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Titel: Wissenschaft zur Waffe! Hochschulen haben neuerdings Bundeswehr und Rheinmetall zu dienen
Datum: 19. Mai 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Aufrüstung, Bildungspolitik, Hochschulen und Wissenschaft
Verantwortlich: Redaktion
An der Hochschule Flensburg verhindert studentischer Widerstand die Einführung eines Fachs „Wehrtechnik“. Das macht Hoffnung angesichts politischer Bestrebungen, die an etlichen Universitäten bestehenden Zivilklauseln „unschädlich“ zu machen. Bayern gibt den Vorkämpfer: Dort muss für die Armee geforscht werden. Und auf dem Campus in München Garching hat die deutsche Truppe schon einmal auf Probe geballert. Von Ralf Wurzbacher.
Es gibt sie noch: Fälle von Widerstand gegen den beherrschenden militaristischen Zeitgeist im Zeichen von „Zeitenwende“, Hochrüstung und „Kriegsertüchtigung“. Die Hochschule Flensburg macht einfach nicht mit. Am Mittwoch der Vorwoche hätte der Konvent des Fachbereichs Maschinenbau, Verfahrenstechnik und maritime Technologien grünes Licht für die Einführung eines Studienmoduls „Wehrtechnik“ geben können. Aber es setzte die rote Karte! Das Gremium, bestehend aus Professoren, Hochschulmitarbeitern und Studierenden, wies das Ansinnen in aller Deutlichkeit zurück. Nach geheimer Abstimmung blieben bei sieben Nein-Stimmen, zwei Enthaltungen und einer Ja-Stimme keine Fragen offen.
Damit entschied sich die Flensburg University of Applied Sciences wieder für den Frieden – nach zwei Jahren, in denen man mit dem Antipoden immerhin geflirtet hatte. Bis zum zurückliegenden Wintersemester gab es bereits einen Kurs zum Thema „Wehrtechnik“, allerdings nur als Wahlfach und außerhalb des regulären Lehrplans. Dietrich Jeschke, Professor für Maschinenbau, wollte mehr. Vor einem Monat machte er den Vorstoß, das Angebot im offiziellen Curriculum zu verankern und künftig für Inhalte wie Kettenfahrzeugtechnik, Ballistik und ABC-Sicherheit sogenannte Credit Points zu vergeben. Dafür hatte er eigens die Rüstungsfirma Flensburger Fahrzeugbau-Gesellschaft (FFG) an Land gezogen. Die bot sich an, für die Dauer von zunächst fünf Jahren eine Stiftungsprofessur zu finanzieren, möglicherweise im Verbund mit anderen Waffenschmieden aus Schleswig-Holstein. Überdies sollte ein örtlicher Schützenverein für das Projekt gewonnen werden – weil für die Arbeit mit Gewehren und Geschützen ein Waffenschein erforderlich wäre …
Kein Schützenfest
Jeschke hatte sein Konzept vor fünf Wochen dem Konvent vorgestellt und stieß dort prompt auf renitente Studierendenvertreter. Um sich mehr Gehör zu verschaffen, stellten sie gemeinsam mit Hochschülern der Europa-Universität Flensburg die Initiative „Campus ohne Wehrtechnik“ auf die Beine und betrieben auf dem Hochschulgelände mit Plakaten und Flyern Aufklärungsarbeit. In einem vor acht Tagen veröffentlichten Offenen Brief, unterzeichnet von insgesamt über 400 Studierenden, Uni-Beschäftigten und Flensburger Bürgern, appellierten sie an die Gremiumsmitglieder, das Vorhaben zu stoppen. Gewarnt wird darin vor einem „Image- und Glaubwürdigkeitsverlust“, einer „fatalen Signalwirkung“ und davor, „Forschung und Lehre systematisch in den Dienst militärischer Interessen zu stellen“. Fazit: Der Schritt „würde unsere Hochschule in eine Richtung bewegen, die weder den moralischen Prinzipien noch den Zukunftsanforderungen unserer Studierenden und Gesellschaft entspricht“.
Die Argumentation überzeugte. Der Konvent habe sich „klar gegen die Einrichtung der vorgeschlagenen Vertiefungsrichtung ausgesprochen“, äußerte sich Frithjof Marten, Dekan des Fachbereichs 1, in einer Medienmitteilung der Hochschulleitung. „Mit dem heutigen Beschluss wird diese Möglichkeit damit nicht weiterverfolgt.“ Auch das fragliche „Wahlmodul“ zu „Wehrtechnik“ hat sich damit erledigt. Dieses sei nach Ablauf der Testphase „nicht fortgeführt“ worden, heißt es in der Erklärung. Die Aktiven von „Campus ohne Wehrtechnik“ zeigten sich anschließend erleichtert. „Wir leben in einer Zeit, in der rechte Kräfte immer stärker werden und sozial-ökologische Krisen zunehmen“, ließ sich Sprecherin Clara Tempel zitieren. „Gerade jetzt sollten wir an Hochschulen keine Kooperationen mit Rüstungsunternehmen aufbauen, sondern zukunftsfähige Lösungen für eine Welt im Wandel entwickeln.“
Forschen fürs Morden
Flensburg ist ein Fels in der Brandung. Tatsächlich sehen sich Deutschlands Hochschulen und Forschungsinstitute derzeit einer heftigen Stimmungsmache ausgesetzt. Demnach müsse die Wissenschaft ihre Distanz zum Militärischen aufgeben und sich aktiv in den Dienst der deutschen und europäischen Streitkräfte stellen. Dabei ist das längst Realität, wenn auch nicht über die volle Breite der Hochschullandschaft. Schon heute fließen hierzulande mehrere Milliarden Euro jährlich an Dutzende Hochschulen, die im naturwissenschaftlichen, medizinischen und sozialwissenschaftlichen Bereich für Militärs und Rüstungsfirmen öffentliche Forschung betreiben.
