der Nachrichtendienste weiter Genüge tut, und deshalb ist eine Veröffentlichung weder vorgesehen noch möglich.
Regierungssprecher Hebestreit
Ich habe da gar nicht viel zu ergänzen. Natürlich ist es so, dass Verschlusssachen Verschlusssachen sind, und wenn sich daran nicht gehalten wird, dann ist das ein strafbewehrtes Verhalten, und dann muss dem auch nachgegangen werden.
Zusatzfrage Rusch
Das wurde ja nicht veröffentlicht, aber ich meine die Pressemitteilung dazu. Warum hat sich das so lange hinausgezögert? Man arbeitet ja schon sehr lange an diesem Gutachten.
Harmsen (BMI)
Auch dazu hat sich die Bundesinnenministerin ja am Freitag mehrfach geäußert. Ich will das jetzt hier gar nicht weiter ausführen, aber vielleicht noch einmal darauf hinweisen, dass dieses Gutachten einen längeren Zeitraum umfasst, in dem auch die letzten Erkenntnisse zu den Landtagswahlen im letzten Jahr und zur Bundestagswahl in diesem Jahr sowie zu dem Verhältnis der AfD zur inzwischen aufgelösten Jungen Alternative eingeflossen sind. Insofern umfasste dieses Gutachten tatsächlich einen Zeitraum, der bis eine Woche vor der Veröffentlichung am letzten Freitag geht.
Frage Warweg
Herr Harmsen, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie kategorisch ausgeschlossen haben, dass dieses Durchstechen durch das BMI oder das BfV erfolgte? Wenn ja, falls ich Sie da richtig verstanden habe, wie können Sie mit 100-prozentiger Sicherheit ausschließen, dass ein individueller Mitarbeiter dies an die entsprechenden Medien durchgegeben hat?
Harmsen (BMI)
Das kann ich natürlich nie ganz ausschließen. Ich kann aber mit Stand von ungefähr zehn Minuten vor dieser Regierungspressekonferenz sagen, dass das Gutachten weder durch das BMI noch durch das BfV in offizieller Funktion weitergegeben worden ist.
Zusatzfrage Warweg
Wird das Durchstechen einer Verschlusssache vom BMI als eine Straftat gewertet, und werden da entsprechende Schritte eingeleitet? Gibt es schon irgendwelche Überlegungen oder Entscheidungen?
Harmsen (BMI)
Natürlich wird, wenn ein Verdacht besteht, dass Verstöße gegen die Verschlusssachenanordnung vorliegen könnten, das dann geprüft. Dem wird nachgegangen, ja.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 05.05.2025
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