Aber eben nicht alle lassen sich einspannen. Etliche Standorte, bundesweit insgesamt rund 80 an der Zahl, verpflichten sich per Zivilklausel dazu, ausschließlich für friedliche und zivile Zwecke zu forschen. In wenigen Bundesländern, aktuell in Bremen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, ist dieses Bekenntnis sogar in den Landeshochschulgesetzen verbrieft. Nicht immer werden die Vorgaben auch befolgt, insbesondere in Fällen, in denen es um sogenannte Dual-Use-Anwendungen geht, aus denen sich sowohl militärischer als auch ziviler Nutzen ziehen lässt. Gleichwohl bilden Zivilklauseln doch eine einigermaßen robuste Schutzmauer gegen Übergriffigkeiten interessierter Kreise, die aus Hochschulen Forschungsanstalten für Militärs und Rüstungsindustrielle machen wollen. Zudem sind entsprechende Regeln mit Blick auf die Öffentlichkeit von hohem symbolischen Wert, gerade heute. Sie signalisieren: „Alle reden vom Krieg, wir verschreiben uns dem Frieden.“
Unter Beschuss
Auch und gerade deswegen geraten die Schutzmauern dieser Tage heftigst unter Beschuss. Beispiel Hessen: Dort haben sich fünf der 14 staatlichen Hochschulen „eine freiwillige Verpflichtung auferlegt, keine Forschung mit militärischem oder sicherheitsrelevantem Nutzen zu betreiben oder zu unterstützen“. Sie befinden in Frankfurt, Kassel, Darmstadt, Marburg und Geisenheim im Rheingau. Ihre Rolle missfällt der Politik zusehends. Bereits im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Landesregierung heißt es, man wolle die „Hochschulleitungen bei der Überprüfung von Zivilklauseln“ unterstützen.
Jetzt hat Wissenschaftsminister Timon Gremmels (SPD) nachgelegt. Vor dem Hintergrund der Rede von US-Vizepräsident James David Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz und der „unberechenbaren Äußerungen“ von Präsident Donald Trump müsse man die Zivilklauseln mit den Hochschulen „intensiv diskutieren – natürlich unter Berücksichtigung der Hochschulautonomie“. Angesichts zusätzlicher Milliarden für die Bundeswehr solle darauf geachtet werden, „dass möglichst viel davon zur Wertschöpfung in Deutschland beiträgt“. Drastischer formulierte es der FDP-Landtagsabgeordnete Matthias Büger: Die veränderte Sicherheitslage erfordere es, „dass die Forschung zur Sicherheit unserer Freiheit beiträgt“. Er verlangt „klare gesetzliche Vorgaben, die Zivilklauseln verbieten – denn sonst wird die Forschungssicherheit und somit auch die Sicherheit des Landes und der Bürger gefährdet“.
Söder marschiert voraus
Bayern ist Hessen schon voraus. Bekannt für ihre Nähe zu den vielen im Freistaat ansässigen Rüstungsunternehmen, hat die Landesregierung mit dem seit 1. August 2024 geltenden „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr“ Zivilklauseln kurzerhand verboten. Nach dessen Wortlaut hätten die Hochschulen mit der deutschen Armee „zusammenzuarbeiten, wenn und soweit das Staatsministerium auf Antrag der Bundeswehr feststellt, dass dies im Interesse der nationalen Sicherheit erforderlich ist“. Ferner dürften erzielte Forschungsergebnisse „auch für militärische Zwecke der Bundesrepublik Deutschland oder der NATO-Bündnispartner genutzt werden“, und weiter: „Eine Beschränkung der Forschung auf zivile Nutzungen (Zivilklausel) ist unzulässig.“
Gegen das Gesetz läuft eine Popularklage, eingereicht unter anderem von Friedensaktivisten und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie verweisen auf die Verfassung, die die Freiheit von Forschung und Lehre garantiere. Zudem schränke verpflichtende Forschung für militärische Zwecke die „Gewissensfreiheit“ ein. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ficht das nicht an. Ein von ihm im Frühjahr auf der Münchner Sicherheitskonferenz präsentierter „Masterplan“ zielt darauf, das bayerische Modell in ganz Deutschland auszurollen, also ein „bundesweites Verbot von Zivilklauseln an den Hochschulen“ zu etablieren.
Vorbilder: USA und Israel
Im Positionspapier „Forschungssicherheit im Lichte der Zeitenwende“ vom März 2024 in Regie des früheren Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ist sehr konkret skizziert, wo die Reise hingehen soll. Demnach müssten „die Möglichkeiten für eine bessere Verzahnung zwischen militärischer und ziviler Forschung erörtert “ werden. Außerdem sei ergebnisoffen zu diskutieren, „wie Zivilklauseln zweckmäßig ausgestaltet werden können, um der zunehmend schwierigeren Differenzierbarkeit von Forschung angesichts einer Vielzahl möglicher Einsatzzwecke gerecht zu werden“. Als Vorbilder werden explizit Israel und die USA benannt. Diese setzten „erfolgreich und synergetisch in einem zivil und militärisch geprägten Ökosystem Forschung in technologische Innovation um“.
Was einmal das BMBF war, firmiert neuerdings unter BMFTR. Wobei das R für Rüstung steht und die Federführung Dorothee Bär (CSU) innehat, die als damalige „Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung“ schon 2018 so weitsichtig war, den Einsatz von Flugtaxis hierzulande auf 2025 terminieren. Daraus wurde nichts, dafür klappte es jetzt mit dem Aufstieg samt Agenda zum Überfliegen. Auf dieser stehen der Bau des ersten Fusionsreaktors der Welt, eine KI-Offensive für Superrechner („AI-Gigafactory“), eine nationale „Hyperloop“-Referenzstrecke, eine Raketenrampe in der Nordsee und eine deutsche Astronautin auf dem Mond. Bei solchen Ambitionen brauchen Forscher Beinfreiheit, viel Geld und Zuarbeit von außen. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist sodann auch von der Schaffung einer „Förderkulisse für Sicherheits- und Verteidigungsforschung einschließlich Cybersicherheit und sicherer Infrastrukturen“ die Rede mit dem Ziel, „Kooperation von Hochschulen und außeruniversitärer Forschung mit Bundeswehr und Unternehmen gezielter zu ermöglichen“.
Soldaten ins Klassenzimmer
Bei ihrem Chef rennt sie damit offene Türen ein. Neubundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte Zivilklauseln schon vor zwei Jahren als „nicht mehr zeitgemäß“ abgetan und daneben einen „ungehinderten Zugang“ der Bundeswehr zu staatlichen Lehranstalten empfohlen. Flugs fand auch dieser Punkt „Zugang“ ins schwarz-rote Regierungsprogramm: „Wir verankern unsere Bundeswehr noch stärker im öffentlichen Leben“, steht da geschrieben, „und setzen uns für die Stärkung der Rolle der Jugendoffiziere ein, die an den Schulen einen wichtigen Bildungsauftrag erfüllen.“
Derlei kann man heute ohne Hemmungen verfechten. Der alte und neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte ebenfalls bei der Münchner Sicherheitskonferenz dafür geworben, die Kooperation zwischen der Bundeswehr und Universitäten zu vertiefen. Die FDP pocht auf eine „agile Verteidigungsforschungsanstalt nach amerikanischem Vorbild, die sich auf den Technologietransfer zwischen Militär und Wissenschaft sowie auf die Förderung von Forschungsprojekten mit militärischen oder Dual-Use-Anwendungen konzentriert“. Der ehemalige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ließ sich im Januar von der Tageszeitung (taz) mit den Worten zitieren, man müsse „die strikte Trennung von militärischer und ziviler Nutzung und Entwicklung überdenken“.
Krieg zum Anfassen
Genau das passiert bereits mancherorts. Die Technische Universität (TU) Chemnitz teilte zuletzt mit, ihre Zivilklausel im Prozess der Novellierung der Grundordnung „zeitgemäß“ anpassen zu wollen. Auch an der TU Berlin soll es entsprechende Bestrebungen geben. Dazu machen berufene Köpfe das Publikum glauben, dass Zivilklauseln sowieso nichts verbieten, da auch die „Erfüllung des Verteidigungsauftrags der Wahrung von Frieden dient“, wie es in einer Stellungnahme der bayerischen Sektion des Deutschen Hochschulverbands (DHV) vom März 2024 heißt. Das Papier war auf das seinerzeit noch in Vorbereitung befindliche „Bundeswehrgesetz“ gemünzt. Fazit: „Im Ergebnis bestehen keine Bedenken gegen die intendierten Neuerungen.“ Die Firma dankt.
Übrigens: Vor einem halben Jahr gab es auf dem Campus der TU München Krieg zum Anfassen. Beim Forschungsreaktor der Uni in Garching fielen im Oktober Schüsse, Schützenpanzer und Militärjeeps mit montierten Maschinengewehren durchkämmten das Gelände, Soldaten patrouillierten, machten Jagd auf „Terroristen“ und brachten sie zur Strecke. Keine Sorge: War alles nicht ernst gemeint, bloß ein Manöver der Bundeswehr zur Simulation eines Angriffs auf kritische Infrastruktur. Manchen Beteiligten war dennoch mulmig zumute. Zeitgleich im hohen Norden an der Ostsee herrschte Frieden. Darauf ein Flens.
Titelbild: CampusOhneWehrtechnik
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